USA und Mexiko

Die ungleichen Nachbarn …

Das Jahr 1982 steht am Beginn seines letzten Viertels.

Die Sonne vermindert ihre Strahlkraft, erwärmt mildtätig noch die Tage, zieht sich aber abends schon früh zurück und leitet mit zunehmend kälteren Winden, ihren Schwanengesang ein.

Das Laub an den Bäumen in Parks und Wäldern bereitet sich ebenfalls auf den Abschied vor, den es mit üppiger Farbenpracht zu inszenieren gedenkt.

Der Oktober verharrt in Reife und Sattheit unter der Last seiner Früchte und schenkt friedliches, herbstliches Stimmungskolorit, ehe die Nebel des November ihren eintönig grauen Schleier über Stadt und Land breiten.

Genau in dieser Zeit des Übergangs am 19. Oktober 1982 treten Kurt und ich eine Reise an, die wir als eben in den Ruhestand, getretene „Alte“ unabhängig von beruflichen Zwängen und Terminen unternehmen können.

Was uns in der Jugend, der Krieg und seine Folgen gestohlen haben, versuchen wir dank Fortschritt und neuem Wirtschaftswunder, nachzuholen.

Zwar haben wir vor einigen Jahren einen kleinen Fertighaus-Bungalow, als Eigenheim auf einem wunderschönen Grund mit uralten Eichen im Frankenland realisieren können, trotzdem zieht es uns wenigstens einmal im Jahr als Ausgleich zum eintönigen, dörflichen Alltag, in die Ferne hinaus.

Unsere Ambitionen zielen dieses Mal auf den Westen der USA und Mexiko.

Zwei Monate haben wir für dieses Vorhaben einkalkuliert und natürlich findet es wieder ohne Reiseveranstalter, in eigener Regie, statt.

Nach gründlichen Vorbereitungen, einschließlich der im Schnell-Verfahren und daher dürftig erlernten spanischen Sprache, brechen wir also an besagtem Oktobertag, nach San Franzisco auf.

San Franzisco… Stadt der Superlative, die in ihrer kurzen Existenz vom militärischem Stützpunkt und

einer Franziskaner-Mission 1776 – später mexikanischem Handelshafen – schließlich Goldgräber-Eldorado, zur beliebtesten Metropole der westlichen USA avancierte.

Mit dem Auf und Ab ihrer Straßen offeriert sie Fußgängern ein echtes Trainingsterrain, das wir als fleißige Globetrotter, zumindest einen Tag lang tapfer bewältigen.

Durch das exotische Chinesenviertel – das größte außerhalb Asiens – belohnt uns ein herrlicher Blick vom Telegraphen-Hill, für den beschwerlichen Aufstieg.

Dann im Wechsel von Hinunter und Hinauf begegnen wir der „krümmsten Straße der Welt“ mit 10, von prächtigen Blumenrabatten geschmückten Haarnadel-Kurven und gleich danach der „steilsten Straße der Welt“, einem kurzen, aber beängstigenden, beinahe senkrechten Stück Asphalt.

Auffallend, wie Amerikaner jede Besonderheit als „Attraktion“ zu würdigen, wissen!

Wieder Abstieg zur San Franzisco-Bay, wo am Pier 39 die Stadt v o r dem großen Erdbeben 1906, nostalgisch mit Holzhäusern der Jahrhundertwende wieder auferstanden ist, gefolgt von Fishermans Wharf mit bunten, billigen Verlockungen und allerlei schrägen Gestalten, die an die Amüsier-Meile Reeperbahn in Hamburg, erinnern.

Nicht zu glauben, dass dieses Viertel einmal von eingewanderten, sizilianischen Fischern gegründet worden ist.

Es folgt der Aquatic-Park mit Sicht auf die Felseninsel Alcatraz, die von 1934 – 1969 Gefängnis war, auf der so mancher Unhold, unter anderem auch Al Capone, für seine Sünden büßen musste.

Und in der Ferne schimmern die Umrisse des technischen Wunderwerks „Golden Gate Bridge!“

Wieder zurück – bergauf und bergab – zu unserem Hotel, haben dann auch wir, fast alle unsere Sünden abgebüßt und nur noch Ambitionen auf ein weiches Bett.

Dabei wird uns allerdings in der folgenden Nacht, sozusagen als Draufgabe beigebracht, dass der „Wilde Westen“ auch in der Supermetropole noch nicht ganz gezähmt worden ist.

Schüsse schrecken uns aus dem Schlaf und am Morgen entdecken wir, dass die Glastüre unseres einfachen Quartiers nahe dem Omnibus-Bahnhof, ein gesplittertes Loch aufweist und eine seltsam veränderte Atmosphäre im Haus herrscht, das nächtliche Intermezzo dabei, jedoch diskret verschwiegen wird. Niemand weiß etwas oder hat gar etwas gesehen…

Als seltenes Juwel in dieser an „Edelsteinen“ so reichen Stadt, leuchtet als kostbare Oase, der Golden Gate Park, aus dem Meer der Großstadthäuser. Der Bus Nr. 38 bringt uns an dessen Nordende, von dem es nicht mehr weit bis zu den Gestaden des Pazifischen Ozeans ist, jenes größten aller Meere, die die Kruste der Erde umspülen. Lange verharren wir hier schweigend und schauen in die unendliche Weite hinter dem breiten Sandstrand. Laut polternd rollt die Brandung an, die verrät, dass dieses mächtige Gewässer sich nicht immer wohlwollend und friedliebend zeigt, sondern auch unbarmherzig wüten kann.

Leise seufzt plötzlich neben mir Kurt: „Ja und da irgendwo… weit, weit draußen liegt die Südsee, liegt Hawaii… “ und ich spüre die Sehnsucht, die auch ihn, wie so vielen anderen Menschen, Polynesien als paradiesisches Eden erscheinen lässt.

Am Rückweg durch den dichten Baumbestand, den im Detail zu identifizieren, man Botaniker sein müsste, treffen wir auf eine Gruppe von jungen Menschen, die sich mit dem Markenzeichen „Greenpeace“ ausweisen. Erst Jahre später wird deutlich, welch‘ große Bedeutung diesem Losungswort für Natur und Umwelt zukommt.

Zu Fuß, per Bus, auf einer Rundtour, versuchen wir in wenigen Tagen im Gesicht einer Stadt zu lesen, die mit ihrem Umfeld… als Kalifornien, erst 1850 als 31. Staat in die Vereinigten Staaten von Amerika, aufgenommen wurde.

Nur die so geliebte Cable Car, die alte Straßenbahn der Stadt können wir nicht benutzen… sie wird gerade renoviert.

Das Gemisch der verschiedenen Völkerschaften – bei unseren Exkursionen geraten wir z.B. auch ins Japan-Center, in dem wir den fernöstlichen Atem dieses weit entfernten Inselreiches, unmittelbar schnuppern – prägt heute mit Alt und Neu, mit Schön und Hässlich, diese drittgrößte Stadt der USA.

Nach den Strapazen des mehrtägigen, Auto losen Daseins, sind wir dankbar und froh, am Flughafen von San Francisco wieder ein fahrbares Transportmittel besteigen zu können, um ein paar wenige der berühmten Naturparks im Westen der USA, einen Besuch abzustatten.

San Francisco bleibt ohnehin die seltene Ausnahme für Spaziergänge im Land der überdimensionalen Blechkarawanen, wo ein Mensch ohne Auto ein armer Schlucker und nicht mehr wert ist, als ein vierbeiniger Streuner auf der Straße oder bestenfalls einem verdächtigen Verrückten gleicht.

Die riesigen Entfernungen in diesem Land entschuldigen wenigstens teilweise die leidenschaftliche Liebe des Amerikaners zu seinem chromblitzenden Genossen und wenn unser angemietetes Gefährt auch nur eine kleine Variante der üblichen Straßenkreuzer darstellt, sind wir zufrieden, dass es uns auf bequeme Art über die weiten Strecken, zu den gewünschten Zielen befördern wird.

Die Landschaft dort präsentiert sich grandios und vielgestaltig, die Organisation in den einzelnen Parks empfinden wir als perfekt, geradezu Idioten sicher für Besucher. Die Wächter und Ranger begrüßen die Gäste stets freundlich.

Dem Naturwunder Yosemite-Park mit bis zu 3300 m hohen Bergen, riesigen Mammutbäumen und tosenden Wasserfällen, folgt der Sequoia-Nationalpark, in dem der „General Sherman-Tree mit 83 m Höhe, als „Chef des Mammut-Baum-Heeres“, sein sich nach oben verjüngendes Nadelgeäst, in den Himmel reckt.

Als Wechselbad auf einem Kontinent landschaftlicher Gegensätze erreichen wir bald darauf das Death Valley – Tal des Todes. Durch eine Meilen weite spektakuläre Kulisse mit Felsklippen, verlassenen Goldgräber-Dörfern, heizt uns hier der heiße Atem der Wüstenlandschaft – teils auf Meeresniveau, teils darunter – , die wieder von bis zu 3000 m hohen Gipfeln begrenzt wird, ganz schön ein.

Aus diesem 7800qkm großem Wüstenpanorama, picken wir uns ein paar Leckerbissen seiner „Attraktionen“ heraus… so z.B. den tiefsten Punkt, den mit 86 m unter Niveau befindlichen „Badwater-Pool“, wo die Hitze über einem Salzwassersee flimmert.

Am Artist-Drive beleuchtet eine Palette von Farbnuancen bizarre Felsformationen und der Glanz des „Golden Canyon“, der zum hinein wandern lockt, erinnert deutlich an das begehrte Edelmetall.

Nach schier endloser Fahrt, auf einer von trostloser Monotonie geprägten Straße, erwartet uns die glitzernde Flitter-Metropole Las Vegas, die mit grell geschminktem Profil aus der Wüste strahlt.

Der Fußweg von unserem etwas am Rande der Stadt platzierten Hotel zum Zentrum – der 5 km langen Flaniermeile „Strip“ – wird im flutenden Verkehr der Highways, zum Spießrutenlaufen in Schlangenlinien… Der Bummel durch den „Strip“ dann aber zu einem blitzenden Feuerwerk aus irrwitzigen, monströsen Form- und Farbkompositionen, das abends und nachts von den Fassaden der Hotelpaläste und Amüsier- Betriebe kurios herab rieselt. Am „Hilton“, werben z.B. zierliche Flamingos auf Stelzen-Beinen zum Eintreten, während am Holiday-Inn, Passagiere von der Reling eines Schiffes grinsend, ins Innere locken.

Den närrischen Ideen sind keine Grenzen gesetzt…

Las Vegas leuchtet als funkelnder Brillant aus der großen Einsamkeit der Wüste und sein Meer von Lichtern flammt zum Himmel empor, als wolle es ihn zum Duell herausfordern und seine Sternen-Pracht tausendfach besiegen. Erst das Tageslicht straft Las Vegas Arroganz Lügen und entpuppt allen Prunk als Talmi aus Pappmaschee. Auch der Blick ins Dämmerlicht der ebenfalls üppig dekorierten Etablissements mit endlosen Reihen von Spielautomaten, zeigt, begleitet vom eintönigen Klimpern der Geldmünzen, keine freundliche Szenerie. Das Spiel wird von den Personen davor – besonders viel Frauen sind darunter – mit fanatischem Ernst betrieben.

Was für uns danach die westliche Landschaft der USA an Kolossalem, Einmaligen zu bieten hat, erfahren wir an den über 2000 m hohen, von dichten Wäldern gesäumten Plattformen, von denen aus, die vom Colorado-Fluß in Jahrmillionen ausgewaschenen Felsschluchten des Gran Canon, sich beklemmend eindrucksvoll, vor unseren Augen ausbreiten.

Der Blick von den für Besucher angelegten Aussichts-Terrassen wandert hinunter in schwindelnde Tiefen, überwältigt und lässt voll Ehrfurcht, im viele Jahrtausende alten Bilderbuch der Erdgeschichte lesen. Es eröffnet eine Zeitskala von übereinander gestaffelten, in verschiedenen Farben leuchtenden Felsformationen…

An den Meilen langen „Trails“ über diesem tiefen Wunder, verkaufen, vor primitiven Holzbuden kauernd, Indianer, Silberschmuck an Touristen. Lange bevor die „Weißen“ kamen, lebten sie hier als Sammler und Jäger, wurden an manchen Stellen sesshaft und entwickelten eine eigene Kultur, wie z.B., die der Anasazi.

Überhaupt beherbergt der Bundesstaat Arizona – seinem berühmten Aushängeschild gemäß auch „Gran Canyon-Staat genannt – die größte Anzahl indianischer Bevölkerung, innerhalb der USA.

Erst 1912 als 48. Staat eingegliedert, leben heute 14 Stämme in 19 Reservaten. Sie gehören drei großen Sprachfamilien an.

Von den zahlreichen indianischen Pueblos (Dörfer), die an diese Urbevölkerung erinnern, beherbergt der Mesa Verde-Nationalpark, weiter nördlich – in Südwest-Colorado – allein über 300 solcher Siedlungsreste.

Uns bietet das Montezuma-Castle aus dem 12. Jahrhundert – bestens erhalten – eine sehr interessante Kostprobe solcher Lebensart. Es präsentiert sich als „Wohnhaus“, direkt im Fels, bei dem die einzelnen Etagen auf schmalen Felsvorsprüngen lagen und Löcher im Fels als Vorratsräume dienten. Der Zu- bzw. Einstieg erfolgte meist auf Leitern.

Ein seltsames Relikt, von dem niemand weiß, warum es eigentlich verlassen wurde.

Außerdem beschert uns die Fahrt durch Arizona, das in vielen Kinofilmen herauf beschworene „Western-Flair“ in all‘ seinen Facetten von Wäldern, Bergen, Weideland, Felsen, grotesk geformten Kakteen, Wüsten, etc.

Nur die Cowboys, die hier aus Schlupflöchern auftauchen müssten, verweigern ihr Erscheinen…

Die Straße bleibt menschenleer.

In San Diego erreichen wir nicht nur Kalifornien wieder, sondern auch den Endpunkt unserer USA-Tour.

Eigentlich ist es viel zu schade, diese Stadt lediglich für 2 Tage und schon mit der prickelnden Unrast angesichts des bevorstehenden, eigentlichen Reiseziels „Mexiko“ „mitzunehmen“!

Jedenfalls merken wir sofort, dass dieses nach dem „wilden“ Arizona wiederum gepflegte, Blüten-und Blumen duftende, subtropische Paradies, kein Pflaster für Fußgänger ist und behalten unser kleines, treues Gefährt, an das wir uns inzwischen trotz Automatik-Bedienung, so gewöhnt haben, für diese viel zu kurze Zeit, zusätzlich bei. Nicht nur zu sehen gibt es in San Diego allerhand, auch diverse Erledigungen für das Eindringen in den so nahen und doch recht fernen Nachbarstaat sind erforderlich.

Überraschungen lassen nicht lange auf sich warten… wegen Streik muss z.B. der Flug von Tijuana nach Mexiko-City auf eine andere Gesellschaft umgebucht werden.

Die Rückgabe unseres Autos nach der Galgenfrist in San Diego, versetzt uns dann durch das Gefühl völliger Nacktheit, den ersten kleinen Schock. Wer wird uns jetzt jeden Morgen beim Öffnen der Tür mit einem freundlichen „kling-kling“ begrüßen, geduldig unser Gepäck schleppen und uns vor den gar nicht so seltenen Regengüssen schützen??? 2597 Meilen – 4150 km hat uns dieses bescheidene Vehikel, treu gedient!

Ersatzweise befördert uns die Trolley-Bahn samt Koffer und Taschen nach Isidro, dem letzten Außenposten der USA und unmittelbaren Grenzort zu Mexiko.

Aber sind wir denn hier überhaupt noch in den USA?

Da werden auf der Hauptstraße des etwas zwielichtigen Ortes, in Holzhütten, immer wieder Tauschgeschäfte von Pesos gegen Dollar angeboten, zu einem Kurs der in Zweifel stürzt, ob Mexiko so sagenhaft billig ist oder dort bereits die Inflation galoppiert. In San Diego, waren auf keiner Bank Pesos vorrätig. Aus Gründen der Vorsicht, machen wir viel zu wenig von diesen Sonderangeboten Gebrauch. Aber das wird uns erst viel später bewusst.

Am nächsten Morgen, es ist der 11.11. und in Deutschland wird heute der Karneval proklamiert, begeben wir uns per Taxi bis zum Grenzpunkt, der mitten im Gelände in einer kleinen Hütte, per Drehtür passiert wird, da die üblichen Formalitäten erst am Flughafen in Tijuana abgewickelt werden können. Um dahin zu gelangen, müssen wir ein anderes, ein mexikanisches Taxi anheuern.

Während dieser Fahrt macht uns der Blick durchs Autofenster Angst und Bange.

Oh, mein Gott, wie sieht es hier aus… die Seitengassen ziehen, um die einzig asphaltierte Hauptstraße total vom letzten Regen verschlammt, im Verein mit verwahrlosten Holzhäusern, an unseren Augen vorbei.

Am recht sauberen Flughafen herrscht ein buntes Menschengewirr, das mit Kartons und Paketen die Gänge bevölkert. Für uns beginnt ein stundenlanges Warten, bis wir endlich durch die Zeitverschiebung erst gegen Mitternacht in Mexiko-City landen.

Das Hotel, das uns der Schalter „Hotel-Reservation“ am Flugplatz, nach einem anstrengenden Boxkampf durch die Menschen, vermittelt und das wir nach einem gewissen „Moralischen“ nach den wohlgeordneten USA per Taxi ansteuern, erscheint im ersten Moment ebenso wie unser Zimmer, recht komfortabel.

Mexiko-City… Mega-Metropole mit 10., 12. oder noch mehr Millionen Einwohnern in einer Höhe von 2300 m, entpuppt sich als wahrer Hexenkessel. Seine Lautstärke droht jedes Messgerät zu sprengen. Massen an drängenden Menschen stürmen Metros und Busse und Autos veranstalten ein ununterbrochenes Hupkonzert… der zweite Schock!! Wir fürchten schon, dass unser Traum von diesem Land zu einem Albtraum ausartet. Aber nicht lange… Menschen haben eine hilfreiche Eigenschaft zur Bewältigung mancher Schwierigkeit mit auf den Weg bekommen: Gewohnheit!

Die plötzliche Hitze und Sonneneinstrahlung in dieser Höhe, der Lärm, der auch nachts nur manchmal gebremst wird, die tropfenden Wasserhähne im Hotel und anderes Unbill, sie verblassen allmählich vor dem dynamischen, schillernden Portrait, dass dieser junge Staat und seine Menschen, trotz vieler ungelöster Probleme, vermitteln. So wechseln Schreck und Bewunderung einander ab. Gegenwart und Vergangenheit sind unsere Begleiter auf Schritt und Tritt. Und das, obwohl die Vergangenheit eigentlich vor Jahrhunderten brutal ausgelöscht wurde. Überall sichtbar, lebt sie dennoch weiter. Sie wird in den vielen Ruinenstätten aus dem Dunkel ins Licht gezerrt, konserviert und gewürdigt, doch ihre Identität hat sie verloren.

Die Nachkommen der verschiedenen, indianischen Völkerschaften führen ein teils aggressives, aufsässiges, teils apathisches Dasein, das hässliche Flecken auf die lebendige Metropole wirft.

Im Archäologischen Museum von Mexiko-City spüren wir zuerst der verflossenen Kultur, mit ihrer für uns so fremdartigen Götterwelt, nach.

In Stein gemeißelte, groteske, fratzenhafte Gesichter glotzen uns entgegen, ebensolche Tiersymbole… ein Sammelsurium anderer Vorstellungswelten überfällt uns, deren rätselhafte

Botschaften wir nicht entziffern können. Eine Begegnung die aufreizt und zugleich abschreckt.

Danach fahren wir mit der Metro und dem Bus ins 50 km entfernte Teotihucan, das wohl das älteste Ruinenfeld Mexikos darstellt und seine klassische Epoche zwischen 100 – 600 n. Chr erlebt hatte.

Doch bereits davor muss mit dem Bau der beiden riesigen Komplexe von Sonnen- und Mondpyramide begonnen worden sein. Bereits im 8.Jhdt dürfte die ausgedehnte Stadt mit einer Fläche von 10 qkm und zeitweise 150.000 Einwohnern einem großen Brand zum Opfer gefallen sein.

Frei und offen liegt dieses Stadtgebiet in der Landschaft. Nirgends wurden Anzeichen von Befestigungen entdeckt. Teotihuacan war offenbar eine, von einer Priesterschaft regierte, glanzvolle Tempelstadt, in der reges Leben pulsierte. Im Zentrum des baumlosen, in der Sonne gleißenden Areals, reckt sich triumphal die Sonnenpyramide gegen Himmel, die in ihrer Masse größer als die Cheopspyramide in Ägypten ist… und dabei war sie nicht einmal die größte Pyramide Mexikos.

Wer war das Volk, das sie ohne Rad und Zugtiere erschaffen hat? Jedenfalls keine Azteken.

Wie hat der Bau, dem heute der Tempel auf der obersten Plattform fehlt, einst ausgesehen?

Mexiko, ein Land der vielen Rätsel, die es sich nur ungern und fragmentweise entreißen lässt.

Statt wie so manche Ehrgeizige, die steilen Stufen dieser beiden Riesenbauwerke zu erklimmen – einige Leute benutzen dafür außer den Füssen auch die Hände oder bergab den Hosenboden – durchstreifen wir das Gebiet rundum, versuchen in verschiedenen Ruinen-Resten ziemlich vergeblich Wandmalereien zu deuten – z.B. im „Paradies des Tlaloc“ die 10-15 cm großen, singenden und tanzenden, Ball spielenden Figuren, die Schmetterlinge fangen und Blumen pflücken!

Tlaloc verkörperte als höchstes Wesen den verehrten Regengott…

Auch wenn uns sehr vieles dieser bedeutendsten Kultur Altamerikas, die weitreichende Handelsbeziehungen unterhalten haben muss, verschlossen bleibt, wird ihr Besuch zu einem der eindrucksvollsten Erlebnisse in unserem kontrastreichem Programm.

Entzückt sind wir einen Tag später von der Bootsfahrt durch die „schwimmenden Gärten“ von Xochimilco, einer Lagune, die mit ihren mit Papierblumen geschmückten Booten, die Gegenwart mit viel Heiterkeit würzt.

Vor diesem Kanal hat sich ein lebhafter Markt installiert, auf dem sich alles Notwendige und Unnötige stapelt. Darunter auf getrockneten Bananenblättern ausgebreitetes Schweinefleisch und nebenan große Fladen unbekannter Identität, die in ihrem Geschmack irgendwie den österreichischen „Grammeln“ (Grieben) ähneln.

Die Fahrt durch die von Wasserpflanzen überwucherte Lagune, in die uns ein junger Mexikaner hinaus stakt, verströmt eine bezaubernde Atmosphäre.

Von einigen der vorbei gleitenden Kähnen erklingt Mariachi-Musik, auf anderen werden, auf Holztischen vor einer lustigen Gesellschaft, Erfrischungen und Imbisse als genüssliche Verlockung ausgebreitet. In kleinen Kanus schwimmen Indianer-Frauen heran und präsentieren Früchte, Mais und Limonaden zum Kauf; auch Händler mit bunten Wolldecken tauchen auf und wollen diese ebenfalls an den Mann bzw. die Frau bringen.

Das ist die farbenprächtige Facette Mexikos, wie man sie sich wünscht und erwartet.

Schon der folgende Tag reißt uns gleich wieder aus der schönen Illusion. Tenochtitlan… Vorgängerin von Mexiko-City… Einst das schillernde Zentrum der Hauptstadt des Aztekenreiches! Inmitten eines Sees ragte es aus einem Gewirr kleiner Inseln mit hohen Türmen und Steinpalästen, wie ein verzaubertes Märchen-Imperium, aus dem Wasser.

Wir stehen am weitläufigen Zocala, dem Hauptplatz Mexiko-Citys und reisen in Gedanken fast 400 Jahre in die Vergangenheit zurück: 1519… der imposante Nationalpalast mit Malereien von Diego Rivero an den Wänden, die vom Leid der Indianer erzählen, verwandelt sich in Montezumas prächtige Residenz im Zentrum Tenochtitlans… Die heutige, den Platz beherrschende, im Innern von Gold strotzende Kathedrale – die größte Amerikas – weicht einer Schädelstätte, die die Schädel der Geopferten aufbewahrt…

Als der Spanier Hernan Cortes mit seiner durch einheimische Stämme verstärkten Streitmacht Tenochtitlan erreicht, wird er als wiedergekehrter „weißer Gott“ gastfreundlich empfangen…

8 ½ Monate später…

Die aztekische Priesterschaft ahnt eine drohende Christianisierung und hetzt die Massen auf.

Cortes benutzt das „Faustpfand“ Montezuma als Schlichter, doch der wird von den aufgebrachten, eigenen Leuten, zu Tode gesteinigt…

Der 1.7.1520 wird zur „Noche triste“, in der das Inferno einer verheerenden Schlacht, die eingeschlossenen Spanier fast vernichtet… Wie durch ein Wunder können sie in letzter Minute unter großen Verlusten an Menschen, Tieren und nahezu der gesamten Beute, entkommen.

Nur ein jämmerlicher Rest der stolzen Armee hat überlebt. In den Kanälen treiben die Leichen der geschlagenen Eroberer und den Gefangenen droht das Los der Opferung an den Kriegsgott der Azteken.

Ein zweites Wunder für die Spanier gegenüber einem weit überlegenen Heer der Azteken, vollzieht sich sechs Tage später… es gelingt dem spärlichen Rest der Fremden mit Hilfe ihrer wenigen, verbliebenen Pferde – die den Azteken unbekannt sind – die abergläubischen Angreifer in die Flucht zu schlagen.

Was wäre gewesen, wenn… ?

Dann gäbe es kein heutiges Mexiko und die Geschichte dieses Landes wäre in andere Bahnen gedriftet!

Trotzdem dauerte es noch ein Jahr, bis das Aztekenreich, gezwungen durch Krankheit und Hunger, endgültig kapitulierte. Was folgte, war der dramatische Untergang einer zwar grausamen, aber hoch entwickelten Kultur, der mit ebenso viel Brutalität von den Europäern vollzogen wurde.

Ein mutwilliger Todesstoß löschte sie aus!

Mit den Trümmern von Pyramiden und großartigen Bauwerken wurden die Kanäle zugeschüttet und triumphierend erstand Mexiko-City auf dem alten Tenochtitlan.

Noch heute werden immer wieder Reste und Ruinen dieser Vorgängerin entdeckt und niemand weiß, wie viel von ihr noch in der Erde schlummert.

Am Platz der 3 Kulturen, an dem Fundamente des alten Aztekenreichs ans Tageslicht kamen, die neben einer Barockkirche aus der Kolonialzeit und modernen Hochbauten friedlich nebeneinander liegen, verkündet eine Tafel mit großen Lettern:

Es war weder Triumph noch Vernichtung

es war die schmerzliche Geburt des

mestizischen Volkes, dass das Mexiko von heute ist!

An diesem Abend kreisen unsere Gedanken wieder einmal bei Bier und Wein aus dem Supermarkt, über die der Spezies „Mensch“ inne wohnenden Unmenschlichkeiten.

Verständlich, dass die Spanier entsetzt auf die grauenvollen Menschenopfer reagierten, bei denen den Delinquenten das Herz mit einem Obsidian-Messer aus der Brust geschnitten wurde, um es dem mächtigen Kriegsgott zu opfern.

Eine Priesterschaft als tausendfache Mörder…

Und die Spanier… ?

Gewaltsam, rigoros christianisierten sie die Indianer, beuteten alle ihre Kräfte im Namen ihres Gottes aus, zwangen sie erbarmungslos zur Arbeit an Kirchenbauten, säten ihrerseits Tod und Verderben.

Ohne den fanatischen, katholischen Glauben hätte weder die Eroberung noch Kolonisierung der Neuen Welt stattfinden können, heißt es…

Er war die Triebfeder!

Unter dem Zeichen des Kreuzes erfolgte das riesige Abenteuer, in das sich die iberische Halbinsel einschließlich Portugal gestürzt hatte.

Immerhin – der Barbarei der Eroberer stand auch aufopfernde Liebe der Mönche für die neuen Schäflein gegenüber und… den Zerstörungen folgte ein rasanter Aufbau. Bereits 1551 wurde die Universität von Mexiko gegründet!

Von der Straße dringt das Rumpeln und Walzen einer Betonmaschine – trotz später Stunde – in unser Hotelzimmer, untermalt plump unsere Spekulationen über das Für und Wider, das Recht oder Unrecht der Vernichtung Tenochtitlans, das damals von 200.000 bis 300.000 Menschen bewohnt war.

Unser Streitgespräch zirkuliert weiter um das Phänomen Glaube und Aberglaube, dessen Grenze niemand so recht zu ziehen vermag und die oft ineinander verstrickt erscheint.

Glaube, seit Urzeiten unverzichtbarer Gefährte der Menschheit fungiert allerdings oft nach den Ambitionen seiner Regisseure… und die werden nicht immer nur von Gott, sondern auch von der höchst irdischen Gier nach Macht geleitet. Daher beinhaltet das Glaubens-Alphabet auch Vokabeln wie Gewalt, Krieg, Fanatismus… und nicht selten mutiert er zum Sündenbock für Unvernunft und stülpt sich Scheuklappen, für die Realität über.

Unsere Weinflasche ist leer geworden, rot schimmert ein letzter Rest in den Gläsern.

Von der Straße orgelt noch immer monoton, in gleich bleibendem Rhythmus, die Betonmaschine durch die von Autos mit Benzin parfümierte, milde Nachtluft.

Ihre Melodie klingt nicht schön, ein schwermütiger Moll-Ton trägt sie.

In den nächsten Wochen kurven wir mit einem schon leicht lädierten, gemieteten VW-Käfer durch das große Land, begegnen weiteren Denkmälern alt-amerikanischer Kulturen. Schockierend in ihrer Fremdheit, faszinierend in den gigantischen Ausmaßen und ihrem künstlerischen Ausdruck!

Grandiose Landschaften, Straßen, auf denen alle möglichen Haustiere sorglos herum spazieren, Müllhalden auf Berghängen, die von menschlicher Gedankenlosigkeit zeugen und flüchtiges Zusammentreffen mit einem Volk, das zu 87 % aus Mestizen besteht – der Verbindung indianischer Einwohnerschaft und iberischer Kolonialherren – vermitteln uns einen winzigen Ausschnitt mexikanischer Gegenwart.

Deprimierend ist oft die Apathie der verbliebenen 10 % Indianer, denen wir vor allem in Cuernavaco ansichtig werden.

Mit auf den Gehsteigen ausgebreiteten Waren, die niemand kauft, verharren sie stoisch am Straßenrand und ihr Blick verliert sich im Nirgendwo.

Kinder einer ungelösten Vergangenheit!

In den Ortschaften triumphieren prachtvolle Kirchen, die in unglaublicher Anzahl, Mexiko als zum Himmel empor strebendes Symbol des Katholizismus ausweisen und außen wie innen, Ornamentik in verwirrender Vielfalt vereinen.

Aus dem europäischem Barock hat sich hier der churriguereske Stil mit gedrehten Säulen entwickelt, aber in seinem Kunterbunt von Figuren und Symbolen lebt so manche indianische Gottheit weiter.

Den hoch begabten, aber sehr kriegerischen Tolteken- Vorläufer der Azteken – statten wir in Tula einen kurzen Besuch ab.

Überdimensionale Atlanten, als Überreste einer ihrer Tempelbauten zwingen zur Bewunderung… die Menschenopfer auch hier, die von den späteren Azteken ins Grenzenlose gesteigert wurden, erfüllen mit Abscheu. Kreativität und Brutalität – was für eine beängstigende Paarung!

Im10.Jhdt soll es in ihrem Reich einen Herrscher gegeben haben, der als religiöser Verkünder, einen von Menschenopfern freien, humanen Kult vollzog und nach Auseinandersetzungen mit Konkurrenten, per Schiff – vermutlich nach Yukatan – fliehen musste. Eine Rückkehr jenes nach dem Vogel Quetzal benannten, weisen Quetzalcoatl wurde von den Azteken und auch den Mayas stets erwartet.

Wahrheit oder Legende?

In der Silberstadt Tasco, die schon Alexander von Humboldt als „Gottes große Silberplatte“, die auf die Erde gefallen wäre, bezeichnete und die hoch auf einer Bergwand klebt, fragen wir im Touristenbüro nach einem für die Nacht geeigneten Quartier.

Der Beamte antwortet darauf nicht nur mit einem sehr brauchbaren Angebot, sondern schließt auch sofort seinen Amtssitz zu, um mit uns eine Sightseeing-Tour durch das reizende Städtchen zu unternehmen. Ein wunderbares Erlebnis für uns und die Möglichkeit Pesos in Dollar umzuwandeln, für ihn.

Wir genießen die zwei Nächte in dem, von Temperament und Frohsinn überschäumenden Städtchen, in dem gerade die Silbermesse stattfindet.

Etwa 11.000 archäologische Stätten kennt man heute in Mexiko.

Nur ein Bruchteil von ihnen ist ausgegraben und nur ein paar wenige können wir auf unserer Reise besichtigen.

Die Sammlungen in den Museen sind Kostbarkeiten, wenn auch für uns durch ihre abstrakten Motive, äußerst rätselhaft.

Schließlich erreichen wir Oaxaca, 1545 m hoch… ein gemütliches Städtchen, das den ersten Abschnitt unserer Exkursion per Auto beschließt. Nach 1200 km mit dem“Käfer“ beabsichtigen wir das Dschungelgebiet Villahermosa und die Halbinsel Yukatan per Flug zu absolvieren.

Im Staate Oaxaca begegnen wir der Kultur der Zapoteken und Mixteken… noch heute leben in diesem Gebiet etwa 120.000 Indios, die die zapotekische Sprache sprechen und Nachkommen der Erbauer vieler heiliger Stätten sind. 200 davon sind den Archäologen bekannt, aber wenige erforscht.

Wieder ein Volk aus dem Dunkel der Geschichte, das angeblich zu den intelligentesten Menschen Mexikos zählen soll und etwa von 400 vor Chr bis 800 nach Chr, diesen Distrikt bewohnte.

Die Stadt Oaxaca beschert mir am 29. November – meinem 60. Geburtstag – einen wunderbaren Abend auf der zufällig entdeckten, einsamen Dachterrasse unseres kleinen Hotels.

Über uns glitzert ein Himmel voller Sterne, ein unvollendeter Mond beleuchtet fahl eine Reihe bunter, niederer Häuschen – das Nachtleben spielt sich am nahen Hauptplatz ab – die still vor sich hin träumen.Weich und samten umschmeichelt die Luft unsere vom Tag erhitzten Glieder, die uns die Tages-Besichtigung der ausgedehnten Anlage des Monte Alban, einbrachte.

Am folgenden Morgen starten wir per Flug ins feucht heiße Villahermosa, einer hässlichen, durch Ölfunde expandierenden Stadt, die im nahen La Venta ein außergewöhnliches Freilichtmuseum zu bieten hat.

Funde aus einem nur schwer zugänglichen Gebiet – überdimensionale Steinköpfe der archaiischen Olmeken – sind hier originalgetreu in einer herrlichen Parkanlage wieder aufgestellt worden.

Sie rücken die Schöpfer eines Volkes ins Gedächtnis, dessen Kultur von 800 – 100 vor Chr als eine Art „Mutterkultur“ Mittelamerikas angesehen wird, aus der sich nach und nach die anderen Zivilisationen heraus kristallisiert haben könnten.

Schweißtriefend, auf verschlungenen Pfaden wandelnd, werden wir von Angesicht zu Angesicht mit monströsen, fast 3 m hohen Steinskulpturen, konfrontiert… Köpfen, Menschen mit flachen Nasen über dicken, wulstigen Lippen und tiefliegenden Augen, nachgebildet.

Der zweite Tag in Villahermosa gilt der ehemaligen Maya-Metropole Palenque; vor kaum 150 Jahren per Zufall im dichten Gestrüpp des Dschungels entdeckt und nur zu einem kleinen Teil der tropischen Vegetation entrissen, erzählt es von einem einst blühenden, mächtigen Staatswesen.

Eigentlich wollten wir uns für diesen Besuch ein Auto mieten, aus Kostengründen wählen wir eine vom Hotel in Villahermosa vermittelte Taxi-Privat-Tour und bereuen dies nicht.

Nur schwer hätten wir gefunden, was uns der kundige „Fahrer“ erschließt – nämlich die Pfade zu den Resten einer Tempelstadt riesigen Ausmaßes mit Observatorium und Pyramiden, von denen bisher nur einige, dem alles verschlingendem, gefräßigem Maul des Urwaldes, entwunden werden konnten.

Diese sind so beeindruckend, dass uns weder Hitze, noch Schweiß am Erklimmen einiger solcher Monumente hindern können.

Fremdartige in Stein gemeißelte, bemalte Ornamente spiegeln Gedanken und Ideen längst vermoderter Menschen wider, die wir vergeblich nachzuvollziehen versuchen.

Überwältigt schauen wir von den Terrassen der Steinbauten auf die von 30 m hohen Bäumen beherrschte Kulisse des Tropenwaldes, aus der die Ruinen der einstigen Stadt, wehmütig und anklagend herausragen.

Im Geiste sehen wir in fantasievolle Kleider gehüllte Gestalten mit Federbüschen am Kopf, andächtig die Treppen zur Pyramide empor steigen, wo oben in luftiger Höhe ein Priester geheimnisvolle Riten vollzieht.

Selbst Alexander von Humboldt, der 1803 -1804 Mexiko bereiste und auf versunkene Kulturen Alt-Amerikas hinwies, hatte von dieser Maya-Stadt keine Ahnung.

Viel von den kostbaren Stuckreliefs sind für immer verloren.

Trümmer von zahlreichen Gebäuden schlummern noch verstreut im Dickicht überwucherter Hügel, doch durch die alten, von den Mayas angelegten Kanäle fließt immer noch Wasser.

Nicht einmal der Name des einstigen, geschäftigen Zentrums ist bekannt… Palenque ist spanisch und bedeutet „Palisadendorf.“

In einer kleinen Trattoria nahe dem von der Zeit zerfressenen Areal erholen und stärken wir uns, unter dem flimmernden grünen Blätterdach der Urwaldriesen, von diesem Ausflug in eine andere Gedankenwelt.

Über uns summt und zwitschert ein Orchester aus Myriaden von Insekten und verborgenen Vögeln, ein Äffchen springt keck und unbekümmert im Geäst herum.

Das Gesehene lässt uns nicht los, zwingt zum Grübeln über jenes Volk, deren Nachfahren heute in ärmlichen Hütten das Land besiedeln.

Die fremde, mittelamerikanische Völkerschaft hat manche Europäer sogar zu einem simplen und hinkenden Vergleich animiert, der die Maya in ihrer Geisteshaltung den Griechen, die künstlerisch begabten Tolteken den Etruskern und die kriegerischen Azteken, den Römern, zuordnet.

Das Reich der Maya jedenfalls war nicht nur auf Mexiko beschränkt. Auch in Guatemala, Belize, Honduras und sogar San Salvador fanden und finden sich immer wieder gigantische Spuren ihrer Existenz.

Wo lag ihr Ursprung?

Warum wurden ihre Zentren mit Hunderttausenden von Einwohnern plötzlich verlassen?

Ihre klassische Periode wird in die Zeit von 300 -900 eingeordnet, doch der Anfang, bzw. ihre Einwanderung wird auf 1000 vor Chr geschätzt.

Die Eroberung Mittelamerikas durch die Spanier, hat nicht nur das Reich der Azteken quittiert, sondern die gesamte Epoche dieses Kulturkreises.

Durch den fanatischen Eifer der Christen landeten auch die Kenntnisse und Aufzeichnungen der indianischen Priesterschaft auf lodernden Scheiterhaufen, wurden zu Asche und fielen dem Vergessen anheim.

Dass die Maya, wie lange vermutet, keine Menschenopferungen vorgenommen haben, erwies sich leider als Illusion. Auch sie haben dieses grausame Ritual, sei es infolge von Dürreperioden und daraus resultierender Angst vor dem Hungertod oder was immer… als Hilfeschrei an die Götter, angewandt.

Schließlich starten wir zum letzten, einige Tage währenden Standort unserer Fahrt… Merida, auf der Halbinsel Yukatan.

Von diesem hübschen Städtchen aus sind die wichtigsten Komplexe einst glänzender Zentren der Mayas, vor allem Uxmal und Chichen-Itza leicht zu erreichen und fügen weitere, eindrucksvolle Muster zu dem geheimnisvollen Puzzle fremder Gedankenwelten hinzu.

Befangen von den Erlebnissen der vergangenen Wochen, aufgeheizt von tropischer Hitze, merken wir gar nicht, dass das Weihnachtsfest vor der Tür steht und damit auch der Rückflug in unsere vom Winter in die Zange genommene, deutsche Heimat.

Eine Unterbrechung gönnen wir uns bei dieser Rückkehr jedoch:

Die Stippvisite bei unseren Freunden in den USA, die mittlerweile von New York in den Sonneschein-Staat Florida übersiedelt sind.

Ein sehr freudiges Wiedersehen, das uns aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurückholt und alle unlösbaren Fragen in den Abgrund einer verlorenen Zeit drängt.

Was uns in Mexiko als mehr oder weniger dezenter Tribut an die neuen christlichen Glaubensregeln des Weihnachtsfestes geboten wurde, offeriert uns Florida als grell und bunt glitzernde Show.

Riesige Nadelbäume, herbei geschafft aus irgendwelchen, entfernten Wäldern, protzen auf großen Plätzen mit einem Übermaß von Lichtern und Lametta-Schmuck.

Lautsprecher betäuben die Ohren in ununterbrochener Folge mit feierlichen Rhythmen.

Spielzeug-Eisenbahnen tuten und schnaufen über künstliche Hügel und weiß bärtige Weihnachtsmänner flanieren freundlich lächelnd durch das Jahrmarkt-Treiben.

Doch… hinter der schillernden Fassade fröhlicher Weihnachtseuphorie, zeigt sich allzu deutlich, dass der Klöppel der frommen Weihnachtsglocken vom Mammon „Geld“ geschwungen wird…

Schade… ein Wermutstropfen im Becher des Staunens und der Freude, ehe uns dieses „Fest der Liebe“ wieder mit den eigenen Angehörigen im kalten Deutschland vereint…