Prag

die “goldene” Stadt unter kommunistischer Flagge

Am 21.April 1980, als noch der östliche Teil Europas unter der Knute des sowjetischen Russland stöhnte, wagen wir einen 4-tägigen Besuch der Stadt, in der als Heimat zweier grundverschiedener Völker immer wieder zwischen friedlichem Miteinander und heftigen Auseinandersetzungen gerungen wurde. Ein Ort, an dem zwei Seelen wohnten und ihn gestalteten.

Seit Urzeiten besiedelt, prägten deutsche Stämme und im 6. Jahrhundert eingewanderte Slowenen das Antlitz der Stadt, das mit prächtigen Gotik- und Barockbauten eine gewisse Ähnlichkeit und gleichzeitig Konkurrenz zu Wien aufweist.

Mit der Gründung des Bistums Prag 973 gehörte die Stadt bis 1344 zur Erzdiezöse Mainz.

Ihr attraktives Konterfei erhielt sie unter der Regierung deutscher und slawischer Könige und bis 1918, als das Ende der Adelsherrschaft, eingeleitet bereits durch die Französische Revolution, den europäischen Kontinent veränderte, waren weitere Deutsche und auch Juden eingewandert und hatten sich in friedlichem Miteinander gegenseitig über lange Zeit kulturell befruchtet.

Das endgültige Aus der Koexistenz erfuhr Prag durch das folgenschwere Auftauchen eines „Führers“, der sich berufen fühlte, die Menschheit aus der miserablen Situation des 1. Weltbrandes zu erretten und sich kurzerhand nach Österreich auch die Gebiete Böhmen und Mähren der inzwischen tschechischen Republik, einverleibte.

Die katastrophalen Folgen seines Größenwahns sind bekannt. Die Deutschen wurden aus Tschechien vertrieben und die Wunden, die zwischen den beiden Völkern bluteten, sind bis heute nicht vernarbt.

Für mich bleibt immer wieder das Phänomen unverständlich, dass oft in der Geschichte ein einzelnes Individuum, gleichgültig ob durch Geburt oder sonst wie an die Quelle der Macht gelangt, die Geschicke ganzer Völker zu bestimmen vermag und durch Gewalt die Menschheit erschüttert.

Jedenfalls hatte sich das westliche Europa und besonders Deutschland, 1980 mit Hilfe derer, die Jahre davor ihre Städte zerbombt hatten, wieder empor gerappelt und schwelgte, wenn auch in 2 Hälften gespalten, bereits in einem gewissen, stolzen Wohlstand.

Man besaß ein Auto, vielfach auch schon ein eigenes Haus, die Wirtschaft boomte, sodass Arbeitskräfte aus weniger erfolgreichen Nachbarstaaten angeworben werden mussten.

Selbstbewusst und zufrieden mit diesen Erfolgen im Westen Deutschlands, kommt es uns bei dem billigen Sonderangebot für einen Kurzbesuch per Flug nach Prag, auch erst einmal etwas merkwürdig vor, als wir nach der üblichen Abfertigungs-Zeremonie am Frankfurter Flughafen, ein nicht ganz modern wirkendes Flugzeug russischen Ursprungs unter tschechischer Flagge, für unsere Tour zum Nachbarn besteigen.

Das vorzügliches Abendessen mit Bier, serviert innerhalb der nur ¾ stündigen Flugzeit sorgt dagegen für eine positive Überraschung.

Bei anbrechender Dunkelheit empfängt uns dann die Stadt mit gähnender Leere auf ihrem Flughafen.

Ein paar tschechische, eine polnische und eine ostdeutsche Maschine lassen uns die nach knapp einer Stunde Flug, völlig andere Atmosphäre, als beklemmend empfinden. In welch‘ unterschiedliches Milieu sind wir da plötzlich hinein katapultiert worden !?

Misstrauisch beobachten wir ein paar im Flughafengebäude herumstehende Gestalten….

Die Einreiseformalitäten vollziehen sich schnell mit einigen Passkontrollen, Film-und Fotoapparate werden darin vermerkt.

In einen bereitstehenden Bus verfrachtet, lassen wir uns durch Prag schaukeln.

Keine Lichtreklamen und nur spärlich beleuchtet, hüllen sich Häuser und Straßen in geheimnisvolles Dunkel….Die tschechische Reiseleiterin empfiehlt uns während der Fahrt, mindestens 10 oder 20 DM zum offiziellen Kurs von 1 : 5 gegen Kronen umzuwechseln, was im Pass vermerkt werden würde. Wir sind irritiert und wissen nichts Rechtes mit diesem Rat anzufangen.

Sehr positiv überrascht sind wir dagegen, als uns das Quartier für die nächsten Tage zugewiesen wird. Direkt am Ufer der Moldau liegt ein Schiff, bzw. Ponton verankert, in dem wir also sozusagen direkt im viel gerühmten Fluss der Stadt logieren.

Das kleine Fenster, das wie in einem Eisenbahnzug wirkt, lenkt den Blick direkt auf die Moldau, wo ein paar Lichter im Wasser schimmern.

Wir packen unseren Koffer aus und freuen uns auf ein Bier im Restaurant im oberen Stock. Leider vergebens, denn es ist ¼ nach 10 Uhr und daher Sperrstunde für Alkohol. Wir sind eine Viertelstunde zu spät dran, schlürfen also ein wenig verdrossen einen Orangensaft und schauen auf den Fluss hinaus.

Eine Menge Jugend, etwas verwildert wirkend, treibt sich in diesem zum Hotel umgebauten Restaurant herum, dem auch eine Diskothek angeschlossen ist.

Mit den uns ausgehändigten Hotelgutscheinen für die Halbpension – je 20 Stück zu je 10 Kronen – mit denen als Bargeld alles bezahlt werden kann, begleichen wir den etwas mageren Abendtrunk.

Das Frühstück am nächsten Morgen fällt vorsichtshalber ebenfalls mager aus und unsere Erkundigung beim Ober, ob man in der Rezeption offiziell Geld umwechseln könne, wird höchst ungewöhnlich und direkt beantwortet.. Der Kurs 1 : 5 wäre idiotisch, bei ihm könnten wir 1 : 12 wechseln, was sogleich in unserem Zimmer mit 70,– DM stattfindet. Wir sind erleichtert, denn nun ist klar, wir werden weder verhungern noch verdursten in den nächsten Tagen.

Draußen weht ein eisiger Wind, wir betrachten erst einmal unser Schiff von außen und dann durchs Zimmerfenster die Möwen und Stockenten, die sich in der Moldau vergnügen.

Um ½ 10 Uhr starten wir zur ersten, organisierten Besichtigungstour.

Durch Außenviertel, die ziemlich alt und grau anmuten, wo oft der Putz von den Gebäuden blättert, erreichen wir am anderen Flussufer. schon fast auf der Anhöhe ein riesiges Stadion, mit Platz für 250.000 Zuschauer und 18.000 Aktive, angeblich das größte der Welt. So erklärt zumindest unsere reizende Reiseleiterin, die so hübsch „böhmakelt“ wie man in Wien zu ihrem deutsch mit typisch böhmischen Akzent, sagen würde.

Ziel ist der Hradschin, jenes Areal am Hügel, auf dem sich außer der eigentlichen Burg eine Reihe anderer Gebäude befinden, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert und erneuert haben.

Trotz ausgiebiger Vorbereitung auf diese Besichtigung verwirrt uns dieser enorme Komplex – es heißt der größte der Welt – und wir sind dankbar, dass unsere Führerin uns durch das Menschengewimmel des 2. Hofs gleich in den Veitsdom, inmitten der Burg, geleitet.

Auch da ist es eiskalt, aber ausgesprochen faszinierend. Welch‘ herrliche Deckenkonstruktion und die verschiedenen Formen der Fenster!!!.Erst 1929 nach 500-jähriger Unterbrechung ist dieser Dom fertiggestellt worden.

Wieder ein Beweis wie sehr Prag von den politischen Kräften seiner unterschiedlichen, nicht immer harmonierenden Volksgruppen, der Deutschen und Böhmen, auch im Baustil, beeinflusst worden ist. Nach alten Plänen vollendet, fasziniert er mit der glanzvollen Wenzelkapelle trotzdem als prachtvolle Einheit. Das großartige Südportal, das auch die „goldene Pforte“ genannt wird, können wir infolge des starken Windes leider nicht ausgiebig genug bewundern.

An der alten Georgskirche vorbei, erreichen wir das „goldene Gässchen“ , in dem es als ganz besonders reizendes Touristenziel wiederum von Menschen wimmelt.

Kleine, bunt bemalte Häuser wurden um 1540 für Goldschmiede und Handwerker errichtet, die renoviert, einem Museum gleichen, uns aber infolge der unfreundlichen Witterung nicht zur näheren Besichtigung verlocken. Wir flüchten lieber in eine Imbissstube vis a vis und erwärmen uns mit Glühwein und Slivowitz. Dass uns vom Letzteren ein ganzes Weinglas voll, etwa 1/8 Liter serviert wird, konnten wir nicht ahnen, akzeptieren es aber dankbar.

Solcher Art erwärmt, wandeln wir nachher zum Hradschiner Platz, wo sich das Palais Schwarzenberg befindet und sind vor allem im Kloster Strahov, das König Wadislaw I., der seit 1158 regierte, gründete und auch die erste Brücke über die Moldau erbauen, ließ, von dessen weltberühmter Bibliothek, tief beeindruckt. Was für herrliche Deckenfresken im theologischen und philosophischem Saal!!!! Hier könnte man verweilen und auch die Temperatur ist wohltemperiert….

Leider müssen wir wieder hinaus in die Kälte, denn es folgt noch per Bus die Besichtigung der ältesten Barockkirche Prags am Kleinseitner Ring. Während ihre herrliche Kuppel begeistert, lassen die riesigen, marmornen Bischofsfiguren, die Ketzer brutal nieder treten, ein Gefühl von Angst aufkeimen.

Auf unserem Schiff stärken wir uns mit in Scheiben geschnittenen, böhmischen Semmelknödeln und mit Kaffee-Sahne-Soße übergossenen Palatschinken.

Natürlich können wir bei dem nur so kurzen für Prag vorgesehenen Besuch am Programm freien Nachmittag trotz schlechtem Wetter, nicht einfach streiken, sondern machen uns allein auf den Weg in die Altstadt.

Besonders entlang der Moldau bläst es erbärmlich. Über die 1.Mai-Brücke gelangen wir ans andere Ufer zur Nationalstraße mit Geschäften und lebhaftem Betrieb. Irgendwie dringen wir bis zum Altstädter Ring – Zentrum der Altstadt und einem sehr schönen Platz mit dem Rathaus, vor, wo an der Frontseite die berühmte astronomische Uhr erscheint. Laubengänge, anheimelnd und hübsch säumen dieses alte Viertel und nur das schlechte Wetter verwehrt uns einen längeren Aufenthalt in den idyllischen Gassen.

In der Mitte des Platzes erinnert das Denkmal von Jan Hus, – etwas plump und unpassend – dem Reformator und Vorläufer von Martin Luther, an die Hussitenkriege von 1419 – 1436, ausgelöst am 30. Juli 1419 durch den berüchtigten ersten Prager Fenstersturz. Als Folge der öffentlichen Verbrennung des Reformator, warfen seine Anhänger die königlichen Ratsherren aus dem Fenster des Neustädter Rathauses.

Diesem tragischen Ereignis in der Neustadt folgte 1618 der zweite Prager Fenstersturz, der den dreißigjährigen Krieg in Gang setzte und bei dem die 27 Führer des Aufstands nun vor diesem Altstädter Rathaus hingerichtet wurden. 150.000 protestantische Böhmen mussten demnach auswandern und Prag wurde wieder von Katholiken beherrscht.

Ereignisse, die erhebliche dunkle Flecken auf dem „goldenen“ Antlitz der Stadt zurücklassen und ein Beweis, zu welchen katastrophalen Folgen immer wieder religiöser Fanatismus führt. Hervorgerufen durch das Unvermögen des menschlichen Geistes Größe und Allmacht des Universums zu begreifen,

führen gewalttätige Auseinandersetzungen um die Formen und Gebote der Anbetung des Göttlichen, bis heute immer wieder zu Unfrieden und Gewalt.

Von der Verehrung verschiedenen Götter, bis zum Glauben an einen einzigen Schöpfer prägten stets religiöse Praktiken alle Lebensbereiche der Menschheit, fanden ihren Ausdruck in sämtlichen Kunstwerken und führten als Paradoxum im Streit um ihre Auslegungen und Varianten zu verheerenden Kriegen.

Unser nächstes Ziel ist der jüdische Friedhof. Das Ghetto dieser nicht nur unter den Nazis, sondern immer wieder – zum Beispiel in Prag 1526 – 1564 einer, auf unserem Globus verfolgten Gemeinschaft, fand andererseits in der „goldenen“ Stadt eine langes und durchaus fruchtbares Miteinander mit anderen Volksstämmen statt. Daher gibt es in diesem Areal nicht nur das alte Rathaus, sondern auch noch 6 von einst 17 Synagogen, in denen typisch jüdische Hinterlassenschaften zu bestaunen sind. Wir erreichen das um 1000 angelegte und mit einer Mauer umgebene Areal vom Altstädter Ring aus und besichtigen es ausgiebig.

Als wir am alten Friedhof, der auf den Anfang des 15. Jahrhunderts zurückgeht zwischen den dicht gedrängten und halb eingesunkenen Gräbern umher schweifen – es sind kaum Menschen in der Nähe – überkommt uns unwillkürlich ein leichter Schauer. Die Atmosphäre ist düster, es hat inzwischen zu regnen begonnen. Irgendwie geht dieser Besuch unter die Haut und ein bisschen von dem Geheimnisvollen, Gespenstischem, das man Prag nachsagt, beginnen wir plötzlich in diesem Viertel und besonders auf seinem Friedhof zu spüren. Die aus Lehm gefertigte Figur des Golem, von Rabbi Löw aus Ton geformt und zum Leben erweckt , scheint zwischen den zur Erde strebenden grauen Steinen herum zu geistern und sich für das an Hunderttausenden Menschen zur Zeit der Hitler-Ära begangene Verbrechen rächen zu wollen. Nirgendwo ist es so spürbar und bedrückend wie in diesem Viertel mit seinen Synagogen, den verblichenen Kultgegenständen und den eingesunkenen Gräbern.

Zurück in der Altstadt – es hat inzwischen stärker zu regnen begonnen – kämpfen wir uns vor bis zur Karlsbrücke, die für den Verkehr gesperrt ist. Die Überquerung des baulichen Meisterwerks mit dem alten Pflaster, ihrer Atmosphäre des vorigen Jahrhunderts und den prächtigen, überlebensgroßen Brückenfiguren, sowie dem Blick auf die Silhouette der Türme auf der Kleinseite, beschert uns trotz des schlechten Wetters ein einzigartiges Erlebnis.

Drüben auf der Kleinseite fragen wir uns zum Thomaskeller durch, denn es wird Zeit, dass wir ins Trockene kommen. In diesem bekannten, gemütlichen und recht großen Kellerlokal finden wir dann ein ruhiges Plätzchen und während Kurt sich am vorzüglichen, dunklen Bier nicht satt trinken kann, versuche ich bei einem Glas Rotwein die Erlebnisse des Tages zu verarbeiten.

Drei junge, nette Burschen gesellen sich zu uns und wir versuchen verzweifelt uns mit ihnen zu unterhalten, was leider auch durch Unterstützung mit Händen, fehlschlägt. Wie schade, ein Gedankenaustausch mit Einheimischen wäre genau das, was wir uns wünschten. Zum Abschied schenkt man mir noch ein entzückendes Maskottchen als Glücksbringer!

Trotz strenger Handhabung des Kommunismus in diesem nun rein slawischem Land scheint es uns, als ob die Menschen ohne Folgen die strengen Regeln in ihrem Land nicht so ernst nähmen und sich leicht und lässig darüber hinweg setzten. Trotz der vielen Häuser, wo der Verputz abblättert und den Straßen das Pflaster von den Schritten vieler Generationen holprig geworden ist, herrscht fröhliche Stimmung im Thomaskeller, den wir schließlich um 9 Uhr abends verlassen, um im Regen zu unserem Quartier zurückzukehren.

Welch‘ ein Unterschied plötzlich! Wie ausgestorben sind die Straßen, direkt gespenstisch. Kohlenhaufen liegen vor manchen Häusern. Erst ½ 10 Uhr und die ganze Stadt schläft, wirkt wie tot.

Im Hotel schaffen wir es gerade noch zwei Viertel Wein zu ergattern und da sie uns nichts mehr zu Essen servieren, fallen wir ganz einfach über die vorbereiteten Frühstücksbrötchen für den Morgen her…..dann fallen wir rechtschaffen müde ins Bett.

Als ich am folgenden Tag aus dem kleinen Fenster blicke, traue ich meinen Augen nicht….

Es regnet nicht „wie in Strömen“…nein, es schneit auf diese Art.

Was tun?

Erst einmal deftig frühstücken….Es sitzt sich ja so hübsch an unserem Zweier-Tisch mit Blick auf bzw. in die Moldau…

Trotzdem irgendwann müssen wir, warm angezogen hinaus ins Schneetreiben zur Straßenbahn.

Ehe die Nummer 12, die uns nach einer ziemlichen Weile zum Kleinseitner Ring befördert, eintrifft, sind unsere Füße schon etwas feucht.

Was für ein schöner Platz! Und kein Verweilen möglich, denn Schaftstiefeln haben wir nicht und der Schirm schützt kaum vor der Masse der weißen Flocken…

Eine reizende Dame zeigt uns den Weg zur „Neuen Schlossstiege“….

Durch schmale Gassen mit romantischen Lampen gelangen wir zu dem langen, breiten Stiegenaufgang und versuchen, dabei so wenig wie möglich Schneematsch in unsere Schuhe zu transportieren.

Am Hradschiner Platz finden wir rasch das Sternberg-Palais, in dem sich die wichtigste Abteilung der Nationalgalerie befindet.

Wie herrlich, da drinnen ist es erst einmal warm…wir stellen unsere Schirme ab und schlendern durch sämtliche Räume.

Unser Reisebüchlein betont, nirgendwo sonst auf der Welt wäre die französische Malerei des 19.Jahrhundert außerhalb des Mutterlandes so reichhaltig vertreten, wie hier. Allein 14 Picassos, die uns allerdings wenig sagen, können bewundert werden.

Auch einige Raritäten, wie Dürers „Rosenkranzfest“, der Hl. Hyronimus von Tiepolo und das große Gemälde „Das Liebespaar“ von Renoir, sind vorhanden. Eine Plastik von Rodin, ein liegender Akt und manches andere gefällt uns sehr.

Da sich die berühmte Loreto-Walfahrtskirche ganz in der Nähe befindet, schleppe ich meinen schimpfenden, protestierenden Ehegemahl, wieder draußen im Schneegestöber, auch noch dahin, doch

wir müssen enttäuscht feststellen, dass sie geschlossen ist. Nur die Schatzkammer kann für 3 Kronen besichtigt werden. Bei unserem Umwechslungskurs sind das nur Pfennige… also hinein!

Und wir bereuen es nicht. Allein die großartige 12 kg schwere Diamantenmonstranz, 1699 in Wien gefertigt, stellt eine Sehenswürdigkeit dar. Silber vergoldet mit 6222 Diamanten. Auch 6 andere wunderschöne Monstranzen, neben anderen, interessanten Dingen, in dem kleinen Saal, in dem wir allein herum spazieren, begeistern uns.

Danach stellt sich die Frage, wie komme wir in unser Quartier. Die Straßenbahn scheint zu streiken….da gelingt es Kurt, ein Taxi anzuhalten.
In unserer Unterkunft in der Moldau, schauen wir nach wechseln der Schuhe sowie Essen und Trinken voll Ingrimm, aber zugleich befriedigt, dass wir im Warmen sitzen, von unserem Zweiertisch hinaus auf den Fluss, in dem sich unentwegt die Schneeflocken dem Wasser zugesellen.

Liebevoll als „böhmisches Meer“ gewürdigt und mit 44 km Länge größter Nebenfluss der Elbe, hat ihr Friedrich Smetana ein musikalisches Denkmal gesetzt.

Unser Ober unterrichtet uns davon, dass wenn wir noch Geld benötigten, er Morgen bis spät abends anwesend wäre.

Soviel Geld wie wir in Prag zum Kurs 1 : 12 umwechseln könnten, haben und benötigen wir gar nicht. Gestern auf der Burg, hat man uns schon „ohne Risiko“ 1 : 13 angeboten.

Da wir trotz Hundewetter den Nachmittag nicht im Zimmer verbringen wollen, erkundigen wir uns nach dem „Fleck“, Prags berühmtesten Bierlokal und spazieren mutig trotz strömenden Regen, in den das Schneetreiben nun übergegangen ist, über die nächste Brücke und erreichen kurz danach den beliebten und großen Biergarten, wo schon Tische und Stühle im Freien auf durstige Gäste warten.

Im großen Saal dagegen ist es kühl und verraucht und das Mobiliar erinnert an Großvaters Zeiten.

Die rohen Tische wirken ebenso wie die schwarze Holztäfelung verwittert. Auch hier sitzt alt und jung, fröhlich zechend bei Unmengen von schwarzem Bier beieinander.

Wieder werden wir auf Westgeld angesprochen….

Da hier lediglich Bier ausgeschenkt wird, scheint es mir doch nicht das richtige Lokal für den ganzen Abend zu sein und wir wechseln über ins „U suteru“, einer Kneipe in der es ausgezeichneten südmährischen Wein gibt und es ebenfalls urgemütlich zugeht. Wie bedauern wir wiederum, uns mit den Menschen ringsum nicht unterhalten zu können, denn obwohl einst Urheimat auch der Deutschen, sprechen und verstehen nur noch die Alten diese Sprache.

Am liebsten würden wir die ganze Nacht in dem warmen, gemütlichen Lokal sitzen bleiben und die Atmosphäre genießen, wagen uns aber nach ein paar Vierteln doch auf den Heimweg. Recht durchnässt im Schiffs-Hotel angekommen, flüchten wir – es ist ½ 10 Uhr – sogleich ins Bett.

Auch am nächsten Morgen ist es trüb und nur eine Frage der Zeit, wann es wieder zu regnen oder gar zu schneien beginnt. Da auch heute keine offiziellen Programme vorgesehen sind, planen wir für den Vormittag einen Besuch im Stammlokal des Literaten vom „Braven Soldaten Schwejk.“

Während wir auf dem Weg dahin, in den Straßen der Neustadt, nicht nur das verwahrloste Pflaster, sondern auch den maroden Zustand der Häuser registrieren – im historischen Kern ist manches hervorragend restauriert – enttäuscht uns Schwejks Lokal „zum Kelch“ durch seinen auffallend neuen Anstrich und die neue Täfelung im Innern. Das passt nicht zu dem Milieu, das eine vergangene Zeit symbolisiert, was auch die Schwejk-Zeichnungen an den Wänden und das überlebensgroße Bildnis des alten Kaiser Franz Joseph, nicht wettmachen können.

Als typisches Touristenlokal wird uns zwar hier ein vorzügliches Gulasch mit Knödel serviert und ein ebenso guter Wein geboten, aber ehe die Menschenmassen um 1 Uhr herein strömen, sind wir bereits wieder draußen, wo es, wie nicht anders zu erwarten, bereits wieder vom Himmel herab regnet.

Gut trainiert für das Wetter, schlagen wir den Weg zum Wenzelsplatz ein, der mit 750 m Länge und nur 60 m breit, als Mittelpunkt der Neustadt und ganz Prag, eher einer Straße ähnelt. 1348 als „Roßmarkt“ von Karl IV angelegt, entfaltet sich auf ihm das ganze bunte Treiben, mit schönen Geschäften, modernen Unterführungen, wie es dem Zentrum einer Großstadt angemessen ist.

Ebenfalls von Karl IV ins Leben gerufen, entstand aus einem alten Wohnhaus mit herrlichem gotischen Erker das Carolinum, die älteste Universität Mitteleuropas, der nach vielen Veränderungen im 20.Jahrhundert, ihr neugotisches Aussehen großteils wieder gegeben wurde.

Durch den Graben streben wir wieder der Altstadt zu, in der es so viel zu sehen gibt….schmale Gassen mit Laubengängen…wenn es nur nicht so kalt und feucht wäre. Jedes Stehen bleiben muss mit klammen Fingern bezahlt werden. Am Altstädter Rathaus kommen wir gerade um 2 Uhr zum „Apostelzug“ zurecht, der, oberhalb der astronomischen Uhr, erst im 19. Jahrhundert dazu gefügt wurde.

Abgesehen vom kulturellen Interesse, beschließen wir danach auch um des Aufwärmens Willen, das Rathaus von innen anzusehen. Wir müssen warten, ob noch jemand daran interessiert ist, damit das reizende Mädchen an der Kasse nicht nur für 2 Leute die Führung durchführen muss. Dankbar warten wir, denn es ist warm hier drinnen und bald erscheint tatsächlich ein dritter Mann und wir bekommen die Innenräume des Gebäudes zu sehen.

Der östliche Flügel ist während des Krieges eingestürzt.

Besonders beeindrucken 2 Kolossalgemälde – „Hus vor dem Konstanzer Konzil“ und „Die Wahl des König Podiebrads zum König von Böhmen“ und vor allem der prächtige, spätgotische Rathaussaal mit einer herrlichen Kassettendecke, der eigentlichen Sehenswürdigkeit in diesem Gebäude.

Nette Gespräche mit der deutsch sprechenden Führerin bereichern den Rundgang und der „dritte“ Mann, ein Pole zeigt uns nach der Besichtigung noch in einer schmalen Gasse, das entzückende Weinlokal „Zur goldenen Kanne“, in dem man aber nur auf Vorbestellung einen Tisch bekäme. Es befinde sich unterirdisch in einem romanischen Kellergewölbe, das noch von dem alten Bau stamme. Früher wurde in Prag um einige Meter tiefer gebaut, aber da die Stadt stets von der Moldau überschwemmt wurde, hat man das Niveau aufgeschüttet. Daher sind noch einige romanische Gewölbe aus der alten Zeit erhalten.

Am Altstädter Ring bewundern wir noch das mit Grafiti geschmückte „Haus zur Minute“ dem gegenüber sich ebenfalls drei uralte Häuser befinden, von denen das gotische gerade renoviert wird und wie die Teynkirche, deren Türme den Altstädter Ring und die ganze Altstadt beherrschen, gerade eingerüstet ist.

Auch am anschließenden „Kleinen Platz“ zeigt sich ein Haus hübscher als das andere und durch enge Gassen spazieren wir schließlich über die Karlsbrücke zur Kleinseite hinüber – trotz Regen abermals ein Genuss – um im Thomaskeller, an einem der reservierten Tische, den Nachmittag bei schwarzem Bier zu verabschieden. Dass dieses Privileg vor allem unserer westlichen Herkunft zu danken ist, da Schwarzgeld wechseln in Prag an der Tagesordnung wäre, beweist kurz danach die Begegnung mit einem Soldat und seiner Begleiterin. Als er ebenfalls an unserem reservierten Randtisch Platz nehmen möchte, wird er abgewiesen.

Das Lokal wird immer voller, eine Menge Leute stehen vor der Tür und warten auf ein freies Plätzchen.

Um 6 Uhr – es regnet immer noch in Strömen – treten wir mit der Straßenbahn Nr. 12, die Rückfahrt zu unserem Hotel in der Moldau an und beschließen dort den Tag.

Am Nebentisch hat sich ein älteres Ehepaar aus Ostdeutschland eingefunden, mit dem uns ein wenig erfreuliches Gespräch, die Unterschiede auch zwischen den einzelnen kommunistischen Staaten, bewusst macht.

Dieses Paar kann nicht genug ihr sozialistisches System loben und betont immer wieder, wie viel Vater Staat für sie tue, während der Westen doch so eine hohe Kriminalität und Arbeitslosigkeit hätte.

Eine derartige Linientreue haben wir bei den Tschechen bisher jedenfalls nicht bemerkt.

Am folgenden Abreisetag regnet es zwar nicht, aber da bereits um ½ 1 Uhr die Abholung vom Hotel erfolgt, bleibt kaum Zeit für Unternehmungen. So streifen wir nach dem Frühstück etwas ziellos zum Platz, an dem die Nr. 12 Station hat und entdecken hier ein großes Geschäft, in dem wir mit erleben, wie sich „Einkaufen“ in Prag abwickelt.

Erst einmal stellt man sich für das Produkt, das man kaufen will an….dann geht es mit dem Preiszettel zur Kasse zwecks Zahlen und danach nochmals Anstellen für den Empfang der Ware.

Eine gute Auswahl an Dosen, Fleisch, Wurst und sonstigen Lebensmittel, die auch billig sind, ist wohl vorhanden. Wein oder Schnaps finden wir relativ teuer, haben aber keine echte Vergleichsmöglichkeit, da wir nicht wissen, was die Leute hier verdienen. Es wären durchschnittlich 3000 bis 4000 Kronen monatlich, erfahren wir später.

Die letzte Stunde verbringen wir im Hotel-Restaurant und träumen bei einem guten Viertel Wein auf die Moldau hinaus, wobei Smetanas Fluss-Melodie in unseren Ohren, leise die Begleitung übernimmt.

Als der Bus, der uns zum Flugplatz befördern soll, bereits vor dem Hotel steht, taucht plötzlich einer der jungen Männer aus unserer Reisegruppe auf – sie fielen uns mehrmals durch schlechtes Benehmen auf – und behauptet ihm wäre das Flugticket und der Pass mit dem Visum in der Nacht gestohlen worden. Er wäre so „blau“ gewesen, dass er nichts davon gesehen oder gehört hätte.

Erstaunlicherweise regt sich niemand, am wenigsten er selbst darüber auf und die tschechische Reiseleiterin beteuert, da er ja auf dem Sammelvisum mit darauf wäre, würde trotzdem alles in Ordnung gehen.

Recht merkwürdig für uns….und vielleicht kein Einzelfall….

Auf der Fahrt zum Flughafen erklärt mir meine Sitznachbarin wie schön doch Prag bei Sonnenschein wäre und zeigt auf einen Höhenweg auf der anderen Seite der Moldau, auf dem man herrliche, lange Spaziergänge machen könne. Es kostet uns nur einen tiefen Seufzer!

Auch die Rückreiseformalitäten sind rasch erfüllt….dann warten wir auf den Aufruf zu unserem Abflug.

Wir warten 3 Stunden, ehe er erfolgt….

ADE du goldenes, altes und interessantes PRAG, wo einst Goldmacher und Alchimisten in 18 bunt bemalten, winzigen Häuschen ihrem Handwerk frönten und Deutsche und Slawen viele Jahrhunderte an seinem prächtigen Aussehen produktiv beteiligt waren….. und das doch, nach 2 verheerenden Kriegen seine gemeinsame Vergangenheit verleugnete und schließlich zunächst als Tschechoslowakei und viele Jahre nach unserem Besuch und der kommunistischen Ära als Hauptstadt des neuen Staates TSCHECHIEN im nach Einheit strebenden Europa, beheimatet ist.