Opernklassiker aus Europas Festspiel-Repertoire

Verona Lucca Savonlinna

Als Höhepunkte aller Opern-Festspiele stellen sich natürlich die Städte Bayreuth und Salzburg vor!

Da ich jedoch nicht zur privilegierten Elite zähle, noch Fantasiepreise einschließlich Wartezeiten für Eintrittskarten investieren will, begnüge ich mich mit weniger berühmten Freilicht-Spektakeln, wie sie auf Burgen oder sonstigem historischem Gelände zur Sommerzeit da und dort in Europas Städten stattfinden.

Mein erstes diesbezügliches Erlebnis findet im August des Jahres 1971 in der Arena von Verona mit Kurt statt: Trotz unserer Abneigung gegen Reisegesellschaften, wählen wir diesmal eine Gemeinschaftsfahrt mit der guten, alten Bundesbahn, denn Urlaubstage sind kostbar und die Entfernung dahin immerhin recht weit.
Wir nehmen dabei für 3 Tage Aufenthalt in Verona, 2 volle Tage Eisenbahnfahrt inklusive einigen anderen Strapazen in Kauf, von denen die unangenehmste nach einer regnerischen Fahrt durch die Schweiz, der plötzliche Hitzeschock in Mailand ist, der uns mit voller Wucht überfällt. Dazu gesellen sich das Koffer schleppen und die 90 Minuten Wartezeit bis zur Weiterfahrt zum Ziel, in einem glutheissem Waggon.

Doch nichts kann unsere Vorfreude mindern….
Unter den 90 Teilnehmern drehen sich alle Gespräche um „Theater!“
Berühmte Namen, besondere Aufführungen, einer übertrumpft den anderen mit seinen Erfahrungen.
Überraschend viel „Weißhaarige“ finden sich unter der illustren Opernfan-Gesellschaft, was den Organisator dieser Sondertour – eine bekannte Wochenzeitschrift – zur respektlosen Charakterisierung dieser Spezies mit „Spargel“ verlockt; dürr wie eine Bohnenstange, schlohweiß mit drolligem, ganz waagrechtem Haarschnitt im Nacken.
Jedenfalls gehören die Gespräche mit diesen „Spargeln“ und auch anderen Reisegefährten, die man immer wieder da und dort, in Trattorias nachmittags oder abends führt, mit zu dieser besonderen Fahrt.

Die Hitze im Hotel, nahe der Arena gelegen, ist grandios, die Sauna im Speiserestaurant nicht weniger schweißtreibend – Klima-Anlagen sind 1971 zumindest in Europa noch längst kein Allgemeingut –….. macht nichts, es herrscht aufgeregte, prickelnde Spannung an diesem ersten Abend. Die magisch beleuchteten Plätze dei Signori und Erbe faszinieren und eine Trattoria in einer kleinen Seitengasse wird sofort von Kurt zu unserer Stammkneipe gekürt.
Das alte, enge Gemäuer um uns, die warme Sommernacht, die ganze Atmosphäre des Südens stimmt uns ausgesprochen glücklich. Wie schade, dass man schlafen muss, denn die Nächte sind das Schönste in diesem Land.

Im heißen, winzigen Hotelzimmer hören wir dann von der Arena her die Musik der heute gespielten Verdi-Oper Macbeth und das Klatschen der Leute und würden am liebsten trotz der mitternächtlichen Stunde gleich wieder aus dem Bett springen!

Solchermaßen in freudiger Erwartung, starten wir am nächsten Morgen zur gemeinsamen Stadtrundfahrt, die eigentlich einen recht guten Überblick bringt.
Die Kirche San Zeno, mit ihrem eleganten, grazilen Kreuzgang, die Fahrt über die Skalgierbrücke hinauf zur Höhe und schließlich noch die Paläste um die beiden berühmten Plätze dei Signore und Erbe samt dem sagenhaften Balkon der Julia – weder Romeo noch Julia sind historisch belegt – zeigen uns, wie schön doch diese Stadt an der Etsch ist.

Wieder genießen wir die beste Pizza, die uns je kredenzt wurde und raffen uns nach einem Mittagsschläfchen zu einem individuellen Stadtbummel im immer noch, ach so heißen Verona auf.
Die Kirche Anastasius wirkt düster, so dass man kaum etwas erkennt und gegen 100 Lire werden wir per Telefon im Schnellkurs in Deutsch an den Seitenaltar mit wunderbaren Terrakotten, dem dreifarbig gemusterten Marmorboden am Eingang, die Marmorfigur, die das Weihwasserbecken rechts und links trägt, etc…..hingewiesen.

In der im Prospekt als charakteristisch bezeichneten Via S…. müssen wir feststellen, dass die Lauben vernachlässigt sind und die Bauwerke der Reparatur bedürftig wären. All‘ das Alte ist ja malerisch und pittoresk – besonders in der Nacht – aber die Zeit nagt doch an dem Gemäuer.

Die Stunde der Oper naht….
Zuerst gönnen wir uns noch ein tüchtiges Schwitzbad im Restaurant bei mittelmäßiger, recht einfallsloser Kost, dann umgezogen und hinein in das volle Menschenleben….denn dieses große Rund der Arena ist nicht nur 2000 Jahre alt und hat Gladiatoren- und sonstige Kämpfe gesehen, sondern fasst 23.000 Menschen (bei Bedarf werden noch mehr hineingestopft – da müssen halt „Die“ auf der Galerie enger zusammenrücken):

Der Eindruck, als wir die hell erleuchtete Arena betreten, ist überwältigend.
Vorne die riesige Bühne, im Rücken und seitlich bis zu ihr, verteilt sich auf den ansteigenden Stufen bis zu schwindelnder Höhe, eine winkende, schwatzende, bunte Menschenmenge.
Am Spielplan steht die Verdi-Oper AIDA.
Die Spannung treibt dem Höhepunkt zu, die Lichter verlöschen, dafür flackern auf den Galerien eine Menge Kerzen auf.
Die Ouvertüre setzt ein….sie klingt enttäuschend leise.
Dann erscheinen die ersten Sänger. Auch ihre Stimmer hören sich viel leiser und weiter weg an, als wir erwartet hatten.
Eine leichte Enttäuschung in dieser fantastischen Atmosphäre.
Großartig die Bühnenaufbauten – keine andere Bühne der Welt kann sie auch nur annähernd so bieten.
Beim Triumphmarsch erreicht die Ausstattung ihren Höhepunkt…von den obersten Aufbauten stürmen Statisten mit schwingenden Fahnen herunter…überall von allen Seiten tauchen Mitwirkende in prächtigen Gewändern und Rüstungen auf, Pferde galoppieren durch ein Tor direkt aufs Publikum zu, Fanfaren ertönen auf halber Höhe – das Publikum applaudiert begeistert. Jetzt wird auch die Musik lautstark, wie es sich an dieser Stelle gehört.
Der Mond ist aufgegangen – Vollmond!

Eine ganze Stadt und die Natur spielen und gestalten mit, an diesem faszinierendsten Opernschauspiel der Welt, bei dem so viel Emotionelles hineingepackt ist, dass ein Vergleich mit einer Theateraufführung überhaupt nicht angestellt werden kann.

Während der langen Pausen wird auf der Bühne gehämmert, genagelt, umgebaut, denn die „blauen Ameisen“, wie irgendwer die emsigen Arbeiter getauft hat, spielen natürlich auch mit.
Während die Leute auf den Galerien wegen der nicht nummerierten und nicht immer bequemen Sitzplätze am besten auf den jeweiligen 4 Buchstaben sitzen bleiben, promenieren die „besseren Leute“ vom Parkett und daher auch wir, zwischen den einst mit Tierkäfigen oder sonst etwas ausgestatteten, nun mit roten Teppichen, grün bepflanzten und von Uniformierten bewachten, mächtigen Steinquadern auf und ab und rundherum.

Bei der herrlichen Szene zwischen Aida, Radames, Amonasro, die von einem stimmungsvollen Bühnenbild mit Palmen, etc. umrahmt ist, entdecken wir plötzlich auch den musikalischen Genuss. Trotz der Zartheit dieses Parts kommen die herrlichen Stimmen jetzt voll zur Geltung. Haben wir uns an die anderen Raumverhältnisse gewöhnt, oder hat irgendetwas die Akustik (die in diesem ungeheuer großen Bauwerk ohnehin unglaublich ist), verbessert. Darüber diskutieren wir noch, als um ½ 2 Uhr nachts das Schauspiel zu Ende und die Unmengen von Menschen überraschend schnell der Arena entströmen.

Nach Hause ins Hotel? Nein, natürlich nicht.
Warm, fast heiß ist die Nacht und in der Trattoria um die Ecke gibt es nicht nur Wein und Bier, sondern vor allem Meinungsaustausche. Da und dort wird auch um eine Zeit, die andernorts als tiefste Nacht gilt und alles schläft, immer mal eine Pizza verzehrt. Was für eine Atmosphäre! Was für ein Leben!

Natürlich sind wir am nächsten Morgen nicht recht ausgeschlafen.
Im Hinblick auf die vielen Schönheiten der Stadt und die Aussicht auf den bereits eingeplanten Nachmittagsschlaf, marschieren Kurt und ich nach einer Schwitzkur beim Frühstück tapfer los.
Zuerst ist das Skaligerschloss an der Etsch mit der interessanten Brücke dran. Sie wurde nach der Zerstörung im Krieg originalgetreu wieder aufgebaut.
In der Burg der Skaliger, dem berühmten Herrschergeschlecht von Verona ist ein Museum untergebracht, das uns allerdings ein wenig dürftig erscheint. Nur wenige Gemälde sprechen an, z.B. ein überdimensionales Rittergemälde von Paolo Veronese.
Übrigens hat die Tochter eines Skaligers nach Mailand geheiratet und dem dortigen Opernhaus, der „Scala“ den Namen verliehen.
Es folgt noch der Besuch des Doms und dann heißt es nichts wie Durst löschen in unserer Stammkneipe, wieder eine Pizza und danach ein schöner, langer Schlaf!

Nach anregenden Fachklatschereien in unserer Kneipe zwischen den alten Häuserfronten und dem Abendessen, erfasst uns dann wieder das Arena-Fieber.
Voll Erwartung betreten wir das antike Gemäuer und sind fast ein wenig enttäuscht, dass es bei „Nabucco“ nicht so knüppeldicke voll ist, die Menschen über uns auf der Galerie nicht ganz so eng, bis an die äußerste Seite der Bühne sitzen. Wie erzählt wird, würde man erst dort oben, so direkt am „Herzen des Volkes“ eine Aufführung „echt“ erleben – aber wir haben nun mal ein wenig feige vor dem fremden Äußeren, nummerierte Parkettsitze gebucht.
Als Entschädigung für den fehlenden Trubel erleben wir diesmal den musikalischen Kunstgenuss vom ersten Ton an klarer und ungestörter, denn außer, dass die Ouvertüre an einigen Stellen von hinten als Echo wieder tönt, ist es wunderbar. Viele herrliche Chöre erklingen – fast nur dunkle Bassstimmen – was könnte besser zu diesem Rahmen passen!

Dazu erleben wir eine totale Mondfinsternis genau über der Bühne, was uns allerdings erst nach und nach bewusst wird.
Gegen 1 Uhr nachts ist die Vorstellung zu Ende…wir wissen nun wie es ist, was alles sein kann in dieser großartigen Arena inmitten freier Natur.
Und wir würden und werden vielleicht auch wiederkehren mit derselben Spannung und derselben Begeisterung und sind überzeugt es wird jedes Mal ebenso schön und doch immer neu und anders sein, solange wir bereit sind, uns begeistern zu lassen und den Eunuchen „Kritik“ in Schranken zu halten, denn hier ist er fehl am Platz.
Nicht ohne nächtliches Viertele unter freiem Himmel kehren wir in unser heißes Mini-Zimmer zurück, um Morgen am gemeinsamen, im Protokoll vorgesehenen Ausflug nach Venezia teilzunehmen.

Diese „Zugabe“ zu den Festspielen präsentiert sich uns allerdings nach einer langweiligen Busfahrt als eine von Völkerscharen wimmelnde Kulisse einstiger Pracht und Macht.
Es scheint als hätten sich alle Nationen der Welt hier zum Stelldichein verabredet.
Zusammengepfercht im Vaporetto gleiten diese, an den, am Ufer des Canal Grande wie Edelsteine aneinander gereihten Fassaden der Paläste vorüber – Zeugen einer großen Vergangenheit auf morschen Pfählen.

Beim Ausstieg am Markusplatz und dem Spaziergang über die Brücken der Kanäle ist mehr Schieben als Gehen, als Fortbewegung angesagt und als Hitze und Durst zu einer Rast in einer Trattoria verleiten, wird eine Flasche Bier im Angesicht von Markuskirche samt Campanile und Dogenpalast mit teuren DM 7,– verrechnet.

Zurückgekehrt nach Verona, fühlen wir uns trotz der Morgen bevorstehenden 11-stündigen Bahnfahrt Richtung Nord, endlich wieder wohl und fast wie zu Hause.
Noch einmal lauschen wir den Klängen aus der Arena, die der Wind durch die Nacht in unser Hotelzimmer trägt….sie werden lange in unseren Ohren präsent bleiben…..


L u c c a

Fast genau 20 Jahre später, im Juli 1991 starte ich mit einem Busunternehmen von Darmstadt aus zu den Puccini-Festspielen in Lucca, dem Geburtsort dieses zweiten berühmten italienischem Opernkomponisten. Vor seiner Villa am hübschen, kleinen Torre del Lage lockt eine Seebühne jedes Jahr Opernfreunde aus aller Welt zu den Aufführungen seiner Werke.

Bei der geplanten Busfahrt dahin, handelt es sich diesmal um ein Arrangement, das teils auf gemeinsame Unternehmungen, teils auf eigene Initiativen abgestimmt ist. Außer 2 Opern-Aufführungen sind noch Fahrten in die Umgebung im Angebot enthalten und die Tour findet in einem Komfort-Fahrzeug mit Bordküche statt.
Mir wird in dem noblen Gefährt ein Sitz im 1.Stock in der ersten Reihe mit umfassender Sicht zugeteilt, der die Fahrt nach Basel und vor allem weiter, entlang des Vierwaldstätter-Sees, den Gotthard-Tunnel nach Bellinzona, trotz durchwachsenem Wetter mit einzelnen Regengüssen, zum Vergnügen gestaltet. Der Mittagsimbiss im Mövenpick ist gut und billig, aber durch hektischen Betrieb erheblich gestört.
Der Luganer See, Mailand, Parma, La Spezia und auch Lucca ziehen vorüber, erst im kleinen Ort Gragnano erwartet uns ein reichliches Abendessen um 9 Uhr und das Logis für die Nacht.

Der folgende Tag ist dann exakt und total durchgeplant.
Wir werden angewiesen, alles für den Tag und Abend zur Opernaufführung von Turandot Benötigte im Bus mitzuführen, denn erst danach erfolgt die Rückkehr ins Nacht-Quartier.
Mit diesem quasi „Ersatzhotel“ steuern wir als erstes Ziel nach dem Frühstück die Stadt Lucca an, die den Ruf eines „Freilichtmuseums der Toskana“ genießt und von gewaltigen Festungsmauern, als grüner Wall gestaltet, umgeben ist. Ihr Name stammt von den Etruskern, denn „Luc“ bedeutet Sumpf, der sich einst hier zwischen den Flussarmen ausgebreitet hatte und von diesem alten, rätselhaften Volk dank seiner Bewässerungstechnik, bewohnbar gemacht wurde.

Kaum in der nur wenige Kilometer entfernten Stadt angekommen, wird uns ein Orientierungszettel in die Hand gedrückt, damit jeder, die zur Besichtigung vorgesehenen 2 Stunden, nach persönlicher Lust und Laune nützen kann.

Ich spaziere Richtung Altstadt, entdecke schließlich die Kirche San Michele in Foro, die eine herrliche Fassade zu bieten hat und durch eine überdimensionale Statue des Erzengel Michaels an der Turmspitze, auf sich aufmerksam macht.
Lange bestaune ich dieses als „Schauwand“ gestaltete Eingangstor mit Säulengalerien, Marmor-Inkrustationen, den geometrischen Formen und zahlreichen Figuren, an der vom 12.- 14.Jahrhundert gearbeitet wurde. In Marmor ausgeführt sind auch die übrigen Außenseiten, das Innere des Gotteshauses beeindruckt mich danach weniger.

Nach dieser ersten Begegnung mit der Stadt, lasse ich mich einfach durch die heimeligen, alten Gassen treiben, komme an diesem und jenem vorbei, spaziere dann zum Geburtshaus von Puccini, das sich in der Nähe der San Michele Kirche befindet.
Ein kleines Museum ist darin eingerichtet, in dem alle möglichen Gegenstände als Erinnerung an den Musiker aufbewahrt sind. Fotos von seinen Opern-Aufführungen, Aufnahmen aller möglichen anderen Ereignisse, alles untermalt von leiser Musik aus seinen Werken.

Schnell sind die 2 Stunden für Lucca um und flott geht es weiter nach Pisa, wo wir vor der Stadtmauer aus dem Bus entlassen werden, um wenige Minuten später durch ein Tor am „Platz der Wunder“, die grandiose Majestät und harmonische Einheit der 3 berühmten Bauwerke von Dom, Baptisterium und schiefen Turm…wieder individuell erleben können.

Ehe ich jedoch zu diesem außerordentlichen Kunstgenuss komme, stören mich bereits auf dem Weg zum Tor, die massenhaften Souvenirstände mit viel Kitsch, die sich auch an der gesamten Häuserfront gegenüber diesen „Wundern“ fortsetzen.
Mir scheint das wie eine Ohrfeige für die großartigen Schätze der Vergangenheit, zumal sich auch auf der Wiese davor eine riesige Anzahl Touristen in oft wunderlicher Kleidung, zusammen drängt.
Ich bin so schockiert über den Massenbetrieb, dass ich erst einmal in ein Restaurant seitlich vom Platz, in der Straße zum Arno-Fluss flüchte und dort mit einem Touristenmenü samt Bier und Wein, neue Kraft für die Besichtigung der „Wunder“ sammle. Dabei wird mir allerdings klar, dass sich Italien seine Sehenswürdigkeiten ziemlich teuer bezahlen lässt.
Aber zugegeben, sie sind außergewöhnlich…und das nicht nur von außen.
Im Dom begeistert mich die prächtige Kassettendecke….
Für das Baptisterium werden extra 5000 Lire Eintritt kassiert, doch der Blick von seiner Galerie auf den Platz überwältigt, schließt allerdings die Touristenschar mit ein…
Der schiefe Turm rechts vom Dom als Wahrzeichen der Stadt, scheint mir noch schiefer als bei meinem ersten Besuch vor Jahren und ruft mir den Vergleich als Symbol für Italien in den Sinn, nach dem dieses Land zwar „schief stünde, aber nie einstürzen würde!“
So oder so, die weiße Marmorpracht des „Dreigestirns“ von Pisa gehört zu den Höhepunkten der europäischen Kultur!
Die Stadt wurde wohl von den Griechen gegründet, im Gebiet, das später von Etruskern besiedelt war.
Einst direkt am Meer gelegen, errichteten bereits die Römer einen Hafen und damit erlangte Pisa sogar eine Zeitlang die Herrschaft über das westliche Mittelmeer, dann begann der Abstieg und 1406 wurde es von Florenz eingenommen.
100 Jahre nach dem Dom, im 12. Jahrhundert begann der Bau des Turmes.
Ich spaziere noch eine Weile durch die Straßen mit den Universitäten und zum Fluss, bis um 4 Uhr die gemeinsame Weiterfahrt erfolgt, die sogar noch einen Abstecher zum Seebad Via Reggio einschließt.
In der, von Wald gerahmten Straße soll sich laut Reiseleiter das „älteste Gewerbe der Welt“ etabliert haben, dessen Vertreterinnen aber um diese Tageszeit noch nicht die Jagd auf Autotouristen angetreten haben.

Das Seebad selbst mit seiner 3 km langen Küstenpromenade, einer Palmenallee in der Mitte, mit Geschäften und Restaurants vor den Badeanlagen sagt mir persönlich nichts, ich empfinde es fast als Alptraum.

Zurück in Torre de Lago wird plötzlich die Zeit knapp, denn vor der Opern-Aufführung auf der Seebühne, soll noch die Villa von Puccini besichtigt werden.
Dieses Vorhaben ist mit einer langen Wartezeit verbunden, bei dem im allgemeinen Gedränge vielfach die Ellenbogen zu schnellerem Vorwärtskommen eingesetzt und spürbar werden.
Der ehemalige Wohnsitz des Meisters ist jetzt Museum und bietet, endlich durchgeschleust, viel Interessantes.
Der Beginn des Festivals rückt näher, die Zeit reicht jetzt gerade noch für ein hektisches Umziehen im Bus und und zum Verzehr einer Bockwurst aus der Bordküche als Abendessen.
Im Laufschritt starten wir hinunter zur Seebühne, wo uns vor dem Eingang allerdings wieder eine längere Wartezeit bis zum Einlass beschieden ist.
Doch alle Unbill verschwindet schlagartig mit Beginn der Oper, deren Musik mich sofort und ganz in ihren Bann zieht. Nie zuvor hatte ich sein Werk „Turandot“ auf der Bühne gesehen und bin beeindruckt von der Fülle herrlicher Melodien, die durch eine gediegene Ausstattung, ausgezeichnet zur Geltung gelangen. Möglicherweise wurde der heutige Betrieb durch die Anwesenheit des italienischen Fernsehens noch verstärkt. 2 große Pausen eingeschlossen, endet der Kunstgenuss um 1 Uhr nachts und eine Stunde später liefert uns der Bus im Hotel in Gragnano, unserem Nachtquartier, ab.

Da ich vor allem die Stadt Lucca besser kennenlernen möchte und ein wenig auch wegen des „Ausschlafens“, habe ich mich, von der für kommenden Tag angesetzten Ausflugsfahrt nach Florenz, distanziert. Leider erweist sich die verlängerte Nachtruhe als Illusion, denn um 8 Uhr früh beginnen Bauarbeiten vor meinem Fenster und auch das erhoffte gemütliche Frühstück fällt den strengen Regeln des Hotelzeremoniells zum Opfer. Für Reisegruppen beschränkt sich dieses Service nur bis 9 Uhr.
Ausnahmsweise bringt man mir allerdings nach einer ¾ Stunde Wartezeit doch noch einen lauwarmen Tee samt Zubehör.

Für die Busfahrt nach Lucca müssen in der etwa 300 m entfernten Trafik erst einmal Fahrkarten besorgt werden, während sich die Bushaltestelle direkt vor dem Hotel befindet. Also kleine Morgengymnastik vor dem Objekt meiner Wünsche, das ich dann immerhin in 20 Minuten erreiche.
Lucca, die Perle der Toskana hat auf jeden Fall eine bemerkenswerte und interessante Geschichte.
Nach den Römern, wurde sie zur Hauptstadt der Langobarden, ihre Blütezeit kam jedoch erst mit der Unabhängigkeit 1080 und erst 1847 wurde dieses selbständige Herzogtum, der Toscana einverleibt.

Genüsslich strolche ich erst einmal durch die Straßen der Stadt, entdecke diesen und jenen Palast, diese und jene Kirche und zum Glück auch die von San Frediano, die mit einem herrlichen Taufbecken im Innern und dem byzantinischen Mosaik an der Außenfront aufwartet. Errichtet zu Ehren eines Bischofs von Lucca im 12. Jahrhundert, war ihr Campanile (Glockenturm) auch in das Verteidigungssystem der nahe gelegenen Mauern und der Bastion von San Frediano einbezogen.

Ein großer Platz erregt meine Aufmerksamkeit, der sich als Nachfahre des einstigen, römischen Amphitheaters aus dem 2. Jahrhundert erweist. Auf seinem Grundriss wurde es im 19. Jahrhundert zur Piazza del Mercato, dem Marktplatz umfunktioniert.

Wiederum durch heimelige Gassen erreiche ich den Dom, dessen eingehende Besichtigung ich auf Morgen verschiebe und am Domplatz erst einmal in einem hübschen Restaurant sehr gut und recht teuer zu Mittag esse.
Noch eine kurzer Spaziergang auf der so imposanten Stadtmauer, dann wird es Zeit für die Rückfahrt nach Gragnano, um wenigstens eine kurze Ruhepause vor dem Abendessen und dem Operngenuss der „Madame Butterfly“ einzulegen.
Leider verkürzt die ¾ Stunde Wartezeit auf den nächsten Bus dieses Vorhaben und die Ankündigung eines früheren Aufbruchs zum See sorgt für eine hektische Mahlzeit.
Der Bus benötigt dann auch noch fast eine Stunde Zeit für die Fahrt zur Seebühne und die prächtig blühenden Oleanderbäume am Mittelstreifen der Autobahn haben ebenfalls unter zu wenig Beachtung ihrer Schönheit, zu leiden.
Der übliche Rummel vor dem Festspiel-Theater raubt auch noch das letzte Pensum Ruhe vor dem Eintauchen in das Glück und Leid eines fiktiven Daseins auf der Bühne…
Deshalb bin ich auch zuerst leicht enttäuscht über den Schauplatz, auf dem sich dieses fremde Menschenleben abspielen soll.
Die Kulisse besteht nämlich lediglich aus einer bogenförmigen Holzbrücke, die auf einer Seite von einer Pappwand und anderseits einer – japanisches Milieu nachahmenden -Begrenzung auskommt.
Allerdings ist dieses Mal der Blick auf den See ins Bühnenbild mit eingebaut.
Den voran gegangenen Umständen entsprechend, dauert es somit ein Weilchen, ehe mich das Geschehen vor mir voll in seinen Bann zieht. Dann aber umso übermächtiger….
Die Musik Puccinis lässt alles Ungemach vergessen…sie trägt und prägt intensiv die Handlung…lässt die Gefühle und das Schicksal der Personen auf der Bühne, am eigenen Leib verspüren und es mit ihnen teilen.
Bezaubernd die Schlussarie des 1. Aktes mit Butterfly und Linkerton, beide ganz in Weiß gekleidet und vor einem Hintergrund mit goldenen Sternchen, bei der vor allem die Stimme von Cho Cho San eine ungeahnte Brillanz entfaltet.

2 Lange Pausen unterbrechen das Spiel und erinnern an die Gegenwart, bis jedes Mal von Neuem die Handlung auf der Bühne, sich auf die Zuschauer überträgt.
Prächtig die Szene, wo Cho Cho San das Haus schmückt und auf Linkerton wartet, bis sie schließlich einschläft…Und dann der 3. Akt…da liegt soviel erschütternde Dramatik drinnen, wie es sie wohl nur in einer Aufführung in Italien geben kann.
Als sich Cho Cho San ein blutrotes Übergewand über ihren weißen Kimono zieht und Diener den kleinen japanischen Pavillon in die Mitte der Bühne ziehen, das Gitter herunter lassen während sie sich den Dolch in die Rippen stößt und langsam drinnen zusammen bricht, ist man nur noch verwundert, dass diese Butterfly am Schluss der Aufführung wieder lebendig mit allen anderen Darstellern, sich vor dem Publikum verneigt.

Zutiefst beeindruckt kämpft sich unsere Gruppe wie am Vortag eine gute halbe Stunde zum Bus durch, mit dem wir dann gegen 2 Uhr nachts das Hotel erreichen.

Am letzten Tag dieser Kurzreise, für den ein gemeinsamer Ausflug vorgesehen ist, verweigere ich wie bei Florenz, die Teilnahme. Er soll vielmehr voll und ganz der Stadt Lucca gewidmet sein, der Heimat Puccinis, dessen faszinierender Musik wegen, ich diese Tour unternommen habe.
Um den versäumten Schlaf ein wenig nachzuholen, beschließe ich das Frühstück durch einen Capuccino an der Bar zu ersetzen und bin sehr erstaunt, als die Hotelchefin mir kostenlos dazu ein Blätterteigstückchen spendiert.

Für den Umstand der Fahrkartenbesorgung und Anfahrt nach Lucca entschädigt mich danach die ausgedehnte Wanderung auf der über 4 km langen Stadtmauer reichlich….Ein Festungswerk, das von 1500 an zum Schutze der Altstadt errichtet wurde.
12 m hoch ist dieser, mit 11 Bastionen ausgerüstete Wall, später zu einer Parkanlage mit Bäumen umfunktioniert worden und bietet nun ein einmaliges Refugium mit prächtigen Blicken auf die sich darunter rechteckig ausgebreitete Stadt. Tore und Wehrtürme säumen den Weg dieses breiten Gürtels, der das alte Lucca umschließt.

Bereits im zweiten vorchristlichen Jahrhundert war die Stadt von einer Ringmauer umschlossen, im Mittelalter vergrößerte sich der Kreis um das städtische Kleinod und musste im15. Jahrhundert nochmals erweitert werden.

In vollen Zügen genieße ich meinen Spaziergang, unterbreche ihn ab und zu, um unten in der Stadt stille Winkel, wie zum Beispiel die malerische „Kanalstraße“ zu entdecken und immer wieder begleiten mich Melodien, erklingen in meinen Ohren zauberhafte Töne, die Maestro Puccini in seinen Opern verarbeitet hat.

Verona – Lucca – Savonlinna

Am Abgang zum Dom beende ich den Rundgang und wende mich intensiv der Betrachtung dieser Bischofskirche zu, die vermutlich im 6. Jahrhundert gegründet, im 8. Jahrhundert zum Bischofssitz avancierte.
Der hauptsächlich romanische Bau wird durch einige gotische Elemente bereichert und beeindruckt mich sehr. Reich geschmückt und asymmetrisch zeigt sich die Fassade auf deren rechter Seite sich der mächtige 2-farbige Campanile erhebt.
Im Inneren erzählt ein Marmortempelchen im linken Seitenschiff des Doms die legendäre Geschichte eines Holz-Kruzifixes, das als „heiliges Antlitz“ in ganz Europa verehrt wird.

Zurück im Hotel beschließt ein gemeinsames Abendessen bei lauter Musik und Späßen durch eine österreichische Reisegruppe den Aufenthalt beim italienischem Nachbar, denn am nächsten Morgen startet um 8 Uhr die Heimfahrt durch den toskanischen Apennin, am Como-See entlang nach Bellinzona, wo uns im „Mövenpick“ beim Mittagsimbiss eine klare, großartige Bergwelt ein wundervolles Abschieds-Szenario bietet. Der Luganosee, die Landschaft um den Gotthard-Tunnel, der Vierwaldstätter-See und Zürich ziehen an uns vorüber, bis schließlich spät abends eine kurze, aber sehr eindrucksvolle Fahrt zu Ende geht. Das Abendessen liefert dabei die Bordküche, Bier und andere Drinks trösten über die leise Wehmut der verflossenen Tage ein wenig hinweg.

S a v o n l i n n a
Für ein Opernfestival wage ich sogar im Juli 1995 erstmals eine Reise in den Norden Europas – nach Finnland.
Da wir in Deutschland zu dieser Zeit mit 30 Grad Sommerhitze verwöhnt werden, berücksichtige ich erst in letzter Minute die unterschiedlichen Breitengrade des Ausflugszieles durch Mitnahme wärmerer Kleidungsstücke.

Das musikalische Opernmenue findet auf der Burg Olavanlinna in Savonlinna statt, das wir per Flug zur finnischen Hauptstadt Helsinki und per Bus in südöstlicher Richtung ansteuern.
Während wir von der 20 km entfernten Metropole dabei keinen Eindruck gewinnen, gleitet auf der Autobahn eine Landschaft an uns vorüber, die mit ihren Wäldern, fremd und einsam wirkt und eine unglaubliche Ruhe ausstrahlt…Natur pur, als spiele der Mensch hier nur eine Nebenrolle.
Unser Ziel befindet sich im sogenannten Seen-Finnland, in dem 180.000 Inseln, die 200.000 Seen zu einem Teppich aus grünen Blättern in blauem Wasser modellieren.
Im Vergleich zum dicht bevölkerten Mitteleuropa hält sich in Finnland die Zahl der Bewohner tatsächlich deutlich in Grenzen. Bei etwa der gleichen Landfläche liegt das Verhältnis zum Beispiel gegenüber Deutschland mit 5 Millionen zu 500.000 Millionen.
Dabei befinden wir uns hier im am höchsten von Menschen frequentierten Teil Finnlands. Wie schockierend oder auch befreiend muss erst Wald-Finnland oder gar der zu Finnland gehörende Teil Lapplands, den Fremden berühren.

Kurz vor dem Ort Lathi beginnt es zu regnen, im Bus stört er nicht, wir erhalten als Begrüßungstrunk einen Skol oder schwedisch Kippis und erfreuen uns am vielen Grün, das um uns wuchert…70 % davon bedecken die Landflächen, Birken gelten als Nationalbaum, aber auch Tannen und Kiefern behaupten sich.
Plötzlich erscheint der erste See und gleich danach mit 924 m die längste Brücke Finnlands.

Dass ich, außer dem zu erwartenden musikalischen Genuss – Zweck dieser 5-Tage-Reise – nebenbei auch von diesem mir bisher unbekannten Finnland eine kleine Ahnung erhalte, erfüllt mich schon nach den ersten Kilometern mit Freude und weckt meine Neugierde.
Was haben die, im Winde sich hin- und her bewegenden Blätter der Bäume, über das Land und seine Menschen zu erzählen?

Ureinwohner im Bereich des heutigen Finnland waren die nomadischen Samen (Lappen), die wieder irgendwann aus den Tiefen Russlands kamen. Sie wurden von den, zu Beginn unserer Zeitrechnung bis etwa 700 von aus dem Ural und kaspischen Meer stammenden Finnen, immer weiter nach Norden verdrängt. Von da ab geriet das Land immer mehr in die Fänge der russischen und schwedischen Nachbarn, Finnland wurde zu ihrem Spielball und erreichte erst 1917 seine Unabhängigkeit.

Die Stadt Mikkeli, bereits inmitten des Seen-Terrains, bietet uns mit einer halben Stunde Aufenthalt den ersten, flüchtigen Kontakt zu dem fremden Land und zu regnen hat es inzwischen glücklicherweise aufgehört.
Ein Café alten Stils, eine Reihe von Holzhäusern, ausgestellte Handwerks-Erzeugnisse und das Kuriosum eines von der Sonne angetriebenen kleinen Rasenmähers – angeblich die Weltneuheit aus Schweden – erwecken unsere Aufmerksamkeit. In der Ferne schimmern die Häuser der Bischofsstadt, der Kirchturm und der See mit Booten. Zwischen allem immer wieder Wälder. Eine wahrhaft beruhigende Atmosphäre!

Bei der Weiterfahrt zum Tagesziel, der Stadt Varkaus, stimmt uns Kantele-Musik noch intensiver auf das unbekannte Territorium ein, sie passt wundervoll zur grünen Umgebung, dem nun wieder blauen, von spielerisch hin und her tanzenden, weißen Wölkchen, bestückten Himmel.

Eine komfortable Unterkunft erwartet uns in der Stadt, deren Name „Diebstahl“ bedeutet, was vielleicht mit den kleinen Flüssen zusammenhängt, die von ihrem Fluss, Wasser nehmen. Ihre Lage auf einer Insel und mehreren Halbinseln wird mir bei dem halbstündigen Bummel durchs Zentrum nicht bewusst.
Der große Marktplatz wirkt menschenleer und verrät nichts von dem vielen Wasser, dass dieses Industriezentrum für Holz, etc. auszeichnet.

Dafür entpuppt sich das Abendessen in einem nahen Restaurant, mit Lachs in einer pikanten Soße als Köstlichkeit, bei dem lediglich die sündteuren Preise für Bier und Wein unangenehm auffallen.
Die Atmosphäre im Speisesaal mit Spitzentischdecke, Porzellanfiguren und anderen Schmuckstücken, weckt nostalgische Gefühle und erinnert an Großmutters Zeiten.
Bei der Rückkehr zum Hotel per Bus durch die langgezogene, mit Fähnchen geschmückte, aber einsame Hauptstraße um 10 Uhr abends, präsentiert sich Varkaus in fast taghellem Licht.

Nach einem großen Frühstücksbuffet am folgenden Morgen erwartet uns eine Führung im „Mechanischen Museum“ der Stadt, während der uns einige der 130 Musikautomaten mit lautstarken Klängen durch die hübsch ausgestatteten und dekorierten Räume, an deren Ende sogar ein ganzes Orchester, von künstlichen Figuren dirigiert wird.
Bieten uns die verschiedensten Automaten ein höchst wechselvolles, die Ohren strapazierendes Konzert, dringt durch die geöffneten Fenster, von den sich im Wind wiegenden Blättern der Bäume, eine sehr viel zartere Melodie beruhigend in die Gemächer.

Wir verlassen das gastliche Städtchen und kurven abermals durch dichtes Grün mit eingestreuten Seen, zum einzigen orthodoxen Mönchskloster des Landes. Die Mehrzahl der Bewohner Finnlands sind dem lutherischen Glauben verbunden. Und auch diese erst 1950 gegründete Kirche Neu Valamo ist ein Erbe von Alt-Valamo am Ladoga-See in Karelien, das seit 1940 zu Russland gehört.
Diese historische Landschaft war seit eh und je ein begehrtes Grenzobjekt und wechselte mehrmals den Besitzer. Sogar Schweden warf ein Auge darauf.
Es handelt sich um ein Gebiet im nördlichen Europa zwischen Finnland und Russland, dessen Bevölkerung wie die Samen seit Urzeiten dort siedelten. Unter dem Zepter verschiedener Herren, leben heute mit den Kareliern vielfach finnische und russische Menschen, sodass die ethische Eigenständigkeit des Urvolkes stark überlagert wird.
Alt Valamo wurde von den Kommunisten zerstört und die Mönche mussten fliehen, konnten aber 60 % der dort vorhanden Schätze mitnehmen und damit retten. In der Blütezeit lebten 1300 Mönche in Alt-Valamo, heute sind es gerade erst 10 im neuen Areal. Zwar wurde das Kloster am Ladoga-See von den Russen wieder der Kirche zurückgegeben, soll restauriert werden, aber inzwischen gilt Neu-Valamo als legitimer Nachfolger. Als damals Russland diesen Teil Kareliens forderte, flohen 400.000 Menschen nach Finnland, das damit einer großen Belastung ausgesetzt war.

Als die Besichtigung beendet und nach einem kleinen Imbiss im Klosterrestaurant die Weiterfahrt folgt, beginnt es stark zu regnen, der uns zum Glück im Bus nichts anhaben kann.
Mit der Autofähre überqueren wir einen See und bald arbeitet sich auch wieder die Sonne durch dunkle Wolken, sodass wir vor Erreichung unseres Ziels Savonlinna, noch einen herrlichen Blick auf die mittelalterliche Burg Olavanlinna erleben.
Die Stadt macht einen lebhaften Eindruck, das Hotel, in dem wir Zimmer für 2 Nächte beziehen, befindet sich in der Nähe des Marktes und des Hafens.

Die Spannung auf das am Abend angesetzte Opernfestspiel in der Burg lässt für das um 6 Uhr servierte Abendessen in dem voll besetzten Speisesaal keine Würdigung aufkommen, zumal es ohnedies nach einer O815 zubereiteten Abfütterung, schmeckt.
Da es im Burggelände kühl sein soll, werden alle im Koffer vorhandenen, wärmenden Kleidungsstücke angezogen und unsere Gruppe macht sich für den 20-minütigen Aufstieg bereit. Ehe wir zu der im Abendsonnenschein verführerisch leuchtenden, am Berg thronenden, 1475 errichteten Wasserfestung, deren Hof in der Vorburg, zu einer Opernbühne umgestaltet wurde, starten können, zwingen uns vor der Pontonbrücke zwei große mit Holz beladene Schiffe, eine Wartezeit auf.

Die meisten Teile dieses trutzigen Baus stammen aus dem 16. -18. Jahrhundert, dessen Herren einst sowohl die Schweden, als auch die Russen waren.
Mehrere Säle der gewaltigen Anlage dienen heute als Kongress- und Banketträume, auch 2 Museen sind hier untergebracht und sie gilt als schönste und am besten erhaltene Burg Finnlands, die nie einer Belagerung standhalten musste.

Durch mehrere Gänge erreichen wir den großen, wegen des häufigen Regens, überdachten Burghof. Die Sitzreihen sind gestaffelt und die Stühle gepolstert, sodass wir trotz des durch die seitlichen Öffnungen herein wehendem, leisen Windes, nicht allzu sehr frieren werden.

Das Bühnenbild besteht lediglich aus Bretterlatten, die für die jeweiligen Szenen auf- und zugeschoben werden können.
Aufgeführt wird heute die Oper Lady Macbeth von Mzensk, von Dimitri Schostakowkitsch, die 1934 in Leningrad uraufgeführt wurde und im Laufe der russischen, politischen Ereignisse ein recht turbulentes Schicksal mit verschiedenen Umwandlungen durchlebte.
In westlichen Ländern, so auch hier in Finnland läuft sie unter dem obigen Originaltitel und wird in russischer Sprache… dabei erscheinen in Leuchtbuchstaben die finnischen Texte oberhalb der Bühne, die uns natürlich nichts nützen.

Die Handlung dieser Oper wirkt ernüchternd, brutal und makaber und besonders im letzten Bild auch triste, was durch die Bretterkulisse noch verstärkt wird.
Die Musik ist mitreißend, oft auch schrill, auf jeden Fall aber äußerst eindrucksvoll. Sie
wühlt auf!

Die schaurig leidenschaftliche Handlung spielt in Russland um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Giftmord, Zwangsarbeit in Sibirien, Eifersucht, Tod, Selbstmord zeichnen ein düsteres Milieu der damaligen Epoche.
Von der Musik wird man allerdings, ob man will oder nicht, gefangen genommen. Überragend dabei die Stimme der Hauptdarstellerin Katherina und auch der Bass ihres Schwiegervaters.
In jedem Fall handelt es sich um eine hoch interessante Aufführung, die man nicht so schnell vergisst!
Ein Problem stellt allerdings die erst nach 2 Stunden eingelegte Pause und deren komplizierter Weg zu den Toiletten dar. Arg frequentiert, muss man sich dabei durch Gänge und Menschen hindurch wühlen.
Nach relativ kurzer Zeit folgt die 2. Pause und und gegen Mitternacht ist das Spektakel zu Ende.
Noch von dem Erlebnis benommen, spaziert unsere Gruppe zurück zum Hotel, aber die Wirkung der Oper behindert lange das Einschlafen.

Am nächsten Morgen scheint zwar die Sonne, aber es ist wieder kühl.
Eine Fahrt nach dem Frühstück entführt uns in das südöstlich von Savonlinna gelegene „Herz der Saimaa Region“ nach Punkaharju, das von Seen umgeben ist.
Mitten in diesen Seen erhebt sich ein aus Moränengrus bestehender und von Kiefern bewaldeter Kiesrücken, der als 7. Naturwunder Finnlands gilt. 1/3 des Gebietes besteht aus Wasser. Der 7 km lange mit schmalen Hügelketten bestücke Landrücken zwischen 2 Seen ist von den gewaltigen Eismassen der Eiszeit aufgeworfen worden.
Wir sind per Bus auf dieser Landmasse unterwegs und genießen herrliche Blicke auf Wälder und Seen. Ein zauberhaftes Gebiet, das eine Nord-Süd-Ausdehnung von 300 km hat und als lebendiges Überbleibsel der Eiszeit, berühmt geworden ist. Mit 33.000 Inseln und zahllosen Hügelketten, kleinen, idyllischen Städten an den Ufern bildet es eine weitläufige Seen-Landschaft.

Am 7 km langen Kiesrücken Punkaharju, der sich eingebettet zwischen 2 Seen ausdehnt, entstand 25 m unter dem Moränen in Höhlen, das Kunstzentrum Retretti. Es bietet Kunstliebhabern auf einer 3000 qm unter- und 2000 qm oberirdischen Fläche diverse Ausstellungen. Dieser kulturellen Sehenswürdigkeit Finnlands ist unser heutiger, vor-mittägiger Ausflug, gewidmet. 2 Cafés, 1 Restaurant und ein Kunstshop stehen ebenfalls auf einer riesigen Waldfläche für Gäste bereit.

Die oberirdische Eingangshalle widmet sich der modernen Kunst.
Von dieser führen Stufen in die ausgebaggerte Höhle – einem Labyrinth, in dem Lichteffekte und Geräusche den Besucher auf die ausgestellten Objekte einstimmen.
Ganz unten befindet sich ein in den Felsen gehauener Konzertsaal mit gepolsterten Sitzreihen, in dem ziemlich feuchte Luft herrscht.
Mich beeindruckt am stärksten die Hauptausstellung des Jahres 1995, die dem 150. Geburtstag des Russen Ilja Repin, einem Meister des Idealismus geweiht ist. Sie erstreckt sich wieder oberhalb des Höhlensystems und zeigt 49 Werke aus 3 Museen in Moskau und Leningrad.

Zurück in Savonalinna nütze ich den programmfreien Nachmittag für eigene Unternehmungen…treibe mich zuerst am nahen Markt herum, der recht interessant ist und stärke mich danach in einem urgemütlichen Restaurant-Schiff mit gegrillten Sardinen und Bier.

Dem Bummel am Hafen entlang folgt der Aufstieg zur Burg Olavinlinna, deren altes Gemäuer mich interessiert und das ich allein ohne Führung durchstreife. Das finde ich eindrucksvoller, auch wenn dabei Einzelheiten unberücksichtigt bleiben.
Im großen Burghof beobachte ich die Vorbereitungen für die abendliche Vorstellung „Der fliegende Holländer“, denn diese Wagner-Oper hat hier heute Premiere, an der auch unser deutscher Bundeskanzler sowie der finnische Premierminister teilnehmen werden – natürlich abgeschirmt vom übrigen Publikum.
Auch meinen Sitzplatz und den kürzesten Weg von ihm zur Toilette orte ich bei dieser Gelegenheit.
Am Rückweg zum Hotel scheint plötzlich die Sonne und es ist warm.
Eine gute Stunde bleibt mir noch zum Ausruhen, ehe es gemeinsam diesmal am See-Ufer entlang, von neuem zur Burg hinauf geht.

Die Opernaufführung selbst entpuppt sich dann als schlichtweg fantastisches Erlebnis, das ich als überwältigend empfinde. Sänger und Chöre sind ausgezeichnet und auch das Problem des Bühnenbildes ist diesmal wunderbar gelöst. Leider ist die Sicht von meinem Platz nicht besonders gut, aber die Wucht der Musik, die Großartigkeit der zahlenmäßig überdimensionalen Chöre, lassen dies alles vergessen.
Trotzdem nörgeln manche Zuschauer daran herum, kritisieren die zu laute Kapelle (zugegeben, sie tönt laut) und die Senta wäre am Anfang nicht locker genug gewesen….Mich störte das alles nicht…
Übrigens, direkt ober uns am Balkon, saß gut sichtbar die Prominenz. Beim Einlass bzw. Ausgang war sie natürlich von den Menschenmengen entsprechend abgesichert.

Ein Abstecher von 25 km befördert uns am folgenden Morgen nach dem Frühstück zur größten Holzkirche der Welt in Kerimäki, die 3000 Menschen fasst und deren Bau innerhalb von 2 Jahren mit Hilfe aller Einwohner des Dorfes, bewältigt wurde.
Sie liegt in Ostfinnland, also in Karelien, von dem 12 % an die Sowjetunion abgetreten werden musste.
Unser Weg führt daher auch entlang der Grenze zu Russland durch den finnischen Teil Kareliens in Richtung der Stadt Lappenranta, die am Saimaa-See, dem mit 90 m tiefsten Gewässer des Saimaa-Gebietes liegt. Alle übrigen weisen eine durchschnittliche Tiefe von nur 7 m auf.

In einer, in einem karelischen Holzhaus untergebrachten Raststätte findet eine kurze Erholungspause statt, wir durchqueren danach die Grenzstadt Imatra am Fluß Vuoksi, die berühmt für ihre Stromschnellen ist und erreichen schließlich das 55.000 Einwohner zählende Lappenranta, das bereits 1649 von Königin Christina von Schweden gegründet wurde. Die Stadt wirkt groß und ansprechend, am Marktplatz findet der Sonntagsmarkt statt und wir halten auf dem Festungsberg vor einem nostalgischem, kleinen Café für einen Imbiss.

Die Schweden hatten mit dem Festungsbau begonnen, doch 1741, als der Ort von den Russen erobert und zerstört wurde, verfiel auch die Festung, von der heute nur restaurierte, verstreute Kasernen zeugen. Als wichtigster Binnenhafen Finnlands, verbindet seit 1856 ein fast 50 km langer Kanal Lappenranta mit der Ostsee.
Rund um den Saimaa-See existieren viele Felszeichnungen, von denen die ältesten über 3000 Jahre alt sind.

In diesem Landstrich – Karelien – ist die Nähe zu Russland spürbar.
Die Karerlier haben bis heute eine eigene Kultur, die sich in der Musik und Literatur ausdrückt, bewahrt. Auch der Einfluss der orthodoxen Kirche macht sich bemerkbar, während Finnland vom Protestantismus geprägt ist.
Lappenranta gilt als Stadt der Linden, 1400 Bäume davon säumen die Straße.

Bei der Abfahrt erleben wir noch einen schönen Blick auf die Stadt und ganz zufällig und unbewusst begegne ich beim Spaziergang zum Aussichtspunkt auf Stadt und See auch den rekonstruierten Wallanlagen der Stadt.

Die Weiterfahrt Richtung Kontra beschert uns mit der Besichtigung der Fischerhütte von Zar Alexander III. einen Blick in die zaristische Vergangenheit. Das Gebäude aus Holz liegt idyllisch im Wald an einem Fluss.

Auch „Findlinge“ aus der Eiszeit begegnen uns auf der Strecke zu unserem Übernachtungsquartier im Herrenhaus von Haikko, das sich an einem großen Parkgelände an einem Flussarm des finnischen Meerbusens befindet.
Erst bei der Stadt Lovisa, das zur Hälfte schwedisch-sprachig ist und 1745 als Grenzstadt von Schweden zu Russland gegründet wurde, können wir einen Blick auf dieses Gewässer werfen.

Ein feudales Abendessen wird uns in diesem Haus geboten, zu dem ich mir einen in Finnland leider sehr teuren Wein leiste. Er stammt laut Etikett von unserem so lange und immer wieder gern besuchtem Weingut Einig-Zenzen an der Mosel!!!

Die letzte Etappe unserer Reise ist angebrochen und kennzeichnet den folgenden Morgen.
Ein köstliches Frühstück mit Lachs und Heringsstückchen stimmt uns auf die Fahrt zu Hauptstadt Helsinki ein.

Zunächst erleben wir jedoch die Altstadt von Porvoo, eine der wenigen alten Städte Finnlands mit Holzhäusern, Kopfstein gepflasterten Gässchen, die den Spaziergang zum Dom hinauf, zum Vergnügen gestalten, wo dann der große Platz vor dem Gotteshaus sehr große Ruhe und Frieden ausstrahlen.

Der Besuch des Wohnhauses von Komponist Jean Sibelius inmitten eines Waldgebietes bietet uns eine weitere interessante Fahrtunterbrechung, obwohl dieses Relikt als Museum heute Montag geschlossen ist.

Der Höhepunkt des Tages erwartet uns natürlich in Helsinki, wo uns am berühmten Senatsplatz – einem der schönsten Europas – eine Stunde Zeit als Mittagspause vergönnt ist.
Dieses große Geviert wird vom Dom, zu dem Stufen hinaufführen, beherrscht.
Gemeinsam wird er später besucht und der Blick von oben gibt erst den richtigen Eindruck von der wunderbaren Einheit der Anlage.
Das Innere des Gotteshauses wirkt allerdings eher nüchtern (lutherisch), aber als Bau überwältigt es mit seinen Kuppeln jeden Betrachter.

Helsinki wurde 1550 vom schwedischen König Gustav I. Wasa nördlich der Mündung des Vantaa-Flusses gegründet und 1640 südwärts an die Küste verlagert. 1808 verwüstete es ein Feuer nahezu vollständig. 1809 trat Schweden Finnland an Russland ab und Zar Alexander erhob Helsinki zur Hauptstadt.

Auch die übrigen Gebäude am Senatsplatz zeigen herrliche Fassaden und in der Mitte ragt majestätisch die Statue des Zar Alexander II. empor.

Eine Stadtrundfahrt beweist uns dann sehr deutlich wie schön Finnlands Hauptstadt, direkt vor dem Hafen gelegen, sich darbietet…Ozeanriesen landen hier direkt im Stadtzentrum!!!
Die Sonne scheint prächtig und es erscheint kaum vorstellbar, dass diese Stadt, für die ich gerne länger Zeit gehabt hätte, in den Wintermonaten von langer Dunkelheit überschattet wird.

Die in den 60-er Jahren direkt in den Felsen gehauene, neue evangelische Kirche, in der auch Konzerte stattfinden – etwas abseits vom Zentrum – stellt ebenfalls eine Sehenswürdigkeit dar. Eine Musikerin spielt gerade darin und wir sind von dem archaischen Raum, der eine große Ruhe ausstrahlt, außerordentlich beeindruckt.
In den 12 m über Straßenniveau liegenden Felskegel wurde von oben her dieser ungewöhnliche Saal gesprengt und mit einer Kuppel aus Glas und Kupfer gedeckt, während die Wände als nackter Fels bestehen blieben.

Ein letzter Halt ist uns vor dem modernem Sibelius-Denkmal beschieden. Eine imposante, abstrakte Stahlkonstruktion wird als Äquivalent an weniger der Moderne zugeneigte Gemüter durch ein kleines, seitlich angebrachtes, gegenständliches Porträt des Künstlers, abgemildert.

Ein Blick vom Bus auf die wuchtige, orthodoxe Uspenski-Kathedrale mit ihren vergoldeten Kuppeln….an der zweitgrößten Stadt Finnlands, Espo vorbei, mit der Helsinki fast zusammen gewachsen ist und schon empfängt uns das Flughafengebäude der Hauptstadt für den Rückflug nach Frankfurt, wo der nüchterne Alltag auf uns wartet.

Drei kulturelle Ereignisse, an denen ich im Laufe der Jahre teilnehmen konnte, haben tiefe Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen.
Sie waren nicht nur musikalische Höhepunkte, sondern knüpften auch Kontakte zum Milieu der Künstler und deren Umfeld.
Besonders spürbar empfand ich diese Verbindung von Musik und Handlung der Opern zur jeweiligen Landschaft in der Burg von Savonlinna.
Obwohl die zweite Aufführung des „Fliegenden Holländers“ von Richard Wagner stammt, vermochte die gelungene Inszenierung auf der Burg, die Mystik und Geheimnisse des Meeres und der Seen hervorragend zu interpretieren und verhalfen mir damit zu einer Ahnung von den Schönheiten auch des nördlichen Europa.