Streiflichter aus New York

Gedanken nach meiner ersten USA-Reise im Jahr 1959

A m e r i k a – Zielscheibe für Europas Träume, Auffanglager der Sehnsüchte, Hoffnung aller Vertriebenen, aller Abenteurer und Glücksritter aus der restlichen Welt.

Schauplatz Pistolen knallender Wildwest-Romanzen, Laufsteg der Millionäre und Dollar-Prinzessinnen. Für viele immer noch Vision eines Schlaraffenlandes, wo die Gebratenen an den Bäumen hängen und Milch und Honig in die geöffneten Mäuler fließen.

Dass Illusion und Wirklichkeit nichts miteinander gemein haben, musste ich schon unmittelbar nach der aufregenden Ankunftszeremonie im Hafen von New York erkennen.

Nachdem ich mich von der Seereise, dem großartigen Anblick der Skyline und dem nicht ganz so Welt bewegenden Eindruck der Freiheitsstatue erholt hatte, empfand ich diese Stadt bald als einen sehr menschlichen und äußerst kontrastreichen Punkt, auf unserem Globus.

Zuerst musste ich mich an die Ausmaße von New York gewöhnen.

Ich hatte das Gefühl in einen schwirrenden Ameisenhaufen geworfen zu sein und krabbelte nun hilflos in den Massen herum.

Erstaunt bemerkte ich, dass in den Straßen die Cadillacs nicht dominierten und die Damen mit Nerz-Capes, an den Fingern ab zu zählen waren. Ich erinnerte mich, dass auch in Märchen die Anwärter auf das Schlaraffenland sich durch einen riesigen Kuchen zu fressen hatten und dabei Leute mit schwachem Magen unweigerlich auf der Strecke bleiben mussten.

In „Gottes eigenem Land“ schien mir der Preis für eine paradiesische Lebensform nicht minder hoch. Das Experiment stand höchstens 99:1.

Die vom Glück nicht mit Ross-Magen Ausgerüsteten, mussten sich wie in allen übrigen Teilen der Erde, schlecht und recht durch den Alltag bewegen. Der amerikanische Alltag aber gleicht dem unseren in seiner grauen Eintönigkeit aufs Haar und ist durch kontrastreiches Klima, große Entfernungen und bunt zusammengewürfelte Menschenmassen, durchaus nicht positiv angereichert.

Meine ersten Erkundungen in New York galten den berühmten Straßen Fifth Avenue und Broadway.

Die eleganten 8-stöckigen Kaufhäuser auf der Fifth-Avenue sind beinahe sprichwörtlich. Die Preise der darin dargebotenen Waren noch nicht ganz. Ich sah Morgenröcke im Preis bis zu $ 350 und andere um 3 und 4 Dollar. Auch hier erschreckten mich die großen Unterschiede.

Jeder kann selig werden nach seiner Facon…es gibt alles. Aber Seligkeit kauft sich teuer. Und Qualität ist in den USA keine Selbstverständlichkeit.

Am Broadway war es mir, als hätten sich alle Jahrmarkt-Stätten der Welt ein Stelldichein gegeben.

Diese Straße zieht sich von Downtown, dem südlichen Zipfel der Insel Manhatten, bis hinauf nach Uptown. An der Ecke Times Square schlägt sie alle Rekorde an Buntheit und tollen Einfällen. Reklame-Attrappen nehmen überdimensionale Formen an und Kitsch wuchert in den Auslagen.

Nachdem ich das Straßensystem New Yorks ergründet hatte – es ist, wenn man von der Unterstadt absieht – vollkommen narrensicher, denn schnurgerade Längs- und Querstraßen, nach Nummern geordnet, zerteilen die Insel Manhatten, untersuchte ich zuerst das äußere Bild der Stadt.

Erschreckende Kontraste begegneten mir. Neben mächtigen Wolkenkratzern, Palästen aus Stahl und Glas, duckten sich hässliche alte Steinbauten, mit im Zickzack verlaufenden Feuerleitern.

In allen Breiten- und Höhenanordnungen standen sie nebeneinander. In der Nähe einer breiten Avenue, baumelten zwischen schäbigen Fassaden, Wäschestücke, die die feuchte, heiße Luft des New Yorker Sommertages trocknen sollte. Ich wurde dabei nicht an das sonnige Italien erinnert, es fehlte die malerische, heitere Atmosphäre dieses europäischen Touristen-Paradieses. In New York wirkte der Anblick ernüchternd, trostlos.

An den Ufern des East Rivers steht der rechteckige Glaspalast des United Nation-Buildings…Sitz der „Vereinten Nationen.“ Eine Führerin in blauer Uniform geleitete mich mit anderen Neugierigen, gegen Eintrittsgebühr, durch Gänge und in Säle. Auf dem weich gepolsterten Stuhl des „Security Coucil Chamber“ fühlte ich mich beinahe mitbeteiligt, an den Ereignissen der Welt. Schalter an den Stühlen besorgen bei Sitzungen postwendend die gewünschte Sprachübersetzung. Da es im Gefüge der UNO aber noch unausgefüllte Lücken gibt, vermisste ich an diesem System, Übersetzungsmöglichkeiten für einige „kleinere“ Sprachen, wie z.B. deutsch..

Dass die Welt zu ihrem Unglück, nicht nur aus „Vereinten Nationen“ besteht, musste ich später vor der Haustüre des Glasgiganten feststellen. Da wies ein großes Plakat neben verwahrlosten Häusern, auf die „gefangenen“ europäischen Nationen hin, die nicht leben können und halb frei und halb versklavt sind.

Ich fragte nach den Zusammenhängen der seltsamen Propaganda und erfuhr, dass hinter der schäbigen Fassade, die Gegenregierungen der europäischen Nationen tagen, die nicht in der UNO sind. Mehr als die politische Tatsache erschreckte mich wieder der Kontrast zwischen dem Wunderbau der UNO und seinem Vasall, auf der gegenüber liegenden Straßenseite.

Am oberen Ende von Manhatten, an der 179 Street, lernte ich eines der schönsten Bauwerke der 8-Millionen-Stadt kennen. Amerikas zweitgrößte Brücke, dem „Vater der Nationen“, George Washington, geweiht. Als bezaubernde Hängebrücke schwingt sie sich über den Hudson-River nach New Jersey.

Ein Wunderwerk der Technik in schönster Landschaft.

Dieser Distrikt ist selbstverständlich von den oberen Vierhundert gemietet. Efeu bewachsene Appartement-Häuser und die modernen Wohnblocks von Castle Village gewähren hier zahlungskräftigen Bürgern, neben herrlicher Aussicht, ein komfortables Wohnen. Gegen entsprechendes Entgelt kann man Masse, Hässlichkeit und andere Beschwernisse der Riesenstadt vergessen.

Nicht weit von diesem Bezirk gutbürgerlicher Existenz, ebenfalls am Hudson-River, entdeckte ich eine Kuriosität. „The Cloisters“ – eine Klosteranlage, eingebettet in einen großen Park. Importiertes Mittelalter aus „Old Europe.“ Stein um Stein aus Frankreich hergebracht und mit Hingebung und Leidenschaft hier aufgebaut…mit Museums-Beiträgen aus Italien, Spanien, Deutschland, etc.

Ich war gerührt über die Verehrung, die man der Importware angedeihen ließ. Die stillen Klostergänge entzückten mich. Nur die übertriebene Genauigkeit der Aufschriften über vermutliche Herkunft und Alter der einzelnen Stücke, störten die Illusion.

Columbus „Findelkind“ Amerika hatte sich in jeder Beziehung gigantisch entwickelt.

Das aus „New Amsterdam“ empor gewachsene Völkerzentrum New York bot mir während meines sechswöchigen Aufenthaltes sehr viel Interessantes.

Die Besten und die Verzweifeltsten aller Nationen hatten sich hier zusammen gefunden. Sie schufen eine neue Welt und bauen weiter an dem, den Rothäuten entrissenen Land. Die verschiedensten Rassen und Konfessionen haben sich hier vereint. Bettler und Millionäre schälten sich aus der Masse….aber zu aller erst wurden sie alle „Amerikaner“.

Die unterirdischen Marmorgänge des Gebäudekomplexes vom Rockefeller-Center, das grüne Eiland des Central-Parks im Herzen von Manhatten, die schmutzigen Häuserblocks der Bowery mit ihren Nichtstuern aus Passion, die schwarze „Gefahr“ von Harlem – das alles formt New York.

Ein Kontinent der Akkordzivilisation, des Überfortschritts, der Kunststoff-Bequemlichkeit…. Eine Visitenkarte der Moderne, gedruckt und bezahlt von den Massen. Dahinter aber immer noch unbezwungene, unbarmherzige Natur. Einsame Weite! Erschreckend und kontrastreich.

Ein noch nicht beendeter Kampf des Individuums gegen die Urkräfte, brutal und nüchtern.

Schaumgummi-Komfort für verlorene Ideale!

Attrappen für die kahle Wirklichkeit!

„Take it easy“ für das Grab menschlicher Illusionen!

Ein mitleidiger Seufzer, den satten Spießern der übrigen Welt, diesen in der Wiege von Kultur und Tradition eingeschläferten, ahnungslosen Engeln! Ein begeisterter Tusch dem eigenen – Gottes eigenem – Land der unbegrenzten Möglichkeiten!

Als ich die USA, wieder mit einem amerikanischen Frachter verließ, schaute ich noch lange auf die Himmels-Silhouette, die vom Empire State-Building, dem höchsten Gebäude der Welt, überragt wird.

Ich habe mich gefragt, wie dies junge „Neue Welt“ in 20, in 30, in 50 Jahren aussehen wird.

Und ich habe die Menschen in diesem großen Pott bedauert und beneidet zugleich. Bedauert wegen ihres Kampfes gegen die Massen, gegen Abgestumpftheit und Langeweile – die Auswüchse der Automation. Ich habe sie beneidet um die Freiheit und die schier endlose Ausdehnung ihrer Welt.

Instinktiv und beglückend habe ich diese großen Aktiven empfunden, die ein jeder spürt, der einmal den Fuß auf diesen weiten Kontinent gesetzt hat.