Indonesien

Inseln im Feuerring

Als Spielball der Turbulenzen, die unser Planet unter seiner Oberfläche betreibt, schwimmen sie zu Tausenden über- und unterhalb der Äquatorlinie – die Inseln des malaiischen bzw. indonesischen Archipels.

Vor Urzeiten an Asien und Australien geheftet, hat sie nicht nur steigender Meeresspiegel, sondern auch der Bewegungsdrang unserer Erdkruste als große und kleine Landflecken über das Meeresniveau katapultiert.

Das geschah vor ca. 15 Millionen Jahren.

Von der Tropensonne mit üppiger Vegetation ausgestattet, lassen sie vergessen, dass es unter dem verführerischen Profil immer wieder heftig kocht und brodelt; von den über 300 Vulkanen schleudert gelegentlich der Eine oder Andere seine glühende Fracht gegen den Himmel.

1883 hat es der Krakatau-Gipfel zwischen Sumatra und Java getan…

Er ist mit der Gewalt, die 100.000 Hiroshima-Bomben gleicht, schlichtweg explodiert!

Indonesien präsentiert sich als größter Inselstaat der Welt und nimmt der Bevölkerungszahl gemäß, darin den vierten Platz ein. Von seinen 17.000 Inseln, sind immerhin 6000 bewohnt.

300 verschiedene Völker, die meisten malaiischer Herkunft tummeln sich auf den diversen Eilanden, deren horizontal lang gestrecktes, schmales „Haupt“ die Insel Java empor reckt.

Auf ihr hat vor 1,8 Millionen Jahren ein Hominide – der Java-Mensch – seine Fußspuren hinterlassen.

Ebenfalls als langer Lulatsch, aber wesentlich umfangreicher, dehnt sich senkrecht nach Nordosten hin die größte „Meergeburt“ – Sumatra – aus, die nur durch die Meerenge der Malakka-Straße von Malaysia getrennt, im Ozean vagabundiert.

Zwar sind 88 % der Bevölkerung moslemischen Glaubens, trotzdem ist der Islam nicht Staatsreligion und bei allen Richtungen dominieren sowieso Ahnenkult und Geisterglaube.

Erst 1949 wurde der 1945 proklamierte Staat Indonesien aus der 300-jährigen Knute der Europäer, diesmal vor allem der holländischen, in die Unabhängigkeit entlassen.

Ein hochinteressantes Gebilde also, dieser komplexe Inselstaat, zu dem ich im September 1989 für einen kurzen Blick, wenigstens auf seine wichtigsten Vertreter, starte.

Über Signapur – das einen eigenen, faszinierenden Nimbus ausstrahlt und eine gesonderte Würdigung verdient, erreiche ich in Medan die nördliche Hauptstadt Sumatras.

Von dem eintägigen Zwischenstopp in der asiatischen Mustermetropole schon ein wenig an tropisches, durch Klimaanlagen und Zivilisation gebändigtes Flair, ge- und verwöhnt, schlägt die feuchte Schwüle in diesem Zentrum erst einmal etwas unangenehm zu.

Die Passage durch die lärmende 2-Millionenstadt gleicht einem nervtötenden Kampf, wobei der Bus sich durch ein Spektrum von durch Klima angenagten Bauten aus der Kolonialzeit, Strassen mit verwahrlosten, ungepflegten Häusern und durch emsige Geschäftigkeit zu quälen hat. Als Trostpflaster existiert hier aber auch ein ansprechendes Villenviertel für Regierung und Diplomatie.

Urtümlichkeit als Positivum löst danach den Negativschock der Metropole ab.

Die einzige mit dem Prädikat „gut“ vermerkte Strasse durch die 1800 km Insellänge

führt, vorbei an Kautschukplantagen, Ölpalmen, Reis- und Maniokfeldern, Kakaoplantagen zum 900 m hoch gelegenen, von Bergen anmutig umgebenen Toba-See.

Ein bis zu 3805 m hoher Gebirgszug, Regen-, Sumpf- und Mangrovenwälder sind Sumatras oberflächliche Visitenkarte, während in seinem Boden große Reichtümer schlummern, deren Exporterlöse vom Regierungszentrum auf der Hauptinsel Java vereinnahmt werden.

Sumatras eigentliches Natur- und Kulturerbe aber repräsentiert sein Regenwald mit all´ den darin lebenden Arten. Ein Erbe das brutal durch teils illegale Abholzung rücksichtslos zerstört wird.

Nirgendwo anders ist das Artensterben so hoch wie hier.

Eine gefährliche Sprosse auf der Leiter, an deren Ende die Selbstzerstörung der Menschheit droht.

Von düsteren Wolkenformationen begleitet, die ein undefinierbares, von Spannung beladenes Stimmungsbild aufs Firmament malen, an Reisfeldern entlang, erreichen wir nach vielen Kehren den Touristenort Parapat am Tobu-See, wo mit einem aufflammenden, leuchtenden Rot zwischen schwarzen Wolken gerade die Sonne im Begriff ist, unterzugehen.

Der Zweck meiner Fahrt zu diesem angeblich schönsten und tiefsten Binnensee der Erde ist die Begegnung mit den „Altvölkern“ der Batik-Stämme, die auf einer Insel im See und in dessen Umgebung, verstreut leben.

Jahrhunderte lang isoliert, haben sie, obwohl schließlich doch zum Christentum bekehrt, ihre animistischen Sitten beibehalten. Dem Ritus der Kopfjägerei mussten sie allerdings abschwören. Auch haben sie inzwischen an den Vorteilen des Tourismus geleckt, bieten aber durch die kuriose Konstruktion der Hausdächer in ihren Dörfern ein recht exotisches Panorama.

Aus einer Art Kiefernholz gefertigt, erhebt sich schräg und sattelförmig mit den Fasern der Zuckerpalme gedeckt, über dem einzigen Wohnraum das Dach – die Besonderheit dieser spezifischen Pfahlbauten, die auf mannshohen Pfosten ruhen und einen großen Freiraum für die Haustiere bieten, denen man durch ein Loch im Gemeinschaftszimmer, alle Abfälle als Nahrung zukommen lässt. Dabei wird gleichzeitig der gesamte Müll auf diese Weise entsorgt.

Der kunstvolle First gehört den Geistern und Göttern und wird bedauerlicherweise bereits vielfach durch hässliches Blech ersetzt.

Die Menschen haben heute nichts mehr „Wildes“ an sich, geben sich zivil und es ist kaum zu glauben, dass sie noch vor wenigen Jahrhunderten, im Sinne ihrer ursprünglichen Religion Kannibalen waren. Die Seele als „Tondi“ – Lebenskraft – steht im Mittelpunkt und gilt als übertragbar. So wurde der Verzehr von Menschenfleisch als besondere Bereicherung für dieses „Tondi“ empfunden, sozusagen als eine Verdoppelung der Kraft.

Ebenso konnte durch die Eroberung mindestens eines Kopfes die männliche Potenz gesteigert werden und kein Mädchen heiratete einst einen Mann, der ihr nicht wenigstens einen Kopf zu Füßen legte.

So zogen heiratsfähige Männer in Trupps, bewaffnet oft über die Felder und überfielen friedliche Reisbauern anderer Stämme.

Im Hochland von Sumatra leben insgesamt 4 große Bataker-Gruppen mit unterschiedlichen Traditionen und trotz räumlicher Nähe verschiedener Sprache.

Inmitten des Sees breitet sich mit 120 Straßenkilometer die Insel Samosir aus, auf der einige Dörfer zur Besichtigung locken und Läden und Stände mit diversen Erzeugnissen als Souvenir, die Touristen zum Kauf animieren. Auch sind die meisten Häuser statt mit dem traditionellen Pekki-Holz mit Wellblech gedeckt, was den Reiz der eigentümlichen Behausungen doch erheblich stört.

Eine Vorstellung vom originalen Aussehen, den Sitten und Bräuchen vermittelt das Museums-Dorf Simanindo, einschließlich Tanzvorführung in alten Trachten und dem

rituellen Schlachten eines Wasserbüffels, begleitet von Trommelmusik – zum Glück wie auf Opernbühnen nur ein Tod zum Schein…

Da am Ende des Museumdorfes mit intakten Batikhäusern, der attraktiven Reissstampfe, dem Reisspeicher und dem reich geschmückten Königshaus, noch Häuser bewohnt sind, laufen Hühner und Schweine während der Vorführung im Hof, als lebendige Gegenwart zum Spiel der Vergangenheit herum.

Noch eine kleine Insel im See stellt sich mit dem Dorf Tomok vor, in dem bettelnde Kinder die „Ladenstrasse“ belagern und Einwohner per „anfassen“ die neugierigen Besucher zum Kauf auffordern. Erst im Zentrum dieses Reihendorfes kann sich der Fremde unbelästigt bewegen.

Auf der Rückfahrt nach Medan am nächsten Tag, die bis auf 1300 m empor führt, demonstriert ebenfalls ein Museumsdorf eines anderen Batakstammes seine Gepflogenheiten. Danach bietet die Natur einen kühlenden Wasserfall und der Markt im Städtchen Brastagi eine Fülle exotischer Früchte, mit Namen wie Belimbing – Donnerkeil, Salak –Schlangenfrucht, etc.

Man ist hier im Karo-Batak-Hochland, wo im bewohnten Dorf Beceren sogar ein Haus besichtigt werden kann, verbunden allerdings mit etwas mühevoller Auf- und Ab-Kletterei.

Durch einen Primärwald gelangt man ins Tiefland. An einer von Palmen umrahmten Ausweiche hängen an einer Verkaufsbude lebende Flughunde, die Kinder sofort den Touristen anbieten.

Das war mein erstes Treffen mit Indonesiens Viel-Völker-Welt, die wohl zu Recht als Motto über ihr Territorium den Slogan :“ Einheit in der Vielfalt“ proklamiert. Nur leider will es mit der Einigkeit nicht wie gewünscht klappen!

Abgesehen von den Massakern an Kommunisten und der chinesischen Minderheit (Chinesen sind vor allem während der holländischen Kolonialzeit eingewandert) in den Jahren 1965 – 1967 unter Präsident Sukarno, an denen die USA nicht unschuldig waren, sorgt auch das einzige im Norden der Insel Sumatra verbliebene Sultanat Aceh für ständige Unruhe, da es nach Unabhängigkeit strebt. Dort gilt auch das islamische Rechtssystem, das z.B. das Tragen des Schleiers für Frauen vorschreibt.

Fährt man heute durch die von der Welt scheinbar vergessenen Gebiete Sumatras, erstaunt es, dass gerade auf dieser Insel einst große Reiche residierten.

Während des ersten Jahrtausends nach Chr. verbreiteten sich hier, von Indien kommend Buddhismus und Hinduismus, die mit der ursprünglichen Bauernkultur verschmolzen und dieser Kulturimport führte zur Bildung von Königreichen, von denen das von Srivijaya das berühmteste war. Jahrhunderte, von ca. 700 bis 1100 bzw. sogar 1300 stand es im Rampenlicht der Geschichte und übte lange Zeit großen Einfluss auch auf die anderen Eilande bis zur malaiischen Halbinsel aus. Es war ein buddhistisches Handelsreich und da seine Beziehungen China, Indien, etc. einschlossen, nannte man die Route ihrer Aktivität gern die „Seidenstrasse des Meeres“. Dabei leistete die Urbevölkerung Orang Laut, die Piraterie betrieb, tatkräftige Hilfe. Für entsprechende Entlohnung versteht sich…

Erst 1918 wurden Relikte dieses Königreichs entdeckt, dessen Hauptstadt man in Palembang im Südosten der Insel vermutet.

Wissenschaft und Forschung, die Triebkräfte menschlicher Neugier warten stets mit neuen Vermutungen und Theorien auf: so habe ich 2 Jahrzehnte nach meiner Reise in einer Fernsehsendung und im Internet eine höchst interessante Aussage über den Toba-See und seine spektakuläre Entstehung gehört, die wieder einmal ein erschütterndes Beispiel für die unberechenbaren, gewalttätigen, scheinbar chaotischen Vorgänge in unserem Universum liefert. In einem Kosmos, in dem alles, auch unsere Erde trotzdem in präzisen, berechenbaren Bahnen rotiert.

Die Theorie besagt, dass dieses eindrucksvolle Gewässer der Überrest eines Super-Vulkan-Ausbruchs sei, der vor 75.000 Jahren unseren Planeten aus dem Gleichgewicht gebracht habe.

Nach den Folgerungen eines Anthropologen sei damals die Menschheit fast ausgelöscht worden, denn nur 1000 – 10.000 unserer Spezies hätten weltweit überlebt.

Letzteres bleibt allerdings nicht unwidersprochen, zumal nachweisbar z.B. der Neandertaler erst später für immer von der Erdoberfläche verschwunden ist.

Es darf also spekuliert werden, denn nur widerwillig und bruchstückhaft gibt unser „Raumschiff“ seine turbulenten Kapriolen preis und besonders die Inseln am „Feuerring“ sind von seinen Eskapaden schwer betroffen.

So wurde z.B. das berühmte hinduistische Wahrzeichen auf Java – der Prambanan – 2006 von einem Erdbeben schwer beschädigt.

Trotz dem außergewöhnlichen Stelldichein mit den einstigen, gefürchteten Menschenfressern der Batak in und dem Umfeld vom Toba-See wird ein Erlebnis ganz anderer Art, für mich zum Höhepunkt auf der Insel Sumatra.

Dieses gleicht fast einer Expedition, zumal es in der Nacht davor ein heftiges Unwetter gab.

Zurück in einem Nobelhotel in Medan, das kontrastreich alles Hässliche, Ärmliche dieser Stadt vergessen ließ, entschied sich unsere kleine Reisegruppe vor dem Flug zur Insel Java, für einen Abstecher in den Dschungel, um ein Reservat für die seltenen Menschenaffen, die Orang Utans zu besuchen. Nur hier in Sumatra und auf der Insel Borneo gibt es die vom Aussterben bedrohte Spezies noch.

Um 5 Uhr früh ist Aufbruch von Medan zum Rehabilitationszentrum in Bukit Lawang, wo sich Tierschützer innerhalb eines Naturschutzgebietes um die Rettung und Wiederauswilderung dieser bedrohten Tierart bemühen.

Für mich, eine einmalige Gelegenheit diesen „Waldmenschen“ zu begegnen.

Schon die 2 ½ Stunden Busfahrt am frühen Morgen durch eine üppige Tropenlandschaft, vermittelt unvergessliche Eindrücke.

Da eilen Arbeiter mit Kübeln zu den Latexplantagen – ein Engländer schmuggelte Ende des vorigen Jahrhunderts wenige der runden Samenkugeln des Gummibaums aus Brasilien hierher – Scharen von Kindern in adretten Schuluniformen sind zu Fuß oder per Lkw´s auf dem Weg zu ihrem Unterricht. Da keine Schulpflicht besteht, soll eine besondere, hübsche Kleidung die Kleinen dazu animieren.

Die Stimmung im von Palmen gesäumten Bereich der Straße vermittelt ein Bild von Frieden und Beschaulichkeit und wird vom Strahlenspiel der aufgehenden Sonne märchenhaft beleuchtet.

Ein halbstündiger Fußmarsch entlang des Bohorok-Flusses lockert die vom Sitzen ramponierten Gliedmaßen und auch dessen Überquerung im Einbaum ans andere Ufer zu je 4 Leuten, empfinde ich in dem schmalen, wackeligen Gefährt noch als abenteuerliches, aber lustiges Vergnügen…

Aber dann… der Pfad durch dichten Dschungel führt steil bergan und der Boden ist vom vorangegangenen, nächtlichen Gewitter glitschig und nass, sodass jeder Schritt zur Rutschpartie wird. Trotzdem ein paar einheimische Jünglinge hilfsbereit die Neugier der Touristen für sich zu nutzen wissen, wird das Unternehmen zur großen Strapaze. Nur 24 Grad, aber 95 % Luftfeuchtigkeit… das durchnässt beim Aufstieg sämtliche Klamotten.

Erwartungsvoll starren wir und noch eine andere Gruppe, die sich für dieses Abenteuer entschieden hat, endlich auf der Anhöhe angekommen, auf ein Brett zwischen dem dichten Laub der Urwald-Vegetation.

Hier ist für die von der Station entlassenen und bereits ausgewilderten Affen noch ein Buffet für alle Fälle angerichtet, falls es mit der selbständigen Futtersuche noch nicht ganz klappen sollte.

Schweißtriefend, keuchend, spähen wir wie gebannt zwischen dem dämmrigen Grün auf diese einladende Holzlatte.

Doch… auch eine 3/4 Stunde später ist sie immer noch unberührt und nirgendwo lässt sich auch nur ein einziger Orang sehen.

All´ die Leutchen, die sich in gespanntem Schweigen auf einem winzigen Fleck als Ausguckposten erwartungsvoll zusammengedrängt haben, müssen schließlich aufgeben und ziehen enttäuscht von dannen.

War der Aufstieg schon mühsam genug, so gestaltet sich der Abstieg zu einem wahren Albtraum.

Keine noch so perfekte Schuhsohle findet in dem schlammigen Matsch des kaum zu erkennenden Pfades, Halt. Wie ein Affe hangele ich mich, sicheren Tritt suchend, von Baumstamm zu Baumstamm. Doch trotz stützender Hände der Touristenhelfer, bleibt im Kampf mit den Tücken des Weges, oft nur der Einsatz des Hosenbodens als einziges Mittel zur Bewältigung des Dilemmas.

Der nackte Überlebenswille lässt sogar die vielstimmigen, in diesem Dickicht verborgenen Stimmen einer von Leben aller Art erfüllten Natur überhören und sie unwichtig erscheinen. Nur das eigene Ich und sein Fortbestand zählen.

Endlich zeigt sich das Flussufer als Erlösung von der peinlichen Schlappe.

Und da… was für ein Schelmenstück einer uns himmelhoch überlegenen Landschaftskulisse… grinst mir, gemütlich unter schützendes Astwerk gekuschelt, kaum einen Meter entfernt, gelassen – oder gar hämisch? – ein junger Orang Utan entgegen.

Außerdem, etwas entfernter, verlieren sich die Konturen zweier anderer Jungtiere im Geäst und ein schwarzer Brüllaffe trompetet einen Heulton als Untermalung ins Urwaldkonzert.

Alles Anwärter auf die Freiheit, zu der sie als Vorbereitung, fallweise Ausgang erhalten.

Was würden sie uns wohl von ihrem Leben erzählen, wenn die Barriere der Sprache zur nahen und doch so fernen Verwandtschaft überwunden werden könnte?

Die Verschnaufpause in einem einfachen Restaurant am Fluss, der mit klarem Wasser zum Baden einlädt, kann mich heute nicht in Versuchung führen. Bei inzwischen 29 Grad steht mein Stimmungsbarometer auf Null und dem Wunsch auf Abtrocknung all´ dessen, was an Textilien an mir klebt.

Wieder in Medan angekommen, nimmt uns noch einmal das Hotel für die schier endlose Wartezeit bis zum Abflug zur Insel Java auf… allerdings lediglich in seiner Empfangshalle.

So versuche ich halt im diskreten Bereich der Toilettenanlage mein arg ramponiertes Äußeres notdürftig von verkrustetem Schlamm zu reinigen, was vor allem bei den Schuhen nur teilweise gelingt.

Erst in Jakarta, nach Flug und Transfer ins Zentrum, erwartet mich dort, mitten in der Nacht, ein Zimmer mit dem üblichen Komfort der Zivilisationsgesellschaft.

Java, 1600 km lang, Hauptinsel Indonesiens, auf der sich 3/4 der Gesamtbevölkerung der Inseln zusammendrängen und seine hektische Metropole Jakarta mit über 8 Millionen Einwohnern – das ehemalige Batavia – wird für mich nur Quartier für ein paar restliche Stunden Schlaf, denn schon steht am Morgen der nächste Flug nach Yogiakarta in Zentraljava, der ersten Hauptstadt der neu gegründeten Republik, auf dem Plan.

Flüchtig, wie in einem zu schnell abgespielten Film, ziehen während der Fahrt zum Flughafen die Sehenswürdigkeiten von Jakarta an meinen müden Augen vorüber…

Freiheitsplatz, Messegelände, Vergnügungspark, Nationalmuseum, Präsidentenpalast, Hauptmoschee, Heldendenkmal, etc… bleiben als Schattenrisse vage im Gedächtnis haften.

In den Seitengassen des Chinesenviertel registrierte ich reges Treiben, doch chinesische Schriftzeichen sind nirgendwo zu sehen, ihre Reklame ist verboten.

5 Minuten Ausstieg und Aufenthalt am Segelschiffhafen wird der Gruppe gewährt. Es war der wichtigste Handelshafen der Holländer, wo immer noch die großen Schiffe dicht an dicht im brackigen Wasser ein etwas verlorenes Dasein fristen.

An einem Kanal im Hafenviertel, außerhalb des schillernden Zentrums, haben sich Slums einquartiert und wie einst wird in dem trüben Wasser Wäsche gewaschen und bei Bedarf auch gleich ein anderes „Geschäft“ darin erledigt. In einem Elendsviertel in der Nähe des Fischmarktes sollen sich Bauten befinden, deren Closetts ihren Abfluss direkt ins Wasser leiten und den darin sich tummelnden Fischen auf diese Weise nahrhaftes Fäkalien-Futter liefern. Auf dem Markt verkauft, müssen die dann zwar 2 Wochen lebend in frischem Wasser gehalten werden, brächten aber danach einen sehr geschätzten, würzigen Geschmack auf den Teller.

Eine große Überraschung präsentiert nach diesem kurzen Streifzug durch Indonesiens Metropole, sein Flughafen… er ist einfach wunderschön mit niederen Hallen, Säulen, die im oberen Teil bunte Muster zieren, Lampen in altem Stil und viel Grün rundherum, sodass auch das unvermeidliche „Warten“ in der picksauberen Halle vor dem Gate, fast zum Vergnügen wird.

Während der einstündigen Flugzeit zeigen sich drei Vulkankegel, ragen spitz aus weißen Wolkenfetzen in den Himmel und die ersten Blicke nach Ankunft in Yogyakarta kündigen eine sympathische Stadt an. Im Hotel empfängt uns ein Gamelan-Orchester mit einem Ständchen seiner traditionellen Musik, die sehr fremd, aber interessant, zu näherem Kennenlernen einlädt.

Hier in Yogyakarta schlägt das eigentliche Herz der Insel, befindet sich sein kultureller Mittelpunkt und sein Sultanat gehört zu den wenigen, noch verbliebenen in Indonesien, dessen attraktiver Palast auch für Fremde zur Besichtigung offen steht.

Vor allem aber befinden sich in der Umgebung der Stadt die beiden Wunderwerke religiösen Kraftpotentials, die der Mensch im Einklang mit der Natur aus den Tiefen schöpferischen Glaubens zu erschaffen vermochte.

Nur 16 km östlich gemahnt die grandiose Ruine des Tempelkomplexes von Prambanan mit 190 verschiedenen Gebäuden und Reliefszenen aus dem Ramayana-Epos, an die Hindu-Ära in Mittel- und Ostjava. Mit 24.000 Versen von dem indischen Dichter Valmiki um das 2.Jhdt. n.Ch. geschrieben, ist es mit der griechischen „Odyssee“ vergleichbar.

Jährlich finden hier, noch oder wieder, berühmte Ballettaufführungen dieses Epos statt.

Durch ein Erdbeben zerstört, begannen erst 1918 die Rekonstruktionen, die noch nicht ganz abgeschlossen sind und niemand ahnte damals, dass ca. 90 Jahre später -2006 – die unterirdischen Kräfte wieder zuschlagen und das Werk so vieler fleißiger Hände beschädigen würden.

Noch gewaltiger, Inhalt schwerer erweist sich 42 km nordwestlich der Stadt die Wirkung des Borobodur, als eine der größten und bedeutendsten Manifestationen des Buddhismus in der Welt.

Aus anmutiger Ebene erhebt sich vor einer im Dunst verschwimmenden Bergkulisse , ein aus der Landschaft herauswachsendes mythisches Abbild des Kosmos, geschaffen zwischen 750 und 850 n. Ch.

Sein Schicksal besiegelte der Einbruch des Islam in Indonesien…

Die kolossale Anlage geriet schlicht und einfach in Vergessenheit.

1814 während der britischen Besetzung wieder entdeckt und erforscht, machte sich besonders Sir Raffles, der Gründer von Signapur, um sie verdient.

Um einen natürlichen Erdhügel erbaut, hebt sich der mit über 33 m (einst waren es 42 m) Höhe gestaffelte, riesige Komplex, wie eine Stufenpyramide zum Himmel empor.

Über sechs, immer kleiner werdende Terrassen, kann man ihn erklimmen.

Drei Sphären charakterisieren die weithin sichtbare Anlage:

Am Fundament erzählt die „Wunsch-Sphäre“ mit Reliefs (ein Teil davon ist allerdings zugemauert) von den Genüssen des irdischen Lebens.

Im oberen Teil ihres Sockels beginnt die „Sphäre der Form“.

In den folgenden 4 Galerien schwelgen 1300 Tafeln in Darstellungen des Lebens von Gautama Buddha, angefangen bei seiner Geburt.

Über Stufen geht es weiter empor…

Insgesamt 72 kleine, hohle, glockenförmige Stupas mit im Innern je einer Buddha-Figur, versetzen in die „Formlose Sphäre“, wo die Wälle und Balustraden frei von Ornamenten sind und die Gedanken frommer Pilger sich im grenzenlosen All mit seinem ewigen Frieden verlieren können.

Die große Zentralstupa symbolisiert dabei das letzte Geheimnis…

Nicht nur ein grandioses Kunstwerk, mag dieser Ausflug in „himmlische Höhen“ vor allem gläubigen Buddhisten, ein tiefes Erlebnis vermitteln.

Der nächste Tag gehört wieder den Relikten der hinduistischen Religion und führt zum 135 km entfernten Dieng Plateau, einem alten Zentrum aus dem 9. Jahrhundert.

Diese Hochfläche von 1800 m Länge und 800 m Breite in 2093 m Höhe, ist die Caldera eines erloschenen Vulkans.

Einst gab es hier unzählige Heiligtümer, noch Anfang des 19. Jahrhunderts waren es 40; heute sind nebst zahlreichen Ruinen nur noch 8 Tempel erhalten.

In Indonesien herrscht konstitutionell garantierte Religionsfreiheit. Atheismus ist nicht erlaubt, jeder muss einer der 5 anerkannten Religionen (Katholiken, Protestanten, Moslem, Buddhisten oder Hinduisten) angehören. Die religiösen Feiertage aller Religionen werden anerkannt und gefeiert. Der Sonntag ist unabhängig davon, der reguläre freie Tag.

6 Grad südlich vom Äquator, befindet man sich am Dieng-Plateau, umgeben von Vulkanbergen in einer seltsam geisterhaften Atmosphäre…

Es scheint, als ob sich hinter den Schatten, die die Umrisse der Berggiganten zeichnen, Dämonen und Spukgestalten einer unbekannten Welt verborgen hielten.

Aus einem Schlammsee blubbert Gas an die Oberfläche und der Schwefelgestank blockiert fast den Atem.

Ein anschaulicher Beweis, wie brodelnd und feurig es unter unseren Füssen zischt und tobt.

Ein freundlicheres Milieu finde ich am „farbigen See“ vor und mein halbstündiger Alleingang an seinem Ufer, versöhnt schnell mit dem drohenden Gebaren einer nicht zu bändigenden Natur. Vor seinem in allen Farbnuancen schimmernden Wasser, das sanft und zärtlich die Böschung streichelt, ziehen sich rasch alle bösen Geister in ihre Unterwelt zurück.

Natürlich interessiert mich außer den großartigen Kunstschätzen und Hinterlassenschaften der versunkenen Königreiche, die mehr oder weniger lange auch in der Geschichte Javas Regie führten, das Alltagsmilieu der Gegenwart.

Besonders bunt und pittoresk überfällt dies den Fremden auf dem „Vogelmarkt“.

Schon der Weg dahin, auf dem man sich inmitten von Menschenmassen vorwärts wühlen muss, verspricht ein zu erwartendes, exotisches Spektakel.

In engen Gassen hängen oder stehen dann unzählige Käfige, in denen alles mögliche große und kleine Federvieh piepst und zwitschert. In den zu diesen schmalen Gehwegen hin offenen Häusern hocken die Händler, die nicht nur das flatternde Viehzeug, sondern auch alles für deren Ernährung notwendige, verkaufen.

Die Einblicke sind so vielfältig, dass das Auge kaum folgen und der Verstand es kaum aufnehmen kann.

Auf jeden Fall entpuppt sich von den vielen Märkten, die ich schon besucht habe, dieser als der bizarrste. Dabei entwickelt sich nicht einmal ein Gefühl des Mitleids für die gefangenen Kreaturen, denn die erfüllen die Luft mit so fröhlichem Geplapper, dass man sie durchaus für zufrieden halten darf.

Ein paar Stufen aufwärts, findet man sich unvermittelt und leicht benommen in einem winzigen Atelier mit Batikmalerei wieder. Traditionelle Motive werden hier auf Kraton gemalt, während in einem ebenso kleinen Raum gegenüber avantgardistische Themen die Stoffe zieren.

Zwischen all dem Wirrwarr von Kunst, Menschen und Tieren wächst fast direkt aus einer Hausmauer heraus ein Strauch mit prächtigen Blüten, der als „chinesische Pagodenblüte“ sich ebenfalls in die Gemeinschaft üppigen Lebens drängt.

Einen weiteren Einblick in Tradition und künstlerische Aktivität bietet das Wayang Kulit – das Schattenspiel.

Lebhaft bewegen sich dabei, die aus dem Leder eines Wasserbüffels geschnitzten Figuren zu den Klängen eines Gamelan-Orchesters in einem nach rückwärts offenen Raum, deren Spielhandlung auf einer Leinwand vor dem Publikum, als Schattenbild abläuft. Meist sind es Szenen aus dem Ramayana- und Mahabharata-Epos.

Eine beliebte Geschichte aus vergangenen Zeiten, die bis heute überlebt hat.

Die Herstellung der Figuren mit beweglichen Armen ist mühevoll… allein das Herrichten der Büffelhaut und ihre Bemalung dauert Monate. Jede Einzelheit wie Farbe, Größe und Eigenheit der Figur hat ihren Sinn, da sie Charaktersymbole darstellen.

Ein vollständiger Spielsatz umfasst 400 – 500 Figuren. Jede ist in einen Stab aus Horn oder Holz eingeklemmt. Handwerker als Künstler führen die Arbeiten, am Boden hockend, aus.

Eine ebenfalls viel Geschick erfordernde Technik verlangt die Herstellung von Batikstoffen, gleichfalls eine traditionelle Spezialität Indonesiens.

Yogyakarta stellt also in jeder Hinsicht ein Juwel der Insel Java dar, dem für mich und die kleine Gruppe eine Tagesfahrt zum östlichen Ende der Insel folgt.

Wieder gleitet die Landschaft als wunderschönes, aber viel zu schnell verschwindendes Fließband am Bus vorüber… viele Kilometer lang.

Hinter Surakarta, der einstigen Hauptstadt des Königreiches Mataram ist Ostjava erreicht, ein Teil der Insel mit anderer Sprache und anderer Geschichte. Auch hier wieder Tempel, die zur Besichtigung verlocken inmitten eines Berg- und Vulkanpanoramas, das jede Minute in neuer Perspektive an uns vorüber zieht.

400 Kilometer sind es von Yogiakarta bis zum 1000 m hoch gelegenen Tretes, dem Tagesziel, wo nicht weit entfernt der Vulkan Bromo zu einer nächtlichen Besteigung einlädt, zumal oben ein Sonnenaufgang mit einmaligem Farbenspiel stattfinden soll.

Ein paar Leute entschließen sich zu der Tour, während ich lieber den Tag in Gedanken wiederholen und eine ausgiebige Nachtruhe genießen möchte. Steht uns doch danach ein besonderer Leckerbissen – der Flug zur Insel Sulawesi bevor.

Irgendwo im Umkreis von Tretes muss es auch gewesen, sein, wo vor Jahrzehnten die Überreste von Urmenschen gefunden wurden.

Eine lange und spekulative Odyssee waren den verblichenen Knochen jener unbekannten Vorboten unserer Spezies beschieden.

Der „Java-Mensch“ bescherte der Wissenschaft eine Menge Kopfzerbrechen. Um seine Einordnung ins Muster der Entwicklungsstufen, seine Herkunft, die Zeit seines Erscheinens wurde lange debattiert.

Hatte sich die Menschheit aus diesem Urmenschen in Asien entwickelt?

Auf einem im Meer versunkenen Kontinent gar?

Welcher Zusammenhang bestand mit den ein paar Jahrzehnte später entdeckten Gebeinen in China, dem Peking-Mensch?

Inzwischen scheint festzustehen: Die Geburtsstunde der Menschheit liegt doch in Afrika, bei den asiatischen Vorfahren handelt es sich um Homo erectus (aufrecht gehend) und er dürfte vor rd. Einer Million Jahren in Java herum spaziert sein.

Auf jeden Fall ein Fund aus den Tiefen der Zeit, der das vielfältige Puzzle an Bewohnern der Inselwelt über die wenigen noch vorhandenen Ureinwohnern hinaus, weiter abwärts verlagert, wo Äonen später Chinesen, Inder, Araber und schließlich europäische Kolonialherren die Völkerspirale in geschichtlicher Zeit aufwärts trieben.

Nur mit Handgepäck – der Koffer bleibt am Flughafen von Surabaya in Ostjava – steuern wir die Insel an, die einst Celebes hieß und wie eine Orchidee geformt, einen besonderen ethnologischen „Leckerbissen“ verspricht. Manche Leute vergleichen dieses exotisch geformte Gebilde auch mit einer Krake, die ihre Fangarme ins Meer ausstreckt.

Außer im Norden gibt es hier keine Vulkane, sondern Erosionskalk sei aus dem Ozean aufgestiegen. Aufgrund der Meerestiefen dürfte Sulawesi auch nicht wie die anderen Inseln vor Urzeiten mit dem asiatischen oder australischen Kontinent verbunden gewesen sein.

Wieder begegnet man nach Ankunft auf dem Eiland verschiedenen Völkern und Stämmen.

Im Süden haben sich die inzwischen islamisierten, einst gefürchteten und berüchtigten Seeräuber der Buginesen und Makassaren festgesetzt, von denen wir nur vom Bus flüchtige Blick erhaschen. Unser Ziel gilt dem Volk der Torajas, die von der Küste dereinst hinauf in die Berge vertrieben wurden. Woher sie stammen, weiß man wieder einmal nicht genau. Die Vermutung ist abermals Südchina vor etwa 4000 Jahren.

Berühmt bei den inzwischen zumindest offiziell zur Christenheit bekehrten, ehemaligen Kopfjägern ist ihr merkwürdiger Totenkult, der wohl einmalig in der Welt sein dürfte.

Im Gegensatz zu dem Volk der Bataks, deren Kultur sich im Wandel derzeit verwässert und viel von seiner Originalität verloren hat, konnte der Tourismus den Torajas nicht allzu viel anhaben, souverän dulden sie ihn auf ihrem Territorium und bleiben dabei im wesentlichen sich selbst treu.

Zunäch bietet die Fahrt an der Küste entlang mit hübschen Dörfern, eingerahmt von Palmen und Bananengewächsen, ein Flair, das an die Südsee erinnert. An einem Fluss schwimmt ein Bambusgestell für nächtlichen Fischfang mit Karbidlampen. Auf einem Feld findet gerade die Erdnussernte statt. Wieder am Meer, kurzer Stopp, bei dem sich sofort Kinder auf uns stürzen und um Bonbons betteln.

Schiffwracks tümpeln nahe am Strand im Wasser, dazu malen die Berge im Hintergrund eine tropisch üppige Szenerie.

Landeinwärts folgt eine Ebene mit ausgedörrten Feldern und verstreuten Dörfern. Hier leben hauptsächlich Markassen, die zusammen mit den Buginesen, die größte Bevölkerungsgruppe an den Küsten darstellen. Aus den skrupellosen Seeräubern sind strenggläubige Mohamedaner geworden.

Die Strasse zu den Torajas im zentralen Innern der Insel wird, je höher wir zu ihnen hinauf kurven, zu einer Buckelpiste, die uns in den dafür gewählten Mini-Bussen gehörig durchschüttelt.

In den unzugänglichen Urwäldern von Sulawesi sollen noch Restgruppen und Stämme bis vor wenigen Jahrzehnten als Jäger und Sammler in Höhlen gewohnt haben. Wahrscheinlich in entlegener, unberührter Natur, in die sich nie ein Fremder verirrt hat.

Bald wird es bei dieser 10- stündigen Fahrt dunkel und nimmt jede Sicht auf eine fraglos äußerst spektakuläre Umgebung.

Es ist ½ 10 Uhr als wir leicht ramponiert, in einem einfachen Cottage-Hotel etwas außerhalb des Marktfleckens Rantepao in etwa 1000 m Höhe, Quartier beziehen und uns für eine der am nächsten Tag stattfindenden Totenfeiern, an deren Zeremonie wir mit den Angehörigen des Verblichenen teilnehmen dürfen, in Gedanken vorbereiten können.

Wieder zeigt sich die Strasse zu dem Ort Saddan in ansprechender Landschaft mit von Bergen begrenzten Reisfeldern, als miserabel, dauert aber nur kurze Zeit, denn bald hält der Bus vor einem großen Platz, auf dem bereits ein lebhafter Betrieb herrscht. Niemand nimmt von unserer Anwesenheit Notiz.

Holzhäuser sind rund um dieses erhöhte, freie Gelände postiert, an dessen oberen Ende der Verstorbene in einem hölzernen Sarkophag, der die Form eines Schiffsrumpfes hat, ruht. Als Holzpuppe, mit den zu Lebzeiten getragenen Kleidern, präsentiert er sich daneben allen Verwandten und Gästen…

In diesem Fall handelt es sich um das Totenfest für den bereits vor einem Jahr dahin geschiedenen 80-jährigen Clanchef, der sorgfältig präpariert, warten musste, bis seine Familie alle Vorbereitungen für den Weg ins Jenseits erledigt hatten: zum Beispiel, die zu diesem weihevollen Anlass notwendigen Einladungen, die Büffelopfer und vor allem die Ausmeißelung des Grabes in einer steilen Felswand. Erst nach Überführung dahin, gilt er als tot.

Angebunden an Steinmalen, die verstreut im Terrain als Megalithen aus dem Boden ragen, harren ca. 20 wohlgenährte und gepflegte Wasserbüffel in stoischer Ruhe auf ihre Pflicht, dem Toten im Jenseits ein angenehmes Dasein zu schaffen. Sie sind Spenden aus Nachbardörfern und der Verwandtschaft. Um so mehr Büffel für ihn geopfert werden, desto besser wird sein „anderes“ Leben sein.

Die Tiere brauchen nicht zu arbeiten, sie werden als zukünftige Begleiter auf dem Weg der Toten, gehegt und gepflegt.

Man weist uns einen Platz in einem überdachten Bau – dem Gästehaus – zu und so können wir von dessen Balkon inmitten einer Vielzahl von Angehörigen und sonstigen Teilnehmern, gespannt den fremden Ritus verfolgen.

Ein geschäftiges, von Worten und Gesten untermaltes Hin und Her beherrscht die Szene unten am Platz.

Endlos lange…

Plötzlich sinkt einer der Büffel lautlos, wie vom Blitz getroffen, zur Erde… sofort wird das Blut in einem Bambusrohr aufgefangen.

Einige und auch ich steigen hinunter zum Tribunal… und tatsächlich das Töten der Tiere durch Schächtung, vollzieht sich bei den riesigen Bullen ohne Anzeichen vorhergehender Angst oder Schreien. Selbst wenn zweimal zugestochen wird, dringt kein Schmerzenslaut aus den Kehlen der Sterbenden.

Trotzdem wenden sich ein paar Leute unserer Gruppe angewidert von dem blutigen Schauspiel ab. Es fragt sich allerdings, ob die Tötungsmaschinerie von Tieren in unserer so zivilisierten Welt humaner abläuft… !?

Immerhin, heute werden nur sechs der abgestellten Büffel geopfert, die übrigen gewinnen noch eine Galgenfrist, bis auch ihnen dieses Los in den Dörfern bevorsteht, aus denen sie stammen.

Es wird genau Buch geführt von wo jedes Tier herkommt – auch Schweine sind willkommen – das zum Wohle des Dahingegangenen gebracht wurde, um beim nächsten Begräbnis über das „was“ und „von wem“, Bescheid zu wissen.

Wie es sich für Christen gehört, bekommt auch die Kirche, die klug und weise den ungewöhnlichen Totenbrauch toleriert, ihren Teil, in Form eines Büffels, ab.

Ehe das Fleisch – als nächstes Kapitel der Zeremonie – an die Gäste verteilt wird, verabschiedet sich unsere Gruppe, um die von Reisfeldern gesäumten Felswände zu besichtigen, die von üppiger Vegetation umgeben, recht merkwürdige „Friedhöfe“ darstellen.

In feierlichem Geleitzug werden die, nun nach dem eben miterlebten Ritual endgültig Verstorbenen, in vorher ausgehauene Felsnischen – meist ohne Holzsarg – versenkt, die danach sorgsam verschlossen, auf einem langen Balkon als lebensgroße, bekleidete Holzpuppen mit ernsten Gesichtern auf die Lebenden herunter schauen.

Oft grüßt eine größere Anzahl dieser „Tau-Tau´s“ von den Holzbalustraden eines Felsens die erstaunten Betrachter, während die Särge irgendwo in Aushöhlungen darunter vergammeln.

Eine Ahnengalerie besonderer Art, die den Gemäldegalerien europäischer Herrscher-Dynastien nicht nachstehen. Denn vor allem sind es die wohlhabenden Mitglieder der Torajas, die auf solche Art präsent bleiben.

Ebenso eigenwillig zeigen sich die Dörfer dieses seltsamen Volkes.

Auf steinernen Sockeln ruhende Holzpfeiler tragen das in drei Räume aufgeteilte Wohnhaus, das von einem weit auf die Straße ausladenden Dach in Form eines Schiffrumpfes getragen wird.

Die Fassade zieren geschnitzte und gemalte Ornamente, aber vor allem aufeinander gestapelte Büffelhörner. Sie sind der Beweis für die reichhaltig gespendeten Tiere und damit dem Reichtum seines Besitzers.

Irgendwie erinnert mich zumindest der Dekorschmuck an die „Lüftl-Malerei“ an Hausmauern in manch bayrischen Dörfern, drücken doch auch hier, am anderen Ende des Globus, die Torajas ihren Domizilen den Stempel von eigenbrödlerischer Originalität auf.

Und nicht genug der Seltsamkeiten, erlebe ich auch noch vor Verlassen der Insel einen Markttag etwas außerhalb des Städtchens Rantepao, bei dem es nicht nur äußerst geschäftig zugeht, sondern wo auch recht ungewöhnliche Dinge wie aus einer Flasche in Bambusrohre abgefüllter Palmwein verkauft wird, der sogar köstlich erfrischend schmeckt. In Bottichen schwimmen „Reisaale“ herum, in Blätter gehüllt wartet zusammengerollter Fisch auf Interessenten.

Ein Lastwagen bringt ganze Ladungen von verschnürten, lebenden Schweinen, die dann in offenen Hallen apathisch ihr Schicksal erwarten, während die kleinen Ferkel, als man ihnen Vorder- und Hinterbeine zusammenbindet, erbärmlich schreien und sich vergeblich gegen die Tortur wehren.

Auf der langen Fahrt zum Flughafen von Sulawesi, wo unsere Koffer bereits deponiert sind, offenbart sich diesmal bei Tageslicht die berückende Schönheit der Landschaft mit Palmen, Papaya- und Nadelbäumen.

Da leuchten auf den Hängen dicht an dicht, die an den Spitzen rötlich gefärbten Blätter des Nelkenbaumes, überziehen sie mit einem rosafarbenen Schimmer, ehe die holprige Strasse ins zerklüftete Gebirge hinein führt.

Nun registrieren wir auch das große Tor, das hübsch bemalt über den Fahrweg gespannt, die Grenze zum Toraja-Land markiert.

Erst kurz vor 9 Uhr abends startet nach stundenlangem Warten die Maschine zu meinem nächsten und letzten Höhepunkt auf Indonesiens Insel-Sammelsurium… Bali.

Verhältnismäßig jung und sehr klein erhebt sich dieses Bilderbuch-Eiland in unmittelbarer Nachbarschaft der großen Schwester Java aus dem Ozean. Aus geologischer Sicht jedoch wird es nur durch drei ziemlich flache Meeresstraßen vom malaiischen Festland getrennt, wodurch sich Flora und Fauna von diesem nicht wesentlich unterscheiden; zumal diese Senken im Laufe der Jahrmillionen immer wieder mal trocken gefallen sind.

Auch von seinem nahen westlichen Nachbarn Lombok unterscheidet sich Bali, da dieser Landfleck dereinst zum australischen Festland gehörte.

Ist schon eine schwierige Angelegenheit zu rekonstruieren, wie der „Insel-Trümmerhaufen“ Indonesien zustande kam und was zu wem gehörte.

Durch Bali jedenfalls verlaufen die australische und eurasische Platte, die sich aufeinander zu bewegen.

Auf engstem Raum wartet die kleine Schönheit mit 6 verschiedenen Vegetationszonen auf und seine Berge sind zum größten Teil Vulkane, die 3/4 der Insel bedecken. Der höchste mit 3142 Höhenmetern gilt bei den Balinesen als „Sitz der Götter“. 1963 ist er mit einer riesigen Eruption ausgebrochen und hat große Verwüstungen angerichtet.

Balis Landschaft ist die eine Komponente, seine Menschen die Zweite für sein perfekt komponiertes Portrait.

„Paradies-Insel“, „Insel der Götter und Dämonen“, „Insel des Lichts“, „Morgen der Welt“, „Insel der 10.000 Tempel“…

Alle diese Prädikate der Superlative, enthalten, wie mir scheint, ein Stück Wahrheit und betonen deren Einzigartigkeit.

89 % der Bevölkerung sind Balinesen. Außer in Indien und Nepal entfaltet der Hinduismus nur hier – nie vom Islam bedroht – in zahlreichen Heiligtümern das ganze Repertoire seiner Vielschichtigkeit und Pracht.

Religion ist Leben auf Bali und Leben auf Bali ist Religion. Ebenso bedeutet auch Essen Gebet.

Im 8. und 9. Jahrhundert hielt der Hinduismus seinen Einzug. Als erste Einwanderer vermutet man Menschen aus Südindien, die die Insel ca. 1500 vor Ch. besiedelten.

Das erste Königreich entstand 990 nach Ch.

Außerdem schlummert in den Charakteren der Menschen eine nie versickernde, künstlerische Ader, die selbst einfache Bauern zu kleinen Meisterwerken inspiriert.

Dieses immense Volumen an Kreativität äußert sich besonders durch Tanz und Musik. In zauberhaften Kostümen entführt das Programm oft in die Welt von guten und bösen Geistern, dekoriert von einer tropischen Bühne voll blühenden, duftenden Überschwangs.

Natürlich bleibt bei einer so schönen Kulisse nicht aus, dass sie heftig vom Tourismus bestürmt wird.

Das bringt den Vorteil einer hoch entwickelnden Hotelkultur mit allem Komfort und den Nachteil aufdringlichen Händler-Unwesens und Souvenir-Überangebot, woran sich jedoch das Gros der Einwohner nicht beteiligt. Ganz gleich bei welchen Gelegenheiten man mit ihnen zusammen trifft, zeigen sie Freundlichkeit und Würde.

Ob man ihnen bei den Tempelbesuchen, die hier so zahlreich zur Besichtigung verlocken, oder bei einer der mit feierlichen Zeremonien verbundenen Leichenverbrennungs-Prozessionen, begegnet… man wird nicht miteinbezogen, aber als Fremder gern respektiert.

Fast 200 Feste werden nach dem balinesischen Kalender, der 210 Tage umfasst, in den Tempeln gefeiert. Das wichtigste ist das Tempelfest, doch das größte Ereignis sehen die Balinesen in dem umfangreichen Ritus der Leichenverbrennung.

Bei mir werden die wenigen Tage, die ich in Bali verbringen kann, mit Sicherheit unvergessliche Eindrücke hinterlassen.

Ob im 1200 m hoch gelegenen Naturschutzgebiet des Brater-Krater-See in Bedugul mit einem Tempel am Ufer und einem kleineren im See, umgeben von blühenden Sträuchern und Bäumen…

ob im Dschungeldickicht des Affenwaldes von Sangeh – dem „heiligen Hain“ mit 2 Tempeln, wo sich Makakken herumtreiben und Scharen von Flughunden in den Urwaldbäumen hängen…

oder beim prachtvollen Sonnenuntergang am Tempel Tana Loth, der den Schutzgeistern des Meeres gewidmet auf einem mächtigen Felsblock vor der Südküste thront…

überall sind Götter und Geister gegenwärtig!

Auch in der Hauptstadt Denpasar fällt auf einer Kreuzung eine große, vielgesichtige Wächter-Statue auf, die den Verkehrsknotenpunkt vor bösen Geistern bewahren soll.

Besonders gewaltige Wirkung strahlen demnach natürlich die Komplexe der Staatstempel, wie der von Pura Taman Ayun, aus, mit reich verzierten Toren, zahlreichen Merus (Pagoden mit stockwerkartig aufeinander getürmten Dächern), zahlreichen Pavillons.

Beim ehemaligen Fischerort Sanur, der inzwischen zu einem Haupt-Tourisenzentrum avanciert ist, schockieren mich bei den Souvenirläden vor allem, die an Baumstämmen aufgehängten Panzer getöteter Schildkröten, für deren Erwerb sich jeder Käufer schämen sollte.

In der Nähe befindet sich ein Tempel in einem der wunderbar angelegten Reisfelder, der der Reis- und Fruchtbarkeitsgöttin Dew Sri geweiht ist.

In Kusanga soll der Goa Lawah-Tempel vor einer Höhle die darin zu Tausenden lebenden Fledermäuse beschützen. Gläubíge beten hier andächtig, ohne die neugierigen Fremden zu beachten.

Die Stadt Klungkung war das Zentrum der 300 Jahre herrschenden Gelgel-Dynastie. Ihr Palast wurde beim Aufstand gegen die Holländer schwer beschädigt, aber später wieder aufgebaut und restauriert.

Am eindruckvollsten sind darin die traditionellen Deckenbemalungen z.B. der Gerichtshalle, die figürliche Schreckensszenen demonstrieren. Interessant auch die Zahnfeil-Halle…

Den „Muttertempel“ aller 10.000 Heiligtümer präsentiert der Riesenkomplex von Besakih.

Er zieht sich am Hang empor, zu dem man steil bergan und über viele Stufen gelangt… mit Blick auf den Vulkan Gunung Agung.

Ausgerechnet, als hier das größte und heiligste Tempelfest, das nur alle 100 Jahre – nach balinesischem Kalender – gefeiert wurde, bebte am 17.3.1963 die Erde und riss 1500 Menschen in der Umgebung in den Tod. Sie starben durch die explosiven Gase, gemischt mit pulverisierter Asche und Lava, die als glühende Wolke den Hang des Vulkans herunter rollte.

Viele Dörfer wurden verschüttet, doch wie durch ein Wunder blieb der Tempel selbst weitgehend verschont. Kurz vor den Mauern des Komplexes soll der Lavastrom gestoppt haben.

Die Impressionen der Insel Bali wären unvollständig, wollte man nicht auch von ihren musikalischen Darbietungen berichten.

Zwei Mal hatte ich Gelegenheit an einem der, den Lebensweg des Inselvolks begleitenden Tänzen, teilzunehmen.

Jedes Dorf hat eine eigene Tanzgruppe und ein eigenes Gamelan-Orchester.

Im religiösen Tanz „Barong“ kämpft das löwenartige Fabeltier gegen die böse Hexe Rangda, wobei durch deren Zauberkraft, die männlichen Darsteller im „Affentanz“ in Trance fallen.

Noch okkulter geht es beim „Kecak“ zu, der von 100 Männern in der Dunkelheit vorgeführt wird. Sie sitzen in konzentrischen Kreisen auf der Tanzfläche, in deren Mitte Szenen des Ramayana-Epos ablaufen.

Beim Auftritt des Affengenerals Hanuman verwandeln sich die Tanzenden in eine Affenherde mit tranceartigen Bewegungen.

Wenn auch sowohl von der Musik – Gamelan bezeichnet deren Stil und Instrumente – wie auch vom Inhalt die Vorführungen, deren Ablauf in jeder Einzelheit nach alten, strengen Regeln erfolgt, für Europäer recht fremdartig anmuten, vermitteln sie einen wunderbaren Einblick in unbekanntes, von der Vergangenheit geprägtes Gedankengut.

Im Prinzip rückt die Handlung, den seit Urzeiten bestehenden Dualismus der Menschheit zwischen Gut und Böse ins Bewusstsein mit dem Wunsch das Niederträchtige zu bekämpfen und dem Wissen der Unerfüllbarkeit dieses Gebotes.

So klingt meine Reise nach Indonesien in einer Art Garten Eden aus, dessen Volk in seinem Glauben Glück und Frieden zu finden sucht und vielleicht auch in seiner Religion findet.

Doch was für Bali Gültigkeit haben mag, ist durchaus nicht auf den ganzen Archipel übertragbar.

Besonders auf der übervölkerten Hauptinsel Java, tobt hinter der blendenden Kulisse, die vor allem für Touristen mit Glanz und Luxus protzt, oft ein erbarmungsloser Kampf gegen die Armut und das nackte Überleben, mit Vierteln, in denen Straßenkinder ihr Dasein ohne Heim fristen und Slums für Unruhe sorgen.

Diese traurige Seite inmitten tropischer Fülle tritt nicht so sichtbar wie z.B. in Indien in Erscheinung, versteckt sich verschämt vor fremden Blicken und existiert doch neben dem schon schwierig genug zu verwirklichendem Motto „Einheit in der Vielfalt“ als düsterer Schatten einer permanenten Ungleichheit, die als grassierende Krankheit seit eh und je die Welt beherrscht.