Indien

Subkontinent zwischen Göttern und Atomtechnik

Die für November 1985 geplante und in Vorbereitung befindliche Reise mit Kurt – fast einer Expedition in eigener Regie gleichend – hat mir das Schicksal leider verweigert.

Allein, aber unter den Fittichen eines Reise-Veranstalters, verwirkliche ich im März 1986 das Projekt, das gemeinsam zu erleben, uns versagt blieb.

Indien also… immer noch ein geheimnisvoller Kontinent und einer von Asiens spektakulärsten Repräsentanten, mit uralter Tradition und Kultur, das nun von englischer Kolonialherrschaft befreit als Demokratie, mir ein besonderes Erlebnis verspricht.

Nicht als unabhängiger Globetrotter Indien zu durchstreifen, sondern einem Zeitdruck unterworfen, werde ich trotzdem bestrebt sein, dabei so viel wie möglich an eigenen Eindrücken, hinter den Kulissen des organisierten Programms, aufzuspüren.

Neu-Delhi ist am frühen Morgen nach einem 9-stündigen Flug über Moskau und Afghanistan – das wäre kürzer und sicherer als über Teheran, wo jetzt statt dem Schah, der aus dem Exil in Paris zurückgekehrte Ayatollah Khumeni, ein streng islamisches Zepter führt, erreicht.

Seltsam fremd und verlassen fühle ich mich inmitten der großen Menschenmenge, die vor dem Pass-Abfertigung-Schalter am Flughafen in Delhi ansteht. Eine Stunde lang… scheinbar haben die freundlichen Beamten noch etwas Schwierigkeiten mit der Handhabung des Computers.

Dann empfängt uns die Reiseleiterin… sehr angenehm, nur 11 Teilnehmer – 5 Ehepaare – starten mit mir zur Entdeckung des Subkontinent Indien.

Es ist März, die Luft diesig, der Bus, der uns ins Stadtzentrum befördert, klapprig…

Bettelnde Kinder klopfen energisch ans Busfenster, auf Gehsteigen hocken Frauen. Die breite Straße wird von grünen Sträuchern und Bäumen gesäumt, die von Blüten in allen Farben, überquellen.

Ziel ist das noble Sheraton-Hotel. Welch ein Luxus!

Nie haben Kurt und ich bei unseren Reisen, Komfort-Quartiere ausgewählt. Doch als Entschädigung für den Mangel an Zeit, scheinen solche Oasen der Bequemlichkeit, zum gehetzten Rhythmus der Besichtigungen zu gehören.

Das Pflichtprogramm läuft erst nachmittags an. So findet das Atemholen, die Akklimatisierung und das Beschnuppern des neuen Erdteils, nach dem rasanten Sprung von Europa nach Asien… im Hotelareal statt.

Ein von duftenden Blumenrabatten, Swimmingpool, Liegewiesen und Einkaufsarkaden herausgeputztes Gelände, durch das ein recht ungewohnt gekleidetes Publikum flaniert, empfängt mich.

Frauen in farbenfrohen Sari’s, mit einem rot leuchtenden runden Merkmal – tika – auf der Stirn… Männer vielfach mit kunstvoll gewundenem Turban um den Kopf, spazieren überall, scheinbar ziellos, herum.

Ein kleiner Raum im Foyer weist auf die Dienste, des hier amtierenden Astrologen hin…

Ein Parkett jedenfalls, auf dem sich eine privilegierte Gesellschaft bewegt!

Als die Uhrzeiger der „Verplanung“ mit der Stadtrundfahrt zu ticken beginnen, wechselt die Szene abrupt.

Vor allen „Sehenswürdigkeiten“ patrouilliert ein Heer von Händlern mit Ansichtskarten, Pfauenfedern, billigem Schmuck, etc., umschwärmt uns wie eine Schar Stechmücken. Bettler, oft Mitleid erregend behindert, Rudel von Kindern heischen um Almosen und Gaukler vollführen, überall wo ein Touristenbus hält, wie auf Bestellung, akrobatische Kunststückchen mit putzigen Äffchen oder locken mit Flötentönen, eine in einem Korb zusammen gerollte Kobra, zur Show.

Als erstes tauchen wir in Delhi’s Vergangenheit hinunter, denn der Boden dieser Stadt stöhnt immerhin unter der Last von Jahrtausenden. Hier wurden die wichtigsten, indischen Reiche gegründet, man zählt 15… die frühesten liegen teilweise im Bereich der Legende. 7 Dynastien errichteten in Delhi ihre Residenz – vor allem der Islam vergewaltigte das uralte hinduistische Erbgut und schuf neben alten Tempeln, prächtige Moscheen als Sieges-Monumente eines fremden Glaubens.

Das Gebiet von Lalkot im Süden von Delhi gilt als bedeutendste Ruinenstätte, wo sich auch alle Überreste aus der Zeit der islamischen Eroberung befinden. Es herrscht ein reger Betrieb in dem weitläufigen Gelände. Ganze Schulklassen tummeln sich zwischen ehrwürdigen Resten. Man weist uns darauf hin, dass die Säulen der einst so prächtigen Moschee, hinduistische Embleme zeigen, da die Moslem für ihren Bau, Steine von ehemaligen Hindu-Tempeln verwendeten. Besonders gut erhalten ist auch das dazu gehörige Minarett.

Als 8. Delhi in diesem „Rom Indiens“ gilt schließlich New Delhi. Als Erbschaft der britischen Kolonialherren, die der Stadt einen europäischen Stempel aufdrückten, wartet es mit breiten Straßen, Ministerien, eleganten Geschäften, Restaurants und schattigen Arkaden, auf.

Hier befindet sich auch ein neuer Tempel, der von der reichen Birla-Familie erbaut worden ist. Heute, Samstag, strömen die Menschen in Scharen zu diesem Hindu-Heiligtum, während davor Schlangenbeschwörer, Händler und Verkaufsstände, den Besuchern ihre Dienste aufdrängen. Vor dem Eingang hocken Leute am Gehsteig… was für eine fremde Welt stürzt da, gleich am ersten Tag auf mich ein… !

Wir erleben in diesem Konglomerat an Völkerschaften in nur 2 Tagen in Delhi, ein Eldorado an Baudenkmälern, verstricken uns fast im bunten Knäuel der indischen Geschichte, die sich auch mit einer Anzahl anderer Ruinen ins Gedächtnis drängt.

Eine Säule aus dem 4. Jhdt vor Chr. ehrt zum Beispiel den schillernden Herrscher Ashoka, der den Buddhismus förderte und überall im Land, an eine tolerante Epoche erinnert.

Das glänzendste Paradestück jedoch hinterließen die Mogulkaiser – die berühmtesten Baumeister aller islamischen Dynastien – mit dem Roten Fort.

Der, von Zinnen bekrönten Mauern und Bastionen abgeschirmte Komplex, präsentiert sich als riesige Stadt in der Stadt und offenbart in seiner Ausstattung zwar eine vergangene, aber fantastische Pracht, in der sogar einst der Pfauenthron seinen Platz gefunden hatte, ehe er 1738 nach Teheran verfrachtet wurde.

Abgesehen von der Repräsentationszone der Mogulen, entzückt mich besonders das Kleinod der „Perlmoschee“, die wir, dicht gedrängt zwischen Einheimischen, durch ein Einstiegsloch betreten. Welch‘ zauberhafte „Halskrausen“ aus weißem Marmor schmücken Hof und Gotteshaus! Aufgespaltet in filigranes Rankwerk schließen diese zierlichen Spitzenkragen das festlich, feierliche Gewand des Gesteins ab. Und wie strahlend erhellt die Decke, dieses wunderbare Heiligtum!

Auch in den Spiegelsälen, in denen zwar zwischen den Ornamenten die Spiegel fehlen, kann man sich deren Leuchtkraft inmitten des dunklen Silber der Umrahmung, gut vorstellen. Beim anschließenden Bummel durch die Hauptstraße Alt-Dehli’s ,Chandi Chouk – einst von Palästen gesäumt durch die, die Mogul- Fürsten zur Freitagsmoschee ritten – bleiben wir von Händlern und Bettlern verschont, da sich kaum Fremde hierher verirren. So erleben wir einheimisches Leben ohne Belästigung.

Immer wieder warnt uns die Reiseleitung vor Geldspenden, da besonders die Bettler vielfach organisiert wären und damit besser verdienen würden, als Bauern auf dem Lande. Oftmals schreckten sie sogar vor Verstümmelung ihrer Kinder nicht zurück, um an Almosen zu gelangen.

Heute sind die Prachtbauten aus diesem alten Viertel verschwunden. In den mehr oder weniger baufälligen Häusern, sind einerseits in den unteren Etagen Läden untergebracht, während auf der gegenüber liegenden Seite, eine Mixtur von Wellblechhütten und Buden vorherrscht. Da hocken zwischen allem möglichen Krimskram, Menschen… hier lässt sich ein Mann rasieren, dort wird irgend etwas auf offenem Feuer gegart und plötzlich werden wir sogar Zeugen einer religiösen Zeremonie unter einer überdachten Plane, bei der kniende Menschen in Andacht versunken, das Gewimmel auf der Straße, nicht wahrnehmen. Es soll sich um ein winziges Hindu-Heiligtum handeln.

Inmitten der Altstadt bietet die große Freitags-Moschee auf einer Anhöhe einen wunderbaren Anblick! Sie soll eine der schönsten der Welt sein… Stufen führen hinauf und vom großen Hof vor dem Eingang begeistert die Sicht auf das Treiben in der Altstadt und andererseits auf die roten Mauern der Festung. Erstaunlicherweise dürfen wir die Moschee betreten. Es wohnen vor allem Moslems in diesem Viertel.

Das verwirrende, vielgestaltige Antlitz Delhi‘ s verleitet zu der Frage, welche und wie viele Ahnherren eigentlich bei der indischen Komposition mitgemischt haben?

Doch je weiter der Blick in die Vergangenheit zurück wandert, umso schwieriger sind ihre Zeichen zu entziffern.

Archäologen haben mit der Entdeckung der Hochkultur von Harappa und Mohenjodaro ( im heutigen Pakistan ), die von 2400 – 1700 vor Chr im Indus-Tal blühte, Hilfe geleistet. Woran sie zerbrach, konnten auch sie nicht endgültig klären.

Haben sie die eingedrungenen „Arier“ auf dem Gewissen und zumindest Teile von ihnen nach Süden vertrieben?

Eine Spur dieser ersten hoch entwickelten Kultur findet sich immerhin noch im Wesen Indiens…

Das Hauptkontingent an Erbmaterial lieferten jedoch jene, den geheimnisvollen „Prä-Indern“ weit unterlegenen „Arier“, von denen man lediglich weiß, dass es sich bei ihnen um eine staatstragende Adelsschicht gehandelt hat, die um die Mitte des 2. Jahrtausends vor Chr. Im Norden Mesopotamiens und Syriens ansässig war.

Um 1500 vor Chr sollen dann diese „Arier“ von Afghanistan über den Hindukusch in Indien eingewandert sein und ihr „heiliges Wissen“ mitgeführt haben. Aus ihm entstand zwischen 1200 und 6000 vor Chr der „Wede“, der zu den ältesten Schriften des Hinduismus zählt. Verwandt sowohl sprachlich wie inhaltlich ist der „Weda“ mit der alten Literatur der iranischen Zarathusier und aus ihm entwickelte sich wiederum, die klassische Schrift- und Literatur-Sprache des Sanskrit, die Gelehrten- und heilige Schrift der Brahmanen, die bis heute eine Stellung einnimmt, wie lange Zeit das Lateinische im Abendland.

Nachdem das Kaleidoskop der Hauptstadt für unsere „Elfer-Gruppe“ gründlich durchforstet und „abgehackt“ worden ist, stehen uns in den folgenden Tagen diverse Flüge und Busfahrten bevor, obwohl wir damit auch nur kleine Ausschnitte aus dem großen Subkontinent Inden streifen können.

Auf der 200 km weiten Busfahrt nach Agra, führt uns das Land den Alltag außerhalb der Hauptstadt vor, der recht urtümlich anmutet. Die Straße wird vor allem von Lastwagen beherrscht. Fantasievoll bemalt und des öfteren mit einem schwarzen Lappen oder Schuh seitlich oder am Hinterteil des Wagens angebracht, baumelt der lustig im Fahrtwind hin und her. Dieses Maskottchen soll den „bösen Blick“ vor neidischen Kollegen bannen, denn die Vehikel bedeuten Kostbarkeiten für ihren Besitzer.

Dass Inder eine heimliche Liebe für schmückende Verzierungen hegen, habe ich bereits am Flugticket der Air India bemerkt. Eine Girlande verbrämte den nüchternen Schein und auch die Bullaugen der Maschine waren kunstvoll rot umrankt. Der Portier im Sheraton Hotel war als Statussymbol ebenfalls mit einer Art Maharadscha-Livree bekleidet.

Die Straße säumen beiderseits niedere, nach vorn offene Buden und Wellblechhütten. Manche ähneln Imbiss-Häuschen und tatsächlich können sich darin die Fahrer zwischendurch ein Schläfchen gönnen. Toiletten sind zwar nicht vorhanden, aber wozu auch… es gibt genügend freies Feld rundum.

Auch als unsere Gruppe während der Fahrt, ein solch‘ intimes Örtchen nötig hat, finden wir lediglich ein ummauertes Geviert, das höchst notdürftig vor fremden Blicken schützt.

Toilettenpapier bleibt den gehobenen Ansprüchen der Elite vorbehalten, für die niederen Kasten oder gar „Unberührbaren“ genügt die linke Hand, die daher das Prädikat „unrein“ trägt.

An den Straßenrändern finden sich immer wieder Kuhfladen, die zum Trocknen ausgelegt, ein wertvolles Sammelobjekt darstellen… zumindest für die „Mittelschicht“ der Bevölkerung. Oft transportieren Frauen den Dung am Kopf nach Hause. Die Reichen verwenden Kunstdünger, die Armen einfach gar nichts.

Plötzlich erzittert die Luft von Flügelschlägen und lautem Gekreische riesiger Vögel. Der Bus hält an. Eine Meute Geier rauft mitten auf der Straße um den Kadaver eines überfahrenen Hundes.

Die erste Besichtigung kurz vor Agra gilt dem Grabmal des, wegen seiner Toleranz hoch geachteten Mogulkaisers Akbar, inmitten einer Parkanlage, das mit wundervollen Einlegearbeiten, das Auge erfreut.

Affen – Lemuren – die davor in Scharen und ohne Ehrfurcht herum springen, zeigen uns ein schwarzes Gesicht.

Sie sollten wegen ihres schlechten Benehmens verbrannt werden, fanden aber Gnade, sodass jetzt nur noch ihr Antlitz, von der Frechheit zeugt.

Akbar baute Agra zur Hauptstadt aus, gab es später aber zugunsten eines anderen Herrschafts-Sitzes wieder auf.

Es folgt Agra… Hauptstadt der Mogulkaiser, bevor Delhi dazu ausersehen wurde.

Meine Güte… was für ein Gewirr und Gemenge von Menschen, Fahrrädern, Rikhsas, von Staub und Schmutz zerwühlt ihre Eingangspforte… !

Im Schritt-Tempo kriecht der Bus durch diese Stadt, die wegen des Irrenhauses, das in ihr Unterschlupf gefunden hat, einen schlechten Ruf genießt. Von hier zu kommen, gilt beinahe als Schimpfwort. Wir müssen die Brücke des Jamuna-Flusses passieren… Wasserbüffel stehen auf sandigen, ausgefransten Ufern und unweit davon beeindruckt uns das Grabmal von Itinad-ud-Daula aus weißem Marmor, herrlichen Intarsien und wundervollen Malereien, die das Innere zieren.

Während die Hindis ihre Toten an Flussufern verbrennen, bauten ihnen die Anhänger des Islam, prächtige Grabmonumente… zumindest den Staatsträgern.

Nochmals zurück durch Agra…

Eine Hochzeitsgesellschaft beansprucht mit Musik und großem Tamtam die Straße.

Männer in gelben und roten Uniformen, ein bunt aufgeputztes Pferd, das den Bräutigam zu seiner Auserwählten befördern soll – der aber infolge der Menschenmenge und des zügigen Vorbeimarsches ein Phantom bleibt – gleiten ähnlich einem Karnevalszug, an unserem Bus vorbei.

Am Flussufer herrscht reger Betrieb. Die Kaste der Wäscher übt hier ihre Berufspflicht aus.

Jetzt – also mehr oder weniger zwischendurch – beziehen wir wieder ein feudales Quartier für die Nacht, vor dem uns ein dekorierter Elefant und ein ebenso bunt ausstaffiertes Kamel begrüßen.

Nach dem schmackhaften Mittagsbuffet dort folgen die Höhepunkte des Tages und vielleicht der ganzen Reise… zuerst das Rote Fort!

Es glänzt noch brillanter in seinen künstlerischen Schmuckelementen, als das in Delhi…

Doch alles verblasst vor dem Weltwunder und Wahrzeichen Indiens… dem Taj Mahal!

Wir nähern uns diesem Pilgerziel der Inder und Besucher, zwecks Umgehung der ärgsten Händlerinvasionen, durch einen Seiteneingang und finden für die Beschreibung seiner Schönheit… einfach keine Worte!

Die Silhouette dieses Grabmals einer großen Liebe, strahlt in weißem Marmor wie ein leuchtender Stern hinter dem Grün einer gepflegten Gartenanlage, gegen das Blau des Himmels.

Der zweite Nachfolger des großen Akbar, Shah Jahan, unter dem die Bautätigkeit der Mogulen ihren Höhepunkt erreichte, ließ es für seine Lieblingsfrau Mumtaz-i-Mahal, die ihn als engste Vertraute überall hin, auch in Kriege begleitete und bei der Geburt des 14. Kindes starb, erbauen.

Das majestätische Konterfei des Monumentes spiegelt sich in einem künstlich angelegten Wasserlauf zwischen Rasenflächen, als Symbol für etwas Ewiges, Unvergängliches, alle Zeiten Überdauerndes.

Trotz der vielen Besucher, versetzt der Anblick der beiden Cenotaphe in einem, in mystisches Dunkel getauchten Raum, einen ehrwürdigen Schauer. Beide Ehrenmäler, der größere für Shah Jahan, der kleinere für Mumtaz, sowie die Wände ringsum sind mit prächtigen, in den Marmor eingelassenen Halbedelsteinen übersät und formen wundervolle florale Muster. Das, die Wände abschließende Gitterwerk, schwelgt darüber in fantasievollen Ranken.

Eine Treppe tiefer, in der eigentlichen Grabkammer ruhen die beiden Sarkophage für immer vereint, von ebensolcher, verschwenderischer, ornamentaler Zierde, umrankt. Angesichts der Großartigkeit dieses zentralen Baues, verwundert es nicht, dass die aus rotem Sandstein und ebenfalls mit Halbedelsteinen versehenen, Nebengebäude, wie zum Beispiel das, des Eingang-Baus, nur eine Statistenrolle spielen.

Leider wurde Shah Jahan in seinen alten Tagen, von einem seiner Söhne, Aurangez, abgesetzt und als Gefangener ins Rote Fort verbannt… Was ihm blieb war die Erinnerung und der ferne Blick über den Fluss, auf das grandiose Denkmal seiner großen Liebe, für das ihm kein Preis zu teuer gewesen war.

Sein Nachfolger Aurangez aber, entpuppte sich als fanatischer Moslem und vergrößerte die Kluft zwischen den beiden, so konträren Religionen von Islam und Hinduismus während seiner Herrschaft 1658 – 1707 beträchtlich. Bei einer unserer nächsten Stationen wird uns dies deutlich vor Augen geführt.

Infolge der großen Entfernungen in diesem Land, nimmt das Flugzeug als Transportmittel, einen hohen Rang ein. Leider zeichnet es sich durch notorische Unpünktlichkeit aus. So heißt es zumindest und wir stellen uns demnach auf längere Wartezeiten für den Flug nach Varanasi, dem ehemaligen Benares der Engländer, ein.

Aber siehe da, unser „Hopper“, mit denen die Inland-Flüge mit diversen Zwischenlandungen, von der Indian Air-Line betrieben werden, kommt pünktlich „angehüpft“ und nach nur einer Zwischenlandung, ist unser Tagesziel, sozusagen zu früh erreicht. Also wird uns eine „Sonderration“ Besichtigung als Ausgleich für die nicht eingetretene Wartezeit, geboten.

Eine Fahrt zum 10 km entfernten Sarnathan füllt die Lücke, wo uns zwar kein bauliches Relikt der einen oder anderen Glaubensrichtung erwartet, sondern ein speziell für Indien bedeutendes, religiöses Ereignis. Denn in Sarnathan hielt Gauthama Buddha, der um 400 vor Chr in Nordindien das Licht der Welt erblickte und zum Begründer einer weiteren Version über das Jenseits wurde, seine erste Rede nach der Erleuchtung und setzte damit das „Rad der Lehre“ in Bewegung.

Zwar konnte der sich immer mehr verbreitende Buddhismus, der sich bald nach dem Tode seines Begründers in zwei Richtungen – den Vertretern des großen und kleinen Rades – aufspaltete ( ersteres war vermutlich die ursprüngliche Form ), in Indien nie richtig Fuß fassen, da die unzähligen Hindu-Götter, zu tief in den Seelen der Menschen verankert waren.

In Sarnath begegnen wir jedenfalls in einem Museum einer Buddha-Plastik von vollendeter Schönheit.

Der Gesichtsausdruck dieses Buddha symbolisiert das im Falle der Erleuchtung versprochene „Nirwana“ – das niemand zu erklären vermag – als ein absolutes Losgelöstsein von der diesseitigen Welt, ein Jenseits auch von Gut und Böse.

Nach diesem Zwischenspiel erfolgt als Kontrastprogramm, die hautnahe Begegnung mit Varanasi (Benares), das wie kein andere Ort, alle Vorstellungen der Inder von Leben und Tod, widerspiegelt. Zu Fuß tauchen wir in den Straßen der Altstadt ins Getriebe der frommen Pilgerstadt ein, gehen in ihrem fließenden Rhythmus völlig auf und fast unter.

Mit 1 Million Einwohner wirkt Varanasi wie ein großes Dorf. In seinen Nebengassen wird das Geschiebe so bedrohlich, dass wir Mühe haben, einander nicht zu verlieren und völlig in den fremden Sog hinein gerissen zu werden.

Zwischen den Menschen, zwängen sich auch noch Kühe hindurch. Als Milchlieferanten spielen sie in Indien die Rolle der „Mutter Kuh“, sind Haustiere und würden auch bei größter Hungersnot nie geschlachtet werden. Sie besitzen die gleichen Rechte wie der Mensch, ja, vielleicht noch größere.

Wir erklimmen die schmale Treppe eines Hauses und können von dessen Balkon einen Blick auf den „Goldenen Tempel“, dem wichtigsten Heiligtum, nicht nur Varanasis, sondern ganz Indiens, werfen.

1776 von einem Maharadscha in Auftrag gegeben, wiegt das Gold seiner Verkleidung 820 kg. Mit prächtig ornamentierten Kuppeln, blendetet dieses Gegenüber unsere Augen.

Hinter ihm, kann man eine Moschee orten, die jener Hindu-feindliche Mogulkaiser Aurangzeb trotzig über den ehemaligen, alten Tempel errichten ließ und das wieder war der Grund, dass nach Ende seiner Herrschaft, ebenfalls aus Protest, der schillernde neue Bau entstand.

An den Fundamenten des alten Tempels, einem „heiligen Brunnen“ und einem mächtigen „Nandu-Bullen“, dem Reittier Shivas vorbei, winden wir uns durch labyrinthische Gassen und weiter die Treppen hinunter, zum wichtigsten der drei Verbrennungs-Ghats am Ganges-Ufer.

Linker Hand ist Holz aufgeschichtet – Stapel verschiedener Preisklassen – Sandelholz ist das teuerste.

Da Holz in Indien inzwischen rar geworden ist, denkt man an ein elektrisch betriebenes Krematorium, ist aber überzeugt, dass niemand davon Gebrauch machen würde.

Kinder unter 6 Jahren werden unverbrannt dem Fluss übergeben, ein Verfahren, dass früher auch Pocken-Toten widerfuhr. Das normale Zeremoniell bestimmt, den Verblichenen, in grünes oder oranges Leinen zu wickeln und auf Bambus-Stangen festzubinden. Ein männlicher Angehöriger bringt ihn zum Fluss, wo der Leichnam untergetaucht oder zumindest besprengt und dann auf den vorbereiteten Scheiterhaufen gelegt wird. Dabei muss die Schädeldecke geöffnet sein (wenn nicht von selbst, dann mit Hilfe eines Stockes), damit die im Gehirn sitzende Seele, entweichen kann. Anschließend wird die Asche des Verstorbenen in den Fluss gestreut.

Nur männliche Verwandte des Toten nehmen an der Zeremonie teil und der ihm am nächsten Stehende, lässt sich zum Zeichen der Trauer, den Kopf kahl scheren.

Wir verharren eine Weile am Flussufer. Zu unserer Linken brennen drei Scheiterhaufen. Eine Leiche wird gerade in den Fluss getaucht, eine andere auf den Scheiterhaufen gelegt. Der beißende Rauch des Feuers schlägt uns entgegen.

Alles spielt sich sehr natürlich und nicht ohne Würde ab. Filmen oder fotografieren, verbietet sich dabei von selbst.

Wer am Ganges stirbt, geht nach hinduistischem Glauben ohne Wiedergeburt ins „Nirwana“ ein.

Nichts krönt das Leben eines Hindi glorreicher, als der Tod am heiligen Fluss Ganges.

Wir spazieren noch eine Weile am Ufer entlang, ehe wir wieder die Stufen zur Altstadt empor steigen.

Es heißt, dass wer nach Varanasi pilgert, auf 4 Dinge achten muss:

die Prostituierten, von denen es nirgendwo so viele wie hier gibt, die Treppen, denn die sind steil, die Kühe, die sich überall herum treiben und die falschen Priester, die schon manchen frommen Pilger um Geld – da dieses meist locker sitzt – und sogar Leben gebracht haben.

So macht halt Schurkerei auch vor den heiligsten Orten nicht halt.

Wir sind inzwischen recht Fuß müde und dankbar für den Vorschlag per Riksha zum Bus zurückzukehren.

Der nächste Morgen entschädigt uns durch ein außergewöhnliches und spektakuläres Erlebnis für allzu frühes Aufstehen: eine Bootsfahrt am Ganges entlang der Ghats, in der Morgendämmerung.

2700 km windet sich dieser Fluss vom Himalaya im Norden bis zum Golf von Bengalen. Wir schippern dicht am Ufer vorbei, die aufgehende Sonne vergoldet die dahinter liegenden Paläste, die einst prachtvoll, während der islamischen Zeit vielfach niedergerissen und verkommen, nun ebenfalls vom leuchtenden Schein des Morgens verklärt werden.

Immer mehr Menschen steigen die Treppen zum Ostufer des Flusses hinab, um im Fluss ihr rituelles Bad zu absolvieren. Es ist die Göttin „Ganga“, die ihn gegründet hat und ihm ihren Namen lieh.

Drei Mal muss darin untergetaucht werden und die Frauen zelebrieren dies in ihren schönsten Sari’s.

Andere, vor allem Männer, nur mit einem weißen Tuch bekleidet, stehen entrückt und andächtig betend, fast bis zur Hüfte im Wasser.

Auf den Treppen, sitzen unter Schirmen Priester, die Gegenstände von Gläubigen segnen und außerdem als Heilkundige tätig werden.

Etwas entfernt davon, arbeiten Angehörige der Wäscherkaste, indem sie die Kleidungsstücke immer wieder auf einen, ins Wasser ragenden, Steinpodest schlagen.

Und zwischen all‘ dem Getriebe, tauchen immer wieder auf den Stufen Sadhu‘ s auf, erkennbar an dem mit Strichsymbolen bemalten Gesicht, dem langen, wirren Haar und dem weißen Lendentuch: vor allem aber an einem absolut abwesenden Gesichtsausdruck, der von der ihn umgebenden Welt, keinerlei Notiz nimmt.

Manche Badenden spülen sich mit Ganges-Wasser den Mund oder haben Gefäße bei sich, um dieses heilige Wasser mit nach Hause zu nehmen. Unbeirrt taucht ein Mann sein schreiendes Töchterchen vorschriftsmäßig 3 x in den Fluss.

Dabei sind diese heiligen Fluten alles andere als sauber. Ein Rätsel bleibt, dass bei dieser Beanspruchung keine Seuchen durch ihn verbreitet werden. Ein französischer Arzt hat einmal eine Wasserprobe direkt neben einem Pocken-Toten entnommen und in Paris untersuchen lassen. Erstaunlich… das Wasser war absolut keimfrei. Man vermutet, dass der Ganges irgendwelche keimauflösende Stoffe aus dem Himalaya, wo er entspringt, mitführt.

Als wir nach dieser unvergesslichen Boots-Tour, die Stufen eines Ghats hochsteigen, blockiert zwischen Pilgern, Priestern, etc. eine hellbraune Kuh, die soeben ein Kälbchen geboren hat, den Aufweg. Die Nabelschnur hängt noch aus ihrem Leib und das Kleine sucht auf wackeligen Beinen nach dem Euter der Mutter… der vermutliche Besitzer des „Haustieres“ , leistet dabei erfolgreiche Hilfe.

Zurück im Hotel, gibt es schnell noch das versäumte Frühstück und danach geht es sogleich ab zum Flughafen. Ein „Hüpfer“ befördert uns zur nächsten Station Bhubaneswar im Staate Orissa. Und trotz aller Unkenrufe, alles erfolgt wieder pünktlich. Das hat zur Folge, dass abermals ein „Extra“ notwendig wird. Immerhin, die Reiseleitung ist auf alle Überraschungen vorbereitet und bietet uns damit einen zusätzlichen Kontakt mit dem unerschöpflichen Indien.

Orissa zählt zu den weniger erschlossenen Staaten des Territoriums und seine Bewohner sind zu 25 % Stammesangehörige, die in eine Vielfalt von Sprachen und Kulturen unterteilt werden. In seinem abgeschiedenen, westlichen Teil, würden sogar noch Stämme, vor-arischen Ursprungs, leben… heißt es.

In Indien werden über 15 Sprachen gesprochen, die meisten bei den Bergvölkern im Norden oder nur lokal verbreitet. 15 Sprachen also, einschließlich Englisch, das von 87 % der Inder verstanden wird, sind anerkannt. Auch die Gelehrtensprache Sanskrit gehört dazu. Landessprache ist natürlich „Hindi!“

Das „Extra“ besteht aus einer 60 km langen Taxifahrt zum Tempel von Konarak, wobei uns die „Unterentwicklung“ des Distrikts als ziemlich unberührte Landschaft mit Menschen ohne Hast und Hektik begegnet. Es stellt in jedem Fall eine kleine Entschädigung dar, für den Besuch des berühmten Khajuraho-Tempel, der wie so vieles andere – zum Beispiel Rajastan und die Himalaya-Region, usw. – in unserem Programm fehlt.

Vishnu, der aus dem wedischen Sonnengott Surya erwuchs, gilt als Herr des Tempels von Konarak, der einsam in der Nähe des Ozeans emporragt und einen Spitzenplatz in der nordindischen Hindu-Architektur einnimmt.

Entstanden 1250, stürzte dieses gigantische Bauwerk bald danach ein und wurde – recht erstaunlich – erst von den Engländern wieder ausgegraben. Auf Sand errichtet, verlor es 7 m Höhe und auch das Areal, auf dem es sich nun erhebt, liegt unter dem normalen Niveau. Trotzdem ist seine Faszination überwältigend.

Der Tempel symbolisiert einen riesigen Prozessions-Wagen, wie sie bei den Tempelfesten verwendet werden.

12 große aus Stein ziselierte Räder von jeweils über 2 m Durchmesser tragen den Wagen, der von 7 feurigen Pferdepaaren aus Stein, gezogen wird.

Vom eigentlichen Wagen sind nur noch Rudimente erhalten, er galt als Symbol des Sonnengottes Surya, der damit seinen Weg gen Himmel zurücklegte. Wagen und Pferde stellten den Lauf der Sonne dar. Fast Lebens große Frauenfiguren in der oberen Hälfte, weiter unten zahlreiche kleinere, anmutigere Gestalten sind in diesen Figuren-Friesen versammelt und bieten dem Betrachter ein höchst erotisches, kunstvolles Spiegelbild von Liebespraktiken, wie es jenes älteste indische, vermutlich in den ersten, nachchristlichen Jahrhunderten entstandene „Kamasutra“, das „Lehrbuch der Liebe“ vermittelt.

Welchem Zweck dienten derlei Darstellungen?

Vielleicht, um die durch Kriege dezimierte Bevölkerung anzuregen… oder sollten die Figuren abschrecken und zu asketischer Enthaltsamkeit animieren… oder dienten sie einfach dem Motto, in Sachen Sex sei alles erlaubt… ?

Bei der Rückfahrt wird uns auch noch ein ein kurzer Halt im Ort Bhunbaneshwar gewährt, von dem wir in wenigen Schritten auf eine Balustrade gelangen, die uns einen Überblick in den großartigen, in ganz Indien berühmten Lingaraja-Tempel bietet. Der Eintritt ist uns zwar als Nicht-Hindis verwehrt, umso besser können wir die, von einer Mauer umgebene Anlage, von oben überschauen.

Es dämmert bereits, als wir den Flughafen für einen gemütlichen, etwas über eine Stunde dauernden „Hüpfer“ in einer Propeller-Maschine, nach Calcutta ansteuern.

Die überaus sinnvoll einkalkulierte Wartezeit zwischen 2 Flügen – sie hätte auch weniger attraktiv verlaufen können, hat jedenfalls den heutigen Tag mit einem echten „Leckerbissen“ gekrönt.

Calcutta – Gründung der Briten 1690… eine ausufernde Metropole am Golf von Bengalen!

Chaotisch, hoffnungslos überfüllt, laut und kontrastreich… so ihr miserabler Ruf!

Es herrscht ungeheure Geschäftigkeit in einer verwahrlosten Kulisse, in der ca. 10 Millionen Einwohner agieren, wobei alle 7 Minuten ein neuer hinzukommt.

Calcutta gleicht einer zu melkenden Kuh, betont der indische Reiseleiter während der Stadtrundfahrt… alle kommen, um sich zu bedienen, aber keiner will investieren.

Das ganze Elend der Teilung in West- und Ostpakistan (Bangladesch) müsste hier ausgetragen werden.

Flüchtlinge, vor allem aus Bangladesch füllten die Slums, in denen 1/3 der Bevölkerung Calcuttas lebt.

Eine Teilung, die nicht auf Konto der Inder, sondern ihrer ehemaligen Kolonialherren geht!

Organisierte Bettelei, korrupte Polizei, die von Schmiergeldern lebe und selbst vor Verbrechen nicht zurückscheue.

Ein trostloses Vokabular der Verworfenheit… und die Kehrseite: Calcutta ist der geistige Mittelpunkt Indiens. Hier gibt es nur 40 % Analphabeten, anderswo 60 %.

Dieses hohe Niveau beweist auch die Filmproduktion, die gegenüber der minderwertigen Ware von Bombay, brilliert.

Auf der Straße, durch die sich unser Bus quetscht, werden Rikschas vielfach von Menschen, aber auch von Pferden oder per Fahrrad gezogen.

An einem Hydranten waschen sich Leute, lachende Kinder bespritzen sich fröhlich.

Ein von Schmuck-Ornamenten überladener Tempel taucht strahlend weiß, in einer schönen Anlage zwischen all‘ dem Tohuwabohu auf.. Wir steigen aus… es ist ein Jain-Tempel!

Der Jainismus ist, wie auch der Glaube der Sikhs, eine der Reform-Religionen, dem heute etwa 1 ½ Millionen Menschen anhängen und von dem aus, wiederum 2 Sekten ausgehen. Die Eine lebt enthaltsam als vegetarische Asketen, die kein Tier tötet, die Andere soll zusätzlich nackt herumlaufen. Diese „Luft- Gekleideten“ sind vor allem in Südindien anzutreffen.

Die Jains, die übrigens Frauen, für nicht erlösungsfähig halten, sind Händler und neben den Parsen in Bombay die reichsten Leute des Landes, da sie genügsam leben und alles Geld in ihre Tempel stecken.

So wirkt auch dieses Heiligtum inmitten der verwahrlosten Umgebung mit seinen Edelsteinen und funkelnden Säulen und Spiegel, ziemlich deplatziert.

Ein anderes Portrait von Calcutta vermittelt die Weiterfahrt durch das einst britische Territorium, in dem die Straßen breiter sind und es ohne Turbulenzen zugeht.

Es ist feucht-heiß in dieser Stadt, die gigantisch in ihren Ausmaßen und ihrem Elend sich auf uns stürzt und uns mit einsaugt.

Auf einem überfüllten Marktgelände agieren voll Hast und Eifer, Träger, die das von begüterten Bürgern Eingekaufte, transportieren. Mitunter auch auf dem Kopf und angeblich wären 80.000 Menschen in diesem Metier tätig.

Einen recht abschreckenden Eindruck präsentiert uns der Kali-Tempel, den wir zwar wieder nicht betreten dürfen, aber auch von außen bietet die dort abgehaltene Zeremonie, keine reine Augenweide. Als Opfer für die Göttin Kali, die einen ziemlich zwiespältigen Charakter verkörpert, mal gut, mal grausam und für die, um sie zu beschwichtigen, entsprechende Gaben notwendig sind, werden täglich Ziegen geköpft. Ihr Fleisch gilt damit als geheiligt und wird sogleich an Gläubige und auch Bettler verteilt.

Als intellektuelles Zentrum Indiens, hat Calcutta immerhin 4 Nobelpreisträger hervorgebracht. 20 % der Bevölkerung sind gut situiert und 12 Familien reich wie Maharadschas.

Vor allem in Calcutta spiegelt sich die Diskrepanz einer zusammen gewürfelten Völkerschaft wieder, die in ihrer großen Masse, Jahrhunderte alten Traditionen und Gottheiten verbunden ist und einer wohlhabenden Intelligenz, die den Subkontinent in die Reihe der Atom-Mächte und deren zweifelhaften Fortschritt eingliedert. Sowohl Indien wie auch Pakistan verfügen über die verheerendste Waffe, die Menschen zu ihrer eigenen Vernichtung erfunden und hergestellt haben – der Atombombe.

Von Eindrücken und Informationen benommen, erreichen wir mittags total verschwitzt, unsere Hotelenklave im Herzen der Stadt.

Den freien Nachmittag widme ich dem sehr interessanten archäologischen Museum, das nur ein paar Straßen entfernt liegt und danach dem Markt in einer Parallelstraße. Gemächlich bummle ich durch den Trubel, der an mir vorbei flutet. Krüppel, von Lepra oder sonstiger Krankheit zerstört, in Lumpen gehüllte Gestalten und zwischen ihnen unbeeindruckt und stolz, ziehen Frauen, in fantasievolle Sari’s gehüllt, an den Marktständen mit üppigen Angeboten aller Art, entlang.

Seltsam… die Atmosphäre hier wirkt gelassen, fast heiter. Selbst aus den Gesichtern der Geplagten, Verfemten spricht kein Aufbegehren, keine Anklage. Fast scheint es, als würden sie trotz aller Mühsal, das Leben auch in seiner miesesten Form akzeptieren. Entspringt dieser Fatalismus, diese Ergebenheit, dem unerschütterlichen Glauben an ihre Götter..?

Bereits auf der Fahrt durch diese unkontrollierbare Stadt fiel mir dieses Verhalten auf: bei den Kindern, die lachend im und mit dem Wasser pritschelten, bei den Rikhsa-Kulis, die ihre Kunden schwitzend und keuchend, aber willig, im Laufschritt durch das Gewühl der Straße steuern, bei den Menschen, die in schäbigen Zelten hausen, in Slums, wo Dreck und Unrat die Wellblech-Hütten umrahmen… im Vergleich dazu leben manche Katzen in Europa fürstlich!

Gewiss, es sterben in Calcutta Menschen auf der Straße. Auch das wird scheinbar als unabänderliches Schicksal hingenommen und gehört eben zu so manchem Dasein.

Am folgenden Morgen starten wir zu einem nächsten „Hüpfer“, der eine etwas weitere Entfernung zu überwinden hat.

Mit dem Ziel Hyderabad ist eine Richtungsänderung nach Westen verbunden. Schon dem Süden zugehörig, beschert uns die Stadt weiter zunehmende Temperaturen und wir sind dankbar, dass uns nach dem Hexenkessel Calcutta, hier erst einmal ein Nachmittag im blühenden Garten des Hotels ohne Programm vergönnt ist.

Erst der nächste Tag macht uns mit dieser doch recht großen Festungsstadt am Rande des Dekhan – was in der Sprache des Nordens, bereits den Süden bezeichnet – bekannt.

Das bedeutendste Wahrzeichen der vorwiegend moslemisch geprägten 1 ½ Millionen-Einwohnerstadt, ist das Car Minar… ein Bau mit 4 Türmen, der sich in 4 Bögen über quadratischem Unterbau in 4 Himmelsrichtungen öffnet.

Natürlich besteigen wir ihn… ihm folgt ein ausgiebiger Bummel durch die Altstadt, der uns lebendige Einblicke in den Alltag vermittelt.

So sitzen beispielsweise Männer auf dem Gehsteig und besticken in aller Öffentlichkeit wertvolle Seidenstoffe.

Im Bazar begegnet uns eine auffallend bunt gekleidete Frau, die offensichtlich bewundert werden will und auch nichts gegen die sofort gezückten Fotoapparate einzuwenden hat. Angeblich eine Zigeunerin aus Rajastan, erzählt man uns.

Einen interessanten Schwerpunkt in Hyderabad setzt vor allem das Museum des steinreichen Nizam Young, das eine reichhaltige und kostbare Privatsammlung zu bieten hat. Bereits abends wird dann das nächste Ziel, wie fast immer per Flug, angesteuert: Madras.

Nun sind wir in Südindien und diese 4-Millionen-Metropole mit viel Grün und Blumen aufgelockert, stellt die „Nummer 4“ im Reigen der großen Städte des Landes dar.

Nur ein Tag, voll ausgefüllt mit Unternehmungen, soll uns in tropischer Hitze, Madras und seine Umgebung näher bringen.

Zuerst wird eine Krokodilfarm besucht, wo uns auch eine Vorstellung demonstriert, auf welche Weise, das Abzapfen von Gift bei Kobras stattfindet.

Nach dieser Einleitung, erfüllt die Besichtigung der Tempelanlagen von Mahabalipurnum das Hauptkontingent des Plansolls.

Im 7.Jahrhundert erbaut, zählen sie zu den ältesten in Indien mit dem größten, aus dem Felsen heraus gehauenen, Reliefbild der Welt – 9 m hoch, 27 m breit… vollgefüllt mit Reliefs von Menschen, Tieren, Göttern und Fabelwesen.

Bei der immensen Größe des Tempelbezirks müssen wir die Entfernungen zwischen einem Kultbau zum anderen, per Bus bewältigen, wo uns bei jedem Halt Händler und Bettler, zu erdrücken drohen.

In einem Höhlentempel präsentiert sich Krishna als Hirtengott. Immer wieder verwirrt mich das indische Götter-Panorama, dessen Bedeutung mir sehr fremd entgegen tritt und da ich es nicht zu verstehen mag, bleibt nur der Respekt und die Achtung vor dieser uralten Kultur und das Staunen über ihre künstlerische Ausdruckskraft.

Vom Leuchtturm auf einem Hügel bieten sich herrliche Blicke auf die Felsen und das Meer.

Auch Dörfer befinden sich im Tempelbezirk, wo unbekümmert das alltägliche Leben abläuft und Heiterkeit das bunte Treiben begleiten, während an anderer Stelle, von einer Gruppe Männer, in mühevoller Arbeit, Steine behauen werden.

Auf einem der Haltepunkte, nähert sich unserem Bus eine Frau, die ihren Mann, dem beide Arme und Füße amputiert sind, auf dem Rücken trägt… Ein erschütternder Anblick… und trotzdem, wir sind angehalten, nichts zu spenden…

Was für Calcutta am besonderen gilt, dürfte auch anderswo seine Berechtigung haben: man könne sehr wohl in dieser Stadt leben, man müsse nur wegsehen können und das europäische Mitgefühl ablegen!

Den Schluss der Tempelbesuche bilden die 5 Rathas… das sind Tempelwagen, die wie Häuser aussehen. Im Mittelgang vor diesen „Häusern“ stehen Tiere aus Stein: Elefant, Stier, Löwe, etc.

Man nimmt an, dass die Form dieser Rathas, die aus einem Block gemeißelt sind, als Modelle für die Herstellung von Tempelwagen dienten. Mahabalipurnam zählt jedenfalls zu den schönsten architektonischen Stätten, die Indien zu bieten hat.

Nach dieser ausgiebigen Besichtigung befreit uns auch eine gehörige Müdigkeit nicht vom weiteren Programm in der Stadt Madras.

Nach dem Bronze-Museum folgt die englische Enklave Georgetown, ein Stadt-Distrikt der „Weißen“ mit dem Fort George und seinem Museum… danach der 10 km lange Marine-Drive zur katholischen St. Thomas-Kathedrale, wo im Jahre 50 nach Christi, der Apostel Thomas angeblich gepredigt und auch den Märthyrertod erlitten hätte.

Es hilft nichts, trotz bleiernem Schlafbedürfnis, müssen wir diese Pflichtübungen absolvieren.

Da verkündet plötzlich die Reiseleiterin, dass heute ein Tempelfest zu Ehren des Elefantengottes Ganesh stattfindet und der für ihn zuständige Mylapore-Tempel nicht besucht werden könne.

Blitzartig wachen wir aus unserer Lethargie auf… was für eine unerwartete Gelegenheit, die darf keinesfalls verpasst werden, ist sich unser Elfer-Team sofort einig! Natürlich können wir einer solch‘ langwierigen Zeremonie nicht zur Gänze beiwohnen, aber ein einstündiger Bummel inmitten der Vorbereitungs-Aktivitäten, wird uns genehmigt.

So starten wir unseren Streifzug mit der deutschen Führerin vorneweg und dem indischen Begleiter als Schlusslicht und stecken sehr bald in einer riesigen Menschenmenge, von der wir ganz im Rhythmus derer Schritte, vorwärts geschoben werden.

Auf diese Art passieren wir den überdimensionalen Tempelwagen, ausgestattet mit Monsterrädern und Pferdefiguren, der dann später von unzähligen Männern, auf dem Prozessionsweg, zum Tempel gezogen wird. Vorbei an alle möglichen anderen Gefährten, an Baldachinen, meditierenden Indern… an Priestern, die Düfte zerstäuben, zieht uns das mystisch-magische Treiben in seinen Bann.

Da werden mitten auf der Straße, Kokosnüsse als Opfergaben zerhackt, auf Balkonen und Dächern drängen sich die Leute Kopf an Kopf, um aus luftiger Höhe, das Spektakel zu überblicken.

Während die männlichen Teilnehmer fast in Trance ihre Andacht verrichten, schreiten die Frauen in prächtigen Sari’s, mit im schwarzen Haar verwobenen Blumengebinden, dem Anlass gemäß, feierlichen Schrittes, einher…

Auf uns wirkt alles wie ein fremder, exotischer Traum, der jedes arabische Märchen aus 1001-Nacht übertrifft. Verwirrend und faszinierend zugleich.

Und dabei hat die eigentliche Prozedur noch gar nicht begonnen… Schon ist unsere Stunde um und wir biegen in eine Seitenstraße ein, um per Bus ins Hotel gebracht zu werden…

Da fesselt uns eine Szene, von der wir nicht wissen, ob sie echt ist, oder nur die Ausgeburt eines Tricks darstellt.

Umgeben von einer Schar Musikanten, tanzt eine junge Frau mit geschlossenen Augen zu diesen Klängen und – oh Schreck – unterhalb ihrer Nasenflügel ragt einige Zentimeter weit ein durch die Haut gebohrter Spieß.

Angesichts des in den Himmel ragenden „gopura“, dem über und über mit Figuren beladenen Turm des Tempels, zwängen wir uns mühsam durch das Menschengewühl, um im Hotel diesen unglaublich eindrucksvollen, sehr anstrengenden Tag ausklingen zu lassen.

Schon am nächsten Morgen bringt uns der Flug – der wievielte ist es wohl? – nach Madurei.

Wir sind damit fast am südlichsten Zipfel des Subkontinents angelangt, in einer Stadt, die mindestens 2500 Jahre, wahrscheinlich aber sogar 3500 Jahre alt ist.

Und wieder handelt es sich um eine besonders pikante Rosine, die man für uns aus dem großen Kuchen Indien herausgepickt hat. Ihre Besichtigung folgt direkt dem Ausstieg aus dem „Hüpfer“.

Die Wartezeit vor einer geschlossenen Bahnschranke, verzögert das Programm ein wenig.

Wir beobachten derweil Büffel, die im nahen Fluss baden und beneiden sie sehr, denn es ist arg heiß, aber nicht mehr ganz so feucht wie in Madras. Auch registrieren wir, dass hier die Hörner mancher Zugochsen wunderschön bemalt sind und ein Karren, voll bepackt mit Frottee-Handtüchern, wartet gleich uns, auf die Weiterfahrt.

Ernst wird es dann mit den Besuchs-Pflichten im Königspalast der Naysaks-Dynastie, in dessen Räumen wir die besonders schöne Decke eines Saales, bewundern. Während der Regierungszeit dieser Dynastie entstand 1634 der berühmte Minakshi-Tempel in der Stadtmitte. Ihm gilt unser Haupt-Augenmerk. Um ihn herum, entzückt uns erst einmal der Bazar, der die gesamten Straßen vor dem Rechteck und um den Tempel beherrscht.

11 Gopuras – mächtige Tempel-Türme – ragen überaus reichlich mit Figuren geschmückt hoch und sind bereits von weitem sichtbar.

Immerhin handelt es sich um den reichsten Hindu-Tempel Indiens.

Außerdem verkörpert dieses Zentrum eine ganze Tempelstadt, die sich da mit verschiedenen Umgängen, einem Tempelteich und immer wieder Arkaden mit prächtig skulptierten Säulen, vor unseren Augen entfaltet. Alles Leben in diesem Areal spielt sich dabei im Halbdunkel ab. Menschen knien vor Götterbildern, andernorts wird der Affengott Hanuman mittels Papierstreifen um irgendwelche Hilfen gebeten… nur zu den Hauptgöttern Minakshi und Shiva dürfen wir nicht vordringen.

Geweiht ist der Tempel, der vor-arischen Göttin Minakshi, die dann in hinduistischer Zeit, zur Gattin Shivas avancierte.

Von einer Anzahl Leute umringt, lässt sich in einer der Arkaden ein Brautpaar in den Ehestand hinein katapultieren und an einer Ecke erstaunen zwei riesige Götter-Statuen – Shiva und Kali; letztere mit Butterkügelchen beschmiert, die im Bazar gekauft werden können.

Wozu dient dieser seltsame Verputz? Ja, Kali hat eben in ihrem Übermut, stolz ihre Tanzkünste dem Gott vorgeführt und da eine Frau nicht stolz sein darf, hat Shiva sie als Besser-Könner übertrumpft, worüber Kali empört war. Also bewirft man sie mit Butterkügelchen, denn diese beruhigen aufgeregte Gemüter.

Der Saal der 1000 Säulen mit herrlichen Skulpturen ist inzwischen Museum geworden und in seiner mystischen Atmosphäre begegnet uns Ganesch, der Elefantengott neben vielen anderen Statuen an Säulen,sowie in Vitrinen. Hier herum zu streifen, verhilft zu einem einzigartigen Erlebnis, nur leider fehlt eben im Museum das alltägliche Milieu hinduistischer Gläubigkeit, das zwar Kunstgenuss, aber nicht wie außerhalb, das Leben porträtiert.

Den Schlusspunkt im Tempelbezirk setzt der Blick von der Dachterrasse eines Geschäftes, auf einige der Tempel-Türme mit den insgesamt 50.000 darauf verewigten Figuren und Fabelwesen, den diese uralte Tempelstadt, die zu den ältesten der Welt zählt, bietet.

Nach einer Verschnauf-Pause am Nachmittag, werden wir nochmals zu Zeugen eines für Nicht-Hindis höchst ungewöhnlichem Ritual gerufen. Denn jeden Tag um ½ 10 Uhr findet im Tempel die „Schlaflege-Zeremonie“ des Götterpaares statt, an der wir teilnehmen dürfen.

Ein wahrhaft seltsamer Brauch, der viel Zeit in Anspruch nimmt.

Zuerst wird Shiva aus seinem Schrein geholt und für die Nacht, die er bei seiner Gattin Minaskhi verbringt, zurecht gerichtet.

Es geht sehr feierlich zu: Brahmanen, kenntlich an Schnüren um den Hals, eilen, von ihrer Wichtigkeit überzeugt, herum.

Natürlich spielt sich auch jetzt alles in mystischer Dunkelheit ab… nur die Neon-Lampen mit ihrem kalten Licht über den Götter-Schreinen, stören ein wenig das festliche Gehabe.

Dann beginnt das Zeremoniell…

Fackelträgern folgen Männer, die in einer Hand mit Kerzen bestückte Leuchter halten und die mit einem Vorhang abgeschirmte Sänfte des Gottes wird zum Schlafgemach der Minakshi getragen… links und rechts von ihr, fächeln zwei Begleiter mit rhythmischen Bewegungen dem Geleit Luft zu. Dabei wird gebetet und gesungen… eine eintönige Litanei, die mich stark an katholische Prozessionen erinnert.

Gläubige werfen sich während dessen immer wieder zu Boden. Viele haben weiße Lilien auf die Stirn gemalt… ein Vater drückt seinen Sohn drei Mal zur Erde nieder.

Dann verschwindet die Sänfte im Schrein der Minakshi und der „Zauber“ ist zu Ende. Die Uhr zeigt 12 – Mitternacht!

Jeden Morgen wiederholt sich das Ritual in umgekehrter Folge.

Das erleben wir allerdings nicht mit, denn da starten wir bereits zum Flughafen.

Am Weg dahin, wird uns ein zusätzliches Schauspiel geboten.

Ein farbenfroh geschmückter Elefant vor einem großen Festwagen verkündet, dass hier dem Gott Vishnu mit einer Prozession gehuldigt wird.

Unser Ziel ist Bangalore, wo wir nach einem Zwischenstopp in Cochin, landen. Diese Stadt war englisches Hauptquartier in Südindien. Für uns hält sie heute lediglich ein ausgezeichnetes Mittagessen im Flughafen-Restaurant bereit. Denn danach geht es in einem fürchterlichen Rumpelkasten von Bus, gleich weiter in Richtung Mysore.

Unterwegs nehmen wir, wie üblich, noch „Etwas“ mit – dieses Mal die Besichtigung des Palastes sowie des Mausoleums von Sultan Tipu Ali – ein Überbleibsel moslemischer Herrschaft – der von den Engländern getötet wurde. Vom ehemaligen Fort, wo die entscheidende Schlacht stattfand und das die Briten 1799 nur durch Verrat erobern konnten, sind nur noch Reste übrig.

Die Holperfahrt schüttelt sämtliche Glieder durcheinander, ehe wir außerhalb des hübschen Städtchens Mysore mit vielen palastartigen Gebäuden und Blumengärten, im Gästehaus des Maharadscha einquartiert werden.

In diesem gediegenen Ambiente, wo einst auch der deutsche Bundeskanzler Carstens logierte, fühlen auch wir uns ein wenig, der Feudal-Gesellschaft zugehörig.

Die Erkundung von Mysore folgt am nächsten Morgen.

Der 1000 m hohe Chamud Hill präsentiert uns einen, der Stadtgöttin geweihten Tempel… ein Stück weiter, den mit frischen, gelben Blumen-Girlanden behangenen, mächtigen schwarzen Nandi-Bullen.

Äffchen demonstrieren in den Bäumen, oberhalb dieses typischen, indischen Symbols, ungeniert ob der Heiligkeit des Platzes, ihre akrobatischen Kletterkünste… Etwas entfernt, erkennt man unter einer Zeltplane hockend, einen Sadhu mit langem, wirren Haar… bewegungslos und geistesabwesend. Was mag in seinem Gehirn vor sich gehen?

Es folgt der Besuch des skurrilen Palastes des Maharadscha, der zu 40 % Museum ist (wodurch Geld in die fürstliche Kasse fließt). 1947, nach dem langen Freiheitskampf der Inder und der endlich erlangten Unabhängigkeit, wurden die Ländereien der Maharadschas enteignet, nur die Paläste blieben ihr Eigentum. Doch diese zu erhalten, war meist nicht möglich.

Nachdem der Maharadscha von Mysore während seiner Regierung sehr viel Gutes für das Volk getan hatte, wurde er als Gouverneur eingesetzt und wohnt nun mit Familie und Dienerschaft in den verbliebenen Palasträumen.

Die Begegnung mit soviel Pracht und Verschwendung,, stellt für mich, den kaum nachzuvollziehenden Beweis eines ins Überdimensionale gesteigerten Luxus, dar.

Um so ernüchternder ist, nach Rückkehr ins Gästehaus die Feststellung, dass mein Koffer, der bereits für die Rückfahrt nach Bangalore fertig gemacht werden musste, sich auf einer Seite nicht schließen lässt.

Vermutlich hatte das herrschaftliche Personal, darin etwas zu finden gehofft und ihn vergeblich zu öffnen versucht. Bei so unbedeutendem Publikum, wie dem einer Reisegruppe, sah man sich offenbar nicht gezwungen, seine Neu- und Begierde zu unterdrücken.

Trotzdem, wir müssen weiter… Bangalore erwartet uns für die nächste Nacht… Wieder unter den Qualen eines rüttelnden und schüttelnden Busses, holpern wir dahin zurück.

Aber ein besonderer Leckerbissen unterbricht dazwischen auch diese Tortur – der Tempel von Somnathapur!

Was für ein außerordentlicher Kunstgenuss!

Der Reichtum an Skulpturen, kennt bei dieser 1260 erbauten Anlage, keine Grenzen…

Zahllose Figuren veranschaulichen die Mythen der großen hinduistischen Epen.

Das Bauwerk, aus Kreis und Quadrat entwickelt, umfasst die Plattform mit dem Haupttempel und den ziemlich 12 x 12 Achsen einnehmenden Hof-Abschnitt, in dem sich 3 gedrungene, pyramidale Türme mit den Schreinen erheben.

Die selbst für Indien überwältigende Schmuckfülle dieser Anlage war nur möglich, da sich der örtliche Speckstein leicht formen lässt und sich erst nach der Verarbeitung, in der Luft erhärtet.

Die Rüttelei geht weiter, bis wir uns wieder bei einer Seidenraupen-Produktionsstätte, unter Maulbeerbäumen, kurz erholen können.

Ebenfalls ein seltener Anblick, den die unzähligen Kokons am Gitter eines Holzrahmens bieten und einen Beweis für den Fleiß der Raupen liefern… denn für einen einzigen Sari, der immerhin 6 m Stoff benötigt, werden 50.000 Kokons verarbeitet.

Dass Bangalore außer Blumen und großen Gebäuden auch von viel tristen Industrie-Vierteln umgeben ist, erkennen wir auf der Fahrt zu unserem Hotel.

Meine erste Aufgabe im Nachtquartier ist… irgendwie den Koffer öffnen, um an die notwendigen Utensilien für den Schlaf zu kommen.

Reisekollegen und Hotelbedienstete versuchen zu helfen… vergeblich… das Schloss muss aufgebrochen werden und mit geliehenem Gurt wird mich eben mein notwendiges Gepäckstück, etwas ramponiert, aber vollinhaltlich, am nächsten Morgen begleiten.

In Goa erwarten uns schließlich noch zwei „programmlose“ Tage!

Unsere Unterkunft nach dem kurzen Propellerflug dahin, stellt sich als „traumhaft“ vor… ein von Palmen gesäumtes Tropenparadies am indischen Ozean!

Es ist der 27. März… Geburtstag von Kurt – der 68te wäre es…

Der Tag soll ihm gewidmet sein.

Was gäbe es alles zu diskutieren über dieses vielschichtige, mit Problemen beladene und doch so faszinierende Land, das durch die Kolonialmächte zu allem Überfluss auch noch in Pakistan auf der einen und Bangladesch auf der anderen Seite, zerrissen worden ist.

Nicht nur seine uralte Religion mit dem Kasten-Unwesen, das Mahatma Gandhi abzuschaffen versuchte, auch die immense Über-Bevölkerung, die der Sohn Indira Gandhis – der Tochter Nehrus – ebenfalls gewaltsam, aber vergeblich zu drosseln bemüht war, schnüren das Riesenpaket an Plagen, das der nun selbständige Subkontinent auf seinen Schultern zu tragen hat.

Zwar wurden, wie von allen Kolonialmächten „Fortschritte“ importiert, im übrigen aber und vor allem in die eigenen Taschen investiert.

Gebote werden erlassen und nicht befolgt.

Das Recht der Frauen gegenüber dem Mann, kann ebenfalls kein Gesetz erzwingen. Immer noch gilt es als Strafe der Götter, als Mädchen geboren zu sein und in abgelegenen Gegenden lassen sich auch heute noch Witwen lieber mit dem toten Mann verbrennen, als die Schande seines Hinscheidens, als Schuldige dafür, ertragen zu müssen.

Und trotzdem dieser Subkontinent, immer wieder von Fremden… Arabern, Europäern überfallen und erobert wurde, sucht seine zwar kleine, aber hoch begabte, ein wenig arrogant wirkende Elite, den Weg in die Zukunft zu finden und meldet seine Ansprüche auf Mitwirkung im Welttheater lautstark an.

Die Zeichen stehen auf Aufbruch…

Wird er gelingen oder bleiben Lethargie und Fatalismus der Massen, sein katastrophaler Hemmschuh… ?

Der Begrüßungstrunk, der uns bei Ankunft im Hotel kredenzt wird – ein köstliches Glas Wein – erinnert daran, dass Goa eine Enklave der Portugiesen in Indien war. Im übrigen Land sind derlei Getränke ein fast unbezahlbarer Luxus.

Abends spaziere ich am Strand entlang, beobachte die Brandung, die klatschend mal in kleineren Schüben, mal heftig gekräuselt, über den Sand herfällt, an ihm mit letztem Gluckern zerstiebt und seinen Rand jedes Mal ein paar Zentimeter weiter ins Land vortreibt.

So weit das Auge reicht, nimmt es nichts als Wasser wahr, das wogend, als ewig bewegtes Element, erst am Horizont Halt findet.

Meine Gedanken finden jedoch auch an ihm keinen Ruhepol, treiben weiter fort in unergründliche Fernen…

Langsam wate ich an der Grenzlinie von Sand und Wasser entlang, wobei manchmal ein vorwitziges Wellchen sanft meine Füße streichelt.

Was unterscheidet eigentlich den Hinduismus, der als älteste Glaubensform zu 2/3 die Religion Indiens darstellt, von den anderen großen Offenbarungs-Bekenntnissen… frage ich mich. Er duldet andere Religionen neben sich, ohne sie je zu integrieren… er hat nicht missioniert, wie alle anderen und er hat so gut wie keine Kriege um des Glaubens Willen geführt…

Die in Kasten sortierte Menschheit irritiert die Europäer besonders und auch die Anbetung von Tieren als Götter, ist für ihn nicht nachvollziehbar. Doch die überschwängliche Vielfalt und Buntheit der mit Figuren und Fabelwesen übersäten Tempel-Bauten, fasziniert ihn, unabhängig von ihren Themen, jedes Mal aufs Neue.

Der Hinduismus ist wohl das vielgestaltigste religiöse Gebilde, in dem Erhabenes und Abstoßendes, Primitives und Sublimiertes nebeneinander bestehen können. Der Prunk alt-ehrwürdigen Rituals und… der weltabgewandte Blick z.B. eines Sadhu auf den Urgrund der Wahrheit in dem jedes Einzelwesen steht… schließen sich hier nicht aus.

Der Hinduismus ist von keiner „Person“ gestiftet worden, er ist vielmehr gleichsam aus sich selbst im Verlauf der Jahrhunderte, dank der ihm innewohnenden, schöpferischen Kräfte gewachsen und verbindet so Altertum und Gegenwart.

Der Hinduismus besitzt auch keine fest umrissene Dogmatik, denn er kennt keinen Welten-Schöpfer, der als Gesetzgeber auftritt… und er kennt keinen Weltanfang. Auch das Verhalten und Tun, unterliegt keinen festen, für alle zwingenden Vorschriften. Die Hindis bedienen sich einer unbeschränkten Mannigfaltigkeit von Verehrungs-Objekten und nutzen die Vielfalt aller zugelassenen Mittel zur Erreichung des Heils. Ihre Religion ist eine spezifisch indische Erscheinung und will es bleiben!

So bleibt sehr vieles rätselhaft im Hinduismus, wie auch die älteste Geschichte Indiens bis heute noch ein Buch mit 7 Siegeln darstellt. Ethnographen nehmen an, dass die ältesten Bewohner des Vorderindischen Kontinents, der damals noch nicht seine heutige Gestalt hatte, Negride waren, die mit ihren Stammesgenossen in Afrika und Melanesien in räumlichem und genetischem Zusammenhang standen…

Für mich ist es inzwischen spät geworden…

Nur von den Lichtern des Hotels irritiert, weitet sich der Ozean monoton plätschernd – am Widerstand des Ufers aufbrausend und schäumend – gegen den ebenfalls in Unendlichkeit getauchten Himmel. Zögernd reckt hie und da ein vorwitziges Sternchen seinen schwachen Blitz aus den Tiefen des Universums, wispert von Dingen, die der Mensch nicht zu verstehen vermag, um deren Interpretation sich sämtliche Religionen redlich, oft aber auch fanatisch und unbeugsam mühen…

Ich spaziere zum Hotel zurück, suche mir ein etwas abgeschiedenes Tischchen, das vom Blätterdach exotischer Bäume beschirmt, den Duft der Blumen durch die laue Abendluft weiter trägt.Immer mehr der glitzernden Himmelsboten versammeln sich am Firmament, treten in Widerstreit zur künstlichen Konkurrenz.

Ein Ober bringt mir die bestellte Flasche Wein, gießt mir ein Glas davon ein. Golden schimmert darin die Flüssigkeit, spiegelt sich im Weiß des Kelches.

Versonnen proste ich Kurt zu und meine Gedanken eilen zurück… weit… sehr weit… über 40 Jahre! Vieles erlebt dabei eine Auferstehung, wird nochmals erlebt, wird verklärt… Immer stärker strömen Erinnerungen ins Heute ein, verschmelzen mit der Gegenwart zu einem strahlenden Kranz vollendeter Harmonie, wie sie die Realität des Lebens nicht kennt.

Die Nacht schreitet weiter fort…

Es ist still geworden im Hotelgarten, jedes Geräusch wird deutlicher… die Stimmen der Dunkelheit klingen anders, als die am Tage… fordern mehr Aufmerksamkeit, werden nicht verdrängt von millionenfachen Echos.

Am nächsten Morgen meldet sich energisch, das handfeste Problem meines aufgebrochenen Koffer-Schlosses und zwingt mich, trotz der Verlockung des Bade-Strandes, etwas zu unternehmen. Irgendeine Bandage muss her, um mein Reise- Hab und Gut für den Flug nach Bombay und vor allem den Rückflug nach Deutschland abzusichern.

Doch so einfach ist das nicht in einer Touristen-Nobelherberge, außerhalb einer größeren Ortschaft.

Die Rezeption verweist mich auf den „houskeeper“… der kommt zwar, sieht sich das Malheur an und erscheint nicht wieder.

Erst in der kleinen Hotel-Boutique holen zwei mitleidige Mädchen einen Strick und ein festes Stoffband aus ihrer Abfallkiste heraus. So, ein wenig Zigeunerhaft ausgerüstet, hoffe ich den heimatlichen Flughafen in Frankfurt, unbeschadet zu erreichen.

Davor geht es aber auch noch einmal zu einer letzten Stippvisite nach Bombay. Dem Flug folgt sofort die Stadtrundfahrt durch die 9-Millionen-Metropole, die 1534 von Portugiesen eingenommen und als portugiesischer Siedlungskern 1661, durch Heirat, an England fiel.

Infolge des Eisenbahnbaues 1883 entstand gar bald ein florierender Baumwollhandel, samt einträglichen Geschäften.

Für dieses Schlusslicht der Reise und wichtiges Wirtschaftszentrum englischer Prägung, bringen viele von uns – auch ich – nicht mehr den nötigen Enthusiasmus auf.

Schäbige Miethausviertel, dann wieder Straßen mit Alleebäumen ziehen an uns vorüber… ein Jain-Tempel wird besichtigt… ein weiterer Stopp zeigt uns die „hängenden Gärten“ (nicht die sagenhaften der Semiramis im alten Babylonien) – eine hübsche Parkanlage mit Sicht auf die Skyline der Stadt gegenüber.

Auch die „Türme des Schweigens“, die sich hinter einer hohen Mauer verbergen, passieren wir per Bus. In ihnen, verborgen, überlässt die Religionsgemeinschaft der Parsen, ihre Toten den Geiern.

In einigen, der gepflegteren Distrikten der Stadt, fallen immer wieder Männer mit kunstvoll gewundenen Turbanen, als exzentrischen Kopfschmuck, auf. Sie gehören einer Glaubensgemeinschaft an, die 2000 Jahre nach dem Buddhismus und Jainismus (1500 nach Chr), ebenfalls aus dem Umfeld des hinduistischen Gedankenguts heraus entstand und ein paar Jahrhunderte im Norden Indiens bedeutende politische Macht erlangte: die Sikhs.

Ihre Erscheinung im Straßenbild Indiens, stempelt sie als stolz auftretende Minderheit, ab. In Amritsar, nahe der pakistanischen Grenze, befindet sich der „Goldene Tempel“, der ihre heilige Schrift aufbewahrt, die von 10 Guru’s (Lehrern) auf sie übertragen wurde.

Die Sikhs standen mit den Mogul-Herrschern in Fehde. Setzten sich auch als letzte, verteidigende Kraft Indiens, gegen die vordringenden Kolonialherren zur Wehr, besaßen ein schlagkräftiges Heer und kämpften dann schließlich in Englands Diensten, in beiden Weltkriegen an der Front in Mitteleuropa.

Das Programm läuft weiter mit dem Museum von Mahatma Ghandi, dem Marine-Drive, dem Regierungsviertel, dem Gate of India, das die Engländer als Eingangspforte für ihre Besucher erbauen ließen. Auf den Straßen sind weder Kühe noch Rikhas zu sehen. An einer Sammelstelle für Trinkwasser finden sich plötzlich Menschenmassen. Frauen und Kinder jonglieren große Wasserkrüge auf den Köpfen, denn die Stadt hat große Probleme mit dem kostbaren Nass.

Auf dem Weg zu unserem Hotel-Komplex in der Nähe des Flughafens, streifen wir ein Slumgebiet, das uns noch erbärmlicher, noch Menschen unwürdiger erscheint, als alle bisher Gesehenen. Unweit dahinter liegt unsere elegante Hotel-Oase für die Nacht. Ein kaum zu überbietender Kontrast!!

Unser letzter Ruhepol in Indien währt kurz…

Bereits um 3 Uhr morgens klingelt uns das Telefon der Rezeption aus dem Schlaf.

Start nach Delhi… dann Weiterflug nach Europa, in eine andere Welt. Eine Rückkehr in den gewohnten Alltag, der mir plötzlich seltsam fremd erscheint…