Brasilien

der Gigant Südamerikas

Zu 47 %, also knapp die Hälfte beherrscht der Riese den Kontinent.

Seit 12.000 – 15.000 Jahren besiedelt, ist Brasilien heute das einzige, Portugiesisch sprechende Land außerhalb Portugals. Zumindest verbal also, ein Spiegelbild seiner europäischen Kolonialherren, deren Territorium inzwischen zu einem kleinen Randstaat Europas, geschrumpft ist.

Im Osten vom Atlantik umbraust, im Westen beschirmen es bis auf 2 Ausnahmen – Chile und Ecuador – alle übrigen 10 Staaten des südamerikanischen Kontinents.

Brasilien – in allen Bereichen, ein Land der Superlative… als bevölkerungsreichster Staat Südamerikas, als artenreichster der Erde – 3000 Vertreter der Wirbeltiere, 55.000 der Blütenpflanzen… und natürlich an der Gestaltung seines Oberflächenportraits. Vom Amazonas-Tiefland bis zum knapp 3000 m höchsten Berggipfel bestätigen neben der Atlantikküste, Hochebenen und Savannen dieses exklusive Prädikat.

Am 710 m hohen Corcovado ( der Bucklige) von Rio de Janeiro hält die weiße Gestalt der 38 m hohen Christusstatue beide Arme über Stadt und Land ausgebreitet, als wolle sie es schützen… oder erlösen… oder was immer…

Eine Geste, die Brasilien, dessen viele Superlative es zu ersticken drohen, bitter nötig hat.

Im März des Jahres 1889 starte ich zu diesem Gigant, der seinen Namen von dem begehrten roten Brasilholz-Baum herleitet und registriere als erstes Erlebnis im Flugzeug über der 9 Millionen- Metropole , die tausendfachen Lichterketten einer Stadt, die bunt und aufreizend, das Firmament beherrscht und die Nacht verleugnet.

Als ein Bus mich vom Flughafen zu meinem Hotel befördert, hat die Erde das flammende Gefunkel verschluckt und ein wenig fahl, versucht der Morgen sich aus seinem Dämmerschlaf zu lösen.

Dem Strand von Leblon und Ipanema schließt sich, als berühmteste Visitenkarte der Stadt, der von Copacabana an und entwirft ein Panorama voll verlockender Schönheit.

Hinter dem Sandstrand lädt eine Promenade zum Flanieren ein, die, von prächtiger Vegetation gerahmt, Sehnsüchte nach den Genüssen des Lebens weckt.

Noch fast menschenleer, weht der Atem üppigen, prickelnden Lebens über sie hinweg.

Eines prall vollen Lebens – einem Übermaß an Leben.

Ein paar spärlich bekleidete Jogger huschen als Boten ewiger Bewegung vorüber, während weiter rückwärts der Ozean seine sanfte Wellenmusik an Land rollt.

Auf der anderen Seite konkurrieren Hotelkomplexe in Höhe und Ausstattung um die ersten Ränge und flüchtige Blicke in schmale Seitengassen lassen nicht abgeholte Müllsäcke vor den Eingangstüren der Häuser erkennen.

Mein Hotel, ein großer Komplex aus dem vergangenen Jahrhundert, offenbart an der mit ebenfalls blühendem Ambiente geschmückten Flamingobucht, eine Ahnung von der Betriebsamkeit der Stadt, deren von grünen Berghängen umringtes Häusermeer, im Hintergrund als Repräsentant besonderer Einmaligkeit, den Zuckerhut präsentiert.

Rio de Janeiro – ein Gemälde geballter Schönheit… ein Übermaß an Schönheit!

Doch keine makellose Schönheit…

Geblendet und angeregt von seiner überwältigenden Kulisse, will ich trotz anstrengendem Flug sofort zu Fuß, zu einem Bummel durch das nahe Zentrum der Stadt aufbrechen… da fällt mir die immer wieder ausgesprochene Warnung vor Kriminalität und Überfällen, in diesem schillernden Konglomerat der Völker ein.

Trotzdem, ohne Geld, Fotoapparat oder sonstiger Begehrlichkeit weckender Utensilien, spaziere ich los.

Mein Ziel ist die 1800 m lange Nord-Süd-Hauptachse durch das Herz der Stadt, die Avenida Rio Branco, deren südliches Ende vom Stadtteil Gloria aus, wo mein Quartier liegt, in 20 Minuten erreichbar sein soll. Der Blick durch das Zimmerfenster gaukelt mir nicht nur die Aktivitäten im, der Flamengo-Bucht vorgelagerten, 1965 eingerichteten Volkspark vor, sondern verlockt auch durch die auf einem Hügel thronende, vom portugiesischen Kaiserhaus auserwählte Kirche Gloria do Outeiro, zu näherem Kennenlernen.

In der Rezeption erfahre ich, dass für 2 Tage Streik angesagt ist – wieder einmal…

Kein Hindernis für einen Fußmarsch!

Feucht heiße Luft überfällt mich beim Verlassen der Hotelenklave, regt sofort die Schweißdrüsen, zu reger Tätigkeit an.

Etwas benommen stolpere ich über das holprige Pflaster der Gehsteige, versuche mich zu orientieren… da, ein Platz mit blühenden Bäumen und einem Denkmal… ich stapfe bergauf durch Straßen mit schäbigen Häusern… Dreck liegt herum…

Ich bin falsch, viel zu hoch, wechsle die Richtung… wieder ein Platz… dann wird von weitem ein überdimensionales, neues Gebäude sichtbar.

Die unregelmäßig verlegten Steine erschweren das Gehen… und die Suche… aber plötzlich

ist es doch da, das Südende der Rio Branco!

Und abermals präsentiert es eine Avenida der Superlative, großzügig mit Hochhäusern, Glaspalästen beiderseits bestückt, mit Banken und Geschäften, die heute allerdings zum größten Teil, geschlossen sind.

Weitläufige Plätze, die außer von Denkmälern durch tropisches Dekor geadelt werden, das berühmte Theatro Municipal, wo im Karneval der exklusivste Maskenball stattfindet, all das zieht wie ein fremdes, faszinierendes Phantom an meinen Augen vorüber. Auffallend auch die breiten Gehsteige, mit von kleinen Steinchen in schwarz und weiß gestalteten Muster und Formen, die sich mal zu Kronen, mal zu Mäander, etc. zusammenfinden.

Extravaganz auf allen Ebenen.

Leute stehen herum, korrekt gekleidet, nur hie und da begegnet mir eine ärmliche Gestalt… alles wirkt ruhig, doch viel Polizei ist gegenwärtig.

Und über all` dem schwebt diese eigenartige Szenerie der Morros, jener Granithügel, die als charakteristische grüne Kegel in überschwänglicher Zahl, von unsichtbarer Hand in die Landschaft hineingeworfen zu sein, scheinen.

Wie mag es hier vor ca. 500 Jahren ausgesehen haben, geht es mir durch denn Sinn…

Bevor der Portugiese Gaspar de Lemos am 1.1.1502 die Bucht von Guanabara-Bucht entdeckte, um die sich heute die Millionenstadt rankt.

Er hielt den von Wasser durchfluteten Erdenfleck, für das Delta eines Flusses und taufte diesen „Januarfluss.“

Die Metropole verdankt also ihren Namen einem Irrtum…

In meinem Gedankenexperiment verwandelt sich mit einem mal die Avenida und ihre Umgebung während meines 2-stündigen Streifzuges, in eine tropische Dschungelwelt. Schon seit Jahrtausenden siedeln besonders an den Küsten und auch hier die Tupi-Indianer in Gemeinschaft mit einer Vielfalt von Urwaldtieren nach alten Traditionen. Hoch entwickelt stehen sie bereits an der Schwelle vom Jäger und Sammler zur Agrarwirtschaft.

Statt der Betonklötze und Straßen, die grau und überheblich zwischen und auf die Hügel vorgedrungen sind, sehe ich üppiges Grün auf Baumriesen wuchern, in deren Wipfeln sich Affen tummeln…

Ein friedliches Idyll noch vor 500 Jahren also?

Leider nein, denn weder die Natur gönnt ihren Geschöpfen Ruhe und Eintracht und erst recht nicht, der Mensch.

Auch die Tupis, deren Anzahl bei Erscheinen der Europäer genauso viele Köpfe zählte, wie Portugal damals Einwohner hatte, waren ein kriegerischer Stamm, der sich später auch der Vertreibung durch die Fremden, erfolgreich widersetzte. Heute zählt er noch ca. 2500 Leute.

Die Europäer wiederum konnten einst nicht genug an Macht über fremdes Land und deren Bewohner kriegen und neideten einander dessen „Besitz“.

Im Falle Brasiliens waren es die Franzosen, die das Terrain beanspruchten, sich dieserhalb sogar mit den Tupis verbündeten und erst 1565 vertrieben werden konnten.

Erst zu dieser Zeit richtete Portugal seinen Stützpunkt mit 4000 Einwohnern in der Guanabarabucht ein, der dann zum wichtigsten aller kolonialen Errungenschaften, heranwuchs.

Seit 1700 gelangte der großartige Naturhafen an dieser Küstenlinie – besonders durch die Goldfunde in Minas Gerais – zu großer Bedeutung und damit avancierte der vermeintliche Januarfluss, zum Geburtshelfer nicht nur des heutigen Rio de Janeiro, sondern ganz Brasiliens.

Der stürmischen, wirtschaftlichen Entwicklung Rios, folgte eine Bevölkerungsexplosion in 100 Jahren von über 500.000 und bis 1980 auf 5 Millionen.

1822 hatte sich in Rio sogar das portugiesische Kaiserhaus etabliert.

Bei so rasantem Wachstumstempo, darf es also nicht verwundern, dass, das inzwischen selbständig gewordene Brasilien sich schwer tut, seine Superlativen in ein gleichmäßiges und stabiles Ordnungsprinzip einzugliedern.

Zwar stellen mit 50 % immer noch Menschen portugiesischer Abstammung das Hauptkontingent der Bewohner vor allem von Rio, aber der Import von Arbeitssklaven aus Afrika, die zur Nutzung und Ausnutzung des riesigen Landes notwendig waren, bringen mit portugiesischen oder afrikanischen Elternteilen, braunhäutig, den zweitgrößten Anteil ein, zu denen sich dann in den verschiedenen Distrikten eine beträchtliche Zahl von Afro-Brasilianern gesellen – in Rio sind letztere immerhin noch mit 10 % vertreten, gegenüber O,5 Prozent Asiaten.

So sieht es also heute aus… und wo sind die Tupi und alle anderen Stämme, die als erste die 47 % des südamerikanischen Kontinents erobert hatten… ?

Noch 3 weitere Tage von meiner Brasilienreise gehören seiner von Sinnlichkeit und Lebensfreude knisternden Schönheits-Königin, Rio.

Am nächsten Tag versuche ich, da immer noch gestreikt wird – Taxis jedoch verkehren – mit einem solchen den botanischen Garten, der ein besonderer Edelstein in der Kette von Rios Prunkstücken sein soll, zu besichtigen.

Trotz Auskunft er wäre geöffnet, stehe ich vor verschlossenem Tor und muss also umkehren.

Da fällt mir eine ins Zimmer geschobene Einladung zum Besuch der renommierten „Stern“-Edelstein – Werkstätte mit kostenlosem Taxi-Service hin und zurück, in die Hände und kurz entschlossen mache ich von diesem Angebot Gebrauch, da ich sowieso ein kleines Mitbringsel für Karin erstehen will.

Allein die Fahrt dorthin lässt Rios strahlendes Antlitz wieder und von neuem aufreizend erstrahlen. Vorbei an einem von Bergen umgebenen See, der Meerwasser-Zufluss haben soll, oberhalb der Ipanema und Copacapana-Strände wird bald das Haus, in dem Geld erst mit einigen Nullen zählt, erreicht. Allerdings nicht solche, wie sie in Brasilien bei galoppierender Inflation noch die alten Scheine zieren, sondern z.B. Dollar, bei denen entsprechend viele angehängte Nullen, Tür und Tor zur Welt der Reichen öffnen.

Empfangen werde ich wie ein Mitglied jener oberen Zahntausend, per Kasettenrecorder mit Kopfhörern 12 Minuten lang an Glasvitrinen entlang, in die diffizile Kunst des Schleifens, der in Mutter Erde schlummernden Schätze, informiert.

Als ich im Verkaufsraum mein Anliegen für ein kleines Geschenk für meine Tochter vortrage, verweist man mich mit großer Höflichkeit in das Parterre, wo die mit „nur“ 2 – 3 Nullen eingestuften Steinchen, erstanden werden können.

Hier bedient mich „Ingrid“, die Tochter einer deutschen Einwanderin und mit ihrer Hilfe wähle ich eine für „Stern“ winzige Kleinigkeit – Stern arbeitet ausschließlich mit 18 Karat Gold – die nur mit 2 Nullen zu Buche schlägt.

Interessiert fragt mich Ingrid, ob man denn in Deutschland mit einem solchen Schmuck auch auf die Straße gehen könne… in Rio wäre das nicht möglich. Sie und ihre Freundin wären einmal von Gangstern in ihrem Auto angehalten worden, die eigentlich das Fahrzeug wollten, die sie aber mit einem Ehering gerade noch abwimmeln konnten.

Auch in einem öffentlichen Bus verlangte einmal eine Diebesbande Geld von den Passagieren, die erst nichts geben wollten. Erst als sie bei einem der Eindringlinge einen Revolver bemerkten, entschlossen sie sich für den Freikauf. Sich bei Überfällen zu wehren, wäre sinnlos.

Entlang des Copocabana-Strandes, dessen breite Flaniermeile ebenfalls mit schwarzen und weißen Steinchen ein Mäandermuster bildend, bepflastert ist, kehre ich zurück ins sichere Hotel.

Was wäre Rio ohne eine Fahrt auf den Zuckerhut und auf den Corcovado… ?

Als der Streik beendet ist, starte ich zunächst zum kleineren dieser Morros.

Eine etwas altertümliche Seilbahn keucht zuerst zum vorgelagerten, 230 m hohen Morro da Urco, wo die prächtige Sicht auf Meeresbuchten, Häuser und Berghänge leider getrübt ist.

Auch am Zuckerhut, dessen senkrechten Felskegel ein zweites Vehikel auf 390 m bezwingt, wird dem überwältigenden Weitblick durch Nebelschwaden ein mystischer Schleier mit fernem Donnergrollen als Begleitmusik, übergestülpt.

Die folgende Stadtrundfahrt würzt dann ein kurzer, aber heftiger Regenschauer. Dabei erscheinen Rios berühmteste Sehenswürdigkeiten, wie das riesige Maracana-Stadion, das sich mit einem Zuschauer-Fassungsvermögen von 200.000, das größte der Welt zu sein rühmt.

Der von außen hässliche, dunkle, pyramidenförmige Bau der neuen Kathedrale, begeistert im Innern durch die an 4 Seiten zur Spitze hin zusammen laufenden Fenster mit ihren leuchtenden Farbvariationen, die zum Himmel emporstreben… dabei übersieht man gern den kalten, grauen Altar in der Mitte des Raums, als erdgebundene Notwendigkeit des Glaubens.

Ganz in der Nähe befindet sich das ehemalige Aquädukt, über das bis 1896 das Wasser aus dem Tijuca-Massiv nach Rio geleitet wurde. Auf ihm verkehrt eine uralte Straßenbahn in das Viertel Santa Teresa hinauf – eine der wenigen Reste von Alt-Rio, deren Benutzung zwar interessant, aber da offen, auch gefährlich wäre, denn dahinter befände sich ein Slum – eine der vielen Favelas… offiziell über 300… , die sich an den Berghängen der Stadt angesiedelt haben. In der größten, im Süden der Stadt sollen über 200.000 Menschen unter katastrophalen Verhältnissen hausen.

Auf jeden Fall werden diese armen Viertel, in denen angeblich jeder Dritte Einwohner lebt, strikte gemieden. Kein öffentlicher Bus fährt sie mehr an, denn sie sind zum Herrschaftsgebiet der Drogenmafia geworden, Hochburgen der Kriminalität, wo Morde zum Alltag gehören.

Die Mafia… einerseits Gönner und Helfer der Armen, die die Sambaschulen finanziert, andererseits kaltblütige Drogenhandel, der vor nichts zurückschreckt.

Auch auf der negativen Ebene also ein Übermaß, das dem Giganten Brasiliens anhaftet: Armut!

A propos Samba… ein Tanz, bei dem vor allem Hüfte und Oberkörper rhythmisch bei kleinen Schritten bewegt werden und dessen Erfindung von manchen, den Negersklaven zugeschrieben wird, da deren Füße gefesselt, nur trippeln konnten.

Natürlich kommen wir bei dieser Rundfahrt auch am Sambadrom vorbei, einer Straße, auf deren Länge von 700 Metern, riesige Zuschauertribünen errichtet wurden und wo am Höhepunkt des 4-tägigen Karnevals von Rio – dem Samstagabend – der große Karnevalszug stattfindet.

An ihm nehmen die besten Sambaschulen mit ihren Tanzgruppen teil – insgesamt oft 20.000 Personen. Sie kämpfen um Preise und für dieses Farben sprühende Spektakel, engagieren sich die Cariocas, wie man die Einwohner Rios nennt, mit Vehemenz und Eifer schon viele Monate vorher mit Proben, Kostümanfertigung, etc.

Dieses einmalige Ereignis, das in sämtliche Wohnzimmer der Welt übertragen wird, stellt vor allem für die Bewohner der Favelas, das Glanzlicht im Dunkel ihres Slum-Daseins dar.

Das Wort Carioca stammt, wie noch so manche andere, gängige Bezeichnung für Pflanzen und Tiere, aus dem Indianischen und bedeutet „weißes Haus“, was sich wohl auf die Herrschaft der Portugiesen bezog.

Menschenleer gähnt uns bei der Stadtrundfahrt dieser berühmte Schauplatz des Karnevals entgegen und dünkt mir in seiner Verlassenheit, als Rahmen für den Farbenrausch eines Feuerwerks der Lebensfreude, viel kleiner, wie seine Präsentation via Äther vermuten lässt…

Den Schlusspunkt der Exkursionen setzt der Corcovado, zu dessen 700 m Höhe eine Fahrstraße und eine Bahn führen.

Gemächlich schieben sich die 2 Waggons des roten Schienenzepps hoch und bieten Gelegenheit die Wunder Floras, die beiderseits der Trasse sprießen zu würdigen… sie locken mit fantasievoll geformten Blütenkelchen das Insektenvolk, ihre grazile Schönheit weiter zu tragen, zu neuer Entfaltung irgendwo.

Fast eine halbe Stunde lang kann die Werbung, der in der Erde verankerten Blumenwunder, um ihre Beachtung, verfolgt werden, bevor andere Aspekte das Auge in Anspruch nehmen.

Die Bahn spuckt ihre Insassen auf einer Plattform unterhalb des Gottesbildnisses, am Gipfel des Morro aus.

Von hier aus müssen die 220 Stufen zu seinen segnenden Händen zu Fuß erklommen werden.

Zur Erleichterung oder Besinnung sind sie in Absätzen angeordnet und auf diesen hat sich natürlich sogleich das Geschäft mit den Touristen in Form von Souvenir- und Andenken-Ständen, etabliert. Mit attraktiven Angeboten wird um die Gunst von Käufern geworben.

Zu Füßen der weißen Gottesstatue angekommen, verebbt die Geschäftigkeit. Der 8 m hohe Sockel schützt das 30 m hohe Standbild vor Belästigung und der Blick zu ihm hinauf, wo das Blau des Himmels durch vorüber ziehende Wolkenformationen die ewige Wanderung, die ewige Bewegung und Veränderung demonstriert, weckt unwillkürlich das Bewusstsein von der Belanglosigkeit allen menschlichen Treibens, das unter ihm, wie in einem emsigen Ameisenhaufen abläuft.

Die ausgebreiteten Hände scheinen sich über das Firmament ins Endlose auszudehnen und es bleibt jedem Besucher überlassen, diese Geste zu deuten.

Manche Leute sehen sie auch als hoffnungsloses Eingeständnis gegenüber der menschlichen Unvernunft mit dem Slogan: Helft Euch selbst, denn Ihr seid unbelehrbar…

Bei der Rückfahrt mit dem gemütlichen Bummelzug steigt unsere Ausflugsgruppe auf halber Strecke aus und ein Bus übernimmt die Vorzeigeaufgabe durch Rio´s kläglichem Rest einstiger Dschungelwelt.

Der Tijuca-Regenwald, das Überbleibsel jenes grenzenlosen Urwalds, der auf meinem Bummel durch das Häusermeer der Stadt, in meiner Vorstellung so verlockend erschien.

Ja, er fasziniert als grünes, undurchdringliches Dickicht, aber kultiviert durch Straßen in seiner unteren Etage, zeigt er statt Affen, die sich durch Bäume hangeln – die ziehen versteckte Plätze vor – joggende Cariocas und wo ein Wasserfall das begehrte Nass spendet, wird er sogleich zum Duschen oder gar für Autowäsche praktisch genutzt. Der Mensch versteht es eben, die Natur für sich einzuspannen.

Jeder kennt die Niagarafälle in USA/Kanada oder die Viktoriafälle in Südafrika wenigstens dem Namen nach, dass aber Brasilien ein ebenso grandioses Spektakel im Süden an der Grenze zu Argentinien und Paraguay inszeniert, ist weniger geläufig.

Diese wilde Orgie an der südwestlichen Ecke des brasilianischen Giganten, offenbart wieder einmal, wie gewalttätig die Natur manchmal ihre Elemente agieren lässt.

Der Weg zu diesem Schauspiel, das da im Dreiländer-Konglomerat abläuft, führt von Rio per Flug über Sao Paulo, der von Superlativen fast überladenen Metropole, die zwar kein Image an Schönheit auf ihrer Visitenkarte vermerkt, dafür aber einen Moloch an boomender Industrie, Wirtschaft, Betriebsamkeit und natürlich Kriminalität verkörpert.

Den einzigen Eindruck, den ich von dieser größten Stadt nicht nur Brasiliens, sondern ganz Südamerikas gewinnen kann, sind Gebäudeansammlungen weit in die Landschaft gestreuter Außenbezirke aus der Luft und eine Zwischenlandung auf seinem Airport.

Nach weiteren 1 ½ Stunden über der Erde, läuft schon beim Anflug auf den 1934 gegründeten Nationalpark, der erste Akt des dramatischen Programms, das der Iguacu-Fluß mit seinem Wasser veranstaltet, ab.

Wie von unsichtbaren Dämonen getrieben, stürzen sich seine geballten Massen, soweit das Auge reicht, weißen Schaum aufwirbelnd, in die Tiefe.

Nach der Landung und Quartierbezug in einem Hotel, ist der ganze restliche Tag der Bewunderung dieses wasserreichsten, breitesten Fallszenarios der Welt, gewidmet.

Den zweiten und aufregendsten Akt des Spektakels bietet mir ein 7-minütiger Helicopterflug, für den man eine halbe Stunde sich anzustellen und in der Hitze, zu warten hat.

Je 4 Personen fasst das ratternde Vehikel, das dann in geringer Höhe direkt über die tosenden, gespenstisch mit Gischtfontänen über den aufbegehrenden Stürzen kreist, von der brasilianischen, über ein Waldgebiet auf die argentinische Seite wechselt, wobei das Ohren betäubende Konzert, des über fast 4 km, immer wieder in 55 – 73 m tiefe Abgründe gestoßenen Flusswassers, den Motorenlärm übertönt.

Der Rio Iguacu, aus der Gegend um Curitiba im Südwesten aus 2 Flüssen entsprungen, bezwingt auf seinem 1320 km langen Lauf, bis zur Mündung in den Rio Parana, 20 km vor diesem Ziel, 21 größere und 250 kleinere Einzelfälle, in gestreckter Hufeisenform den Rand der brasilianischen Lavatafel und als bizarrstes Hindernis, die knapp 100 m breite Schlucht des Teufelcanyons.

Ein atemberaubendes Erlebnis.

Der dritte Akt präsentiert sich mir auf einer, auf schmalem Pfad bergab zu erreichenden Aussichtsplattform, wo die schnaubenden Wassermassen ihren Weg in die Tiefe, flankiert von seitlichen Einzelkaskaden, fast geschafft haben.

Von der reichhaltigen, artenreichen Tierwelt, die im Park Quartier bezogen hat, begegnet mir nur ein, vermutlich in den Abfallkörben auf Futter erpichter Nasenbär, der gemütlich zwischen den Zweibeinern herum spaziert.

Per Bus geht es zum vierten Akt des gigantischen Schauspiels über die Grenze nach Argentinien, auf dessen Gebiet sich ¾ der Fälle befinden.

Diese letzte Etappe, wird zugleich zur stimmungsvollsten, dieses ungewöhnlichen Ausflugs.

Herrschte in Brasilien doch ein ziemlicher Betrieb um dieses Naturwunder, so erwartet mich und die anderen Teilnehmer der Tour hier eine sehr beschauliche und friedliche Atmosphäre.

Zum Hauptfall, der uns als Schlusslicht leuchtet, führt ein Holzsteg, angelegt im Zick-Zack-Muster 1,4 km lang, über den Rio Iguacu, der mit einer urtümlichen Flusslandschaft aufwartet und im Vergleich zu den geballten, furios abstürzenden Wassern eine wunderbare Ruhe ausstrahlt.

Erst als wir uns dem Endpunkt des Stegs und damit dem Hauptfall hier nähern, beginnt wieder die Sprache der Gewalt zu tönen.

Sehr imposant zeigt auch er sich, aber aus anderer Perspektive von oben betrachtet, erscheint er nicht gar so Furcht erregend, zumal ein milder Abendwind auch die Hitze des Tages besänftigt und ein freundlicher Himmel, die Elemente zu versöhnen bemüht, ist.

Entdeckt wurden die Fälle 1542…

Nur eine kurze Hotelnacht bleibt zum Verkraften des einmaligen Erlebnisses.

Schon folgt in den sehr frühen Morgenstunden ein Flug nach Curitiba, das als Musterstadt – bis jetzt – gilt, da nur 5 % der Bevölkerung in Favelas wohnen. Und nochmals Flug mit Umsteigen in Sao Paulo und mit anderer Maschine, schließlich Weiterbeförderung nach Bela Horizonte im Staate Minas Gerais.

Eine recht strapaziöse Reise mit vielen Wartezeiten, die aber immerhin zu dreimal serviertem Frühstück, in den jeweiligen Maschinen verhilft.

Der Staat Minas Gerais könnte, abgesehen von den enormen Dimensionen, mit dem deutschen Ruhrpott verglichen werden. Er ist das industrielle Ballungszentrum des brasilianischen Südosten.

So riesig auch das Land ist, sein Hauptkontingent an Menschen und deren Aktivitäten, konzentriert sich auf die unteren, südlichen Regionen in Küstennähe des Atlantik. In Städten, die trotzdem viele Kilometer voneinander getrennt sind.

Ihre Besiedlung nach der portugiesischen Entdeckung verlief in Etappen und stand in Zusammenhang mit der Nutzung der Ressourcen, die der Gigant zu bieten hatte.

Zurzeit der französischen Invasion war der Brasil-Baum, der heute nur noch in botanischen Gärten zu sehen ist, da er roten Farbstoff lieferte, begehrtes Exportgut.

Dann verhalfen der Zuckerrohranbau, später Gummiplantagen, den eingewanderten Europäern zu Reichtum.

Dazu brauchte man Arbeitskräfte, Sklaven, die nicht nur von Afrika eingeschleppt wurden, sondern an deren Beschaffung sich die Banderantes – Nachkommen der Portugiesen mit Indio-Frauen – die sich zu Gruppen formierten, beteiligten. Als Menschenjäger fingen sie Indios ein und verkauften sie an die Sklaverei. Im 18.Jhdt. suchten sie auch nach Gold und Diamanten, wofür, außer reichhaltigen Bodenschätzen, der Distrikt Minas Gerais berühmt wurde.

Die am Reißbrett konzipierte Stadt Belo Horizonte ist allerdings nicht Ziel dieses Ausflugs, sie dient lediglich für Übernachtungen auf dem Weg zum 92 km entfernten, von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannten Barockstädtchen, Ouro Preto.

Die Fahrt dahin führt durch gebirgige Landschaft mit Tälern und viel Grün. Aber auch die Wunden, die bei der Gewinnung der Bodenschätze im Tagebau geschlagen wurden, sind als hässliche Narben in ihrem Panorama sichtbar.

Während Sao Paulo erst durch den Kaffeeanbau um 1850 vom Bauerndorf zur Monsterstadt heranwuchs, begann Ouro Preto bereits um 1730 durch Funde des begehrten Edelmetalls, wie eine Pfingstrose aufzublühen.

Anmutig, eingebettet in die Berge, empfängt das Denkmalschutz-Städtchen, seine Besucher. Die Türme seiner zahlreichen Kirchen, grüßen als aufrechte Garanten des katholischen Glaubens, schon von weitem und im Zentrum des so kometenhaft aufgestiegenen, reichen Kleinods, zeugen die Balkone der Häuser, die alle voneinander verschieden sind, vom exklusiven Lebensstil ihrer einstigen Besitzer.

Ouro Preto… eine Manifestation des Barock auf Südamerikas Boden!

100 Jahre währte des goldene Zeitalter, in dem ein Name besonders glänzte: der des Baumeister und Bildhauer Antonio Francisco Lisboa, Sohn eines portugiesischen Architekteh und einer Negersklavin. Mit 50 Jahren erkrankte er an Lepra, verlor seine Finger und arbeitete mit an der Hand angebundenem Werkzeug, weiter.

Der Hauptplatz erinnert mit einem Denkmal aber auch an ein sehr düsteres Ereignis.

Als am Ende des 18.Jhdts. die Goldadern langsam versiegten, Portugal aber weiter hohe Steuern dafür kassierte, entstand eine Rebellion gegen die Kolonialmacht. Sie schlug durch Verrat fehl und ihr Anführer, Tiradentes genannt, wurde 1792 in Rio hingerichtet – durch Vierteilung. Seinen Kopf stellte man zur Abschreckung in Ouro Preto zur Schau.

Erst sehr spät, 1888 wurde der Sklavenhandel in Brasilien abgeschafft, ein Jahr später 1889 zwang man den portugiesischen König zur Abdankung und der Gigant Brasilien wurde Republik.

Besonders fasziniert mich in diesem hübschen Städtchen das mineralogische Museum, das im ehemaligen Gouverneurspalast untergebracht ist. Es beherbergt eine Sammlung von ungeheurer Vielfalt von Formen und Farben in verwirrender, schillernder Schönheit, die die Natur aus ihrem unerschöpflichen Reservoir geschaffen hat. Sie genauer zu kennen, würde ich mir wünschen.

Auf dem Rückweg nach Belo Horizonte wird mir erst richtig bewusst, wie viel Industrie hier inzwischen heimisch geworden ist. Und wie viel Europäer sich hier angesiedelt haben. Immer wieder stößt man unterwegs auf Gemeinschaften, zu denen sich die diversen Nationalitäten zusammengeschlossen haben. So findet sich darunter auch eine solche Deutsche, namens „Sauerkraut“, die Brasilien zu ihrer Heimat erkor.

Schon am folgenden frühen Morgen entführt mich ein weiterer Flug, ins zentrale Hochland zur neuen, spektakulären Hauptstadt Brasilia in 1100 m Höhe.

Schon lange als Prestigeprojekt eines unabhängigen Brasilien geplant, das endlich auch als Bindeglied zu den an den Küsten angesiedelten Städten, das riesige Hinterland erschließen sollte… am Schreibtisch erdacht, wurde das futuristische Experiment innerhalb von 4 Jahren erbaut und 1960 eingeweiht.

Der von Wolken verhangene Himmel, verrät beim Anflug nichts über das extravagante Produkt einer ausschließlich Zukunft orientierten Stadt, deren nüchterne Betonarchitektur über die simple Einfalt von Mutter Erde, triumphieren soll.

Heraus aus dem Flugzeug und hinein in einen Bus zur Stadtrundfahrt, ist dann auch sogleich das Motto dieser neuen Stadt.

Geplant zwar als Kreuz, ähnelt der Grundriss der Stadtanlage allerdings einem Flugzeug und wird daher auch als solcher interpretiert.

Die Ost-West-Achse der Stadt – der Rumpf – ragt auf eine Halbinsel des Paranas-Stausees hinaus… erklärt der Reiseführer, die Tragflächen passen sich den Ufern zweier See-Arme an…

Vor dem surrealistischen Betonklotz des Sparkassengebäudes – dem ersten Halt – entzückt mich ein rosarot blühender Calliandra-Baum. Viel Grün und Blumen sollen dem nüchternen Stadtgebilde immerhin eine wohnliche Note verleihen und wurden ebenfalls planmäßig verteilt und eingesetzt.

Und – welch‘ ein Kontrast zum außen… im Innern spiegelt sich rund um den Eingang eine Reihe bunter, hoher Fenster, in einem davor befindlichen, künstlichen Teich.

Jedes dieser Fenster symbolisiert einen der 23 Bundesstaaten Brasiliens mit einem für ihn, typischen Motiv.

Weiter durch breite Straßen mit schmucklosen Wohnhäusern, Einkaufsmeilen ohne Atmosphäre, wird uns danach die Kirche des Schutzheiligen der Stadt Brasilia vorgeführt.

Außen wieder abschreckend nüchtern, innen mit hohen, in Blautönen flimmernden Fenstern, die bis hinauf zur Kuppel leuchten, in deren Mitte ein mächtiger gelb getönter Kristalllüster baumelt.

Der Fernsehturm verlockt als ebenfalls etwas ausgefallenes Gebilde, zu einem Überblick über diese seltsame Stadt. 218 m hoch, bietet diesen die Aussichtsterrasse in 75 m Höhe, per Aufzug erreichbar.

Es bläst ein starker Wind, aber der Blick auf die hässlichen Wohnblocks, das riesige Verkehrskreisel und die breite Hauptachse, die direkt zum Platz der drei Gewalten mit seinen abstrakten Büro-, Wohn- und Kongressgebäuden führt, lässt rechter Hand auch die Kathedrale erkennen.

Sie ist ein Zentralbau, dem mächtige, bis 40 m hohe Eisenbetonstreben, die Form einer Krone geben, was an die Himmelskönigin gemahnen soll.

Eine Statuenallee führt zum unterirdischen Eingang. Im Innenraum ähneln die Betonrippen, oberhalb der Mitte gebündelt, an Getreidegarben. Auch die Fenster verjüngen sich nach oben, sie sind noch nicht alle fertig bemalt. Von der Decke schweben hölzerne Engel.

Brasilia – eine Stadt aus Beton und Glas, bei der man abwechselnd, von Bewunderung und Ablehnung erfasst wird.

Auf jeden Fall kein Milieu für Fußgänger und auch keines für Arbeiter und arme Leute. Die hätten sich inzwischen, so heißt es, in äußeren Satellitenstädten angesiedelt, wo sie mit den gleichen Problemen wie in anderen Slums, konfrontiert sind.

Brasilia – eine Stadt ohne Vergangenheit – ein Vorposten der Zukunft ???

Meine Reise zu den Höhepunkten des Giganten Südamerikas, ist gekennzeichnet durch Flüge…

Der nächste, diesmal 2 ½ Stunden dauernde, bringt mich vom zentralen Hochland ins feuchte, heiße Tiefland des Amazonasbecken.

Ein schneller Wechsel von Landschaft und Klima und ein neues, fremdes Szenario.

Manaus, die Hauptstadt, während der Zeit der Gummibarone, als „Paris der Tropen“ gerühmt, erlebte seinen Boom zwischen 1870 und 1910, da es lange Zeit, einziger Lieferant von Kautschuk war.

Begonnen hatte die Karriere der Stadt am Rio Negro, die 11 km westlich seiner Vereinigung mit dem Amazonas ihr Häusermeer ausbreitet, 1669 als kleines portugiesisches Fort. Erst 1848 erhielt sie den Stadtstatus.

So nahe am Äquator – 3 Grad südliche Breite – schlägt mir als Begrüßung eine Welle feuchter, heißer Luft entgegen, trotzdem es jetzt Winter, das heißt Regenzeit ist. Gleich darauf schockt im Bus zum Hotel die Klimaanlage durch spürbare Unterkühlung. Doch alles Unangenehme verblasst bei der Ankunft im ausgewählten Quartier für 2 Nächte, denn es handelt sich dabei um das berühmte „Tropical“ direkt am Fluss, ein riesiges Areal mitten im Dschungel.

Nach einer umständlichen Eincheck-Zeremonie entfaltet sich bei der anschließenden Stadtrundfahrt ein Flair voll lebhafter Betriebsamkeit. Natürlich führt sie auch, zum wegen Renovierung eingerüsteten Theater (Termitenbefall) und zeigt den Versuch, der Gummibarone die europäische Metropole mit ihrer Kultur in den Dschungel zu verlagern.

Ebenso wie man sich damals alle Annehmlichkeiten des Lebensstils aus dem fernen Europa in die neue Häuslichkeit am Amazonas transportieren ließ. So schuf Reichtum eine Art Kopie von Paris, die allerdings, wie man sehen kann, inzwischen vom heutigen Alltag überholt und verdrängt worden ist.

Manaus Gegenwart verströmt wieder den Atem, den sein Strom und sein Urwald ausstoßen.

Nach dem Kautschukboom, bedroht von Abstieg, wurde die Stadt Freihandelszone. So floriert wieder die Wirtschaft mit all´ ihren Folgeerscheinungen wie Schmuggel aus den Nachbarstaaten Kolumbien und Venezuela, Drogenhandel etc.

Daher ist auch viel Militär in Manau stationiert und eine äußerst streng ausgebildete Spezialtruppe, zusätzlich im Einsatz.

Zentrum der Aktivitäten ist der Hafen.

Wegen des wechselnden Wasserstands des Amazonas sind Kais und Docks als schwimmende

Anlagen konzipiert. Er ist immerhin größter Binnenhafen der Welt, an dem auch große Schiffe anlegen können, da der Rio Negro hier 75 m tief ist.

Mir beschert der Bummel entlang des Hafens einen prächtigen Blick auf die Stadt gegenüber. Im Abendlicht – es wird bereits um ½ 7 Uhr dunkel – leuchten die Häuser, schimmernd wie Gold, über den Fluss.

An der Mole ankern auch Privatboote. In einem von ihnen sitzt wie ein Wachposten stolz und aufrecht, fast bewegungslos, direkt vor der Reling, ein Tukan. Sein Schnabel erreicht beinahe die Körpergröße und das Augenpaar ist auf den Hafenbetrieb gerichtet. 2 bunte Papageien gehören ebenfalls zum Schiffsinventar.

Hochinteressant verläuft dann auch mein Spaziergang durch die Marktstraße.

Auffallend und nicht zu übersehen ist dabei der Schmutz, der auf den Straßen herumliegt. Es wird erzählt, dass der Bürgermeister der Stadt versucht hätte, die Menschen zu bewegen, ihre Abfälle nicht, wie gewohnt, einfach fallen zu lassen… offenbar mit wenig Erfolg.

An Ständen häufen sich alle Arten von Obst und Gemüse.

Zwei Maschinen zum Auspressen von Saft aus den Zuckerrohrstangen, verleiten mich zum Kosten des Ergebnisses. Die eine wird von Hand bedient, bei der anderen fließt der Saft maschinell, in die bereit liegenden Kunststoffbecher.

Ich bin enttäuscht, das Produkt schmeckt widerlich süß…

Im Indianer Museum im Zentrum der Stadt, kann man in 6 Räumen, die von der Zerstörung der indianischen Kultur übrig gebliebenen Reste, bewundern. So zum Beispiel auch Begräbnisriten, wie sie im Urwald Amazoniens noch bei einigen Stämmen gehandhabt werden. Puppen ersetzen die einst im riesigen Areal beheimateten Indianer und veranschaulichen die seltsamen Zeremonien.

Es sollen noch 2 im Dschungel verborgene Stämme leben, die keinerlei Kontakt mit der übrigen Welt hätten und bei einem davon, wäre auch Kannibalismus üblich.

So wenig mir am Markt der Saft aus dem Zuckerrohr gefiel, umso erfrischender und köstlicher finde ich den daraus gewonnen grünen oder weißen Schnaps, der nach dem Essen im Nobel-Ressort Tropikana, den ereignisreichen Tag beschließt.

Das eigentliche Erlebnis im Tiefland Amazoniens bietet jedoch der nächste Tag… eine Schifffahrt am Rio Negro zum 11 km entfernten Zusammenfluss mit dem Amazonas.

In der Nacht hat Regen die tropische Hitze abgelöst, sodass es auf dem wenig besetzten Dampfer, recht feucht und etwas kühl wird.

An Manaus vorbei wird der Fluss allmählich breiter, sodass das gegenüber liegende Ufer nur als graugrüner, flacher Streifen erscheint.

Das Treffen von Rio Negro mit dem Amazonas veranschaulicht ein Kuriosum, denn das Wasser der beiden Flüsse vermischt sich nicht, bzw. erst nach weiteren 11 km.

Man schippert also hier über eine Oberfläche, auf der unregelmäßig verteilt, mal schwarze mit einem Schuss rot, mal braune mit einer Brise gelb schimmernde Wasserlaken, umher treiben. Sich ständig verändernd fließen sie jedoch nie ineinander.

Mit 2253 km Länge steuert der Rio Negro, der im Südosten Kolumbiens unter anderem Namen entspringt, Venezuela durchfließt, eine respektable Menge klaren, schwarzen Wassers zum größten Flusssystem der Welt, dem Amazonas bei. Seine Breite variiert von 8 bis zu 12 oder gar mehr Kilometer, sodass mitunter die Ufer in weiter Ferne scheinen.

Ehe wir nach 2 Stunden und dem Schauspiel des Rendevouz mit dem mächtigen Amazonas – der übrigens ab diesem erst, vom Solimoes genannten Teilstück, zum Amazonas genannten Rio wird – findet an einer hölzernen Anlegestelle ein Aufenthalt statt.

Es ist regnerisch und die Luftfeuchtigkeit benimmt fast den Atem, überfällt und lähmt mich und die kleine Gruppe, auf der Wanderung auf einem Holzsteg durch dichten Urwald. Trotzdem fasziniert sie als ein zur Wirklichkeit gewordener, vom Hörensagen vorgestellter, Traum.

Rechts und links des bequemen Einstiegs in das dichte, undurchdringlich scheinende Grün, strebt eine Flora von unvorstellbarer Vielfalt empor, als wolle sie das Firmament erreichen.

Baumstämme ankern im Wasser, nur ab und zu belebt eine Blüte, kaum sichtbar, das Geäst und verwobene Blattwerk.

Seltsamerweise halten sich Insekten als Plagegeister zurück und belästigen kaum.

Könnte es vielleicht daran liegen, dass das Wasser des Rio Negro als sehr nährstoffarm gilt und daher wenig Mücken an seinen Gefilden hausen.

Nach einer kleinen Weile endet der Steg auf einer Plattform und wir stehen vor einem kleinen See, auf dem die tellergroßen, grünen Blätter der Victoria Regia schwimmen. Dicht aneinander gereiht, am Rand aufgestülpt, mit einem Durchmesser von 2 – 3 m, sehen sie wie runde Boote aus. Nur in zwei aufeinander folgenden Nächten, öffnen sie ihre Blüten. Zuerst erscheint eine weiße Blume, die nächste Nacht strahlt sie rot.

Zuerst entdeckt 1832, wurde das im Wasser treibende grüne Floss, von einem Engländer während der Regierungszeit der Königin Victoria neu aufgespürt und erhielt von ihm, ihre, bis heute gebräuchliche Bezeichnung.

Die schwarzen Samen der Früchte, der bis zu 60 kg tragfähigen Blätter dieser Wunderpflanze, werden von den Indianern als „Wassermais“ gern gegessen.

Der Stamm der Tupi kannte diese Schönheit und erfand infolge der weißen Blüte eine Legende, in der eine Prinzessin mit Hilfe des Mondes, in einen Stern verwandelt wird.

Um den Anlegesteg sind Stände mit von Indianern, aus natürlichen Ressourcen gefertigten Souvenirs aufgebaut. Hübsche Arbeiten, wie Halsketten etc. sollen die vorbeikommenden Ausflügler, zum Kauf animieren.

Primitive Hütten befinden sich im Umkreis; in einem Verschlag hausen Schweine und ein Blick in die winzigen Behausungen zeigt nichts, nur zusammen geknotete Hängematten.

Auch ein kleines Lokal ist vorhanden… für mich eine Gelegenheit mit Zuckerrohrschnaps das seltene Erlebnis, auf gepflegtem Pfad durch den Dschungel zu streifen, zu feiern.

Dabei ist auch für Unterhaltung gesorgt, die ein zahmes Äffchen auf dem Rücken eines großen Hundes reitend, den paar Gästen bietet.

Nach 1 ½ weiteren Stunden auf dem Rio Negro, auf anderer Route über Manaus hinaus – der Fluss ist nun sehr breit und Ufer kaum auszumachen – wartet auf einem großen Holzfloß mitten im Fluss, ein Restaurant mit hübsch gedeckten Tischen für ein exzellentes Mahl auf unsere Gruppe.

Gerade rechtzeitig können wir unter dessen Dach flüchten, als im gleichen Moment urplötzlich ein Wolkenbruch niederprasselt. Sturzbäche von Wasser trommeln auf die Plane, rinnen als Ströme an den Haltestäben herunter und klatschen donnernd in den Rio.

Schon sehen wir von weitem – ungeachtet des Tropenregens – aus irgendwelchen Seitenarmen kommend, kleine Boote auf das Inselrestaurant zupaddeln. Kinder lachen fröhlich, halten am Holzrand und freuen sich über die Gutscheine für Cola, die ihnen nun von den Fremden hinunter gereicht werden. Einige werfen ihnen sogar Brotscheiben zu, wie man es an Teichen mit Enten oder Gänsen, zu tun pflegt.

So schnell das Zwischenspiel eines urgewaltigen Regengusses eingetreten ist, so rasch ebbt es wieder ab und begnügt sich mit sanftem Nieseln.

So kann die nächste Attraktion – ein nochmaliger Streifzug durch Urwald-Gestrüpp, wenn auch mit Schirm, nach einem weiteren Halt, stattfinden.

Diesmal sorgt lediglich ein schmaler, extra für Touristen ausgeschlagener Weg, für nochmalige Dschungelromantik.

Zwar dampft die Luft vor Feuchtigkeit über den dunkelgrünen Blätterbaldachinen und die Kleider kleben am Körper – eine winzige Ahnung von der sprichwörtlichen Hölle Amazoniens – die trotz allem für mich, eher einen Blick in eine fremde Wunderwelt voller Geheimnisse, verkörpert. Auch hier stört keine Insektenplage, dafür erzählen vielfältige, unsichtbare Stimmen von, im verstrickten, grünen Machwerk der Natur, verborgenem Leben .

Der Tag klingt im Nobelareal des Tropicana mit einem Bummel zu einigen Vertretern der versteckten Urwald-Fauna, aus, die hier in Käfige verfrachtet, zur Schau gestellt sind.

Herrlich bunte Papageien lärmen hinter Gittern, an deren Stäben sich in anderen, derartigen Unterkünften, niedliche Äffchen hoch hangeln.

Und sogar ein Jaguar spaziert misstrauisch entlang seines Gefängnisses, mustert unfreundlich das abgetrennte Milieu außerhalb.

Noch ein letzter Stützpunkt europäischen Tatendrangs in Brasilien, fehlt. Salvador de Bahia. Es befindet sich an der Nordostküste des Giganten und soll den Schlussstein ins Mosaik meiner kurzen Reise in ein riesiges Land setzen, die als leuchtende Ausschnitte aus einem großen Naturgemälde, in meinem Gedächtnis haften bleiben werden.

Zum Abschied vom berüchtigten Tiefland Amazoniens gewährt mir ein Fensterplatz im Flugzeug eine überwältigende Sicht auf die schier endlose Weite des Flusses und seine Wälder, die leider durch Abholzung von den Menschen sinnlos bedroht werden… ehe nach Zwischenlandung in Brasilia, der Schlussstein angesteuert wird.

Bei unserer Ankunft spät abends in Salvador wechseln ebenfalls feuchte Hitze mit künstlich gekühltem Klima im, Bus einander ab.

Als Hauptstadt des Landes vor Rio de Janeiro hat diese Kombination aus Ober- und Unterstadt ein dramatisches Schicksal hinter sich. Nirgendwo sonst verlief das Treffen der verschiedenen, menschlichen Rassen, so gewalttätig wie hier.

Seit 1510 siedelten auf dem Gebiet, Überlebende eines französischen Schiffsunterganges;

Über die Zustände bis zur Stadtgründung 1549 durch Portugal, dürfte ein bewegtes Szenario die Halbinsel an der Allerheiligenbucht, beherrscht haben. Piratenunwesen, Konflikte mit den Ureinwohnern bis hin zur Ermordung eines oder des anderen Eindringlings, dessen Fleisch dann wie gewohnt, von den Indianern verspeist wurde.

Das zweite grausame Debakel begann bald danach, als Salvador fast blitzartig durch Zuckerrohr reich wurde mit dem Sklavenhandel, also wieder mit dem Aufeinanderprall von verschiedenen Menschengruppen. Wirtschaftlicher Aufschwung einerseits, rücksichtslose Ausnutzung und Ausbeutung fremden Menschenmaterials, andererseits. In Salvador landete der größte Teil, der, insgesamt etwa 5 Millionen aus Afrika verschleppten Sklaven.

So zeigt sich Salvador heute auch als „schwärzeste“ Stadt Brasiliens.

Begonnen hatte alles unten am Meer, wo die Halbinsel neben der Allerheiligenbucht – dem Tag der Entdeckung – durch diese vom Atlantik abgeschirmt – einen geschützten Naturhafen formt.

Hier befindet sich auch die Unterkunft für 2 Nächte für unsere kleine Gruppe.

Von einem kleinen Platz in dieser Unterstadt startet am nächsten Tag das Programm der Besichtigung. Hier hat man nicht nur einen großartigen Blick auf die Oberstadt, die angesichts des Wirtschaftsbooms rasant in die Höhe drängte, hier thront auch der frei stehende Aufzug, der Fußgänger 70 m bergauf, in den oberen Distrikt befördert.

Und hier oben, wo uns der Bus für einen ausgiebigen Spaziergang entlässt, in dieser Altstadt schlägt das eigentliche Herz Salvadors.

Da präsentiert sich all` die Pracht vergangenen Reichtums mit herrlichen Barockkirchen und gediegenen Wohnhäusern, aber auch der beginnende Verfall nach den Zeiten zügellosen Gewinnes. Vielfach durch Renovierung aufgemöbelt, strahlt dieses Zentrum, in dem die Wohlhabenheit durch Sklavenarbeit erzwungen wurde, einen eigenen Charme aus.

Auf der Straße, die auf holprigem Pflaster steil abwärts zum Pelourinho führt, haben sich Souvenirläden angesiedelt, die heute Karfreitag, auch geöffnet haben und vor den hübschen, bunten Häusern lachen und scherzen dunkelhäutige Mädchen in weißer, adretter Kleidung, warten auf eventuelle Kunden. Es sind schöne Menschen, diese Nachkommen der Verschleppten aus dem afrikanischen Kontinent.

Hier stört es auch nicht, dass neben der Anmut auch Baufälliges ein verblasstes Dasein fristet. Es scheint zum malerischen Gesamtbild zu gehören, als Zeichen der Hoffnung für die endliche Versöhnung von Arm und Reich und die Vermischung und Verminderung ihres krassen Gegensatzes.

Ganz in der Nähe, etwas unterhalb befindet sich der Prangerplatz, Pelourinho genannt, auf dem einst nicht nur der Sklavenmarkt abgewickelt, sondern diese armen Kreaturen, auch öffentlich ausgepeitscht wurden.

Auch dieser Schandfleck menschlicher Brutalität verfiel mit der Zeit, wurde von Künstlern, die immer etwas besonders Exponiertes suchen, okkupiert und ebenfalls restauriert.

Gerade als ich gegenüber der Tribüne einstigen Grauens vorbei schlendere, zieht ein schwarzer Artist darauf seine Show ab… den Hahnentanz, einen Kampftanz afrikanischer Herkunft, bei dem nur die Beine eingesetzt werden und für den, strenge Regeln gelten.

Wie sehr bei katholischen Festen eine Vermischung afro-brasilianischer Kulte mit dem Christentum stattgefunden hat, wird beispielsweise bei der Kultveranstaltung des Condomble deutlich, die am 2.Februar stattfindet und der Göttin des Meeres, gleichgesetzt der Jungfrau Maria, gewidmet ist. Ausgiebig wird in Salvador auch der Karneval gefeiert, in der Unterstadt, wo die Geschäftsviertel, Restaurants und vornehmen Wohngegenden parallel zu den ausgedehnten Strandzonen, verlaufen. 6 Tage und Nächte lang herrscht dann der Ausnahmezustand vor der Fastenzeit.

Dieser Karfreitag, der in Brasilien mit anderen Symbolen zelebriert wird als in Europa, ist zugleich mein letzter Abend in des Giganten vielgestaltigem Ambiente. Die Sitte schreibt hier als Erinnerung an den Kreuzestod Jesus vor, ihn mit Rotwein und Käse zu ehren, wobei der Wein, das Blut des Erlösers versinnbildlicht.

Durch welch´ kontrastreiches Panorama bin ich dabei in den vergangenen Tagen geschritten… fast habe ich das Gefühl in dieser kurzen Zeit, allen Hoch und Tiefs menschlicher Wünsche, Erfolge, Abgründe und Grausamkeiten, als Spiegelbild seiner selbst, begegnet zu sein…

Karsamstag findet mein Rückflug ins gewohnte Milieu Mitteleuropas statt.

Im christlichen Kalender, Tag der Auferstehung.

In Rio de Janeiro spannt die marmorne Gestalt des Erlösers, weit die Arme über das Portrait einer seiner wundervollsten Landschaftsschöpfungen…

Wird sie die Menschheit nicht nur zu nutzen, sondern auch zu schätzen, zu verehren und zu schützen lernen?