1958 Stuttgart

Heiß brannte die Juli-Sonne in den Talkessel der schwäbischen Metropole, in dem das attraktive Zentrum der Stadt eingebettet liegt und nach den Verwüstungen des Krieges durch neu Hinzugefügtes bereichert, ein durchaus imposantes Antlitz zeigte.

Umschlungen von Weinbergen und waldreichen Höhen, geben sich zahlreiche Gemeinden auf diesen Außenposten ein Stelldichein, brillieren als eigenständige Glieder im grünen Kranz um ihr tiefer gelegenes Haupt.

Nach dem Zwischenspiel in Ulm, wo einst ein Schneider die ersten Flugversuche wagte und das protestantische Münster als höchstes Gotteshaus in Deutschland gilt, hatten auch wir uns auf einem der luftigen Hügel an der Peripherie einquartiert.

Kurt war wieder eine Stufe auf der Berufsleiter empor geklommen – so meinte er wenigstens eine Zeit lang – und damit hatte uns die Großstadt mit ihren kulturellen Genüssen wieder.

Doch auch von hier blieb Feldkirch nahe genug für einen heimeligen Treffpunkt für die Feste des Jahres, vor allem Ostern und Weihnachten.

Umziehen war für uns langsam zur Routine geworden und natürlich versuchten wir dabei, uns wohnungsmäßig stets ein wenig zu verbessern. Karin hatte dabei einen abermaligen Schulwechsel mit neuen Lehrern und Kameradinnen zu verkraften.

Und meine Eltern? Auch sie folgten getreu unseren Spuren und bezogen wie in Ulm ein Zimmer, schalteten und walteten im Haushalt, während Kurt und ich für das Kleingeld sorgten, das für einen etwas gehobenen Lebensstandard notwendig war.

Stuttgart entpuppte sich als eine sehr gemütliche Stadt.

Während mein Büro – das kaufmännische Herz einer weltbekannten Baufirma – direkt im Zentrum, wenige Schritte von der Hauptgeschäftsader Königsstrasse, Gelegenheit bot, während der Mittagspause Einkäufe zu erledigen, musste Kurt die Stadt durchqueren und am entgegen gesetzten Ende sein Tagewerk beginnen.

Wenn dabei morgens aus dem Autoradio die Stimmen zweier schwäbischen Komiker ertönte und sie in ihrem typischen Dialekt mit lustigen Witzen die Arbeit einleiteten, war das jedes Mal ein Auftakt für einen sympathischen Tag, selbst wenn danach vielleicht unangenehmes Beiwerk, ihn beschweren sollte.

Überhaupt hatte das vielen Worten angehängte „… .le“ etwas Liebevolles an sich und erleichterte als bescheidenes „Schnörkel“ manch´ mühevolle Leistung.

Wenn aus dem Haus ein „Häusle“ wurde, konnte man schnell das Sparen und den Fleiß für diese Errungenschaft vergessen und wenn ein Mädchen sich zum „Mädle“ wandelte, dann übersah man leichter ihre eventuellen Schwächen.

So bescherten uns die Stuttgarter Jahre ein zwar arbeitsreiches Leben, das aber mit vielen, kleinen Freuden gewürzt war und in deren Kalendarium zwei große Reisen als besondere Ereignisse verzeichnet werden müssen.

Das erste vollzog sich im Jahr 1958.

Im August des Jahres – Karin konnte sich nur in den Ferienmonaten ein 4-wöchiges Fernbleiben von der Schule leisten – machten wir uns auf den Weg nach Spanien, das auf unserem, in viele Staaten zerstückelten, vielgestaltigen Kontinent Europa, immerhin manch´ glorreiche, aber auch oft fragwürdige Rolle gespielt hatte.

Zelte und reichlich Gepäck wurden im VW-Käfer verstaut, der uns damit nicht nur eine billige, sondern auch der persönlichen Freiheit dienende, unabhängige Expedition in fremde Gefilde, erlaubte.

Viele hunderte Kilometer waren zu bewältigen. Nein… es dürften wohl über 3000 zusammen

Gekommen sein!

Die kleine, von grandioser Schönheit überquellende Naturkulisse der Schweiz – die wir in kleinen Portionen bereits kennen gelernt hatten – wo sich aber jede Etappe für einen Verbleib gelohnt hätte, wurde in wenigen Stunden durchquert.

Auf das erste Atemholen am Genfer See folgte im gleichen Tempo ganz Frankreich, ehe uns ein Campingplatz an der Costa Brava für ein paar Tage auf das große Erlebnis „Spanien“ einstimmte.

In den folgenden Wochen wurden wir fürwahr mit einem Füllhorn von Eindrücken konfrontiert, das uns täglich neu überflutete.

Vor zwei Jahrzehnten hatte ein dreijähriger Bürgerkrieg das Land erschüttert.

Nationalismus gegen Kommunismus!

Der Alkazar von Sevilla trug noch deutlich sichtbare Spuren der Gewalt, die Spanier ihren spanischen Brüdern antaten.

Seither beherrschte der Nationalist General Franco mit eiserner Hand die Republik. Trotz aller Sympathie für Hitler, der ihm während des blutigen Gerangels mit der „Legion Condor“ ausgeholfen hatte, verstand er es, sein Land aus dem zweiten Weltkrieg herauszuhalten.

Sevilla verdiente, abgesehen vom Alkazar, auf jeden Fall eine besondere Hommage:

Da war zum Beispiel das Viertel Santa Cruz!

Mit den winkeligen Gassen und weißen Häusern präsentierte es uns eine perfekte Opernkulisse.

Jeden Augenblick meinte man den frevelhaften Frauenheld Don Juan oder den spitzbübischen

Barbier Figaro aus einem der verschwiegenen Innenhöfe, heraustreten zu sehen.

Und… winkten da nicht aus grün gestrichenen Fensterläden schwarz gelockte Carmen… oder

versteckten sich gar neckische Kobolde hinter, von Schlingpflanzen bewachsenen Laternen, vor Gartenmauern… ?

Ganz anders, mit Ehrfurcht fordernder Andacht empfing uns die Kathedrale der Stadt, die schönste ganz Spaniens… die größte… die höchste… die reichste – ein Mekka der Superlative…

Nach der Befreiung von den Mauren wurde die alte Moschee niedergerissen und es entstand dieses großartige Denkmal der Christenheit.

In 80 Kapellen werden täglich 500 Messen gelesen, doch die Glocke dazu ertönt von einem maurischen Minarett.

Die Sevillaner brachten es nicht übers Herz, den wunderschönen Turm, das einzigartige Werk arabischer Kunst, einfach zu zerstören.

Also setzte man dem Minarett einen 5-stöckigen Glockenturm auf, der als „Giralda“ zum Wahrzeichen der Stadt avancierte.

Andalusien war der Schauplatz islamischen Geistes, die Bühne für eine der wesentlichsten und blühendsten Epochen der spanischen Geschichte.

Noch heute, Jahrhunderte später ist der Atem Arabiens hautnah spürbar, dessen Religion die schärfste Konkurrentin zum Christentum geworden war.

Arabischer Geist manifestierte sich in zahlreichen Bauwerken, ganz besonders in der faszinierenden Alhambra von Granada.

Als ehemaliger Sultanspalast mit allen Mitteln des Luxus ausgestattet, entzückte sie ihre Besucher.

Sieben Jahrhunderte hatten an ihrer Geschichte gewoben.

Ganz besonders beeindruckte und begeisterte uns auch die maurische Moschee von Cordoba.

Ursprünglich ein Tempel zu Ehren des Janus, wurde sie nach der Vertreibung der Mauren durch die christlichen Könige, des heiligen Jungfrau geweiht.

Ihr Innenraum lässt auch jeden Anders- oder Ungläubigen, den Atem stocken.

Fast tausend Säulen verschmelzen zu einem Wald von Onyx, Japsis, Marmor und Granit, der alle Farben des Regenbogens widerspiegelt. 785 wurde sie, nach dem Siegeszug der aus Nordafrika stammenden Mauren, auf den Fundamenten einer westgotischen Kirche erbaut.

So wurde also schon Jahrhunderte bevor der Islam von Osten her, durch die Osmanen vergeblich einen Keil in das Kerngebiet Europas zu treiben versuchten, der Westen des Kontinents sehr erfolgreich vom schwarzen Afrika kolonialisiert und Spanien zur Schaubühne für Eroberungen und Vertreibungen, bis nach jahrhunderte dauerndem Pokern der Würfel auf seinem Spielbrett, zugunsten der Christenheit, zur Ruhe kam.

Warum dieses blutgetränkte Duell zwischen Glaubensrichtungen, die immerhin Wesentliches verbindet… ?

Während das Glaubensbedürfnis der Menschen vorher auf einer Vielzahl von Göttern verteilt gewesen war, entschieden sich als erste die Juden, dann die Christen und der Islam für nur einen einzigen das Universum gebietenden, allmächtigen Herren und Herrscher.

Fast 700 Jahre nach Jesus erfand in den Tiefen Arabiens Mohamed die neue Variante Gottes, die er Allah nannte, um mit ihm, wenn notwendig auch gewaltsam politisch und religiös die

weiten Wüstengebiete und deren Stämme, zur Einheit zu führen.

Selbst kein Gott, fühlte er sich als Prophet – der letzte derer, die mit Adam begannen – durch visionäre Offenbarungen berufen, die Menschen zum Heil zu führen.

Sehr schade also, dass die Nachfolger und Vertreter der drei Eingott-Richtungen einschließlich ihrer Zweigstellen – der Sekten – mit unheiligen Säbeln gegeneinander fechten.

Algeciras, der südlichste Zipfel des spanischen Festlandes bot uns ein paar Tage der Besinnung, nach all dem Schauen und Wandern durch eine fremde Vergangenheit und Gegenwart.

Unweit vom Platz, wo wir unsere Zelte aufgeschlagen hatten, markierte der Felsklotz von Gibraltar, das Tor zu Afrika.

So nahe daran, wollten wir den kurzen Sprung wagen, um wenigstens einen Augenblick hinein zu schnuppern in jene verborgenen Wirklichkeiten, jenseits der „Säule des Herkules“.

Über Ceuta – seit 1580 unter spanischer Oberhoheit – beabsichtigten wir, nach Tetuan vorzustoßen.

Die 40 km Busfahrt von Ceuta dahin, hatten wir uns allerdings problemloser vorgestellt.

Die notwendigen Formalitäten dafür, zehrten arg an unseren Nerven und nur gemeinsam mit einem anderen Globetrotter, erreichten wir spät abends unser Ziel.

Es war bereits dunkel bei unserer Ankunft und der gewünschte „Blick“ in jene andere, afrikanische Welt, beschränkte sich auf ein paar Stunden.

Die waren allerdings so aufreizend, dass wir erst nach Mitternacht für kurzen Schlaf in ein kleines Hotel einkehrten, ehe am nächsten Morgen die Rückfahrt folgte.

Durch schummrige Gässchen schlenderten wir ziellos zum Bazar…

In Schwarz gehüllte, tief verschleierte Frauen begegneten uns. Geschlossene Umhänge hüllten die Vorbeihuschenden von Kopf bis Fuß ein, lediglich schmale Schlitze für die Augen erlaubte ihnen die Sicht auf die Gassen. Allerdings würden diese viel versprechend blitzen… .behauptete Kurt!

Die fremdartige Atmosphäre zog uns vollkommen in ihren Bann, faszinierte und es viel schwer, sich davon loszureißen.

Im realen Licht des Tages hätte ihr Reiz möglicherweise eine Einbuße erleiden können.

Wir verbuchten diesen ersten „Mini-Ausflug“ nach Arabien jedenfalls als großes Erlebnis und kehrten ein wenig müde, aber zufrieden, in unser Quartier auf dem Zeltplatz von Algeciras

zurück.

Während uns die Epoche des spanischen Weltreichs, das um 1700 mit der Eroberung der Neuen Welt ihren Zenit erreichte, weniger zu bieten hatte, interessierte uns die rätselhafte Urzeit umso mehr.

Die Höhlenwohnungen der ersten Siedler, die auf Berghängen ihr Leben zu gestalten versuchten, konnten wir während unserer Fahrt, aus der Ferne, immer wieder wahrnehmen.

Im Bereich der Stadt Granada zogen sich derartige Behausungen auf den Hängen zum Sacramonte Grotto hinauf, die den Berg buchstäblich durchlöcherten und erstaunlich gut eingerichtet sein sollten.

Wenigstens ein paar am unteren Hang, wollten wir näher betrachten, doch dazu musste man zuerst den Distrikt, in dem sich Zigeuner häuslich niedergelassen hatten, durchqueren.

Vorsichtshalber heuerten wir einen einheimischen Führer, als Begleitung an.

Es dämmerte bereits, als wir die malerischen Quartiere jener in der Welt herum ziehenden Heimatlosen erreichten, die hier links und rechts der Strasse in Höhlen eine Bleibe gefunden hatten.

Wir versuchten unsere Neugier möglichst zu verbergen, konnten aber doch nicht widerstehen, da und dort auf einen Trunk einzukehren und freuten uns über die aufgeschlossene Gastfreundschaft, die man uns entgegen brachte.

Einen Schluck Cognak hier, ein Glas Wein dort… was sollt´ es, wir hatten ja unseren Führer dabei und merkten nicht, dass inzwischen der Abend in die Nacht übergewechselt hatte.

In einer der Bodegas passierte es, dass plötzlich die freundlichen Stimmen der Bewohner laut und lauter wurden und in heftigem Streit, auszuarten drohten.

Kurt erfasste geistesgegenwärtig den Grund dafür… .es ging offenbar um unseren Begleiter, der massiv angefeindet wurde und gefälligst das Geld, das er für seine Dienste von uns eingeheimst hatte, herausrücken sollte.

Ohne dass Karin und ich – schon ein wenig von dem seltsamen Abenteuer wohltuend benebelt, die Situation recht durchschauten – gelang es Kurt – bevor Messer gezückt wurden – uns samt Führer aus dem Schlamassel herauszulotsen.

Ein wenig ernüchtert trotteten wir aus dem Zigeuner-Höhlenbereich, zurück in sicherere Gefilde.

Glück gehabt, oder Schutzengel oder was immer die prekäre Lage geglättet hatte…

Als die Hitze des August langsam vom nahenden September angekratzt wurde, traten wir die Heimfahrt, Richtung Norden, an.

Noch einmal erfasste uns im „Nationaldenkmal“ Toledo das Hochgefühl der Begeisterung.

Auch Toledo war 374 Jahre lang eine von Arabern beherrschte Stadt.

Ihr gelang es die drei ewigen Konkurrenten – Juden, Christen und Muslime – in einer friedlichen Kooperation zu vereinen und dadurch eine Multi-Kultur zu entwickeln, die a l l e n Bürgern zu Wohlstand und Blüte verhalf.

Toledo wurde zum „Mittelpunkt Europas!“

Bis die Monokultur des Christentums mit ihrem Allein-Herrschaftsanspruch das produktive Dreigestirn durch Gewalt und Intoleranz vernichtete und das Wechselspiel von Krieg und Frieden von neuem begann.

Vernunft ade… .

Dass den bewegenden Einblicken und Erlebnissen von Europas westlichem Pfeiler noch ein krönendes Tüpfelchen folgen sollte, hatten wir nicht erwartet…

Es wurde uns mit der Höhle von Altamira geboten.

Und mit ihr die atemberaubende, unglaubliche Erkenntnis, dass bereits vor 15.000 Jahren Menschen fähig waren, künstlerische Leistungen zu vollbringen, die der Gegenwart nicht nachstanden.

Malereien von höchster Qualität, zierten die Decken der Höhle.

Wisente und andere Jagdtiere grüßten aus den Tiefen der Zeit heraus das Heute.

Es wurden dabei sogar die Unebenheiten des Felsgesteins für deren plastische Wirkung ausgenutzt.

Vor 15.000 Jahren – welch´ immenser Zeitabschnitt!

Ein Menschenleben währt – wenn´s hoch kommt, 70 -80 Jahre im Durchschnitt. Eine unvorstellbare Distanz also zum Heute.

Was hatten jene so weit entfernten Menschen, gedacht, empfunden, von sich selbst gewusst, was geglaubt… jene Künstler, die diese Zeichnungen als Spur ihres Daseins hinterließen?

Wir würden es nie erfahren… .Spuren längst vergangener „ICH`s…

Jedenfalls setzte diese faszinierende Begegnung, der ohnehin spektakulär genug verlaufenen Reise, wahrlich noch ein leuchtendes Schlusslicht auf.

Ein Jahr später -1959 – konnte ich Dank der Möglichkeit eines zweimonatigen, unbezahlten Urlaubs bei meiner Firma, die Einladung meiner Jugendfreundin Miriam, sie in den USA zu besuchen, folgen. Seit Ende des Krieges florierte der unterbrochene Briefkontakt über den Ozean wieder und sie nach fast 20 Jahren wieder zu sehen, erfüllte mich mit freudiger Erwartung.

Kurt plante, während der Schulferien mit Karin eine Auto-Tour nach England zu unternehmen und bei dieser Gelegenheit auch eine Familie zu besuchen, die Karin eines Sommers in Feldkirch kennen gelernt hatte. Da sie in der Schule in Ulm bereits die ersten Englisch-Kenntnisse erworben hatte, bat man sie für die im Nachbarhaus meiner Eltern untergebrachten, englischen Feriengäste zu dolmetschen. Damit begann der Kontakt zu der Familie und ihren zwei Söhnen, der viele Jahre anhalten sollte und wieder einmal die von den Nazis provozierte Feindschaft zu dem Staat und seinen Menschen ad absurdum führte.

Für meine große Reise wählte ich nicht das Flugzeug, sondern, um endlich einmal ausgiebig die Faszination des Meeres zu erleben, ein Frachtschiff, das mich in jeweils 10 Tagen über den Ozean schippern sollte.

So stand ich Anfang Juni an der Reling des 8300 Bruttoregistertonnen-Frachters „American Merchant“ der sich keuchend und schnaubend durch das fremde Element, mittels aufpeitschender Gischt, dessen immense Kraft gewaltsam durchbrechend, in Richtung Neue Welt, vorwärts arbeitete.

Es war das einzige Geräusch, mit dem der Eindringling das Gemurmel des Wassers störte.

Wie ein unendliches, bis an den Himmel reichendes, glitzerndes Band, symbolisierte der Ozean die Einheit des Universums, als er in der Ferne mit ihm verschmolz.

Sprühende Funken tanzten im Licht der Sonne auf seiner Oberfläche, hüpften wie übermütige Kobolde auf den leicht gekräuselten Wellenhügeln hin und her.

Manchmal passierte es auch, dass eine Schar verspielter Delphine unvermittelt aus den Tiefen des Meeres wie Phantome empor schnellten, um Bug und Wände des Schiffkörpers in Pirouetten durch die Luft wirbelten, um danach wieder in ihre verborgene Welt hinunter zu tauchen.

Ein von fremden Wesen inszeniertes, drolliges Verwirrspiel!

Die lange Überfahrt wurde für mich, durch die sich immer verändernde Kulisse der Natur, zu einem großen Erlebnis.

Präsentierte uns die Passage des englischen Kanals lediglich nebelige Trübnis, verwöhnten uns danach, Tage voll gleißenden Lichts.

Lediglich in einer Nacht erinnerten Furcht erregende Turbulenzen und mächtige Brecher, an die verborgenen Gewalten des Atlantik . Dabei erzitterten die Schiffsbalken und alles Inventar des schwankenden, einer Nussschale gleichenden Gefährts – soweit nicht fest gezurrt – machten sich selbständig und flogen willkürlich durcheinander.

Alles an Schönheit und Gefahren offenbarten mir diese Tage an Bord eines der Schiffe der „United States Lines“, das schon vom Zahn der Zeit ein wenig abgenützt, zwischen den Kontinenten kreuzte.

Der Koch auf diesem Frachter, der auf seiner regelmäßigen Route über das Meer auch 12 Kabinen für Privatreisende im Angebot hatte, war Chinese. Die Besatzung setzte sich aus Menschen von irgendwoher zusammen. Ein kunterbuntes Gemisch aus aller Welt.

Diesmal waren nur drei Passagiere mit von der Partie, sodass einem jeden von uns eine geräumige 3-Bett-Unterkunft zur Verfügung stand. Ein höchst angenehmer Luxus, allerdings ohne jeglichen Service. Gegessen wurde zusammen mit den Offizieren, ansonst blieb sich jeder selbst überlassen.

Wenn, ab und zu – winzig klein – am Horizont ein anderes Gefährt gesichtet wurde, traten sofort die Feldstecher in Aktion und freundliche Grüße wurden diesem Zeugen menschlicher Anwesenheit in den Weiten des Ozeans, übermittelt.

Dann endlich, Land in Sicht…

In verschwommenen Dimensionen zuerst, die das Auge mühsam zu orten versuchte, wuchs es schließlich zum aufregenden Ereignis heran,

Angesichts der Übermächtigkeit der Natur, befreite die Sicht auf Land, die Seele von der Angst des Alleinseins auf unserem Planeten.

Doch ehe unser Frachter in den Hafen von New York einlaufen durfte, stand ihm eine Stunde Quarantäne mit Kontrolle der Impfzeugnisse und Pässe von Passagieren bevor.

Inzwischen hatten sich die Offiziere längst „stadtfein“ gemacht…

Dann tauchte der Koloss der Freiheitsstatue aus dem Ozean und die Hochhäuser der riesigen Metropole wuchsen fast in den Himmel und triumphierten ihrerseits über die Natur.

So hochtrabend und glanzvoll verbrämt meine Vorstellungen von dem „Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten“ waren, so enttäuschend nüchtern gestaltete sich das Betreten des Bodens, dieser unbekannten Welt.

Abseits von der Reede, an der die großen Ozeandampfer ihre Menschenfracht entluden, erkämpfte sich unser Schiff seinen Anlegeplatz. Inmitten eines Wirrwarrs von schmutzigen Hallen und Zweckbauten dockte es an den Kai der Mega-Stadt.

Keine Spur von Romantik verklärte diese Ankunft.

Ein mürrischer Neger wühlte in Taschen und Koffern nach eventuell darin verborgenen, verbotenen, Mitbringseln und kein freudiger Willkommensgruß begleitete diesen Eintritt in die Neue Welt.

Erst das Wiedersehen mit der Jugendfreundin heizte spontan alle erwartungsfrohen Erinnerungen euphorisch wieder auf.

Die folgenden Tage und Wochen räumten ebenfalls mit dem Trugbild vom Kontinent der Wunder, wo man vom Tellerwäscher zum Millionär mutieren konnte, gehörig auf.

Dieser Mythos wurde von der harten Wirklichkeit in diesem von Flüchtenden aus allen Ländern der Erde, besiedelten Kontinent, sichtbar und schnell widerlegt.

Das Gesetz des Überlebenskampfes galt auch heute noch für die Eroberer des Riesenlandes, für das sie den hohen Preis der Aufgabe eigener Identität, zu zahlen hatten.

Amerika, Amerika… .lautete der Schlachtruf der Vereinigten Staaten.

Alle Hautfarben, alle Sprachen dieser Welt beherrschten die Straßen des Molochs „Manhatten“.

Er sammelte sie in schmalen, waagrechten Streets und senkrechte n Avenues ein, verschlang sie abends und spuckte sie jeden Morgen wieder aus.

In Stadtvierteln wie der Bovery, fristete die nackte Armut hinter zerfallenden Hauseingängen und Schuppen ihr jämmerliches Dasein, während sich der große Reichtum anderswo, hinter gut bewachten Mauern und Zäunen, versteckte.

Kaum gelang es mir, im immensen Schmelzkessel zwischen den überdimensionalen Hochhäusern einen Blick auf den Himmel zu erhaschen.

Es gab Straßenfronten, die von einem Sammelsurium an kleinen Läden, Drugstores wimmelten und andere, die mit eleganten Geschäften und Etablissements protzten und ein wenig außerhalb, an unverbauten Terrains, hielten riesige Supermärkte mit weitläufigen Parkplätzen, ein Monsterangebot an Waren für eine Massenkundschaft bereit.

Auch im Zentrum rekelten sich Kaufhäuser mit erlesensten Erzeugnissen, gigantisch über mehrere Etagen gegen Himmel.

Höchster Wohlstand und bitterste Armseligkeit wohnten hier scheinbar friedlich nebeneinander.

Das Rassengemisch aus Negern, Chinesen, Mittel- und Südamerikanern, von Europäern der verschiedensten Heimatländer, wurde in den großen Strom der Einwanderer von wo auch immer, hineingespült und von ihm mitgerissen.

Man könnte meinen, dies sei das Idealbild einer im Einklang miteinander lebenden Gesellschaft ohne Ängste und Probleme.

Aber dafür ist die Spezies „Mensch“ auch im freiesten Land der Erde noch nicht reif genug.

Unterschwellig züngelten gewaltige Diskrepanzen zwischen Weißen, Gelben und besonders Schwarzen. Vor allem letztere wurden als minderwertige Mitglieder des Konglomerates angesehen und ihre Gleichberechtigung, existierte meist nur auf dem Papier.

Und eine Gruppe aus dem Tiegel der bunten Farbpalette war fast ganz verschwunden… .die Ureinwohner, das rote Tüpfelchen, das die Indianer beisteuerten.

Sie hatte man, soweit sie nicht ebenso wie die reichhaltigen Bisonherden in dem unendlich weiten Gelände des Kontinents umgebracht wurden, sicherheitshalber in „Reservate“ evakuiert.

Außer dem Millionen-Ghetto New York, bekam ich aber auch bei Ausflügen während meines 6-wöchigen Aufenthaltes bei den Freunden, eine Ahnung von der für Europäer unvorstellbaren Weite, dieses Erdteiles.

Kaum verließ man den Hexenkessel der Stadt befreite nur spärlich bebautes, jungfräuliches Land die Lungen vom Smog, ergötzte mit Wiesen und Wäldern die Sinne, erzeugte im gleichen Maße wie die Riesenhaftigkeit der Städte, einen Schock der Einsamkeit!

Unermesslich in seiner Ausdehnung wie der Ozean, erschien auch das Festland mit den darin eingestreuten Dörfern und Orten gleich seltsamen, vom Himmel verlorenen Findlingen…

Hier offenbarte sich die wahre Freiheit Amerikas in großartigster Erhabenheit!

So plagten mich auch nach meiner Rückkehr diese zwei gegensätzlichen Phänomene der Neuen Welt, rivalisierten miteinander und verliehen Europa ein anderes Gesicht.

Eng und zusammen gedrängt wirkten plötzlich die geschichtsträchtigen alten Städtchen, die schmucken, fein säuberlich gepflegten Ortschaften voll Traditionen, ihren Sitten und Gebräuchen.

So abstoßend der hektische, nur dem Dämon Geld verschriebene Alltag Amerikas sich zeigte, so verlockend und von Sehnsucht beladen, träumte meine Seele seiner schier grenzenlosen Weite nach.