…oder: Ein Verführer namens Punsch….
Es ist Advent in der viel besungenen Stadt Wien und wie alle Metropolen, wo christlicher Glaube vorherrscht, schmückt sie sich mit allen Lichteffekten, die ihr ihm 20. Jhdt zur Verfügung stehen.
Während in den Wohnungen meist nur bescheidene Kränze aus duftenden Tannenzweigen und vier Kerzen das Mysterium des nahenden Weihnachts-Geschehens ankündigen, erstrahlen Geschäfte und Warenhäuser im tausendfachen Glanz unzähliger Leuchtkörper, sodass die Sterne am Firmament keine Chance haben, ihr himmlisches Licht über der Stadt funkeln zu lassen.
Vorfreude und Erwartung sind schließlich höchst positive Aspekte des Lebens, die man überall auf der Erde zu nutzen versteht und daher zum Wohl und zur Freude Aller, Praktisches auch mit dem Heiligen kombiniert.
So hat sich auch in manchen Berufssparten eine Tradition heraus gebildet, die den Menschen Schwung und Elan und den Firmen eine Anhebung der Leistungen verspricht.
Weihnachtsfeiern verwandeln zu dieser Zeit manch‘ ein, vom grauen Alltag geprägtes Büro für einen Nachmittag zum Ort persönlicher Begegnung, zum Treffpunkt geselligen Beisammenseins, in dem sich die sonst, emsig unter dem Zepter „Arbeit“ schaffende Kollegenschaft, zu Speise und Trank versammelt.
Bei dieser Gelegenheit vereinigen sich die Chefs mit ihren Mitarbeitern und besiegeln die Notwendigkeit gemeinsamer Arbeit für die Zukunft – oberstes Ziel jeden Unternehmens.
In einem solch‘ gut funktionierenden Betrieb in der Wiener Innenstadt – dem Herz und Zentrum der Donaumetropole – arbeitet auch Eva, eine Frau in den besten Jahren, äußerst attraktiv, tüchtig, aber auch geselligen Zusammenkünften nicht abgeneigt. Gutes Benehmen, korrekte und modische Kleidung sind für sie ebenso selbstverständlich wie höflicher Umgang mit den Mitarbeitern.
Sie amüsiert sich bestens, auch bei der diesjährigen Weihnachtsfeier, da wird viel erzählt, gelacht – das soll ja ungemein gesundheitsfördernd sein – und auch, wie könnte es anders sein in Wien – viel ihres köstlichen Weins getrunken.
Nicht nur rund um die Stadt wachsen Reben, vor allem an den Hängen der zauberhaften Wachau an der Donau gedeihen sie und werden in den Heurigen-Lokalen nicht nur in Grinzing, an Hiesige und Fremde ausgeschenkt.
Leider bleibt auch bei der schönsten Feier die Zeit nicht stehen – die meisten Beteiligten wohnen in den äußeren Bezirken – und so muss wie meist, wenn es am schönsten ist, an Aufbruch gedacht werden. Man darf keinesfalls die letzte „Elektrische“ verpassen.
Da bis dahin aber noch ein wenig Zeit verbleibt, kommt einer der Teilnehmer auf eine glorreiche Idee: „Fahr‘ ma doch noch a halbe Stund‘ auf an Punsch zum Christkindl-Markt vorm Rathaus“, schlägt er vor….“heut‘ ists sowieso recht kalt drausst…“ und weil man doch diesen schönen Abend nicht plötzlich profan ausklingen lassen kann, erntet diese Aussicht allgemeines Beifall-Klatschen.
Auch Eva, die schon mit ein paar Viertel in beste Stimmung gekommen ist, stimmt gern dieser Idee zu. Sie wohnt in Floridsdorf, also ziemlich weit weg und da ist „Aufwärmen“ vor der Fahrt gerade das Richtige.
Tatsächlich es ist ganz schön frostig, zwar kein Schnee wie man sich stets die „weiße Weihnacht“ wünscht und vorstellt, aber am „Tatort“ des Geschehens war ja „Schnee“ paradoxerweise unbekannt.
Eva und ihre Kollegen, mit denen es sich, wie heute bewiesen, nicht nur gut zusammen arbeiten, sondern noch viel besser feiern lässt, schlendern, vor dem Rathaus angekommen, noch ein wenig zwischen den vielen „Standeln“ mit Süßigkeiten, den Lebkuchen, den schier unerschöpflichen Weihnachtsutensilien umher….lassen sich die verschiedenen, aufreizenden Düfte um die Nasen wehen, die sich, da jedes Standel mit einer anderen Spezialität aufwartet, zu einem betörenden Geruchs-Cocktail vermischen.
Und hinter dem so perfekt und bunt inszenierten Weihnachtsbetrieb, ragen die spitzen Türmchen mit den 103 m hohen, vom Rathaus-Mann gekrönten Hauptturm des neugotischen Wiener Rathauses in den Himmel, das seit Kaiser Franz Josephs Ringstraßenbau, eines der Prunkstücke der Innenstadt verkörpert.
Das Ziel der kleinen Gruppe ist natürlich ein „Standel“, das den köstlichen Punsch, der in Wien besonders beliebt ist, in Heferln (hohe Tassen) anbietet. Diese Spezialität, die nicht nur an kalten Tagen gern getrunken wird, stammt eigentlich aus Indien, wobei Arak den „Geist“ liefert und ist über England als Punch nach Europa gelangt, wo aus ihm Punsch wurde und bevorzugt Rum, sein Fundament bildet. Er war schon das Lieblingsgetränk von Mozart und sogar Schiller hat ihm ein Gedicht gewidmet.
Am Christkindl-Markt gibt es übrigens Punsch in verschiedenen Variationen, der dann noch dazu Duft und Charakter der angebotenen und gewünschten Obstsorte vermittelt.
Ein besonders beliebtes Produkt nicht nur zu Weihnachten, ist in Österreich auch der sogenannte „Obstler“, der allerdings von verschiedenen Früchten stammt, die gemischt und „gebrannt“ werden und in kleinen Stamperln geschluckt, nach dem Essen eine Wohltat für den Magen ist und angenehm den Gaumen kitzelt.
Bereits der heiße Dampf aus dem Teekessel und und sein Aroma animieren zu neuem Mut und das erste Heferl, das Eva und ihre Kollegen schlürfen, durchströmt als Lebenselixier den ganzen Körper.
„ Welch‘ ein Genuss….“ seufzt sie und da man bekanntlich auf einem Bein nicht stehen kann, folgt bald ein zweites Heferl…und ein drittes…und….
Am Weg zur Straßenbahn muss Eva feststellen, dass ihre Füße plötzlich merkwürdig schwer geworden sind und ihr nur mittels energischer Willenskraft gehorchen….
Als die Tramway zum 21. Bezirk klingelnd und quietschend kommt und anhält, hievt sie sich mühevoll in den Waggon hinauf und erspäht sogleich einen freien Sitzplatz am Fenster, auf den sie sich erleichtert fallen lässt. Er befindet sich noch dazu gerade über der Heizung und wärmt zusätzlich auch die Gliedmaßen.
„Wie schön….“ denkt sie, kuschelt sich aufatmend in ihre Ecke….und schläft ein.
Das Gerumpel und Geläute, das die Wiener halbrot gestrichenen Straßenbahnwagen besonders in Kurven so an sich haben, stört sie nicht im mindestens.
Zufrieden wie ein Kind im Schoß der Mutter, erlebt sie die Wärme von außen und innen, bis…..
bis ihr Unterbewusstsein einen Kopf über dem ihren registriert und eine raue, laute Männerstimme die Worte ….“b’soff’n oder g’storbn“ zischt.
Erschrocken fährt sie hoch….der Unbekannte verschwindet mit einer unmissverständlichen Handbewegung, während Eva, in die Wirklichkeit zurück befördert, großes Entsetzen befällt.
„Oh‘ mein Gott“, seufzt sie leise und schlagartig wird es in ihrem Kopf ein wenig nüchterner. Sie schämt sich vor sich selbst und vor allem vor dem Fremden, der nicht mehr auf sie achtet.
Wie konnte ihr das passieren….?
Langsam kehrt die Erinnerung zurück.
„Der verdammte Punsch“ rekonstruiert sie bei sich,….nur der hat ihr so kleines, harmloses und angenehmes Schwipserl von der Weihnachtsfeier, zum ausgewachsenen Rausch mutieren lassen …. welche Schande!
Sie steigt aus, pendelt immer noch ein wenig schwankend zu ihrer Wohnung, wobei sie die nächste Schrecksekunde überfällt …
Wie soll sie bloß ihren Zustand vor ihrem Mann rechtfertigen ….?
Nein, entschließt sie kurzerhand, der darf einfach gar nichts merken ….
Also reißt sie die ihr verbliebene Kraft nochmals zusammen, bewältigt die Treppen, sperrt die Türe auf und lässt sich etwas ramponiert in den Wohnzimmer-Fauteuil fallen.
Mit der Frage „was ist denn los?“, nähert sich der Ehemann, der sofort was Ungewöhnliches ahnt und seine Frau, die gar nicht gut aussieht, erschrocken betrachtet.
„Ach nichts…“beruhigt sie sofort….“nur ein bisserl der Kreislauf….“ und schließt einen Moment die Augen.
„Um Himmelswillen …. da rufe ich sofort die Rettung an … erschrickt nun auch er gehörig und strebt zum Telefon.
„Nein, nein, …” protestiert sie so energisch, dass er einen Moment zögert.
Nur das nicht …. Rettung, Krankenhaus …. das fehlte gerade noch … dann wäre die Katastrophe perfekt … das muss um jeden Preis verhindert werden, beschließt sie.
Die möglichen Ausreden, um das Schlimmste zu verhindern, schlagen Purzelbäume in ihrem Kopf und als geübte, typische „Eva“ erfindet sie eine ganze Palette von Erklärungen und Ausflüchten, die ihren besorgten Gatten nach großer Mühe und geraumer Zeit ein wenig beruhigen und von seinem Vorhaben abbringen.
Seit jener Weihnachtsfeier sind viele Jahr vergangen und Eva sowie ihr Mann genießen inzwischen den wohlverdienten Ruhestadt. Der Christkindl-Markt vor dem Rathaus in Wien, verlockt weiter jedes Jahr im Advent, mit von Lichtern und Tannenreisig geschmückten Standeln, schillernden Glaskugeln, köstlichen Lebkuchen, vielem anderen, vor allem aber mit dem aromatischen Wärmespender „Punsch“, die Wiener und deren Gäste zu gemütlichem Umtrunk.
Eva aber hütet ihre Erfahrung mit dem verführerischen Getränk als ihr ureigenes Geheimnis und bis zum heutigen Tag glaubt ihr Mann an die Kreislauf-Attacke, die sie damals befallen hatte.