Das kleine Dorf Martinsthal im Rheingau, mit 1300 Einwohnern – seit 1977 der Wein-, Rosen- und Sekt-Stadt Eltville eingemeindet – hat Ende August 2013 seinen 650. Geburtstag und gleichzeitig sein 85. Weinfest inmitten der den Ort umgebenden Weinberge, mit gebührendem Stolz zelebriert.
Genau zwischen den Reben der berühmten Weinlage „Wildsau“ feierten Einheimische und Gäste dieses Ereignis mit Lichter-Show, Musik und ausgelassener Stimmung.
Kann ja auch stolz sein, dieser kleine Ort, der 1966 eine eigene Fahne erhielt. Auch sind von den Martinsthaler Weinköniginnen 6 zur Rheingauer und 2 sogar zur Deutschen Weinkönigin gekürt worden.
Dass davor, im Monat Juni, in diesem Ort ein turbulentes Geschehen für Aufregung und Unruhe sorgte, davon haben bis heute allerdings nur wenige Menschen Kenntnis erhalten.
Unabhängig von dem jedes Jahr im Herbst stattfindenden Weinfest, gibt Martinsthal mit dem Brauch von Wein-Probierständen seinen Bürgern und Gästen auch die Gelegenheit, sich von der Güte seiner Weine zu überzeugen.
Freitag, Samstag ab 16 und Sonntag ab 11 Uhr funkeln auf diesen, die spritzigen Rieslingsorten in den Gläsern von Weinliebhabern und löschen den Durst trockener Kehlen.
Es war ein lauer Freitag Abend im Juni, als es an einem der Stände besonders heiter und vergnügt zuging. Kein Wunder, denn an diesem Tag wurde das Ehepaar F. endlich ihre Sorge los, wo ihr Kater Krümel während ihres 14-tägigen Urlaubs an der Ostsee untergebracht und versorgt werden würde.
Eine liebe alte Freundin wollte diesen Samariter-dienst schließlich übernehmen und mit ihr wird nun dieses Übereinkommen ausgiebig begossen.
Alles scheint geregelt, das Wochenende steht bevor und so werden die leeren Gläser immer wieder mit neuem, anregenden Rebensaft gefüllt und fließen in rascher Folge über die durch die lebhafte Unterhaltung stets trockenen Lippen des Trios. Keiner achtet dabei auf die Zeit oder die Zahl der Schoppen….
Indessen inspiziert in einem nahe gelegenen Haus, das Subjekt der ganzen Aufregung – ein Kater namens Krümel – seine neue Umgebung. Er schnüffelt in allen Ecken des Flures im Dach- Geschoss, wo man ihn abgesetzt hatte, neugierig herum. Nebenan hat sich der Hausherr inzwischen ins Schlafzimmer zurückgezogen, denn die Uhr nähert sich der zwölften Stunde.
Übrigens, wie jeder zugeben muss, verkörpert dieser Kater eine echte Schönheit. Sein Charakterkopf sitzt auf einem wohlgenährten, aber nicht zu dicken Körper und das gelb gestreifte Fell schimmert seidig und weich wie Gold.
Irgendwann trennt man sich unten am Probierstand mit allen guten Wünschen voneinander und Krümels Herrin für die kommenden 2 Wochen, trottet, bzw. schwankt ein wenig im Zickzack- Kurs ihrem Hause zu.
Gerade als sie die Treppe hoch, den oberen Flur erreicht, erfolgt ein dumpfer Knall und gleich darauf ein Heulen von der Straße her.
Sie erschrickt, dreht das Licht an und ihr Blick fällt auf das, einen größeren Spalt, geöffnete Dachfenster.
Sofort ahnt sie eine Katastrophe – um Himmelswillen, wo ist der Kater?
So schnell, wie es ihr Zustand erlaubt, läuft sie die Treppe wieder hinunter….
Die Straße ist voll von geparkten Autos,…nichts und niemand ist zu sehen….aber von irgendwoher
dringt lautes Gejammer und Schreien.
Sie geht dem Geräusch nach, es wird immer eindringlicher.
Da muss er liegen, diagnostiziert sie, kommt selber fast zum Liegen, als sie sich bückt und Krümel aus seinem Versteck zu locken versucht, was nach einer schier unendlichen Weile schließlich gelingt.
Das Tier hat ihre Stimme erkannt…
Jetzt dreht sich alles in ihrem Kopf, nicht vom Wein, sondern vom Schreck, dass ihr Pflegekind, das offenbar über ein Podest durch das geöffnete Fenster 7 m in die Tiefe gestürzt ist, sich schwer verletzt haben muss. Immerhin es lebt zumindest und jetzt gilt es rasch zu handeln:
Den jammernden Kater im Arm eilt sie zu den Freunden, die gerade dabei sind ins Bett zu steigen, um sich von ihrem etwas üppigen Weingenuss zu erholen.
„Wir müssen sofort in die Tierklinik nach Wiesbaden, Krümel ist vom Dach gestürzt und schwer verletzt…“ fordert die unerwartete Ruhestörerin.
„Keiner von uns kann sich jetzt ans Steuer setzen. Die Polizei patrouilliert gerade auf dieser Straße laufend…“ kommt entsetzt das Veto vom Hausherrn.
„Wir können unseren Liebling doch nicht verenden lassen…“ protestiert seine Frau, die bei der Schreckensnachricht in Tränen ausgebrochen ist.
„Dann muss eben Willy fahren, der schläft zwar schon, ist aber nüchtern,“ bestimmt resolut die Ersatzherrin und macht sich im selben Moment auf den Rückweg nach Hause, um ihren Mann aus dem Bett zu holen.
Der friedliche Schläfer ist nicht gerade begeistert, dass er das gerade erst aufgenommene Kostkind mitten in der Nacht nach Wiesbaden fahren soll…, fühlt sich aber insgeheim wegen des offenen Dachfensters ein wenig mitschuldig an dem Malheur.
Also startet das gesamte Team kurz darauf in Richtung Wiesbaden.
Dort angekommen weigert sich der Fahrer, seine schon von weitem nach spritzigen Riesling duftenden Genossen, in den Ordinationsraum zu begleiten und wartet draußen.
Auch in der Klinik ist man über den späten Patient wenig erfreut. Noch dazu, wo der sich äußerst aggressiv wie ein echter Tiger aufführt. Bei dem Versuch der Nachtschwester, ihm eine Beruhigungsspritze zu verpassen, wird er ganz wild, die Nadel fliegt durch die Gegend und er selbst
springt vom Behandlungstisch, rast mit drei Beinen, das Vierte hinter sich her schleppend, durch den Saal.
Aus dem anschmiegsamen Krümel ist durch gehörige Schmerzen ein unberechenbares Wesen geworden und er muss also über Nacht zur Verwahrung bleiben.
Die übrigen Akteure bei diesem traurigen Dilemma fahren anschließend, mit mehr oder weniger, aus verschiedenen Gründen schlechten Gewissens, ziemlich einsilbig zurück ins liebliche Martinsthal.
Den Urlaub hat Familie F. inzwischen bereits abgeschrieben.
Am nächsten Morgen bringt der Anruf aus der Wiesbadener Tierklinik dem Team weitere Aufregung.
Kater Krümel hat eine Fraktur, die bei ihnen nicht gemacht werden kann, er müsste in die Klinik nach Hofheim! Was bleibt also der Zechgemeinschaft anderes übrig, als den Verletzten sofort dahin zu verfrachten. Gott ergeben nehmen sie auch diese Strafe hin und liefern das kranke Geschöpf in der dortigen Klinik ab.
Die geplagten, nun wieder nüchternen Nachtschwärmer sind mit ihren Nerven ziemlich am Ende, als dann überraschend am Sonntag die Meldung erfolgt, Krümels gebrochenes Bein sei operiert worden, sonst hätte das Tier keinen ernsthaften Schaden davon getragen und könne abgeholt werden.
Alle sind erleichtert ,denn „ nur“ ein Beinbruch aus 7 m Absturz, gleicht einem Wunder… und sofort erklärt sich die edle Samariterin bereit, sowohl die Abholung wie auch anschließende Pflege des Tieres zu übernehmen, damit die Freunde wie geplant, am nächsten Tag ihren Urlaub antreten können.
Dass die Klinik dann bei der Abholung, für Krümel in den nächsten Tagen einen Laufstall anordnet, ist die letzte böse Überraschung für die Ersatz-Herrschaft, aber ein gegebenes Versprechen muss eingehalten und also auch eine solches Ding ziemlich umständlich besorgt werden.
Zum berühmten Weinfest von Martinsthal im August läuft Kater Krümel längst wieder auf 4 Beinen in der Wohnung seiner rechtmäßigen Herrschaft fröhlich herum….was aber ein köstlicher Tropfen Rebensaft und ein neugieriger Kater für Verwirrungen und Beinahe-Katastrophen anrichten können, das hätte keiner der Beteiligten für möglich gehalten.