Hätten die lieben Freunde geahnt, welche Odyssee ihnen bevorsteht, wäre dann ihr Hilfsangebot auch so spontan erfolgt??
Ich bin sicher „Ja“, denn in der Metropole am Donaustrom ist Hilfe unter Freunden genauso selbstverständlich wie das gemeinsame, fröhliche Feiern beim „Heurigen!“
In diesem Fall fand die Hilfsaktion im 12. Wiener Gemeindebezirk statt, der übrigens uralt, schon vor fast 1000 Jahren bewohnt war und sich südöstlich des Stadtzentrums ausdehnt.
Den Schauplatz liefert eine Anlage mit von Höfen umgebenen Wohntrakten und in einem davon hat meine Cousine ihr kleines, aber gemütliches Zuhause.
Es ist März und die Natur, die vor genau einem Jahr den Wienern mit Schnee den Winter zurück brachte, lockt diesmal mit ersten Knospen und Blüten zu Ausflügen in den Wiener Wald, der die Stadt bis hinunter zum Strom so liebevoll umarmt.
Für meine Cousine diesmal leider Fehlanzeige, denn sie muss zu einer notwendigen und längst fälligen Operation für 2 Wochen ins Spital.
Bestens und sorgfältig wurde von ihr alles für dieses unangenehme Zwischenspiel vorbereitet, da erschreckt sie doch in letzter Minute ein hinterlistiger Kobold mit einem gemeinen Schabernack. Er killt die Haltestange ihres etwas überfüllten Kleiderschrankes, sodass sämtliche nützliche und unnütze Kleidung hilflos am Kastenboden darnieder liegt.
Es gibt keine Möglichkeit mehr das Malheur zu beheben… aber da sind auch schon die guten Freunde zur Stelle, die während ihrer Abwesenheit, das Problem zu beseitigen, versprechen.
So wird lediglich die Gala-Garderobe auf Bügeln an sämtliche verfügbare Schrankwände gehängt.
Die Rettungsaktion verläuft dann folgendermaßen:
Zunächst inspizieren die beiden Samariter, bewaffnet mit allen notwendigen Werkzeugen, den Tatort, also den Kasten mit der geborstenen Kleiderstange.
Die Freundin kennt sich in der Wohnung aus, ihrem Schwager, – einem versierten und passionierten Bastler – ist sie mehr oder weniger fremd, aber eine kaputte Kleiderstange zu reparieren, stellt für ihn ohnehin nur eine, nicht der Rede werte, Kleinigkeit dar.
Ein wenig irritiert, stellt er dann aber ziemlich sofort fest, dass die ausgebrochene Halterung der Stange von oben angeschraubt worden ist und genau da versperrt ein verschlossener Kasten den Zugang.
In fremdes Eigentum einzudringen, ist nun absolut nicht seine Art und Absicht. Aber wie sonst soll die Kleiderstange wieder montiert werden.
Der Kasten muss also geöffnet werden. Die Freundin nimmt’s gelassen, ihr Schwager dagegen fühlt sich dabei wie ein Einbrecher. Und als ihnen dann Hunderte, nein Tausende von sorgsam geordneten Dia-Positiven entgegen kullern – Zeugen langjähriger, höchst persönlicher Erinnerungen – wird die Sache als Eingriff in eine fremde Sphäre deutlich.
Aber da es keinen Weg zurück gibt, werden ein paar Hundert Dias ausgeräumt….. bis der geplagte Samariter enttäuscht feststellen muss, dass der obere Kasten nur aufgesetzt wurde und es also keinen Zugang zu den unteren Schrauben gibt.
Das ganze Manöver droht zu scheitern…. aber jetzt, wo der Hausfriedensbruch ohnedies schon stattgefunden hat, aufzugeben…. nein, das entspricht nicht dem aufrechten Charakter des Bastlers.
Jetzt ist es schon wurscht…. eine Lösung muss gefunden werden.
Der frustrierte Schwager stemmt also kurz entschlossen die alten Halterungen der Stange weg und weiter helfen kann jetzt nur noch…. ein Baumarkt.
Also los, hinunter zum Auto und hinein ins Verkehrsgewühl der Großstadt. Beim ersten Anlauf findet sich nichts Geeignetes, beim Zweiten entdeckt der Bastler das passende Teil.
Wieder positiv gestimmt, wird abermals die Wohnung der von dem ganzen Geschehen ahnungslosen Patientin, angesteuert und flott naht sich das Hilfsprogramm seinem erfolgreichen Ende.
Das linke Hinterteil ist bereits abgeschraubt, da fährt ein neuer Schreck in die strapazierten Glieder des uneigennützigen Helfers, denn rechts ist die vorhandene, erhaltene Stange zur kurz!!
Jetzt wird’s kritisch!
Das ratlose Schweigen der Beiden nach dem erneuten Dilemma wird nach einiger Zeit des vom eisernen Willen besessenen Schwagers, die Sache zu vollenden, unterbrochen:
„Wo ist die Besenkammer?“
Gehorsam zeigt sie ihm die Schwägerin. Eine Weile prüft er den Inhalt und holt schließlich einen alten, aber offenbar sehr stabilen Veteran dieser Gattung hervor.
„Der ist gerade recht, der hält noch allerhand aus!“ ruft er und im gleichen Moment fällt ihm ein, dass er jetzt eine Säge braucht.
Wie befürchtet, findet sich eine solche im Haushalt einer weniger handwerklich orientierten Dame leider nicht.
„Na, dann borgen wir uns halt eine von den Nachbarn aus. Es wird doch in dem großen Haus wohl jemand so ein Ding haben! Und unsere liebe Freundin hat doch, wie Du immer sagst, gute Kontakte zu den Nachbarn.“
Die Schwägerin nickt und gemeinsam starten sie zu dem unfreiwilligen Bittgang und klopfen zunächst an die Türen im gleichen Stockwerk.
Komisch, niemand öffnet…. ob aus Abwesenheit oder sonstigen Gründen bleibt ungeklärt.
Als aber auch in den unteren Etagen sich nirgendwo eine Tür auf ihr Klopfen öffnet, wird die Geschichte verdächtig und verleitet zu Spekulationen aller Art.
Schon wieder scheint das ganze Unternehmen in hoffnungslose Düsternis abzurutschen.
Da fährt plötzlich wie ein Blitz die Erinnerung an ein Werkzeug, das sich auf Neudeutsch „leatherman“ nennt und sich in seinem Auto befindet, in des Schwagers Gedanken-Variationen. Denn diesem Universal-Werkzeug ist auch eine kleine Säge angeschlossen.
Also hurtig wieder runter und wenig später hält der Bastler, wie eine Siegestrophäe, der Schwägerin das Wunderding entgegen und beginnt auch sogleich damit den Besenstiel zu bearbeiten.
Wenig später unterbricht die aufgeregte Stimme der Schwägerin das beginnende Sägegeräusch.
„Warum stinkt es denn hier plötzlich so bestialisch“ ruft sie laut und rümpft die Nase.
Sie geht prüfend durch alle Räume und entdeckt überall fast symmetrisch verteilt, gelbbraune Flecke. Offensichtlich eine makabre Mitgabe von der Straße, mit der der eifrige und nimmermüde Chef des Unternehmens die ganze Wohnung parfümiert hat.
Dass auch noch ein Hund seinen stinkenden Segen zu der Hilfsaktion beisteuern musste, nein, das war nicht geplant, kann aber immerhin als Glückssymbol gedeutet werden.
Jedenfalls folgt dem ohnehin mit unerwarteten Pannen belasteten Duo noch ein aufwendiges Putzprogramm in alle Richtungen.
Mit einer Rolle Küchenpapier wird das Fleckenmuster gelöscht, ein Küchenschwamm muss die Salonfähigkeit der Schuhe des Schuldigen wieder herstellen, ein allgemeines Aufwaschen bei frischer Luft aus allen Fenstern soll den Gestank vertreiben….
Das letzte Rennen gilt dann dem in Stich gelassenen Besenstiel, der wiederum mit Sägespänen zum Griff in die Besenkammer zwingt, ehe er endlich in der inzwischen ebenfalls montierten rechten Halterung seine Karriere als Hüter der Garderobe seiner Herrin antreten kann und diese Aufgabe sicher mit Stolz erfüllen wird.
Und dass bei soviel Engagement und Hilfsbereitschaft unter Freunden, die Welt und insbesondere die Stadt an der schönen, blauen Donau, die schon die alten Römer als „Vindobona“ liebten, gar nicht untergehen kann, das wird Jedem klar, der einmal ihre Attraktivität und ihren Charme erlebt hat!!!
Nicht umsonst hat Wien sogar laut einer Studie aus jüngster Zeit unter 221 geprüften Städten weltweit sechsmal aufeinander folgend, den ersten Platz betreffend „Lebensqualität“ erhalten!!