Türkei

Unterwegs in der Türkei…

Wie ein zerknittertes, langes Handtuch breitet sich der Landstrich, der heute Türkei heißt vom Inselgewirr Griechenlands nach Osten hin aus. Das schwarze Meer säumt den Norden, die Ägäis bzw. das Mittelmeer umrundet den Süden bis die Landmassen Syriens und des Iran über das Meer triumphieren. Eingekeilt zwischen West und Ost windet sich die Türkei nicht nur durch zwei Kontinente, sondern auf ihrem Boden prallen auch zwei große Religionen mit all” ihren Machtbedürfnissen aufeinander.

Seit 10 Tausend Jahren treibt Homo Sapiens seine Spielchen auf dem Terrain, schwärmte von überall her in das von der Natur üppig ausgestattete Gebiet, bekriegte und vermischte sich, schaffte ein buntes Kaleidoskop von Völkern und Kulturen. Sie kamen und verschwanden und hinterließen ihre Spuren.

Sogar die Bibel bediente sich der grandiosen Kulisse des über 5000 m hohen Ararat und lässt Noah’s Arche auf ihm nach der großen Flut landen. Davor berichtete das Gilgamesch-Epos bereits von einem derartigen spektakulären Ereignis.

Hat es wirklich stattgefunden… ?

Vor etwa 7000 Jahren vermuten manche Wissenschaftler und verdächtigen dabei als Sündenbock die Veränderungen des Schwarzen Meeres. Vor Olim’s Zeiten war es ein großer Süßwassersee!

Andere Forscher widersprechen dieser These mit Gegenbeweisen.

Die Millionenmetropole Istanbul am nordwestlichen Rand der Türkei trägt am deutlichsten das Erbe der Zwitterstellung in ihrem altehrwürdigen Antlitz. Ihre Menschen schwanken zwischen den Gegensätzen „hier Europa.. .da Asien „ hin und her. Eine zauberhafte Wasserstraße — der Bosporus – die Meerenge zwischen Schwarzem- und Marmara-Meer ist Vollstrecker des Dualismus. Seine Ufer trennen die Welten und ihre Kulturen. Bei einer Schiffstour auf dem Bosporus bieten beide Seiten ihre Schönheit als Symbol von Gemeinsamkeit an. Von bewaldeten Höhen grüßen Zypressen, Kiefern, Rosskastanien, etc.. Kleine Dörfer dazwischen werben beiderseits für freundliches Miteinander.

Erst als vor ca. 1000 Jahren, im 11 Jahrhundert islamisierte Turkvölker auf ihrem Zug nach Westen das Territorium von Anatolien überschwemmten modellierte die Türkei ihre Gesichtszüge zur heutigen Form. In Istanbul beginnt auch meine Reise, zu der ich im September/Oktober 1987 starte, um die Brücke zwischen Ost und West, zwischen Vergangenheit und Gegenwart dieses von Geschichte triefenden, faszinierenden Landes zu finden. Nur flüchtige Ausschnitte aus einem komplizierten Puzzle werden mir eine Ahnung von den turbulenten, wechselhaften Schicksalen dieses Randeuropas vermitteln, wobei die Tatsachen immer wieder durch Legenden und Sagen nach orientalischer Facon gewürzt sein könnten. Das von einer Girlande aus Gewässern geschmückte Istanbul am Zusammenfluss von Goldenem Horn und Bosporus, wuchert heute als ein von Autos verstopfter und von 9 Millionen Menschen bewohnter, miefiger Moloch aus.

Angeblich im 7.Jahrhundert vor Chr. Von dem Griechen Byzas aus Megara als Byzanz gegründet, schmiegten sich damals lediglich ein paar Häuser um die auf einem Hügel erbaute Akropolis. Das war Istanbuls erster Auftritt auf der Weltbühne, auf der vorher – wieder vermutlich — seit der Zeit der Höhlenmenschen die Thraker wandelten.

340 vor Chr. belagerte Philipp von Mazedonien die inzwischen reiche Handelsstadt. Aber der plötzlich aus den Wolken auftauchende Mond warnte die Byzantiner rechtzeitig vor der bevorstehenden Schlacht. Darum sei damals der Halbmond zum Stadtzeichen erwählt worden.

Offenbar unvermeidlich infolge menschlichen Expansionsdrang rissen sich 196 nach Chr. die Römer die griechische Kolonie unter den Nagel, bauten eine Schutzmauer und vergrößerten ihren Bereich.

Inzwischen war Konstantin der Große in Byzanz aufgetaucht. Er erhob 330 die Stadt unter seinem Namen zum Hauptsitz… Konstantinopel war geboren!

Glanz und Pracht kehrten ein. Zum „Neuen Rom” von ihm ernannt, bescherte es dem Territorium eine Blütezeit. Dieses „byzantinische Reich” beherrschte als Nachfolgestaat des früheren römischen Imperiums über 1000 Jahre lang das Land.

Die zweite Weltmachtsepoche, die ihrer Hauptstadt den bis heute gültigen Namen Istanbul verlieh, leitete das sich später nach allen Richtungen ausbreitende Reich der Osmanen ein, dem ein halbes Jahrtausend Macht beschieden war.

Erst 1923 brach es zusammen und die „Republik Türkei” unter Kemal Atatürk wählte eine neue Hauptstadt als Regierungssitz: Ankara…

Mein Hotel in Istanbul liegt eingezwängt zwischen Straßen inmitten der Altstadt. Dahin zu gelangen gleicht einem Spießrutenlaufen durch dichtes Verkehrsgewühl und erfordert starke Nerven. Ebensolche benötigt man für den Besuch der steinernen Hinterlassenschaften, von denen die Stadt geradezu überquillt. Da heften sich sofort Straßenhändler wie Kletten an die Fersen eines jeden der so zahlreichen, meist europäischen Schaulustigen. Und in den heiligen Hallen der Moscheen, geschaffen für die Zwiesprache mit dem Allmächtigen hallen die Stimmen der Reiseleiter wider, um die sich wie ein Schwarm Bienen seine Gruppe drängen.

Draußen, außerhalb der dazugehörigen Höfe und Gebäude verwirrt oft ein Labyrinth von verwinkelten Gassen die Sinne und raubt jede Orientierung. Sie tragen Namen, die, wenn man sie denn lesen könnte, ein Spiegelbild blühender Fantasie seiner Bewohner darbieten. „Elefantenpfad.. .Gasse des flugunfähigen Huhns.. .Gasse des weißen Schnurrbarts… ”

Großartig sind sie alle, die zahlreichen islamischen Gotteshäuser, in denen zu Allah gebetet wird: Getrennt.. .hier Frauen, dort Männer… Die Andächtigen sollen schließlich einen Leib bilden! Dazu müssen sie dicht beieinander hocken oder knien und der enge Körperkontakt könnte im Falle eines gemischten Ensembles am heiligen Ort, unangebrachte Wünsche wecken.

Aus der Silhouette der Stadt ragen die schlanken Minarette wie mahnende Zeigefinger gen Himmel und beschirmen mächtige Kuppeln.

Eine der ehrwürdigsten Glaubensmonumente ist die Süleiman-Moschee, des Herrschers mit dem Beinamen der „ Prächtige“. Gebaut hat sie der berühmte Architekt Sinan, der als Spross griechischer Eltern im Zuge der „Knabenlese” (Zwangsverpflichtung christlicher Jünglinge für die Dienste des Sultans) erfasst, später Moslem wurde, auf die Palastschule ging, Kriegsingenieur bei den Janitscharen war und schließlich 1538 Chefarchitekt wurde. Verheiratet mit der Lieblingstochter Suleimans schuf er außer diesem Meisterstück mit über 85 Jahren, über 300 Werke verschiedenen Zwecks, wovon in Istanbul 24 noch erhalten sind.

Besonders fasziniert mich an der Sülemaniye auch der breite Innenhof mit den Arkaden, an dessen Eckpfeilern 4 Minarette emporragen.

Ein kleines, eher intimes Bauwerk Sinans entzückt mich besonders… die Rüstem Pascha-Moschee, die wegen ihrer Keramikfliesen aus dem alten Nikäa berühmt wurde. Mit vegetabilen und geometrischen Mustern bedeckt sie nicht nur die Wände und Säulen des Innenraumes, sondern auch den Mimbar (Kanzel) und die Fassade der Vorhalle.

Unter der Regierung Suleimans (1520 – 1566), Sohn von Selim des Ersten, des „Fürchterlichen” erlebte Istanbul seine zweite Blütezeit und war der glänzende Mittelpunkt des Weltreichs der Osmanen.

Etwas allerdings will gar nicht zu dem Porträt dieses hochgeschätzten und loyalen „Prächtigen“ passen.. .er ließ auf Betreiben seiner geliebten Frau Roxelana seinen ersten, begabten Sohn aus einer früheren Haremsbeziehung erwürgen. Als Selim der Zweite folgte ihm demnach nicht der Erstgeborene, sondern der nächste Sohn wurde Sultan und der galt leider allgemein als Trunkenbold. Mit ihm begann dann der schleichende Untergang des osmanischen Imperiums.

Da der Koran in arabischer Sprache verfasst ist und die Türken diese weder schreiben noch lesen können, müssen seine Suren auch vom Hedscha, dem Vorbeter, auswendig gelernt werden. Für die Türkei eine gewisse Schwierigkeit!

Ein köstliches Kaleidoskop türkischen Alltags beschert mir ein Bummel durch den Gewürzbasar… Hier boomt die Gegenwart mit Düften und exotischem Flair unbekannter Spezereien! Dank der Vielfalt seiner orientalischen Köstlichkeiten wird dieser gedeckte Gang auch „ägyptischer Bazar” genannt. Diese Passage öffnet sich auf einen großen Platz unter dessen Bäumen eine Armada von Händlern lautstark Waren aller Art verhökert. Blumen leuchten in bunten Farben, Vögel zwitschern in viel zu kleinen Käfigen, zusammengepfercht in Kisten piepsen flaumig gelbe Hühnerkücken.

In diesem Marktviertel an der Galata-Brücke – seit eh und je Brennpunkt eifrigen Treibens – schlägt das Herz der Stadt besonders kräftig. Hier fällt der Fremde nicht auf, wird assimiliert, aufgesaugt von den Transaktionen der Verkäufer und Käufer.

Auf der Galata-Brücke, die über das Goldene Horn hinweg den Stadtteil Galata mit dem alten Stambul und dessen großartigen Relikten aus „goldenen” Zeiten verbindet, lärmt ein Menschenstrom, heult um die Wette mit den vorbeirasenden Autos, liefert die Begleitmusik zu einem faszinierenden Blick auf die Kuppeln und Minaretts des alten Stadtzentrums.

Auf der unteren Brückenebene, die am Ufer entlang führt, offerieren Fischlokale und Stände verlockende Meeresfrüchte und die anregende Atmosphäre lässt Trubel und Windböen vergessen.

Noch fehlt mir im Vokabular der Superlativen osmanischen Glanzlichter Istanbuls die „Blaue Moschee”, sie wird derzeit leider renoviert. Mit 6 mächtigen Minaretten und harmonischen Schwung der Kuppeln verspricht dieses imposante Äußere besonders reiche vielgestaltige Inhalte.

Auch die berühmte „Hagia Sophia” als drittes und mächtigstes Gotteshaus – vom römischen Kaiser Justinian als Symbol christlichen Geistes, 537 eingeweiht – ist im Innern zu 1/4 eingerüstet. Die Türken wandelten sie nach der Eroberung in eine Moschee um und seit 1933 stellt sie als Museum eine der glanzvollsten Epochen in der Geschichte der Stadt dar. 16.000 qm Kirchenraum sind von goldenen und farbigen Mosaiksteinchen belegt. Die Hagia Sophia versinnbildlicht neben der Chora-Kirche den Glanz und die Macht des alten Konstantinopel. Selbst die Moslems, die sie zur Moschee umfunktionierten, Fresken Übermalten, schätzten das Bauwerk wegen seiner vollendeten Schönheit und ahmten oft ihr Vorbild nach .Die kolossale Befestigungmauer von Kaiser Theodosius erstreckt sich über 6,5 km und imponiert auch noch als Ruine. Ihre Tore sind bis heute benutzbar.

Immer wieder bei meinen Exkursionen in Istanbul werde ich radikal mit dem Gestern und dem Heute konfrontiert. Zu Fuß unterwegs zu sein hat hier allerdings seine Tücken. Schlechte Luft, hektischer Verkehr. Eine Hauptstrasse zu überqueren erfordert Mut und die Gefahr sich in dem Winkelwerk zu verirren ist immer gegenwärtig. So lande ich einmal unversehens in einem Viertel, wo Schmutz und Abfälle die Strassen zieren und verwahrloste Kinder dazwischen herumtollen und die reizvollen und typischen Holzhäuser dem Verfall preisgegeben sind.

Häufig befinden sich erlesene Kleinode zwischen hässlichen Fassaden inmitten einer unschönen Umgebung.

Zufällig entdecke ich ein anderes Mal den malerischen Markt der Antiquare, wo auf einem stimmungsvollen kleinen Platz mit Weinlaub-Pergolen, Bücher verkauft werden. Es soll einer der ältesten Märkte sein, wo bereits in der Zeit Konstantinopels Bücher und Schreibwaren verkauft wurden.

Märkte sind übrigens eine von Istanbuls Spezialitäten. Man findet sie überall auf den Strassen.Zahlreich sind die Stände mit attraktiv angeordneten Gemüse und Früchten oder mit Fisch, etc., die auf die Wichtigkeit auch kulinarischer Genüsse verweisen.

Berühmt dafür ist natürlich der überdimensional große „gedeckte Bazar”. Er offeriert eine Vielfalt an Waren aller Art, sodass man von dem Angebot fast schwindlig wird. Zudem verführt sein labyrinthisches Ausmaß den Besucher in verschiedene Richtungen, sodass man sich einen Faden a la Adriane wünscht um zurück zu finden. Angeblich verlaufen seine Straßen und Plätze nach einem rechtwinkeligen Schema…

Kurz nach der Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmet 2 wurde er erbaut und nun erscheint er als eine Stadt in der Stadt mit tausenden von Läden, Ständen, Werkstätten. Lokale, Cafes und Teehäuser laden zum Erholen ein und ein Informationsstand betreut Verirrte.

Zentrum des faszinierenden Bauwerks – eines der größten der Welt – ist die kuppelgekrönte Halle, in der die kostbarsten Waren zum Verkauf gelangen und die ich, genau wie die Karawansereien, bei meinem fast zweistündigen Spaziergang durch das Monster nicht finden kann. Plätze finden sich in den Seitenstraßen mit Säulen und Kuppeln. Besonders exklusiv präsentieren sich die Kolonnadengassen, wo Teppichhändler, Juweliere und Antiquitätengeschäfte agieren.

Beim Bummel durch Istanbuls Herzstück wird auch die Erinnerung an ein Areal wach, das heute nicht mehr existiert und an dessen Stelle nun ein hübscher Park zum Flanieren einlädt. Das antike Hippodrom: Es befand sich auf dem großen Platz gegenüber der Blauen Moschee und war während der Jahrhunderte des byzantinischen Reiches Mittelpunkt von Konstantinopel.

Wie in den Arenen von Rom fasste diese Stätte, von der außer den Fundamenten nichts übrig ist, 100.-150.000 Zuschauer. Hier fanden feierliche Zeremonien, Wagenrennen, Belustigungen aller Art, bis zu den grausigen Ritualen bei Hinrichtungen statt. Mit der hübschen Parkanlage hat der Ort seine Unschuld wieder erlangt.

So nahe dem gewaltigen und durch seine 6 schlanken Minarette doch feingliedrig wirkenden Manifest des Glaubens, der „Blauen Moschee”, kann ich nicht widerstehen, ihrem Innenraum trotz der zu 3/4derzeit vorgenommenen Einrüstung, einen Besuch abzustatten.

Schon der Innenhof mit in der Mitte einem Brunnen und Arkaden an allen Seiten, stimmt auf Außergewöhnliches ein.

Ein großer Raum empfangt mich sodann und ich versuche die Gerüste zu vergessen, um jene weltentrückte Atmosphäre nachzuempfinden, die er vermitteln soll. Strahlend blaue Kacheln unterstreichen die Sehnsucht nach dem Überirdischen, zu dem mächtige Säulen emporstreben.

Mir wird dabei klar, wie suggestiv die Ausstrahlung dieses Raumes ohne die Holzgerippe, die ihn jetzt zersplittern, sein muss!

Kaum jemand wird sich in dieser Stadt der ehrgeizigen Monumente europäischer und fernöstlicher Völker, die Besichtigung des osmanischen Machtzentrums — das Topkapi-Serail – entgehen lassen…

Wo sich der Bosporus mit dem Marmara-Meer vermählt, an der Keimzelle von Istanbuls Geschichte — dem Akropolis-Hügel von Byzanz — ließ Mehmet der 2te nach der Eroberung Konstantinopels seinen Herrschaftssitz errichten. Im 16.Jahrhundert wurde er erweitert und bis 1853, bis der neue Palast am Bosporus errichtet war, wurde im Topkapi-Serail, in dem die Sultane mit ihrem Hofstaat residierten, Weltgeschichte geschrieben. Die Frauen verstorbener Herrscher blieben noch bis zur Auflösung des Harems 1909 hier wohnen, während der Palast zusehends verfiel. Die letzten paar weltvergessenen Eunuchen mussten 1924, als die einstige Nobelherberge zum Museum degradierte, gehen. Heute strömen geführte Touristenscharen durch das renovierte „Haus der Glückseligkeit”! Fast 400 Jahre lang wurde auf diesem Hügel das Schicksal von Völkern besiegelt.

Die Höfe und Gebäude spiegeln Glanz und Pracht wider. Durch befestigte und bewachte Tore gelangte man damals zu den diversen heiligen Hallen. Die Pforte zum privaten Bereich des Sultans, dem eigentlichen „glücklichen Bezirk”, schmückte ein Vordach mit eleganten Arkaden.

Durch Pavillons, Kammern und Gemächer wälzen sich nun die staunenden Besucher. Bewundern die Utensilien in 10 großräumigen Küchen, die Sammlungen chinesischen Porzellans, die Kleider- und Schatzkammer, die Stallungen und vieles mehr, was an luxuriösen Komfort die Herrscher, die Damen des Harems und ihre Bewacher – weiße und schwarze Eunuchen – Janitscharen-Krieger und ein Heer von Bediensteten umgeben hat. Doch was sich in diesem Reich der „Tausend und eine Nacht”-Romantik an Intrigen, Eifersucht und Mord zugetragen haben mag, davon verraten die prächtigen Hinterlassenschaften nichts. Auch Allah konnte und kann die Menschheit nicht zu „Menschlichkeit” verführen.

Ehe ich mich von dem so beeindruckenden Dreigestirn „Byzanz-Konstantinopel-Istanbul” trenne und per Zug zur heutigen Hauptstadt der Türkei starte, werfe ich noch einen erholsamen Blick auf die beiden Kontinente, die hier so nahe beieinander ihre Visitenkarte präsentieren.

Mit dem Schiff entlang des Bosporus zum Schwarzen Meer – er ist 30 km lang und an der engsten Stelle 800 m breit – liegen sich Europa und Asien direkt gegenüber und abwechselnd legt die gemütliche Fähre mal an diesem, mal an jenem Ufer an. Üppig grüne Hügel, in die imposante Festungen, anmutige Dörfer mit gelassener Betriebsamkeit gestreut sind, säumen das breite Band des Flusses. Ein malerisches Kaleidoskop, das wie von Malerhand auf die Leinwand der Natur geworfen scheint und in jeder Bucht mit neuen Motiven entzückt. Und hüben wie drüben wecken idyllische Blickpunkte den Wunsch zum Aussteigen zwecks näherer Betrachtung.

Ankara, im Westen Anatoliens ist seit 1923 Hauptstadt der Republik Türkei und schockiert durch seine zwei gegensätzlichen Gesichter, die verschiedenen Welten angehören. Kemal Atatürk hat das Erbe der Osmanen in einen modernen Staat umfunktioniert, in dem die Vergangenheit der Gegenwart oft noch hinterherhinkt. Besonders sichtbar wird das in der Hauptstadt, wo das europäisch, westlich geprägte Stadtbild direkt an Viertel orientalischer Lebensart grenzt. Wo die Bewohner ihre alten Traditionen pflegen und sich weder bei der Kleidung, noch in ihren Alltagsgewohnheiten vom neuen Stil infizieren lassen.

Auch Ankara hat eine sehr lange Geschichte infolge ihrer Lage an der großen Durchgangsstraße Kleinasiens von Ost nach West.

Hier zogen die Heerführer und Herrscher, die Großen der Weltgeschichte vorbei… Römer, Araber, Türken, Kreuzritter, Mongolen… alle mit unterschiedlichen Zielen und Absichten.

Verloschene Existenzen, verwehte Spuren…

Von der Zitadelle überblickt man das Häusermeer der Stadt als attraktive Metropole, während der Pfad zu dieser Panorama-Sicht von alten, abgenutzten, ärmlichen Behausungen beherrscht wird und Europa meilenweit entfernt zu sein scheint – am anderen Ende der Welt.

Man kann diesen alten Distrikt auch beschaulich oder idyllisch nennen und als Romantik verklären, je nach der Perspektive des Betrachters.

Mir persönlich präsentiert sich Ankara zumindest im Zentrum trotz aller Zwiespältigkeit als schöne, aufgelockerte Stadt, die auch mit europäischem Flair brillieren kann.

Ein kurioses Monument mit recht wechselhaftem Schicksal prangt auf einer Anhöhe als Ruine in Form einer Mauer. Eingeritzt auf ihr gibt sie Kunde vom „Testament” des römischen Kaiser Augustus. Ein Rechenschaftsbericht aus dem Jahr 14 n.Ch. Angeblich blieb dieser Text, der in jedem Teil des römischen Reiches angebracht werden sollte, nur in Ankara in nahezu vollständiger Form erhalten, während die Tafeln in Rom nie gefunden wurden. Der Tempel selbst war im 5.Jahrhundert in ein christliches Gotteshaus verwandelt worden und hat sich später zur Medrese (Koranschule) entwickelt. Außer den von Augustus proklamierten „Res Gestae” ruft er sich heute nur als Trümmerhaufen in Erinnerung.

Das größte Erlebnis bietet mir Ankara und vielleicht der ganzen Reise, in seinem „Museum der anatolischen Kulturen”, das im Bedesten, einem ehemaligen Bazar untergebracht ist.

In einer Anzahl von Räumen stellen sich hier die schon halb vergessenen Völker namentlich und anschaulich mit ihrer einstigen Habe, vor.

Sie erzählen von ihrem längst erloschenen Dasein vor Hunderten oder Tausenden von Jahren, ihrem Glauben und Nöten, ihrer Macht, den Kriegen und Siegen bis zu ihrem Verschwinden im Schlund der Zeit.

Phryger, Urataer, Thraker, etc. etc. eine ganze Palette von Volksstämmen, die jemals das Territorium der Türkei kurz oder lang besiedelt haben, wird aus dem Dunkel der Vergangenheit wieder lebendig. Im Vergleich zu ihnen, erscheinen im Perpetuum mobile der Völker… , die Assyrer, Griechen, Römer fast als nahe, vertraute Verwandte. Was aus dem Boden der Türkei herausgeholt wurde – und nur von diesem stammen die Funde – vergegenwärtigt sich hier der Nachwelt. Und jede der vielen Kulturen strahlt ihr Fluidum in einem eigenen Raum aus.

Die graue Vorzeit ist mit einem Schädel des Neandertalers präsent, dessen nun leere Augenhöhlen unseren Planeten einst in wohl anderem Zustand wahrgenommen haben.

Primitive Werkzeuge und Waffen beschreiben die Mühen des Alltags vor 9000 Jahren und früher… Wandmalereien aus einer Höhle zeugen vom Bedürfnis nach künstlerischem Ausdruck schon bei den Urmenschen.

Ein Raum bei meiner Wanderung durch die Zeit berührt mich in diesem Museum ganz besonders: Ich stehe in einem rekonstruierten und original eingerichteten Haus aus Catal Hüyük, einer der ältesten Städte Anatoliens, südlich von Ankara in der Nähe von Konya!

Es ist klein, aber voll von der Ausstattung, die Menschen vor 9000 Jahren (Neolithikum) umgab. Von den Wänden, die mit Bildern (z.B. das eines Leoparden) bemalt sind, blicken Stierköpfe auf mich herunter und… die bescheidene Einrichtung wirkt fast anheimelnd! Sind Jahrtausende nur Bruchteile von Sekunden im Uhrwerk der Zeit… ? Während die „Stadt” aus Lehm am Fundort längst von der Witterung verschlissen wurde, erwacht ein Teil von ihr im Museum zu neuem Leben!

Es waren Häuser mit flachen Dächern, eng in Gruppen aneinander gereiht, die sich oft zu breiten Höfen öffneten, aus Lehmziegel bestanden, Schränke hatten und vom Dach aus zugänglich waren.

.Ankara beschert mir noch ein zweites gravierendes Beispiel seiner Vielfalt. Ein Pilgerziel und Wegweiser zur Moderne: Kemal Atatürks Mausoleum im Südwesten der Stadt. Er schuf das Sultanat ab und gründete die Republik Türkei.

Ein antik gestalteter Weg mit 2 steinernen Löwen und höchst lebendigen Soldaten, die ebenso reglos wie ihre gemeißelten Kollegen Ehrenwache halten, säumen den Zugang zu diesem Nationalheiligtum. In erhabener Schlichtheit präsentiert es sich dann im Nachmittagslicht auf einem großen Platz die Weihestätte. Der Marmorsarg im Inneren strahlt Ruhe und Würde ohne jeglichen Firlefanz aus. In die Mosaikdecken des Bauwerks sind Motive von Teppichen gewirkt.

Von Ankara dringe ich weiter ins zentralantolische Hochland vor, das gelb und öde wenig Interessantes bietet und oft von Erdbeben heimgesucht wird.

Nach kilometerlanger Fahrt in östlicher Richtung schraubt sich die Straße plötzlich bergan und taucht in eine bizarre Landschaft ein. Unvermutet stehe ich vor einem riesigen Ruinen-Areal: Hattusa! Einstige Hauptstadt des Hethiter-Reiches, nahe dem heutigen Dorf Bogazkale. Auch dieses indoeuropäische Volk ist von Südeuropa oder dem Kaukasus 1700 v.Ch. eingewandert, hat die hier ansässige bronzezeitliche Kultur bekämpft und besiegt, aber viele ihrer Bräuche übernommen und schließlich seine Hauptstadt an dieser Stelle errichtet. 200 Jahre davor unterhielten die Assyrer in diesem Gebiet eine Handelskolonie.

Als stärkste Macht damals, machte auch den Hethitern 1200 v.Ch. die große Wanderbewegung kriegerischer Völker, wie allen Reichen der Bronzezeit den Garaus. Als Kleinstaaten lebten sie zwar noch 500 Jahre weiter, aber als 600 v.Ch. erstmals die Griechen erschienen, wusste man nicht einmal mehr etwas von der Existenz der einstigen Großmacht.

Die Hethiter boten immerhin sogar Ramses den 2ten in Ägypten die Stirn, hätten ihn beinahe besiegt. Im Friedensvertrag verstand es allerdings der Ägypter perfekt, seine Beinahe-Niederlage in einen Sieg umzumünzen.

Die Ruinen des hethitischen Großreichs übertreffen alle meine Erwartungen… Mag der Atem der Zeit, die Spuren menschlicher Machwerke verwischen, monumentale Zeugen aus Stein kann er nicht völlig vernichten. Sie beklagen als Ruinen ihre Demontage.

Der Burgberg, auf dem die Akropolis thront und darüber die Oberstadt ist von einem Mauerring mit 3 Toren vor Eindringlingen und bösen Geistern geschützt – dem Löwen-, Sphingen- und Königstor. Ihr ausdrucksvoller Reliefschmuck ist nur zum Teil erhalten. Vieles davon ruht im Museum von Istanbul und… Berlin. 12 m unter dem Sphingentor führt rechtwinkelig zum Burgberg ein unterirdischer Gang, der vollständig erhalten ist hinaus ins Freie. Ein Zyklopentunnel, 70 m lang, an dessen Ende man „draußen” ist… ein Fluchtweg, falls notwendig! Ein staunenswertes Verteidigungssystem, errichtet vor Tausenden von Jahren!

Am Königstor, dem dritten Eingang zur Oberstadt kann man den Abguss des Kriegsgottes mit Hörnerhelm und kurzem Rock, in der Hand die Streitaxt und das Krummschwert im Gürtel, bewundern. Das Original im Museum von Ankara zählt zu den Meisterwerken… Wo immer man von hier oben hinunter ins Land blickt, erstrecken sich soweit das Auge blickt Ruinen, Ruinen, die von vier Tempeln stammen sollen, wobei der größte unter ihnen ein besonders imposantes Ausmaß besitzt. Es ist verwirrend, sich aus den ausgegrabenen Mauern und Steinplatten in dem riesigen Gelände auch nur eine vage Vorstellung von der einstigen Wirklichkeit zusammen zu basteln.

2 km von Bogazkale entfernt, in bizarrer Felsgegend stellt die alte Kultstätte der Hethiter, Yazilikaya, die gleichen Fragen an die Fantasie.

Vor den natürlichen Felshöhlen lag ein gemauertes Heiligtum, von dem noch die Grundmauern zu sehen sind. Zwei der Höhlen kann man betreten, die dritte ist wegen Einsturzgefahr gesperrt. In der ersten Höhle, der großen Galerie, zwischen zerklüfteten Felsstöcken erkennt man rechts und links aus dem Stein gemeißelte Figuren (fast 100 sollen es gewesen sein) – eine von der Zeit stark verwitterte Götterprozession!

Hier dürfte das höchste Fest der Hethiter stattgefunden haben.

In der „kleinen Galerie”, der zweiten Felsspalte, vermutet man die Grabkammern für die vergöttlichten Großkönige.

Ca. 300 km sind es nach dem Zwischenspiel spektakulärer Landschaft durch eine ziemlich uninteressante Gegend bis Kappadokien.

Dieses „Naturwunder” schmiegt sich mit fantastischen Gebilden sozusagen als Mittelstück in das langgezogene „Handtuch” der heutigen Türkei.

Für mich stellt es gleichzeitig den östlichsten Punkt der Reise dar, denn die große zweite Hälfte, Richtung Osten, wo Asien – Irak im Süden und Iran und Russland im Osten sowie Syrien im Südosten – die Staatsgrenze bildet, werde ich dieses Mal nicht besuchen. Mein Weg wird nach Westen und Süden, dann dem Mittelmeer folgen und wieder nach Norden zurück nach Istanbul führen.

In Kappadokien jedenfalls überwältigt eine Natur, die übermächtig ihre Gestaltungskraft als Herrin auf diesem Planeten zur Schau stellt.

Eine bizarre „Mondlandschaft” von ca. 20 mal 20 km, geformt von Lava- und Aschemassen, die vor Millionen von Jahren von den beiden großen Vulkanbergen Kappadokiens herabströmten, blendet das Auge. Die Vulkane sind erloschen, die Zeugen ihrer Gewalt sind mit dem Lehm eine Allianz eingegangen und haben gemeinsam mit den vor Urzeiten von den Felsen der Gegend gegrabenen Canons, Rinnen und Tälern, Plastiken geschaffen, wie sie kein Künstler zu modellieren vermag. Kegel, mal in Gruppen, mal einsam, recken sich bis über 30 Meter hoch. Oft ruht auf ihrer Spitze noch ein Rest Basalt. Die Einheimischen nennen diese Kapitelle, die auf den Kegeln balancieren, „Feen-Schornsteine”. Schwarz russen sie über den vielfarbigen, von ziegelrot über ocker bis aschgrau schimmernden Gesteinsriesen.

Und wie stets hat der Mensch auch hier seine Vormachtstellung innerhalb der Schöpfung demonstriert, hat Felskegel und Steilwände bearbeitet, hat Häuser, Vorratslager, Klöster und Kirchen aus dem Gestein gemeißelt. Ganze Dörfer wuchern aus der „Mondlandschaft” gleich riesigen Bienenstöcken oder Tauben-schlägen. Felswände sind von Höhlenwohnungen durchlöchert, freskengeschmückte, byzantinische Kirchen trugen das Christentum bis in die von Menschenhand ausgewuchteten Löcher.

Besonders diese Felsenkirchen sind es, die Kappadokien heute zum Aushängeschild für Touristen machen. Als Freilichtmuseum häufen sich bei Göreme etwa 20 Gotteshäuser, diemit Wandmalereien aus dem 11. Jhdt. geschmückt sind.

Dringt man in eine der Kirchen ein, dann stockt der Atem und längst vergangene Jahrhunderte tauchen aus der Unendlichkeit der Zeit in die Gegenwart ein.

In der „Kirche mit dem Apfel” sind die Fresken von Szenen aus dem Neuen Testament inspiriert. Kuppeln und Säulen leuchten farbenfroh auf grauem Urgrund. Der Wehrmutstropen dabei: Mutwillige Beschädigungen durch Menschen, die nach frommen Christen ihre schäbigen Visitenkarten hinterließen. Bekritzelt und zerkratzt klaffen sie als traurige Wunden über heiligen Motiven.

Den Glanzpunkt sakraler Kunst finde ich in der Tokali-Kirche etwas außerhalb des Freiluftmuseums an der Straße nach Acilar. Mit Vorraum, Querschiff, kleinen und großen Apsiden gleicht sie einem Dom, der alle Register von Formen und Farben erklingen lässt.

Mit einer weiteren Kuriosität der Natur überrascht mich der Ort Zelve. Da sitzen doch auf dem Tuffgestein „Köpfchen”, die die Bewohner der Gegend zur Bezeichnung „Tal der Penisse” inspirierte. In Zelve wohnen auch heute noch Menschen in den Höhlen und zwar gar nicht schlecht! Sie haben sich in diesen Behausungen ein bequemes und hübsches Zuhause geschaffen.

An anderer Stelle, wo beim Zusammentreffen eines Tales mit 3 Canons eine Art Naturtheater entstanden ist, dessen Steilwände siebartig durchlöchert sind und Öffnungen zu Höhlenkirchen und Wohnungen aufweisen, hat sich der sinnige Name „Tal der versteinerten Soldaten” eingebürgert.

45 km von dem Felsen-Eldorado entfernt, erwartet mich neuerlich ein etwas merkwürdiges Beispiel menschlicher Erfindungsgabe, dessen Sinn und Zweck bis heute nicht ganz geklärt ist. Inmitten eines Ortes, von außen nicht zu erkennen, liegt eine ganze Stadt begraben: Das unterirdische Derinkuyu! Sie und andere derartige Komplexe wurden erst vor einigen Jahren entdeckt und vermutlich bereits in vorchristlicher Zeit aus dem Erdreich geschlagen. 8-10 Stockwerke führen in geheimnisvolle Tiefen. Die oberste Etage beinhaltet geräumige Wohnungen sowie labyrinthartige Gänge und Plätze… Darunter kann man Lager, Zufluchtstätten oder was immer vermuten. Das Ausmaß des versteckten Koloss lässt auf die Anwesenheit von bis zu jeweils 10.000 Menschen schließen. Eine unbekannte Vergangenheit, erschaffen von namenlosen Menschen!

Für meinen nächsten Aufenthalt ist die alte Stadt Konya eingeplant. Zu ihr führt die Strasse in Richtung West. Dominiert wird ihr Antlitz von den Hinterlassenschaften der Seldschuken, jenem Turkvolk, das zuerst – im 12 Jhdt – den Weg nach Anatolien gefunden hat, zumal sie am Schnittpunkt wichtiger Handels- und Verkehrswege liegt. Und sie spielte bald die Hauptrolle im Debüt dieser türkischen Dynastie. Mit erhabenen Bauten belegt sie die Größe und Machtentfaltung, mit der sich auch ihre Kultur ins Licht der Geschichte gedrängt hat.

Auf dem Weg dahin begegne ich Karawansereien, die berühmteste und größte ist die Sultan Hani. Trotz Verfallserscheinungen imponiert sie durch reich verzierte Portale, Stützpfeiler, und Wehrtürme. Ihr Anblick erinnert an eine mittelalterliche Festung. Den Kaufleuten, Händlern und ihren Tieren wurden in Karawansereien stets Unterkunft und Verpflegung geboten.

In Kriegszeiten dienten sie auch als Militärlager. Als ausgediente Reliquien erzählen sie jedenfalls von einer für Europäer fremden, exotischen Welt.

Hauptattraktion für Touristen und Nationalheiligtum der Türken ist in Konya die Mewlana Tekke, ein Derwisch-Kloster und Spiegelbild einer Epoche mystischen, aber auch kulturellen Höhepunktes, das heute vor allem gläubige Moslems anzieht. Mewlana war Gründer des Derwischordens, der 1925 von Atatürk aufgelöst wurde. Trotzdem gilt die „Tekke” heute als eine der heiligsten Stätten des Islam. Mehr als 600 Jahre war sie Mittelpunkt von Kunst, Literatur, Musik und Religion in Konya.

Im Tanzraum drehten sich einst Derwische in weiten, weißen Gewändern und zylinderförmigen Hüten ekstatisch um die eigene Achse, begleitet von einer türkischen Rohrflöte.

Beim Gang durch dieses Museum mit den beiden Sarkophagen von Mewlana und seinem Vater, den vielen Kunstschätzen und der stillen Feierlichkeit, kann sich durchaus auch einem als „ungläubig” abgestempelten Besucher der Zauber einer geheimnisvollen, mystischen Atmosphäre offenbaren.

Die Reise durch Anatolien mit seinen archäischen Szenen des Alltags, den seltsam gekleideten Frauen mutet ohnedies wie eine Fahrt zurück ins Mittelalter an, bei der Europa verblasst, als läge es auf einem anderen Stern.

Auf der nun folgenden Wegstrecke nach Westen wird das anatolische Hochland von mehreren Seen gesprenkelt, darunter der drittgrößte der Türkei – der Beysehir. Bald folgt dann der scharfe Knick nach Süden, der in eine grandiose Bergwelt mündet. Es scheint als schicke das Mittelmeer einen Hauch seines tropischen Atems bis auf die Höhen des Taurusgebirges. Dichte Wälder, saftige Wiesen und klare Flussläufe schmücken die Landschaft unterhalb seiner schroffen Zacken und Zinnen.

Abseits der Straße, die sich bergauf durch eine tiefe Schlucht zum Bogazi-Pass quält, verstecken sich Überreste aus uralten Zeiten, geben Kunde vom ewigen Kreislauf allen Lebens und verschwundenen Existenzen: Hier, irgendwo war einst eine bronzezeitliche Siedlung… da, seitwärts gab’s einmal eine Höhle mit steinzeitlichen Artefakten – die meisten, die bisher in der Türkei entdeckt wurden. Grüße aus einem fernen, unbekannten Alltag!

Antalya überrascht durch seine Größe und moderne Ausstrahlung, einem hübschen Yachthafen in sanft geschwungener Bucht. Nur der alte Kern, dem modernen Flair entrückt, führt den Neugierigen durch verwinkelte Gassen und zeigt das Fluidum der seldschukischen Eroberung von 1207 bei der sich die Moslems die 158 v.Chr. gegründete griechische Stadt, wie soviel andere einverleibten. Beim Bummel durch das romantische Altstadt-Gewirr trifft man allerdings nicht nur auf die malerischen, osmanischen Holzhäuser, sondern auch auf Verfall und Schmutz. Der Blick vom Karaali-Park oberhalb des alten Kerns gleitet über ein Panorama, wie es die Natur wohl nur in verschwenderischer Spendierlaune zu kreieren vermag.

In der Umgebung von Antalya übertreffen sich als schillernde Perlen, weitläufige Ruinenstätten, die die Dynamik und Ausdruckskraft der griechisch-römischen Kultur manifestieren.

Perge zum Beispiel, das angeblich nach dem trojanischen Krieg um 1100 v.Ch. seine Geburt erlebte und fallweise unter der Herrschaft von Lydern, Persern, Alexander dem Großen, Römern zu beachtlicher Größe heranwuchs.. .bis die Seldschuken kamen. In Perge begeistern die Relikte aus jener Zeit, die man die „klassische” nennt, die als Kunst oft imitiert wurde und auch nach 2000 Jahren noch Ehrfurchtschauer entfesselt. Während das äußere, römische Stadttor von den Jahrhunderten verschoben, umzustürzen droht, bewacht das alte hellenistische in monumentaler Souveränität den Eingang zur alten Stadt. Kolonnadenstraßen… römische Thermen… Theater… Nymphäum… Selten vermitteln Ruinen so plastisch den Eindruck vergangener Pracht.

Es sind immer noch Ausgräber am Werk. Reliefverzierte Fundstücke pflastern das Gelände, Bruchstücke von Mosaiken lugen manchmal aus dem Sandboden, Masken auf einem herumliegenden Friesrest grinsen in die Neuzeit… Und welch’ seltenes Glück, weder Händler, noch Touristenschwärme stören den beschaulichen Streifzug durch diese Antike!

In Aspendos, der nächsten Perle im Collier der Altertümer, die allerdings, obwohl einst reich, nie richtig erschlossen wurde, verleitet das großartige griechisch-römische Theater zum Schwärmen. In bester Verfassung, genau wie vor 2000 Jahren erhebt es sich majestätisch aus dem Gestrüpp seines Umfeldes, in dem die verstreuten Ruinen der ehemaligen Stadt, überwachsen und kaum identifizierbar dahindämmern.

Umso strahlender leuchtet das kolossale Halbrund dem Betrachter entgegen. Blickfang des unter Kaiser Marc Aurel errichteten Prachtbaues mit weltberühmter Akustik ist das mehrgeschossige, hochgezogene Bühnenhaus, sozusagen die Kulisse des Theater, auf dessen steinernen Treppensitzen sich 20.000 Menschen versammeln können. In frühen, klassischen griechischen Theatern fehlte dieser Hintergrund, da fungierte die Landschaft als Umrahmung. Auch heute erfüllt das ehrwürdige Relikt bei Festspielen noch seine Pflicht mit Aufführungen antiker Dramen.

In der Nähe von Aspendos markiert übrigens am Eurymedonfluß ein Hinweis die Erinnerung an ein besonders blutiges Ereignis. An dieser Stelle fand das berüchtigte Gemetzel statt, bei dem die Griechen siegreich die Perser bekämpften und so die Küstenstädte von den Eindringlingen befreiten.

Das dritte Mitglied im Ensemble der Antiquitäten, Side, liegt direkt am Meer und hier gönne ich mir eine Woche Strandurlaub. Zwischen und um die Trümmer der Vergangenheit hat sich ein Dorf etabliert, das mit Hotels und Restaurants die Wünsche der Gegenwart erfüllt. Immerhin bietet Side ein turbulentes Strickmuster von Auf und Ab, Blüte, Niedergang, Vergessenheit.

Eine Siedlung anatolischer Ureinwohner sei hier im 7. Jahrhundert v.Ch. zur Kolonie der äolischen Stadt Kyme avanciert und nach Alexanders Sieg vollständig hellenisiert worden. Soweit dieser Aspekt seiner Existenz.

Wirtschaftlich einträglich, aber moralisch düster ging es im 2. Jahrhundert v.Ch. zu. Da erkoren die zahlreich an dieser Küste agierenden Seeräuber, Side, dank seines günstigen Hafens, zum Zentrum ihres Sklavenhandels. Dadurch schwelgte die Stadt 1 1/2Jahrhunderte im Reichtum, bis Pompejus dem Unwesen Einhalt gebot. Im Rausch dieses makabren, aber Wohlstand erzeugenden Treibens, entstanden die meisten noch heute erhaltenen Baudenkmäler. Als Rom kollabierte und Side Opfer barbarischer Überfälle wurde, baute es eine Verteidigungsmauer und rappelte sich verkleinert in byzantinischer Zeit wieder hoch, bis die Araber kamen und es abermals in den Ruin stürzten. Eine Feuersbrunst im l0. Jhdt. vollendete das Untergangsszenario. Für die nächsten 1000 Jahre wehte der Südwind das ehemalige „ Juwel” mit hohen Sanddünen zu. Griechische Muslime – Flüchtlinge aus Kreta – wählten den Platz im 19.Jhdt. für ihre Bleibe aus und machten aus ihm einen Fischerort. Sie leben noch heute zwischen den Ruinen…

Es ist schon seltsam beim Spaziergang in einem Seebad, außer auf ein Museum mit sorgsam konservierten Skulpturen, einem eindrucksvollen ausgedienten Theater, auch immer wieder auf Fragmente zu stoßen, die namenlos irgendwo herumliegen. Die attraktivsten hat man wohl identifiziert, doch oft begegne ich bei meinen Wanderungen um die hübsche Bucht irgendeinem Relikt, mit dem man offenbar nichts anzufangen wusste. Ebenso trotzt auch im Ortszentrum zwischen Souvenirständen da und dort ein Stück Antikes der geschäftigen Gegenwart.

Es sind erholsame Tage, gewürzt mit dem Geist einer vergangenen Ära, die ich in Side genieße, ehe mich unterwegs wieder neue Eindrücke überfallen.

Ein Abstecher bringt mich zuerst noch von Antalya steil bergan in die Bergfeste Termessos, einer Ruinenstätte, die von Bäumen und Sträuchern überwuchert an einen Urwald zwischen Felswänden erinnert. Darin verstreut finden sich Sarkophage und aufgebrochene Gräber der einst im Altertum als uneinnehmbar geltenden Festungsstadt. Sogar Alexander der Große ließ dieses Bergnest 333 v.Ch. dank seiner abweisenden Lage in Ruhe. Nach ihm hat die Zeit ihre Wehranlagen und Wohnstätten zerfallen und versprengt im Dickicht vergraben. Zurück durch das Taurusgebirge und auf der von Konya kommenden Strasse weiter Richtung Westen zur Ägäis erscheint auf etwa der halben Strecke dorthin ein Naturwunder, das in der Türkei als einmalig eingestuft wird. Pamukkale…

Schon von weitem sichtbar schimmert auf einem aus der Ebene aufragenden Fels ein weißer Fleck, als ob sich ein Schneefeld hierher verirrt hätte. Näher kommend erkennt man, dass sich der Hang in Terrassen gliedert, auf denen Wasserbassins gelagert sind, die von zerklüfteten, weißen Rändern begrenzt werden. Ein ungewöhnliches Phänomen!

Es handelt sich um Sintergestein, das sich als Stalaktiten um die stufenartig versetzten Becken sammelt. Unablässig fließt heißes Wasser bergab… Dieses Schauspiel hat seinen Regisseur am oberen Hang eines Berges, an dem Quellwasser entspringt. Während es über die Terrassen gleitet lagern sich weiße Kalkrückstände ab, die bizarre Formen produzieren. Mit „Baumwollschloss” und „Elfenteiche” wird dem märchenhaften Geschehen die namentliche Huldigung zuteil.

Steht man staunend vor dem merkwürdigen „Schloss”, dessen Becken sich in den unteren Etagen muschelförmig erweitern, liefern bis über die Knöcheln im Wasser planschende, kichernde Touristen eine unnötige Begleitmusik und als nicht abzuschüttelnder „Klebstoff“ heften sich Händler an die Fersen jeden Betrachters.

Oberhalb der spektakulären Szene haben sich vier komfortable Hotels samt entsprechenden Souvenirläden für Gäste etabliert. Selbstverständlich wird auch Wasser für die Hotel-Schwimmbäder vom Naturwunder abgezapft!

Als die Sonne sich anschickt unterzugehen und die Badenden sich aufs Abendessen vorbereiten, spaziere ich nochmals zu dem seltenen Mirakel, dessen pittoresk geformte, weiße Schleppe von den letzten Strahlen verzaubert wird. Es fällt dabei nicht schwer, sich in ein verwunschenes Reich von Feen und Märchenwesen versetzt zu fühlen. Oben am Plateau des Felsens, zwischen den Hotels und Touristengetümmel führt die Ruinenstätte von Hierapolis zurück in die Vergangenheit. Da sie mit einer Menge von Tempeln bestückt war, galt sie als „heilig”. Von der im 2. Jhdt . v.Ch. gegründeten hellenistischen Stadt sind lediglich Sarkophage vermutlich ehemals reicher Familien in situ vorhanden, alles übrige, vor allem die großartigen Thermen stammen von den Römern, deren Kaiser ebenfalls die heißen Quellen zu schätzen und nutzen wussten.

Wie überall ist die verbliebene Kulisse der antiken Schauplätze beeindruckend übersät mit Theater, Tempelresten und Kolonnadenstraßen. Immerhin beherbergte Hierapolis damals 100.000 Einwohner.

Mein nächstes Ziel ist die zerfurchte Küste der Ägäis, vor der eine Schwadron vor allem griechischer Inseln postiert ist. Mich interessieren allerdings die drei antiken Stätten, die nahe dem Ufer wiederum als Zeugen einstigen Glanzes fungieren: Didyma, Milet und Priene! Jedes Mitglied dieses dicht beieinander liegenden Trios beschenkt die Nachwelt mit einer besonderen Spezialität.

In Didyma überrascht die mächtige Orakelstätte des Gottes Apollon, die sich mitten in einem neuen Dorf majestätisch behauptet. Von den Persern 494 v.Ch. zerstört, lag der Tempel, der zum milesischen Apollo-Heiligtum gehörte, in Trümmern, ehe er in der heutigen Form wieder aufgebaut wurde. Der Ort ist zum Teil aus seinen Bruchstücken entstanden.

Das Zentrum des Dreigestirns war Milet. Hier reiften im 6. Jhdt. v.Ch. Naturwissenschaft und Naturphilosophie mit Thales von Milet heran. Eine Zeit geistiger Produktivität! Von den Persern ebenfalls zerstört, begann nach dem Sieg der Griechen der Wiederaufbau und Milet wurde eine große und reiche Handelsstadt. Seine Hauptattraktion liefert das prachtvolle Theater aus dem 2. Jhdt.

Schließlich Priene, das heute verlassen in herrlicher Lage auf einem Felsabsatz von einstiger Größe träumt, aber schon in römischer Zeit an Bedeutung verlor. Sein Glanzstück war der hellenistische Athena-Tempel in einer die Stadt beherrschenden Lage und darüber das noch ältere Heiligtum der Demeter und Kore.

Fast schon überfüttert von so vielen Attraktionen aus allen möglichen Epochen, von verschiedenen Völkern und Reichen, begeistert mich etwas rdlich noch einmal ein antikes Areal mit seinen großartigen Relikten: Ephesos! Dank des verhältnismäßig guten Erhaltungszustandes wird die Fantasie nicht übermäßig strapaziert und ich wandle genussvoll durch das ausgedehnte Gelände. Bereits um 1000 v.Ch. kamen die ersten Griechen – lonier – hier an diesem von der Natur wundervoll ausgestatteten Erdenfleck an. Vorher siedelten schon Karer und Lyder hier, die die anatolische Göttin Kybele verehrten. Die lonier übernahmen deren Heiligtum und weihten es der griechischen Artemis.

Durch seinen ausgezeichneten Hafen und des westlichen Endes der durch Anatolien führenden persischen Königsstraße, erlangte Ephesos großen Reichtum. Doch wie stets führte der Neid weniger bevorzugter Glückspilze zu Turbulenzen und neuer Inbesitznahme, sodass die Stadt zweimal ihren Standort wechselte. Erst als Ephesos zur Hauptstadt der römischen Provinz Asia erklärt wurde, begann ihre eigentliche Blütezeit. Sie wuchs zum wichtigsten Handelszentrum Kleinasiens heran. Dadurch senkte auch schon sehr früh das Christentum seine Wurzeln in Ephesos Boden. Es heißt, dass außer dem Apostel Paulus auch der Evangelist Johannes, möglicherweise sogar mit der Gottesmutter Maria um 53 n.Ch. hier gewesen sei. Durch diese Überlieferung stieg Ephesos später zu einem der größten Marien-Wallfahrtsorte der Welt empor, womit der Anbetung der Artemis das Ende bereitet wurde. Deren Heiligtum, zerstört, verfallen, da als Steinbruch für byzantinische Kirchenbauten missbraucht, erfuhr erst 1869 eine späte Wiedergutmachung, indem man noch Vorhandenes mühsam ausbuddelte. Trotzdem lässt ihre unscheinbare Ruine nur vage die einstige imposante Größe ahnen.

Der Zyklus von Glanz, Zerstörung, Wiederaufbau, Veränderung, Verfall, Erneuerung, scheint als Erbe kosmischer Gesetzlichkeit auch der Menschheit ins Stammbuch geschrieben…

Spaziert man in Ephesos die Kuretenstraße mit ihren Säulen und diversen Fragmenten entlang, hat man fast das Gefühl ein wenig in der antiken Stadt zu lustwandeln und begegnet immer wieder Gebäudekomplexen, die auch von der Zeit ramponiert, noch Harmonie und Schönheit ausstrahlen. Ein besonderes Beispiel dafür ist die Celsius-Bibliothek, deren Details immer noch als meisterhafte Zierde gegen den Himmel ragen. Einmalig auch das große Rund des berühmten Theaters, in dem Paulus den Ephesern predigte.

Über dem nahen Städtchen Selcuk thront der Burgberg, der mit einem Prachtblick hinunter auf die Ebene den Besucher belohnt. Von hier kann man die spärlichen Reste – eine einzige Säule steht aufrecht – des Artemis-Tempels von Ephesos besser übersehen. Auf diesem Ayasoluk-Hügel befinden sich auch die älteren Teile des Ortes Selcuk, vor allem die Johannes-Basilika – alles aus nachantiker Zeit errichtet, als das alte Ephesos wegen zunehmender Versandung des Hafens und grassierender Malaria aufgegeben werden musste. Da der Evangelist während seines Aufenthalts hier oben gewohnt haben soll, wurde nach seinem Tod über dem Grab eine Kapelle und später 527-565 ungefähr zur gleichen Zeit des Baus der Hagia Sophia in Istanbul, die Basilika geschaffen. Auch sie hat die Turbulenz der Geschichte zur Ruine dezimiert. Wieder unten in der Neustadt von Selcuk verleiht das Museum mit zwei Glanzstücken, der Göttin Artemis eine späte Ehre. Weltberühmt ist vor allem die Alabasterstatue mit den vielen Brüsten (oder sind es gar Stierhoden?). Es handelt sich um eine Kopie des verlorenen Kultbildes von 81-96 n.Ch .

Eine Stippvisite in Izmir, dem griechischen Smyrna stimmt mich bereits auf das nahende Ende meiner Reise in einen Teil des heutigen türkischen Staates, ein.

Wegen seiner schönen Lage schon im Altertum berühmt, wurde Izmir, wie so zahlreiche Städte Opfer der ewigen Scharmützel um den Besitz und zusätzlicher Naturgewalt, die zusammen dieses beliebteste Juwel an der ägäischen Küste vernichteten. 1923 zerstörte ein Großbrand die Altstadt und da zugleich der griechische Bevölkerungsanteil ausgewiesen wurde, präsentiert sie heute neu aufgebaut, ihre Reize in türkischem Dekor.

Als letzter Gruß aus alten Zeiten verlockt mich Pergamon zu einem Blick auf seine Überreste. Im 3. und 2Jhdt. v.Ch. herrschte hier als selbständiges Königreich die Dynastie der Attaliden. Ihre Akropolis in luftiger Höhe, umgeben von einer herrlichen Naturszenerie war prädistiniert für große Bauwerke. Neben dem Königspalast besaß sie einen „heiligen Bezirk” und natürlich auch unter vielem anderen ein Theater am Hang. Heute rahmen auch hier mehr oder weniger lädierte Reste diesen attraktiven Burgberg. Vom berühmten Zeusaltar, mit dessen Bau 190 v.Ch. die Pergamer sich nach ihrem Sieg über die Galater rühmten, ist nur der Unterbau zu sehen. Das überwältigend reich gestaltete Fries habe ich vor einiger Zeit in einem Museum in Ostberlin auf einem rekonstruierten Untergrund platziert, bewundern können. Es stellt den legendären Kampf der Götter mit den Riesen dar, in dem sich die Griechen selbst in Szene setzten. Zwar hat in diesem eigens für die Skulptur reservierten Saal Wasser von der Decke getropft, aber das gigantische Denkmal hat die Mühen einer Reise nach Ostberlin reich belohnt. Wie nackt klagt demgegenüber der nüchterne Sockel in Pergamon seinen Verlust in der prächtigen Landschaft auf einem Felsplateau an, dessen Wände an drei Stellen 400 m tief abfallen.

Genau unterhalb dieser Aussichtsterrasse hat sich die moderne Stadt Bergama ausgebreitet und 1 km davon entfernt, im Blickfeld der Akropolis, dehnt sich das großartige Gelände des Asklepion mit seiner römischen Prachtstrasse aus. Früher säumten Säulenhallen mit dahinter befindlichen Läden diesen breiten Zugang zu den verschiedenen Einrichtungen und dem Theater. Es war auch ein stark frequentierter Wallfahrtsort dank des Arztes Galan, 129 n.Ch. in Pergamon geboren, dem größten Heilkundigen des Altertums. Bis zur Renaissance galten seine medizinischen Schriften als Wissensgrundlagen.

Der Spaziergang durch die weitläufigen Anlagen dieser griechisch-römischen Heilstätte zählen für mich zum Höhepunkt des letzten Ausflugs in die Antike.

Ca. 300 km sind es von hier nach Bursa, einer alten und ebenfalls geschichtsträchtigen Stadt, die im 14. Jhdt. nach der Vertreibung der Byzantiner von den osmanischen Türken zu ihrer Hauptstadt erhoben wurde und aufblühte. Prächtige Moscheen künden davon und auch als infolge der Expansion des osmanischen Reiches der Regierungssitz nach Edirne verlegt wurde, blieb es Kernland der Dynastie. 5 Sultane liegen hier begraben. Anmutig rekelt sich Bursa zu Füßen des „Großen Berges”, dem antiken 01ympos, empor. Die Aussicht von seinem Gipfel soll an klaren Tagen bis Istanbul reichen und dessen Kuppeln und Minarette in den Himmel zeichnen. Dieses Erlebnis bleibt mir leider wegen Nebel versagt. So tröste ich mich eben mit dem hübschen Stadtbild, dem Marktviertel und vor allem einen Besuch der Moscheen. Edle Keramikfliesen lenken in der „Grünen” den Blick hinauf zur gewölbten Decke, die wie ein gekrümmter Sternenhimmel funkelt. Die „Große”, zugleich mächtigste der Moscheen die in Anatolien vor der Eroberung Konstantinopels erbaut wurden, hat sich nach dem Sieg über das Kreuzfahrerheer 1396 mit dessen Beuteschatz selbst bezahlt gemacht. Wieder ein Beispiel für das Paradoxon, das Religion als Rechtfertigung für Besitzgier, Kampflust und Machtsucht missbraucht.. .und zwar in allen Glaubensvarianten.

Bursa liegt per Luftlinie in etwa gegenüber Istanbul. Nur ein enger Zipfel des hier endenden Marmarameeres, trennt die beiden Veteranen der Geschichte voneinander.

110 Straßenkilometer sind es bis zur Fähre in Yalovna, die in 1 1/2Stunden in Kartal das asiatische Ufer der großen, berühmteren Schwester erreicht. Von diesem Vorort Istanbuls ruft sich mit dem Stau über eine als erstes erbaute Bosporusbrücke, die Metropole als Verkehrsmoloch in Erinnerung.

In Istanbul begann mein Schnupperkurs in einen Landstrich, der wie kaum ein anderer von Völkern und Kulturen überschwemmt und von Kriegen, von Aufstieg und Untergang geprägt wurde.. .und hier endet dieser kurze Einblick in seine Vergangenheit und Gegenwart. Inzwischen hat sich der Zeiger der Weltenuhr um über 20 Jahre weiter geschoben. Manches mag sich in dieser Zeit verändert, verbessert oder verschlechtert haben… Istanbul wuchs jedenfalls um Millionen von Menschen weiter an, 20 sollen es inzwischen geworden sein…

Das doppelgesichtige Portrait dieses Staates ist geblieben; die Spuren der Vergangenheit geistern als unauslöschliche Schatten nicht nur in den Ruinen über das islamische Herz des Landes. Als ich 1987 diese Reise unternahm lebten und arbeiteten bereits Tausende türkischer Bürger, angeworben durch einen enormen Wiederaufbau-Bedarf in westdeutschen Städten. Es waren meist Bauern aus Anatolien, die oft nicht einmal eine Stadt in ihrer Heimat gesehen hatten und den Verlockungen des Geldes folgten, um der eigenen Armut zu entfliehen.

Ein Zusammenprall allzu unterschiedlichen Niveaus und ein Schock für beide Teile! Die westliche Zivilisation stand verständnislos Sitten und Gebräuchen gegenüber, während sich die fremden Arbeitskräfte mit Ihresgleichen verbündeten und in der neuen Umgebung den gewohnten Rhythmus beibehielten. Peu a peu holten sie ihre reichhaltige Familie nach…

Wie ich in Gesprächen mit Leuten in der Türkei erfahrenmusste, brachten die „ Auswanderer” auch dort einiges in Unordnung. Neid wucherte unter den Daheimgebliebenen ob des verdienten Geldes, das nun regelmäßig von den Abtrünnigen bei deren Angehörigen eintraf. Vorprogrammierte Probleme also…

Und auch während der vielen inzwischen verflossenen Jahre, ist es nur wenigen dieser einstigen Gastarbeiter gelungen, sich voll in die neue Heimat zu integrieren und nicht „ abseits”, sondern inmitten der westlichen Kultur zu leben, ohne die eigene Identität zu verlieren. Auch haben sich, nicht ohne Zutun umliegender Staaten, die uralten Konflikte zwischen den Religionen beängstigend verschärft und anstatt zu kooperieren, drohen Allah und der christliche Gott wieder zu erbitterten Rivalen zu werden.

Was vor Jahrhunderten katholische Eiferer durch Fanatismus an Verbrechen anrichteten, damit beschmutzen nun islamische Terroristen ihren Glauben. Niemand kennt die Zukunft und weiß, ob sich die Menschheit je zu Harmonie und Frieden aufraffen kann.

Das hochinteressante, vielgestaltige Territorium – seit 1923 als Republik Türkei deklariert – tut sich jedenfalls schwer als Pufferglied geschickt zwischen Orient und Okzident zu jonglieren und den Pfad der Emotionen und Ambitionen, friedvoll zu beider Nutzen zu begradigen.