Silba

Bevor ich mich den unzähligen Inseln im östlichen, Ägäis benannten Abschnitt des Mittelmeeres zuwende, die als vielgestaltige Landflecken aus der blauen Wasseroberfläche aufragen und in ihrer überwiegenden Mehrzahl Griechenland zugeteilt sind, wage ich einen Abstecher zu einem Nebenarm, der Adria. Auch hier sprenkeln eine riesige Anzahl von bewohnten und unbewohnten, berühmten und unbekannten Eilande als bunte Kleckse die wogenden Fluten des azurnen Gewässers.

Sie bildeten sich nach der Eiszeit und sind – meist lang gezogen … Rücken und Kämme des dinarischen Gebirgszuges, der aus Kalksteinen und Verkarstung aufgebaut ist.

Der Winzling, von dem ich erzählen will, verbirgt sich irgendwo vor dem mitteldalmatinischen, steilen Küstenstreifen, der bis Zadar reicht, zwischen anderen, größeren Festlandsbrocken. Er ist nur 8 km lang und nicht einmal ganz 800 m breit und ist nur wenigen Leuten bekannt.

Auf Empfehlung unseres Cousins haben wir von seiner Existenz erfahren und ihn 3 Jahre lang hintereinander als höchst umständlich zu erreichendes Urlaubsziel schätzen und lieben gelernt. Sein Name SILBA taucht nur auf sehr genauen und speziellen Karten der Adria, die sich irgendwann zwischen Italien und den Balkan, das damals jugoslawische Festland gezwängt hat.

Es waren die Nachkriegsjahre, in denen gerade nach 1950 die zögernde Erholung von den Schrecken und der Not des zweiten Weltkriegs das Zeitalter des Wiederaufbaues begonnen hatte, das Geld wieder wertvoll und daher nur sparsam ausgegeben wurde.

Zwar besaßen wir bereits ein Auto und nutzten die raren 14 Urlaubstage – später 3 Wochen – die damals höchstmöglich zugestanden wurden, für Fahrten in den sonnigen Süden. Luxus war für das Gros der Normalbürger selbstverständlich noch ein Fremdwort…es genügten Sonne und Meer für erholsame Ferien und unnötiger Komfort galt fast als ein Hindernis beim Naturgenuss.

So empfanden wir auch Silba mit nur einem einzigen Ort in etwa der Mitte des mickrigen Lulatsch als durchaus ausreichend, trotzdem der fast spartanisch mit einem großen Platz, einer Kirche, Taverne und einem Laden ausgerüstete Ort, hauptsächlich mit im Verfall befindlichen Häusern aufwartete.

Auch, dass es weder Wasser- noch Stromanschluss auf der Insel gab, störte uns nicht.

Lediglich die Erreichung dieses, unseres Traumzieles zerrte an den Nerven und schaffte Probleme. Denn die Insel war und ist es auch heute noch… “autofrei“.

Per Bahn in Titos Reich nach Rijeka, wo einmal wöchentlich ein Schiff die Insel anlief, klappte mit Übernachtung einigermaßen gut. Aber die zweite Variante mit Nachtzug und direkten Anschluss per Dampfer wäre um ei n Haar gescheitert. Der Zug hatte über eine Stunde Verspätung und als wir von Schweiß triefend am Hafen anlangten, hatte das Schiff bereits abgelegt, drehte aber aufgrund unseres verzweifelten Rufens und Winkens bei, sodass wir durch einen Sprung mitsamt Gepäck auf der noch geöffneten Reling landen konnten. Danach war uns der Appetit auf ein Frühstück vergangen und wurde durch einen doppelten Slivowitz ersetzt.

Auch die dritte Anfahrt mit Auto durch Jugoslawien bis Zadar, erwies sich infolge der anschließend notwendig gewordenen Suche nach einer Garage für das Vehikel als umständlich und kostbare Urlaubszeit raubend.

Doch jedes Mal entschädigte uns Silba voll und ganz für die Strapaze, es zu erreichen.

Nur wenige Häuser auf der Insel waren überhaupt und nur in den Sommermonaten bewohnt, bzw. bewohnbar und vermieteten Zimmer.

Wir hatten Unterschlupf bei der Witwe eines Kapitäns gefunden, dessen Räumlichkeiten intakt und freundlich waren.

Welch` ein freies Dasein auf Zeit…!

Wasser spendete eine gut gefüllte Zisterne und mit Proviant versorgt spazierten wir täglich am frühen Vormittag auf schmalem Pfad entlang des Meeres eine knappe halbe Stunde zu „unserer“ Bucht Papriniza, wo gleich am ersten Tag eine Zeltunterlage und ein Sonnendach im Gebüsch deponiert wurde und so versorgt, die Ferien in ungestörter Zweisamkeit mit Schwimmen, Lesen und Faulenzen zugebracht wurden. Am steinigen Strand brutzelten ab und zu auf einem Feuer zwischen Kieseln Schaschlikspieße, die mit einheimischen Wein Kraft spendeten.

So naschten wir drei Jahre für wenigstens für ein paar Tage, weitab von allen menschlichen Aktivitäten am „Paradies“. Nie verirrten sich Leute in dieses unsere Bucht, wenige wussten um ihre Unschuld uns viel zu spärlich war das Angebot an Übernachtungsangeboten.

Dabei hat auch Silba Geschichte, nicht so spektakulär wie manche andere Insel, aber durchaus interessant und gediegen.

Bereits die Römer hatten sie entdeckt und siedelten auf der Insel. Im 10. Jh. Taufte man sie wegen ihres reichen Waldbestandes Seva. Im 11. Jh. Gehörte sie einem Marienkloster in Zadar und fiel ihm 15.Jh. unter die Herrschaft der Seemacht Venedig. Wie überall, wo diese nimmersatte Weltmacht das Sagen hatte, zahlten auch in Silba die Wälder die Zeche für den immensen Bedarf an Holz, sodass jetzt nur noch Macchia das grüne Kleid des Eilandes darstellt.

Endlich im 17. und 18.Jh. erlebte Silba seine gebührende Würdigung, einen atemberaubenden Boom, der den Winzling in die Reihe der Wohlhabenden katapultierte. Natürlich widerfuhr ihr dieser enorme Aufschwung durch das Meer, das sie so liebevoll umspült.

Silba avancierte zur Insel der Seeleute, Schiffseigner und Kapitäne, die große, schöne Häuser um den kleinen Ort errichteten. Der 15 m hohe Toretta-Turm, von einem Kapitän angeblich im Gedenken an eine Geliebte im 19. Jh. Erbaut, erinnert noch an die glorreiche Epoche.

Sogar Wein wuchs auf der Insel und soll wegen seiner hervorragenden Qualität sogar an den Kaiserhof in Wien geliefert worden sein….bis…ja, bis die Reblaus die Weinkultur vernichtete und das Zeitalter der Seefahrt in eine andere Richtung triftete.

Von den politischen Veränderungen, dem Zerfall des kommunistischen Jugoslawien in seine verschiedenen Ethnien, die Tito zusammen gezwungen hatte, blieb Silba verhältnismäßig unberührt.

Mit Sicherheit hat diese halb verfallene, verlassene, einsame kleine Nature Enklave in den vielen Jahren seit unserem Besuch Anschluss an die Grundbedürfnisse der heutigen Zivilisation gefunden, dürfte es aber verstanden haben, eine Verstümmelung durch den Tourismus zu vermeiden. Es gibt keine Hotels, nur Ferienwohnungen werden in den vermutlich instand gesetzten Häusern an Gäste vermietet und auch andere inzwischen zum Standard der Zeit gehörende Annehmlichkeiten scheinen einen Urlaub auf dieser Insel lohnenswert zu machen.

Ich aber möchte Silba in Erinnerung behalten als ein absolut einsames, verschlafen vor sich hindösendes, in seiner Natürlichkeit liebenswertes Eiland im Herzen des adriatischen Meeresarmes.