Kreta

Wie ein Sprichwort weiß, kommt das Beste immer zum Schluss.

Dem getreu habe ich mir mein Abschlussplädoyer im Inselmosaik des Mittelmeeres, als Hommage an meine Neue Heimat – KRETA – aufbewahrt, in die ich vor 12 Jahren ausgewandert bin.

Seither fasziniert mich nicht nur die grandiose Landschaft dieses größten Inselterritoriums von Griechenland – emporgehoben vor Urzeiten – in der südlichen Ägäis… sondern auch seine, von Rätseln und Geheimnissen umwobene Geschichte der Besiedlung durch Menschen.

An der Nahtstelle dreier Kontinente – Europa, Asien, Afrika – überrascht Kreta mit einer ersten Hochkultur, die glänzte und herrschte, als Europa noch nicht erwacht war.

Wer waren die Menschen, die sich an den Küsten dieser, mit drei mächtigen, über 2000m hohen Gebirgszügen, ausgestatteten Insel, niederließen? Konnten sich Jäger und Sammler von irgendwoher vor 8000 Jahren „von selbst“ zu der auf Kreta entdeckten und mit 3 ausgegrabenen Palästen dokumentierten Hochkultur entwickeln oder brachten spätere Einwanderer ihre Erfahrungen aus einer fremden Zivilisation auf die Insel?

Trotz intensiver Forschung sind Herkunft und auch das plötzliche Verschwinden dieser Kultur, die von 1700 -1450 vor Chr ihre höchste Blüte erreicht hatte, nicht endgültig geklärt.

Schon 1985, bei einem ersten Kennenlernen dieses Eilands, haben mich die riesige Ausdehnung und großzügige Bebauung der Anlage von Phaistos – übrigens ganz in der Nähe meines nunmehrigen Wohnortes an der Südküste bei Mires – und auch das nicht weit entfernte griechisch-römische Ruinenfeld von Gortys begeistert…

Neben den Exkursionen rund um diese für mich schönste und interessanteste aller Mittelmehr-“Sprösslinge“, beschäftigen mich die Fragen um das Woher und die Ursachen des Verschwindens dieser minoischen Kultur besonders intensiv, wobei sich natürlich auch eigene, laienhafte Spekulationen in meinen Gedanken widerspiegeln.

So bin ich beispielsweise während einer Studienreise in die Türkei im Museum von Ankara einem rekonstruierten Haus aus Catal Hüyük in Anatolien begegnet, in dem die aus den längst verwitterten Lehmhäusern ausgegrabenen Fundstücke von etwa 6000 vor Chr dekorativ eingeordnet, präsent waren. Besonders auffallend dabei „Stierhörner“, ähnlich denen, die ich 1985 in Phaistos auf Kreta als Besonderheit registriert hatte. Auch im Archäologischen Museum in Iraklion an der Nordküste, seit 1971 als kretische Hauptstadt deklariert, schmückt dieses Symbol Vasen und Trinkgefäße und eine Sportszene zeigt plastisch den Sprung einer Person über einen Stier. Gibt es Zusammenhänge, frage ich mich immer wieder… könnten anatolische Einwanderer die ersten Europäer gewesen sein? Oder war der Stierkult auf Kreta nur Zufall?

Die griechische Mythologie knüpft ihre eigenen Fäden um die ersten Bewohner auf der Insel. Sie siedelt einfach ihren obersten Gott auf Kreta an. In einer Höhle im Ida-Gebirge mit dem fast 2500 m höchsten Psiloritis-Gipfel, soll er geboren und herangewachsen sein und am Juchtas, dessen 800 m hohes Felsmassiv unweit von Iraklion sein Profil zeichnet, begraben liegen bzw. schlafen.

Auch das zweite Gebirgsmassiv des Dikti bietet allerdings eine Höhle als Zeus- Geburtsstätte an.

Dass der stets nach Liebe schmachtende Göttervater als Stier verkleidet die phönizische Prinzessin „Europa“ übers Meer nach Kreta entführte, um am Strand von Matala zu landen und unter einer Platane in Gortys mit ihr die Hochzeit zu vollziehen, klingt recht plausibel. Danach wäre der erste Spross aus dieser Liebesaffäre – Minos – der Gründer und Ahnherr der ersten und mächtigsten Seemacht im Mittelmeer und auf diese Weise auch der Kontinent entstanden, mit einer Urmutter, die… allerdings… aus Asien stammt.

Da Kreta so überreich mit einzigartiger Naturschönheit – Meeresstränden und Buchten, Hochgebirgen, Felsschluchten, die durchwandert werden können, gesegnet ist und mit einer von Geheimnissen umrankten ersten Kultur, nebst beträchtlichen antiken Zeugnissen, aufwartet, ist es unmöglich dieses Übermaß an Erlebbarem im Detail zu beschreiben.

Ich werde mich also mit Hinweisen und Kostproben aus dem reichen Reservoir seiner Kostbarkeiten begnügen und versuchen, einen kleinen Überblick über das Eiland zu geben.

Vorweg darf nicht verschwiegen werden, dass vor allem die Nordküste beiderseits der Hauptstadt, in der Saison scharenweise von Touristen heimgesucht wird. In Richtung Osten von ihr boomt eine wahre „Ballermann-Szenerie“, während nach Westen exklusive Fremdenbetriebe in Nobelhotels „all inklusive“ bieten.

An „meiner“ Südküste dagegen hält sich der Tourismus – von einigen Ausnahmen wie eben Matala, das einstige Hippi- und Rucksack-Zentrum und die Ausgrabungsstätten – in beschaulichen Grenzen, beglückt allerdings infolge der fruchtbaren Messara-Ebene im Juli/August oft mit Temperaturen um 40 Grad. Schließlich sind es von hier nicht viel mehr als 200 km bis zur lybischen Grenze nach Nordafrika.

Während an dem langen Küstenstreifen im Süden, die Stadt Ierapetra an der nur 10 km breiten „Wespentaille“ mit einem venezianischen Hafenkastell und einer malerischen, türkischen Altstadt nach Osten zu, angesiedelt ist, konkurrieren am Nordstrand drei Städte um die Gunst des Publikums.

Die Hauptstadt Iraklion mit einer hektischen, verkehrsreichen Neustadt, dem herrlichen Archäologischen Museum und einem kleinen Bereich als Fußgängerzone ausgewiesener, verwinkelter, Altstadt mit reizvollem Flair.

Weiter westlich, hinter der Hotelparade des Strandes präsentiert sich nach hässlichen Außenbezirken das Stadtzentrum von Rethimnon als eine Mischung von venezianisch-türkischer Bausubstanz mit eigener Note und viel Charisma. Die venezianische, imposante „Fortezza“ auf einer Halbinsel im Meer, angeblich uneinnehmbar, konnte die folgende muslimische Invasion jedenfalls nicht aufhalten.

Als drittes, am meisten von venezianischer Anmut gekennzeichnetes und vor Iraklion als Hauptstadt gekürtes Stadtcenter stellt sich Chania im Westen dieses nördlichen Küstenabschnittes vor.

Am Ufer des venezianischen Hafenbeckens unterhalb des wehrhaften Kastells zu flanieren, gehört, von fliegenden Händlern mit allerlei nützlichen oder pittoresken Angeboten zum Kauf animiert, von Sitzbänken zum Verweilen verlockt, zum schönsten Vergnügen beim Bummel durch diese Stadt. Kaffees und Restaurants unterhalb von mit Balkonen verzierten Häusern – einst Paläste – ragen in bunter Reihe über den gastlichen Stätten pittoresk empor… und das Schlendern gar durch die engen, krummen Gassen, die sich bergauf und bergab um alte Gebäude winden, wo die Bewohner einen vergangenen Alltag vorführen, vervollständigt, mit den sich um dieses Kernstück schlingenden, weiteren individuell gestalteten Distrikten, das Portrait einer Stadt mit unwiderstehlicher Atmosphäre.

Einen kurzen Seitenblick sollte man auch auf das ehemalige Dorf Agios Nikolaos östlich von Iraklion werfen, das sich in den letzten Jahrzehnten zu einer kleinen Stadt gemausert hat. Es besitzt einen Binnensee, an dessen Ufern Bars und Restaurant die Touristen anziehen. Im See schlummert ein Geheimnis, er hätte keinen Grund heißt es, obwohl manche Forscher eine Tiefe von 64 m angeben. Da rätselhaftes zum Spekulieren verleitet, fragt man: hat dieses Gewässer eine unterirdische Verbindung zum Meer?

Auch eine Festungsinsel mit trauriger Vergangenheit – Spinalonga – der Verbannungsort für Leprakranke bis in die 50-er Jahre, der nun aufgelassen ist und besucht werden kann, liegt in der Nähe und zieht Fremde an.

Fast scheint es beim Betrachten der Insel Kreta, als würde ihre Ostküste einem anderen Rhythmus folgen… zumindest noch.

Einsame, unbebaute Landschaft öffnet sich hinter der kleinen Stadt Sitia, die all ihre Schönheit, ungestört von großen Menschenansammlungen, entfalten kann.

Kahl und unwirtlich sind oft ihre schroffen, von Felsen durchzogenen Hänge, auf denen die Macchia nistet und im Mai/Juni vom leuchtenden Gelb des Ginster übertüncht wird.

In absoluter Einsamkeit an der nordöstlichen Spitze des Eilands erhebt sich auf einer Anhöhe, wuchtig wie eine Festung das Kloster Toplou – einst ständig von Piraten und Türken bedroht – als Bollwerk des des Glaubens inmitten felsigen Terrains. Das Kloster besitzt außer einer wertvollen Ikonensammlung, einem überaus stimmungsvollen Innenhof, große Ländereien, die es an englische Investoren verpachtet hat. Diese wiederum planen, darauf eine Feriensiedlung mit Golfplätzen für betuchte Gäste zu erstellen… Noch tobt der Kampf zwischen dem Häufchen Naturschützer und dem Goliath „Geld“, gegen den auch Kirchenmänner nicht immun sind.

Noch strahlt diese nordöstliche Ecke Kretas himmlische Ruhe aus. Wie lange noch… ?

Um das in der Nähe gelegene Dorf Palekastro spukt, nach Ausgrabungen vor langer Zeit, die minoische Ära mit Straßenzügen und Hausfundamenten in die Gegenwart hinein… dabei hat lediglich ein Teil von dem, was vermutlich noch der Boden als Geheimnis verwahrt, das Tageslicht erreicht. Es wird vermutet, dass sich möglicherweise eine große Stadt und neben Knossos wichtigstes Handelszentrum jenes rätselhaften Volkes hier befunden hat und auch ein Palast in ihm verborgen sein könnte. Sollte „Goliath“ in diesem Areal siegen, bliebe auch dieses Relikt der Minoer für immer und ewig in den Tiefen der Erde begraben.

Durch zerklüftetes Felsenmilieu quält sich die Asphaltstraße vom Kloster hinunter zum Meer und endet auf einem riesigen Parkplatz vor Kretas prächtigen Palmenstrand von Vai – einem zauberhaften kleinen Refugium, das in die Tropen entführt. In der Touristensaison wird es allerdings täglich von einer Bus-Invasion überfallen, denn ein Palmenhain in Europa weckt Neugier und Sehnsucht.

Tagsüber wird der Rummel, mit dem sich Geld verdienen lässt, geduldet. Übernachten jedoch ist untersagt, nach den üblen Erfahrungen mit Rucksacktouristen und Hippies, die den herrlichen Strand zur Müllkippe degradiert hatten.

Die kretische Palmenart Phönix theophrastii, deren Datteln ungenießbar sind, zwängt sich vom Strand zwischen Felsen bis auf einen Hang hinauf. Am Strand beschattet sie den feinen, weißen Sand, den man auf Holzstegen durchstreifen kann, in Cafes oder dem erhöhten Restaurant das seltene Idyll im Verein mit unzähligen Touristen, den Blick aufs Meer mit den bizarren Felsinselchen davor, zu recht teuren Preisen genießen kann.

Die Ostküste wartet dann im Süden noch mit einem weiteren Ruinengelände auf, das den kleinsten und vierten der halbwegs ausgegrabenen Paläste der Minoer, als steinerne Fundamente präsentiert. Zakros!

Wie die anderen Paläste ist er um 1400 vor Chr durch unbekannte Kräfte, vielleicht Erdbeben, zerstört, aber nicht wie Knossos und Phaistos wieder aufgebaut, sondern verlassen worden.

Auch einen Hafen vermutet man hier, der durch die Veränderungen des Meeresspiegels unter dem Wasser schlummert.

Nach allem, was ich in den vergangenen Jahren an zutage geförderten Beweisen von diesen ersten europäischen Kulturträgern gesehen habe, bin ich überzeugt, dass die ganze Insel von ihren Zeugnissen unterminiert ist und ein Großteil davon, auch gar nicht mehr ausgegraben werden kann.

Ein Beispiel dafür ist Archanes, 15 km südlich von Iraklion.

Hier haben sich die Vermutungen bestätigt, dass unter dem Häusergewirr und den alten Gassen der Stadt, die heute Zentrum der Weinwirtschaft ist, ein Palast verbirgt. Ein kleiner Teil von ihm – der Öffentlichkeit nicht zugänglich – wurde freigelegt, doch weitere Bemühungen, die Vergangenheit aufleben zu lassen, würde eine malerische und wichtige Stadt der Gegenwart zerstören, worauf man natürlich verzichten muss.

Zu dem sensationellen, vom Engländer Evans entdeckten und nach eigenen Vorstellungen rekonstruierten Palast von Knossos, dürften sich also neben Phaistos, Malia, Zakros, noch eine Anzahl weiterer unter der Erde „schlafender“ Mittelpunkte gesellen.Warum dieses minoische Machtzentrum im Mittelmeer plötzlich verschwand, bleibt wie gesagt, rätselhaft.

Hatte der verheerende Vulkanausbruch auf der 100 km nördlich von Kreta gelegenen Insel Santorin um 1600 vor Chr damit zu tun, oder verlief die auf die Minoer folgende Herrschaftshierarchie der Mykener vom griechischen Festland, durchaus nicht friedlich, wie vielfach angenommen?

Jedenfalls geistert das verschwundene Volk, als Etokreter noch in entlegenen Gebirgsdörfern, in die sich einzelne von ihnen zurückgezogen haben sollen, herum.

Die Epoche der Mykener, die im archäologischen Museum von Iraklion mit auffallend primitiverer Keramik als ihre Vorgänger vertreten sind, wurde schließlich von griechischen Dorern abgelöst, denen die Römer und weitere Völkerschaften, im bekannten Zyklus der Geschichte, folgten.

23 km südöstlich von Rethymnon versteckt sich auf einem von Bergen umrahmten Plateau, Kretas wichtigstes Mahnmal für seinen Kampf gegen jegliche Fremdherrschaft.

Im Kloster Arkadi fand 1866 ein blutiges Gemetzel statt… die freiheitsliebenden Kreter hatten einen Aufstand gegen die muslimischen Besatzer geplant, dessen Vorbereitung auf heiligem Boden stattfand. Als die Türken davon Wind bekamen und mit einer riesigen Armee anrückten, flüchteten auch Frauen und Kinder in die Klostermauern. Am 8.November, als der ungleiche Kampf sich als aussichtslos erwies, gab Abt Gabriel mit Zustimmung aller Eingeschlossenen, den Befehl zur Sprengung der Pulverkammer und es fand ein Massen-Selbstmord statt. Die noch am Leben Gebliebenen kämpften todesmutig weiter, am Ende hatten über 700 Kreter und mehr als doppelt so viele Türken bei diesem Drama den Tod gefunden.

Bei einem Ausflug in Kretas Hochgebirgsregionen, als Kontrastprogramm zu den Meeresküsten, wechselt die Kulisse schlagartig und die Einsamkeit alpiner Majestät umgibt den Wanderer.

Schafe weiden auf grünen Matten, wo immer wieder niedrige, primitive Steinhütten als Schutz für die Hirten auftauchen.

Einen ganz besonderen Reiz strahlen die drei Hochebenen aus, die als spezielles Merkmal der Insel, kreisrund von 2000 m hohen Felswänden umrahmt werden.

Auf ihnen sammelt sich die von den Hängen herunter gespülte Erde zu fruchtbaren Böden.

In der Mitte der Insel ist es die Nida-Ebene, zu deren Höhe von 1400m, eine Straße hoch führt. Von da ab geht es nur noch zu Fuß aufwärts, zum „Dach Kretas“, dem Psiloritis, mit dem höchsten Gipfel der Insel von knapp 2500 m. Sein imposantes Profil im Ida-Gebirgsmassiv begrüßt mich jeden Morgen vor meiner Wohnungstür und setzt im Winter oft mit einer Schneekappe einen interessanten Kontrast zum mediterranen Flair der Messara-Ebene im Süden.

Weiter im Osten dehnt sich von den Gebirgszügen des Dikti-Massivs – ebenfalls fast 2500 m hoch – beschirmt, mit 800 m die tellerförmige Lassithi-Ebene aus. Sie ist besonders fruchtbar und schon seit 5000 Jahren besiedelt.

Während sich an ihren Rändern kleine Dörfer angesiedelt ragen im Zentrum noch ein paar, mit weißen Segeln bespannte Windräder, gen Himmel. Natürlich wird das in den Hohlräumen des Kalksteins vorhandene und zur Bewässerung benötigte Wasser, inzwischen per Diesel-Motorpumpen gefördert und die Relikte dienen nunmehr als malerische Fremdenattraktion. Zu ihnen haben sich inzwischen eine ganze Reihe von Souvenirläden gesellt, die die Illusion unberührter Natur zerstören.

Windmühlen und die auch im Dikti-Gebirge vorhandene Zeushöhle, erheben die Lassithi-Ebene im Gegensatz zu den beiden anderen runden Tellern, zum Treffpunkt von Touristen.

Die Rundung des Omalos-Plateaus in 1200 m Höhe – dem Gebirgsmassiv der „Weißen Berge“ zugehörig – mit dem gleichnamigen Dorf in der Mitte, hält im Westen der Insel eine unwiderstehliche Herausforderung für strapazierfähige Wanderer bereit. Von hier aus lockt die 16 km lange Samaria-Schlucht zwischen hohen und engen Felswänden zu einem Marsch hinunter zur Südküste. Das bedeutet eine immense Anstrengung, auf schmalem Pfad bergab, für die mindestens 6 Stunden gerechnet werden und innerhalb eines Tages bewältigt werden müssen, denn eine Übernachtung in der Schlucht, die in Krisenzeiten auch Partisanen Versteck und Schutz bot, ist verboten. Wie schade, dass dabei für die Bewunderung der hier einmaligen Flora und Fauna, kaum Zeit bleibt.

Ich konnte die anstrengende Tour leider nicht mehr unternehmen und lediglich am Ende in Roumeli am lybischen Meer – wie sich der südliche Abschnitt des großen Gewässers nennt – den fußkranken, verschwitzten, zum Teil auch erschöpften Absolventen des Gewaltmarsches begegnen und sie beneiden, oder auch bedauern.

Samaria ist mit Sicherheit die spektakulärste von Kretas Schluchten, doch es gibt noch ein gutes Dutzend anderer auf dem Eiland, die als zweites Markenzeichen der Insel gelten.

Zur Region der „Weißen Berge“, dem dritten, nur geringfügig niedrigerem Gebirgsmassiv, die Kreta durchziehen, gehört im Norden ein, allerdings von Fremden kaum beachtetes Kuriosum: der Kournasee! als einziges, ausgedehntes Süßwasserbecken bildet er eine stille und malerische Variante zum Hochbetrieb an den Meeresküsten.

Klar schimmert dieses im Durchmesser 1 ½ km umfassende Gewässer zwischen dem Dickicht grüner Hügel. Nur von einer Ecke aus ist es per Straße erreichbar und nur auf schmalem Pfad ein Stück begehbar. Umrundet kann der 400 m tiefe See nicht werden, der von einer Quelle gespeist wird und in dem sich möglicherweise auch ein Höhlensystem verbirgt.

Im äußersten Südwesten von Kreta erwartet eine zusätzliche Spezialität Besucher, die Strandwanderungen im weichen, weißen Sand zu schätzen wissen. An diesem Ende von Land dehnt sich ein von Wacholderbäumen und Sträuchern bestücktes Sandmeer aus und nur 100 Meter vom flachen Küstenstreifen entfernt, erhebt sich die Insel Elafonisi aus der Lagune. Man kann im nur knietiefen Wasser zu ihr hinüberwaten und wird von einer Anhöhe mit einem herrlichen Blick über dieses außergewöhnliche Konglomerat zwischen den Elementen belohnt.

Ein ganz besonderes Erlebnis stellt danach auch die Fahrt an der von Kurven zernagten, sich über Höhen und Tiefen windenden Asphaltstraße hinauf zur Nordküste dar.

Bevor ich mich dem abschließenden Ausflug zur 100 km nördlich von Kreta befindlichen Insel Santorin zuwende, möchte ich noch einmal auf ein interessantes Detail im Bereich meiner neuen Heimat zurückkommen. Es betrifft die antike Hinterlassenschaft von Gortys, ganz in meiner Nähe.

Während sich die Touristenbusse, genau wie bei Phaistos, vor dem Eingang zum eigentlichen Ausgrabungs-Gelände stauen, liegt über dem Nachbardorf Agii Deka verschlafene Ruhe.

Gortys existierte bereits bevor die Römer es für sich nutzten, im 5.Jhdt vor Chr als wichtigstes Zentrum der dorischen Griechen und reichte weit über das ausgegrabene Ruinenfeld, in den heute hier bestehenden Olivenhain hinein. So kann man auf spärlich vorhandenen Pfaden oder einfach querfeldein bis zu jenem 1 ½ km entfernten Agii Deka wandern und begegnet dabei immer wieder verstreut aus dem grünen Wald ragenden, antiken Relikten, wobei jedoch das meiste der ehemaligen großen Stadt sowieso noch unter der Erde schlummert.

Unter den Römern erreichte Gortys sogar das Hauptstadt-Prädikat der gesamten Provinz „Kreta und Kyrenaika“ (heute Lybien). Im offiziellen Gelände, neben der hier durchführenden Hauptstraße nach Iraklion, erregen die berühmten, in Stein gehauenen Gesetzestexte der Griechen, besondere Aufmerksamkeit, die die Römer als Dekoration für ihr Theater missbrauchten.

Erst nach der Eroberung durch die Araber 824 nach Chr, ging die Ära Gortys zu Ende und wurde schließlich verlassen. Ihre Bewohner gründeten das nahe Agii Deka, heute bedeutungslos, aber bis ins 20. Jahrhundert Bischofssitz. Auch unter seinen Gassen ruht wie unter dem Olivenwald, eine denkwürdige Vergangenheit.

Sind es im ausgegrabenen Teil von Gortys die Gesetzestafeln, das Theater, der Akropolishügel, die Reste der Titus-Basilika und die Platane, unter der Zeus die Hochzeit mit Europa vollzog, die von Touristen bestaunt werden, herrscht auf der gegenüberliegenden Straßenseite unter den Olivenbäumen und dem Dorf verträumte Einsamkeit.

Deka bedeutet auf griechisch Zehn, Agii heilig, also 10 Heilige und diese sollen hier als Märtyrer in der Mitte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts enthauptet und angeblich auch hier begraben worden sein. Die schöne, alte Kirche bewahrt weitere Geheimnisse, so z.B. die Marmorplatte, auf der die 10 Märtyrer bei ihrer Hinrichtung gekniet hätten.

Die Titus-Basilika im Ausgrabungsgelände von Gortys direkt neben der Straße, berichtet dagegen von jenem, von Paulus eingesetzten Bischof, als er in Kreta missionierte und hier die erste Kirche schuf. Das heutige Fragment stammt dagegen aus späterer Zeit, dem 6.Jahrhundert.

4 Stunden benötigt das Fährschiff, um von Iraklion die Insel Santorin zu erreichen.

Als langgestreckte Felswand, bekrönt mit den weißen Hausfassaden des Hauptortes Phira, taucht das Eiland aus dem blauen Meer.

Erst beim Näherkommen werden die Spuren sichtbar, die die unterirdischen Kräfte der Erde dieser Insel zugefügt haben, die auf dem Gestein schichtweise abzulesen sind.

Vor ca. 3500 Jahren versetzte ihr der tief unter den Fluten tobende Vulkan den entscheidenden Schlag für ihre heutige Form. Er zerriss das vordem kreisrunde Eiland um 1600 vor Chr bei einem verheerenden Ausbruch und verwandelte es in eine Sichel, vor der nun die abgetrennten „Fetzen“, darunter der noch immer rauchende Splitter Neo Kameni, im Meer treiben.

Niemand kann genau spekulieren, welche Auswirkungen diese gewaltige Eruption auf die Umgebung von Santorin und auch auf Kreta tatsächlich gehabt haben mag. Einen Tsunami… ?

Obwohl weiterhin durch Erdbeben gefährdet – das letzte traf die Insel 1956 – präsentiert sich Phira, hoch oben am Kraterrand, zu dem eine kurvenreiche Straße und auch Stiegen zwischen Lavagestein empor führen, mit seinen leuchtend weißen, blau dekorierten Häusern, den steil aufeinander gestapelten, verwinkelten Gassen, als makellose, traumhafte Schönheit .

Es zu durchstreifen, die Sicht auf die Weite des Meeres und ihre Inselchen zu genießen, ins Gewirr der in den Fels gehauenen Wohnbauten zu spähen, vermittelt einmalige und unvergessliche Eindrücke.

13 Ortschaften verteilen sich auf die verbliebene Sichel von Santorin, unter denen das Dorf OI , an der obersten, nordwestlichen Ecke der Sichel eine ganz besonders zauberhafte Atmosphäre ausstrahlt. Zu ihm windet sich ebenfalls ein, im Zickzack angelegter Treppenweg, der zu Fuß oder mit am Ausgangspunkt bereit stehenden Eselchen, bewältigt werden kann. Gegenüber von OI grüßt der größere Inselsplitter Theresia – ein überaus malerisches Ensemble, geboren aus einer gewaltigen, brutalen Katastrophe.

Am östlichen, unteren, bauchigen Teil bietet die Ruinenstätte des antiken Thera auf einem Felsrücken, im 9. Jh. vor Chr von spartanischen Griechen gegründet, höchst interessante Relikte als in historischer Zeit einziger Stadt auf der Insel.

Für mich stellt jedoch das südliche Ende der Sichel, wo in einer Bucht das ehemalige Akrotiri aus minoischer Zeit ausgegraben wurde, den Höhepunkt meiner Besuche auf Santorin dar.

Wie alle in diesem Bereich im Meer versammelten Inseln, gehört auch Santorin als südlichstes Mitglied zu den Kykladeninseln, die schon sehr früh eine eigene Kultur entwickelt hatten.

Wie auf dem gesamten Eiland tragen auch die Gebäude von Akrotiri die Handschrift kykladischen Baustils, doch die herrlichen Wandmalereien und andere Funde, die sich nun in Museen befinden, sind eindeutig minoisch und von unglaublicher Schönheit und Aussagekraft.

War die große Stadt Akrotiri eine Kolonie der Minoer? Oder handelt es sich gar, wie der leider verunglückte Ausgräber Marinatos überzeugt war, bei der Heimat der Minoer, also Kreta bzw. Akrotiri, um das legendäre und im Meer versunkene Atlantis, wie es der Grieche Platon schildert?

Die Bewohner von Akrotiri konnten offenbar rechtzeitig vor dem Ausbruch fliehen, denn es wurden weder Leichen, noch größere Schätze gefunden. Die vor rd. 3500 Jahren zerstörte Stadt vermittelt jedenfalls mit ihren Gassen, Plätzen und Häusern ein so anschauliches Bild ihres einstigen Aussehens, wie es mir noch nirgendwo anders begegnet ist. Das fügt aber auch zu dem ohnehin reichlichen Fragenkomplex über die geheimnisvolle erste europäische Hochkultur, die auf Kreta bis hinauf zu den Berggipfeln – wo offenbar statt in Tempeln, in Höhlen den Göttern gedient wurde – neue Spekulationen hinzu.

Da nicht einmal die Forschung, die Rätsel um diese Kultur endgültig zu klären vermag, scheint es wohl ratsam… sich statt mit Fragen zu quälen, das zu bewundern, was in mühevoller Arbeit aus der Erde geholt wurde und vor allem, der wundervollen Gegenwart der Insel Kreta und ihren Bewohnern mit Offenheit und Zuneigung zu begegnen.

Ich kann nach 12 Jahren Teilnahme am Leben auf der Insel nur immer wieder betonen:

Der „kleine Kontinent“ überrascht mich als prächtiger Mosaikstein im Mittelmeer jeden Tag aufs Neue!