1999 Kreta

Silvester 1999/2000

Die Strände der Insel Kreta liegen in tiefem Winterschlaf.

Auch die Taverne von Mama Eva, auf deren zauberhafter Terrasse ich so gerne aufs Meer hinausträumte ist verschlossen und niemand rühmt die Schönheit der kleinen Bucht mit dem großen Panorama.

Vorüber der hektische Betrieb der Sommer und Herbstmonate. Verschwunden die Liegen und Sonnenschirme, wo vor einem blauen Meer, die Urlauber ihre helle, von Öl glänzende Haut der Sonne zum Bräunen darboten, um sie danach zu Hause als effektvolles Souvenir, zur Schau zu stellen.

Keine Läden und vollen Strände mehr in Matala, wo bunte T-Shirts im Winde baumelten und Häkeldeckchen und Webwaren, das ganze, farbfrohe, von den Insulanern gefertigte – oder auch imitierte – Durcheinander, die Fremden zum Kauf verlocken sollten…abgeräumt und in Regale und Schränkchen fürs nächste Jahr verstaut.

Die Strassen leer, Hotels, Geschäfte, Tavernen geschlossen…

Die Bevölkerung ist von ihren Strandquartieren ins Hinterland abgewandert, wo das Leben wieder in alten Traditionen, wie eh und je, abläuft.

„Kalo chimonas“ – guten Winter – wünschte man sich bei Begegnungen und verkriecht sich halb erleichtert, halb betrübt in seine Behausungen.

Nach dem „kleinen Sommer“, der im November nochmals die Tage aufgeheizt hatte, erfrischte endlich an seinem Ende, ein heiß ersehnter Regen, die ausgetrocknete Erde.

Bald danach begann das Gras zu sprießen und mit einem zarten Schimmer Grün die weiten, unbebauten Flächen zwischen den Häusern, zu überziehen.

Heute schleicht sich aber schon wieder die Sonne durch ein paar herumziehende Wolkenfetzen, verspricht einen Tag ohne größere Turbulenzen.

Höchst zufrieden zupfen Ziegen und Schafe an dem neu gespendeten, köstlichen Angebot, zerpflücken es schmatzend in ihren Mäulern.

Die Olivenbäume schillern in silbrigen Grüntönen, präsentieren ihr dichtes, aber bescheiden klein gehaltenes Blätterkleid in wechselnden Farbnuancen. In ihnen verstecken sich die ovalen, Vogeleiern gleichenden Früchte, die bald das berühmte Öl, als wichtigstes Geschenk der Insel, liefern werden.

In üppig belaubten Zitrusgewächsen sind Zitronen und Apfelsinen herangereift und funkeln in aufreizendem Orange und Gelb aus dem schützenden Astwerk.

Kräuter und wilde Blumen, wie sie so typisch für Kreta sind, schlummern noch verborgen unter den Halmen, warten zu, ehe sie in reicher Fülle, Wiesen, Hänge und Felder überfluten werden. In wenigen Wochen zeichnen sie dann in einem Meer von Farben, wieder ein neues, faszinierendes Bild der Insel.

Heute immerhin, ist ein ganz besonderer Tag!

Abermals steht einem Jahr die Verabschiedung bevor und an diesem 31.12. wird um Mitternacht gar ein neues Jahrtausend inthronisiert.

Nach den 1999 Vorgängern, soll dem 2000 ein besonders exquisites Diadem aufgesetzt werden.

Trotz verschiedener Zeitzonen, verpflichtet dieses Krönungszeremoniell weltweit zu gebührenden Huldigungen.

Es ist Vormittag…

Ich habe eben mein Frühstück beendet und eigentlich wenig Lust zu irgendwelchen produktiven Arbeiten.

Das bisschen Sonne reicht zum Sitzen am Balkon nicht aus und am Psiloritis, einem der mächtigen Gipfel des Ida-Gebirges, der den gravitätischen Hintergrund meines Domizils bildet, ballen sich schon wieder Wolken zusammen. Ein paar Schneehauben hocken noch vom großen Regen auf seinen Graten und erinnern daran, dass es auch in mediteranen Breiten

so etwas wie Winter gibt.

Ja, der Psiloritis mit seinen bis zu 2500 m hohen Bergkegeln ist sozusagen unser Hausberg und jeden Morgen, wenn ich die Wohnungstür öffne, begrüße ich ihn und prüfe, welche Wettereskapaden er wohl für den Tag bereit hält.

Noch dichter unter seinen Fittichen, fast in Rufweite von mir, leuchtet, umgeben von Äckern und einem Hain voller Olivenbäume, in blendendem Weiß das attraktive Haus von Karin und Frieder, in deren Gefolge auch ich vor 2 Jahren der Mitte Europas den Rücken gekehrt hatte und somit mein „Traum vom Süden“, eine späte Erfüllung findet.

Leider hatte der liebe Herrgott, von dem sich meine Mutter soviel erbetete, ihr die zwei Nullen nicht genehmigt und sie 1997, 8 Monate vor ihrem hundertsten Geburtstag in sein Reich berufen.

Im Haus von Karin und Frieder soll auch heute abends das Milleniums-Ereignis gemeinsam, am Fernseher verfolgt werden.

Doch bis dahin müssen noch viele träge Stunden dem Lauf der Zeit folgen…

Was liegt an einem solch´ einmaligen Termin näher, als in Erinnerungen herum zu kramen….

Wie weit liegt doch inzwischen Deutschland, das 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer nach über 40 Jahren gewaltfrei seine Wiedervereinigung erlangte, inzwischen weg. Oder gar meine Geburtsstadt Wien…?

Nun bin ich angekommen…und lebe vor allem der Gegenwart!

So widme ich auch meinen letzten Blickpunkt, diesem aus dem Meer ragenden, lang gestreckten Eiland, das vor Urzeiten zu einer von der Peloponnes bis nach Kleinasien reichenden Bergkette, gehörte.

Unruhig und voll Bewegungsdrang, wie unser Planet nun mal ist, hatte das Mittelmeer vor ca. 3 Millionen Jahren das riesige Massiv überflutet und Kreta aus den Tiefen des Ozeans empor gehoben.

Ein Wechselspiel von Meer, Hochebenen und Gebirgszügen ziert nun die Visitenkarte der Insel.

Wie spektakulär seine Landschaft, so facettenreich verlief auch die Geschichte auf dem 8335 qkm großen Eiland, von der ein höchst eindrucksvoller Reigen aus Wahrheiten und Legenden zu berichte n weiß.

Bereits vor 8000 Jahren haben sich auf der, dem Meer entstiegenen Festland, Menschen angesiedelt.

Wie der nach Thymian duftende Bienenhonig auf seinen Berghängen, lockte die Insel süß und geheimnisvoll fremde Falter an, ohne sich dabei jedoch selbst preiszugeben. Kaum ertastet, verschließen sich seine Blütenpollen wieder, verschwenden nichts von ihrer prallen Fülle an flüchtige Besucher.

Mit Leib und Seele muss man sich diesem Eiland verschreiben, um teilzuhaben an seinem blutvollen Köstlichkeiten.

Seit meiner Ankunft am 24.12.1998 – Heiligabend – kreisen meine Gedanken immer wieder über die tatsächliche Identität seiner ersten namentlich bekannten Bewohner, die um 2000 vor Christi begannen auf Kreta, prächtige Paläste zu bauen.

Neben Knossos, verleitet zum Beispiel ganz in unserer Nähe – wir haben den Süden der Insel in der fruchtbaren Messara-Ebene als Wohnsitz ausgewählt – der Palast von Phaistos mit seinen höchst eindrucksvollen Resten dazu, das verbliebene Puzzle, zu einem realen Bild des „Damals“ zusammen zu flicken.

Waren es Könige, die einst hier residierten…oder Priester…?

Und woher kamen überhaupt die Menschen, die sich bereits Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung in Kreta ansiedelten, eine großartige Kultur entwickelten und mit dem Bau ihrer Paläste den entscheidenden Meilenstein zum Kontinent Europa legten?

Die Legende streut diffuses Licht ins Dunkel…

Und immer wieder beginnen die vorhandenen Relikte zu verschwimmen und meine Fantasie fängt an, aus Fragmenten einen Faden zu spinnen, der sich zu einem Netz ausweitet, das filigran und zerreißbar über der Wirklichkeit baumelt.

Da gibt es doch in Phaistos immer wieder Stierhörner, die als Symbole zum Beispiel an Balustraden auftauchen…

Wo habe ich solche schon gesehen…

Meine Türkeireise vor einigen Jahren, entzündet sogleich einen Gedankenblitz….

Das Museum von Ankara…

In diesem sehr lebendig und aufschlussreich gestalteten Komplex beeindruckte mich unter allen möglichen Zeugen aus vergangenen Jahrtausenden am intensivsten der Nachbau eines Wohnhauses aus Catal Hüyök ….in Anatolien!

Bemalte Wände…und Stierhörner waren neben Alltagsgegenständen der auffallende Gruß aus dieser fast 9000 Jahre zurückliegenden Siedlungsepoche.

Die Lehmhäuser des kleinen Ortes tief im Süden Anatoliens waren längst vom Wetter zerfressen worden, aber hier, im Museum, schien es, als wären die Bewohner, die bereits einen beachtlich hohen Entwicklungsstand erreicht hatten, eben erst ausgezogen.
Was für eine Parallele…! Stierhörner …

Auch das archäologische Museum in Iraklion, der jetzigen Hauptstadt der Insel, zeigte immer wieder Stierhörner in Zusammenhang mit einem Stierkult… Tausende Kilometer von Kleinasien entfernt…

Gab es etwa Verbindungen?

Aber warum sollten von so weit her, Menschen von dort auf die Insel Kreta ausgewandert sein?

Gab es vielleicht irgendwann in grauer Vorzeit eine Katastrophe…?

Wieder versteigen sich meine Gedanken auf spektakuläre Pfade…

Die Bibel erzählt doch von einer Sintflut und der Landung der Arche Noahs auf dem Berg Ararat an der Grenze der Türkei zum damaligen Mesopotamien.

Und das Gilgamesch-Epos aus Sumer berichtete ebenfalls von einer verheerenden Überschwemmung.

Jahrhunderte später vertraute ein ägyptischer Priester dem Griechen Solon den Untergang

der blühenden Kultur von Atlantis an, von der Platon später berichtete….

Was ist wahr, was Fiktion?

Auch um die „Seevölker“, die um 1500 v. Chr. Ägypten bedrohten und das östliche Mittelmeer verunsicherten und als „Menschengruppen, die vom Meer oder Meerinseln kamen“ bezeichnet wurden, ranken sich allerlei Deutungen, ohne dass Tatsachen bestätitgt werden können….

Offenbar gehört jedoch Exodus zur Weltgeschichte….

Zurück zur Realität und die Gegenwart!

Kreta ist bezaubernd schön und ich bin entschlossen, nicht wie so oft, befristet und von Zeitdruck geplagt, dieses Eiland zwischen den Kontinenten gründlich und in Ruhe zu durchforsten.

Nicht nur die Verbindung zu Asien ist hier spürbar, auch ein Hauch von Afrika weht übers lybische Meer, besonders zu unserer Südküste herüber.

Damit sind alle Pläne und Versuchungen zu fernen Zielen, die ich nach dem Tod von Kurt oft „organisiert“ durchführen musste, endgültig „ad acta“ gelegt.

Kreta zwingt mich zur Sesshaftigkeit!

Außer den rätselhaften Minoern, hatte eine ganze Palette anderer Interessenten ein Auge auf die Schönheit im Mittelmeer geworfen.

Mykener vom griechischen Festland übernahmen minoische Errungenschaften…es kamen die Römer, gefolgt vom oströmischen Byzanz…venezianische Dogen…und schließlich die türkischen Osmanen.

Alle hinterließen Fußabdrücke auf Kretas Boden.

Auf der Insel verstreut, finden sich Ruinen, Relikte in Museen, besonders reichlich wundervolle alte byzantinische Kirchen und Klöster, venezianische Festungen, etc. aus dem Konglomerat der jeweiligen Herrscher oder Besatzer.

Während von den Minoern –da während der Jahrhunderte überbaut – noch so manche unentdeckte Zeugen oder gar Paläste unter der Erde schlummern, begegnet man türkischen Moscheen und Minaretten nur selten.

Zu peinvoll war deren 200-jährige Zwangsherrschaft – das Kloster Arkadi erzählt eine erschütternde Geschichte davon – so dass man sie nach deren Abzug, zerstörte. Nur in der kretischen Musik haben sich Töne vom verhassten Nachbarn eingeschlichen, die schmeichelnd über Grenzen hinweg, um Versöhnung werben.

In diesen, unseren ersten 2 Jahren auf der von der Sonne verwöhnten Insel wurden wir mit so manchen fremden Gewohnheiten konfrontiert, die zu akzeptieren nicht besonders schwer fiel, da die griechische Gastfreundschaft bei den Kretern besonders ausgeprägt ist und auch uns als Deutsche einschloss. Keine Selbstverständlichkeit nach den Gräueln, die die Nazi-Wehrmacht im zweiten Weltkrieg, auch hier angerichtet hat.

Jene Zeit, die auch nach 60 Jahren alle die, die in sie hinein geboren worden waren, mit düsteren Schatten belastet. Denn auch nach 60 Jahren findet sich keine Antwort auf die Frage: wie konnte ein solcher Mord an fremder und eigener Völkerschaft stattfinden und ins totale „Aus“ eskalieren?

Da wächst unter einem aufgeklärten Himmel der stolzen „Dichter und Denker“ ein fanatischer Traumtänzer heran, den niemand zu stoppen vermag…?

Schon ein Bibelwort mahnt: hütet Euch vor falschen Propheten!
Aber wie erkennt man sie, die selbst ernannten „Weltverbesserer…“?
Bestenfalls, wenn es zu spät ist!

Immer wieder fällt die fromm-gläubige Menge auf sie herein…
Das Drama der Weltgeschichte!
Immer wieder entfachen Fanatiker irgendwo am Planeten einen Feuerherd, einen Brand, der rundum alles vernichtet, in dem Gewalt die Regie führt.

Wie unbarmherzig auch unser so wunderschöner Planet von entfesselten Naturkräften einen verheerenden Denkzettel verpasst kriegen kann, wird mir bei einem Ausflug bewusst.

Nach 4 Stunden Schiffsfahrt vom kretischen Hafen Iraklion aus, taucht plötzlich die Insel Santorin mit weißen Häuserreihen auf einem steilen Felsplateau aus dem tiefblauen Meer.

Gleich einem pittoresken Gemälde von makelloser Schönheit erhebt sich majestätisch die Steilwand eines sichelförmigen Eilands aus den Fluten, auf deren Höhe Ortschaften wie Schaumkronen, das Firmament streifen.

Dass eine solch´ eindrucksvolle Szenerie aus einem katastrophalen Disaster vor 3 ½ tausend Jahren geboren wurde, erschreckt zutiefst, zumal auch heute noch das bedrohliche Damoklesschwert über dem bezaubernden Bildnis weiter baumelt.

Damals nämlich, riss ein Vulkanausbruch die einst Strongyle genannte, offenbar kreisrund gewesene, zur Kykladengruppe gehörende Insel, in Stücke. Der zentrale Teil dieses Festlandes versank in der Tiefe und das Meer füllte die entstandene Leere wieder auf. Übrig blieben ist die heutige „Sichel“ Santorin und als kleiner „Fetzen“ zwei bis drei Mini-Inselchen.

Nicht genug des unbändigen Treibens, der hier zusammen treffenden zwei großen Erdplatten – die afrikanische und die ägäische vor 3 ½ tausend Jahren…, hat andererseits auch Vulkantätigkeit viel früher…vor Olims Zeiten, dem einstigen Strongyle Geburtshilfe geleistet. Laufende Ausbrüche hatten aus 4 in de Ägäis treibenden Kalksteinbrocken, im Laufe der Äonen dieses Strongyle zusammen gebacken.

In der Steilwand der verbliebenen heutigen „Sichel“ können Geologen in den verschiedenen Lavaschichten sozusagen Santorins Geschichte nachlesen.

Ein Ruhepol ist das leuchtende Traumparadies, zu dem ein Strasse in scharfen Kurven zum Hauptort Phira hochführt und auf der anderen Seite steile Treppen sich empor winden, immer noch nicht. Erst 1956 hat der halb erloschene Vulkan wieder gewütet, große Schäden verursacht und viele Menschen aus dem Idyll vertrieben.

Spaziert man zwischen blütenweißen Häusern, die teils in den Boden gegraben, teils gemauert sind und mit blau gerahmten Fenstern und Türen unter der Sonne glitzern, durch enge, krumme Gässchen, verblasst alles Wissen um Schrecken und Tod vergangener Ereignisse….

Es zählt nur die blendende Gegenwart, deren Glanz mit dem zeitlos Ewigen verschmilzt und als prächtige Sternschnuppe aus der Unendlichkeit aufblitzt.

13 Ortschaften haben sich auf dem verbliebenen Rest des ehemals runden Eilands angesiedelt und das Dorf OI, an der schmalen, oberen Spitze der Sichel gehört zu den malerischsten der Insel. Selbstbewusst träumt es auf seinem exponierten Platz ins Meer hinaus und zieht Touristen in seinen Bann.

Am entgegen gesetzten, unteren, bauchigen Ende, nahe dem Stiel der imaginären „Sense“, oberhalb der von schwarzem Sand flankierten Badestrände, haben Archäologen auf einem Felsrücken die Ruinen einer dorischen Stadt – das antike Thera – ans Tageslicht befördert, die vom 9.Jhdt. vor Ch. bis um die Zeitenwende Santorin beherrschte.

Doch das, zumindest für mich, beeindruckendste Dokument aus grauer Vorzeit stellt Akrotiri, jenes vom Griechen Marinatos ausgegrabene Relikt dar, das die Katastrophe vor 3 ½ tausend Jahren unmittelbar widerspiegelt: Eine exklusive Stadtanlage direkt am Meer, zerstört vom Vulkan, der die Insel Strongyle in Stücke riss.

Fast stockte mir der Atem, als ich durch die in mühevoller Arbeit aus der Erde zurück geholten Straßenzüge und Plätze bummelte…in zweistöckige Hausruinen blickte, deren Tür-und Fensterrahmen ausgehöhlt, über leere Räume gähnten.

Es ist das Gerippe einer versunkenen Stadt, deren Reichtümer sich mit wundervollen Wandmalereien und einer verschwenderisch gestalteten Keramik heute im Museum bestaunen lassen.

Wieder waren es Minoer, die sich hier von Kreta aus angesiedelt hatten und eine gehörige Portion Macht ausgeübt haben dürften.

Allerdings stammen diese Zeugen aus der bereits hoch entwickelten Zivilisationsepoche der Palastbauten auf Kreta, die sich in Akrotiri mit einem luxuriösen Lebensstil verewigte und der voran gegangenen Kykladenkultur einen eigenen, neuen Stempel aufdrückte.

Also eine Art Kolonie des minoischen Kreta?

Wieder plagt mich die Frage nachdem „Woher“ dieses Volkes, dessen Verschwinden oft mit den Auswirkungen der Katastrophe von Santorin in Zusammenhang gebracht wird.

Tote Mauern und die vielen aufgefundenen Vorratskrüge geben keine Auskünfte…

In meinem Kopf wuchern wieder einmal Spekulationen in diverse Richtungen:

Spielte sich das vom Griechen Platon überlieferte Drama des untergegangenen Atlantis am Ende tatsächlich hier ab? Viele glauben das, allen voran Marinatos selbst…

Menschliche Skelette konnten in Akrotiri nirgendwo entdeckt werden. War die Bevölkerung, vielleicht durch Erdbeben vorgewarnt worden?

Wohin sind die Überlebenden geflüchtet?

War das minoische Imperium auf Kreta durch die Naturkatastrophe in seiner Nähe in ihrem Lebensnerv so geschwächt worden, dass es die Herrschaft im Mittelmeer verlor?

Das Gespinst der Möglichkeiten ist so ineinander verknüpft und verwinkelt, dass kein gangbarer Pfad aus dem Dickicht gefunden werden kann. Also bleibt es der Fantasie überlassen, einen Ausweg aus dem Labyrinth zu suchen. Gleich dem Mythos des Fadens, den die verliebte Ariadne zum Griechen Theseus spannte, um nach der Tötung des stierköpfigen Minotaurus zurück an die Oberfläche zu finden.

Und wahrscheinlich malt auch die Legende über die Minoer ein friedlicheres Porträt jener vergangenen Gesellschaft, ein Idealbild, wie wir es immer suchen und nicht finden können, weil die menschliche Spezies dafür nicht reif genug ist.

Es ist bereits ½ 6 Uhr nachmittags und die Sonne hat sich gemäß der, ihr für diesen Raum zugestandene Regeln, aus dem Firmament verabschiedet.

Die Berghänge vor dem Balkon verschwimmen in lustlosem Grau. Gipfel, Zacken und Kanten vereinigen sich zu einer farblosen Schemenkette.

Das große Ereignis der Inthronisation des 2.Jahrtausends lässt noch auf sich warten, ist noch nicht für den großen Auftritt bereit.

Ich genieße die Gegenwart auf der Insel Kreta!

Morgen schon wird die erste Zahl auf den Kalender des 21. Jahrtausends eingraviert.

Oft frage ich mich, was wird sein in 20, 50 oder 100 Jahren?

Alles scheint möglich…

Weiterer Aufstieg, Landung auf anderen Planeten…Endet der Griff nach den Sternen als Höhenflug oder ist ihm Absturz beschieden?

Was steht den immer mehr Milliarden unserer Spezies auf einem überfüllten Planeten bevor?

Niemand weiß es…

Schon die wenigen Jahre, die seit meinen Stippvisiten in andere Länder verflossen sind, haben diese oft frappant verändert, so dass ich manche davon nicht wieder erkennen würde.

Allen voran im Wandel, marschiert das Riesenreich der Chinesen:

Zwar immer noch von der Partei kontrolliert, strebt es einen kommunistischen Weltmacht-Status an, während den USA ihr sprichwörtlich unbegrenztes Freiheitsmonopol auf dem Schleichweg, abhanden zu kommen droht.

Das zersplitterte Europa hingegen hat sich unter argen Geburtswehen hoch gerappelt und versucht gemeinsam energisch im Weltorchester mitzuspielen.

So undurchschaubar wie alles, was die technische Revolution außer Computer, Roboter, Internet, etc. noch hervorbringen mag, so unergründlich zeigt sich auch die Zukunft der Akteure, die all´ dies zum Rotieren bringen.

So sehr wir auch mit ausgeklügelten und raffinierten Mitteln das Universum zu enträtseln versuchen, seine wahren Ausmaße und letzten Geheimnisse werden uns Zeit und Raum nicht offenbaren. Zu geprägt ist der Mensch von den 3 Dimensionen, mit denen er auf den so prall mit Leben gefüllten Planet Erde, von der Evolution, hinein katapultiert wurde. Sie reichen bestenfalls für Annahmen, Theorien, Vermutungen von dem, was sich außerhalb unseres Gesichtskreises abspielt.

Allein die Größenordnungen dieses „Draußen“ mit den unendlich vielen Nullen in Richtung winzig bis enorm und ihrer Bewegungsabläufe, übersteigen jede Vorstellungskraft.

Wo bleibt zum Beispiel das „Ich“ – jenes durch viele Jahrzehnte so wichtig genommene „etwas“, das man Bewusstsein tauft – wenn es unseren Körper verlässt und angesichts der unermesslichen Zeitläufe im All doch nichts als einen flüchtigen Atemzug darstellt??

Eine müßige Frage…

Trotzdem halte ich es nicht für vermessen, nach Antworten für Unerklärbares zu suchen.

Die Bibel bestraft zwar das „Naschen am Baum der Erkenntnis“ mit dem Rausschmiss aus dem Paradies, doch von diesem ohnehin bereits verbannt, wäre dieses Verbot eine Zwangsjacke für denkende Wesen und daher ein Absurdum!

Ich bin überzeugt, dass auch nur ein einziges Körnchen Wissen aus der brodelnden kosmischen Suppe zu schöpfen, nicht nur beglückend, sondern auch nützlich ist, wenn wir uns mit seiner Begrenztheit bescheiden und nicht in Größenwahn verfallen.

Auch wenn wir nicht ergründen können, ob und wohin unser derzeitiges „Ich“ weiter driftet, bleibt immerhin die Hoffnung, dass irgendein verborgener Sinn, Zweck oder gar Ziel innerhalb der zeitlosen Unendlichkeit steckt und wir ihre unbegreiflichen Dimensionen bewundern und verehren dürfen.

Bedeutet allein schon das Vorhandensein von Leben auf unserem Planet ein Wunder von unbeschreiblicher Schönheit, um wie viel überwältigender muss erst das dem menschlichen Geist unzugängliche Potential des Universum sein!

Hier auf Kreta fühle ich mich diesem Unendlichen, Ewigen viel verbundener und näher als irgendwo sonst.

Das tiefblaue Meer, das rundum eine dramatisch gestaltete und dennoch friedliche Landschaft

umspült…die mächtigen, von weidenden Schafen und Ziegen mit ihren Hirten belebten Gebirgszüge, die tief eingeschnittenen Schluchten…all´ das inszeniert ein Bühnenbild, aus dem noch die Stimmen längst vergangener Menschengeschlechter zu einem Himmel voll gleißender Sonne erklingen.

So schiebe ich auch trotz beängstigender Alarmzeichen, den Gedanken an eine Apokalypse der menschlichen Gesellschaft allzu gern beiseite, denn neben aller Geldgier, Machtgelüste und Brutalität, schlummert auch der Abglanz schöpferischer Kraft als Erbe der Evolution in unseren Genen, der dringend auf eine Entfaltung wartet.

Draußen herrscht jetzt dunkle Nacht.

Wie ein glitzernder Sternhaufen funkeln am Hang der Asterousia-Bergkette die Lichter des Dorfes Pombia. Sie vibrieren in rhythmischer Wellenbewegung, als tanzten sie das Credo zu einer imaginären, geheimnisvollen Musik.

Plötzlich hallt von irgendwoher ein Schuss durch die Luft, eine vorwitzige Begrüßung des langsam näher rückenden neuen Jahrtausends.

Ein typisch kretischer Brauch, der alle feierlichen Anlässe, wie Hochzeit, Taufe, etc. krachend manifestiert und bei den Männern der Insel offenbar ein tief verwurzeltes Bedürfnis darstellt.

Obwohl verboten, können sie ihm nie ganz entsagen.

Ich beginne mich langsam für den Festakt fertig zu machen.

Langsam spaziere ich die wenigen Schritte zum Haus von Karin und Frieder hinauf.

Der Weg durch ihren Garten ist zwischen Oleandersträuchern mit Lämpchen bestückt.

Sie und der aus den Fenstern des Hauses nach außen dringende Schein, tauchen das Blättergewirr der dahinter sich ausbreitenden Olivenbäume in ein magisches Licht.

Als erste empfängt mich Puma, die aus Deutschland mit übersiedelte Wolfsspitz-Hündin, mit enthusiastischem Freudengebell.

Fast gleichzeitig mischt sich die krächzende Stimme des schwarzen Rüden Blacky in die Veranstaltung, die der Findling Lena mit ihrem hellen Koleratursopran zum eindrucksvollen Terzett, vervollständigt.

Während Katze Mori – ebenfalls aus dem kalten Norden nach Kreta ausgewanderte Matrone, inzwischen unter einem der Olivenbäume dem ewigen Schlaf frönt, düst seit einiger Zeit der schwarzlockige „echte“ Kreter Blacky im und ums Haus herum. Und da alle guten Dinge Drei sind, gesellte sich eines Tages die blonde Lena zu ihnen. Unfreiwillig allerdings…das heißt, sie wurde von „Unbekannt“ als handtellergroßer Winzling über den Zaun, in den Garten befördert.

Seither nimmt auch sie am Familienleben teil.

Dem Anlass entsprechend haben Karin und Frieder im Wohnzimmer eine Festtafel „par excellance“ vorbereitet,

Auch dieses, so arg geschundene Jahrhundert soll einen würdigen Abgang bekommen.

Zumindest in Wien gehört schließlich „eine schöne Leich´“ als selbstverständliche Pflicht zu einem, wie auch immer, vollendeten Leben…

Erlesene kulinarische Köstlichkeiten begleiten in ausgewogener Reihenfolge das Ritual der letzten Stunden des Jahrhunderts.

Auch der Fernseher steuert an diesem Silvesterabend all´ seine vorrätigen Lustbarkeiten bei, schickt Jubel, Trubel, Heiterkeit über ein vom Frohsinn besessenes Publikum und mixt auf seine Art, ein schmackhaftes Abschiedsmenü zusammen.

Die prickelnde Spannung bis zum Zeitpunkt der Ablösung des müden und welken Alten durch das unverbrauchte Neue wächst von Minute zu Minute.

Die Uhr gewinnt eine überdimensionale Bedeutung, man fiebert dem Wechsel entgegen. Nur nicht versäumen, wenn er sich vollzieht.

Endlich stellt das Gerät seine Witzeleien ein…ernst und feierlich hallen Glockenschläge aus seinem Flimmerkasten und die ganze Familie zählt mit – wie einst vor 50 Jahren.

Und wie damals knallt nach dem zwölften Ton der Sektkorken, mischen sich die gegenseitigen Glückwünsche mit den Böllern, die wie Salutschüsse aus dem Fernseher poltern…und denen, die draußen die Nacht erleuchten.

Wieder begibt man sich ins Freie, um das „Neugeborene“ willkommen zu heißen.

Und via Äther nimmt man sogleich teil am gigantischen Milleniums-Raketeninferno, das in Athen explodiert, direkt über dem ehrwürdigen Akropolis-Hügel.

Zur gleichen Zeit steht man am Brandenburger-Tor in Berlin noch von Spannung geladen, voll Erwartung auf den zündenden Augenblick des Wechsels.

Denn zwar feiert heute das gesamte Erdenrund, jedoch zu unterschiedlichen Uhrzeiten.

Ein grandioses Fortissimo aus allen Kontinenten steigt an diesem Silvester, aufjauchzend zum Himmel empor.

In allen Formen und Farben triumphieren die Boten der Erde über die Begrenztheit des irdischen Terrains, versuchen auszuschwärmen in die unendlichen Weiten des Alls.

Dorthin, wo unsichtbar und unbegreiflich, ein das ganze Universum umfassender Geist, verborgen sein muss.

Er ist es, den die Menschheit seit ihrem Bestehen unter verschiedenen Namen und mit ausgeklügelten Riten beschwört.

Um ihn zanken, streiten und kasteien sie sich, zersplittern seine unwandelbare Einheit in vielfältige Erscheinungen.

Mit milliardenfachem Blitz- und Donnergetöse hat das neue Jahrtausend auf der Erde Einzug gehalten, trägt kaum geboren schon die Last der Zentner schweren Wünsche für Frieden und Glück des Erdengeschlechts, auf seinem kindlichen Rücken.

Wie wird es sich entwickeln, dieses neue Jahrtausend?

Kein wie immer zitierter Gott im Himmel, wird die Verantwortung dafür übernehmen…

Der Mensch, in die Freiheit des Denkens entlassen, hat für seine weitere Laufbahn Rechenschaft abzulegen.

Er allein, mit seinen Kindern und Kindeskindern….

11 Jahre später….

Die Sonne scheint durchs Fenster auf meinen Frühstückstisch ….Kretas Markenzeichen für 300 Tage im Jahr, versprechen zumindest die Wetterprognosen.

Draußen wiegt ein leichter Wind die Äste des Olivenbaums sanft hin und her.

Aus dem Oleander, den Frieder bald nach Einzug ins Haus in Kapariana, in ein Loch auf der unteren Terrasse setzte, hat sich ein stattlicher Baum entwickelt, der offensichtlich vom Ehrgeiz gepackt, über alle Pflanzen rundum, zu triumphieren, gewillt ist.

Mit seinem rosaroten Blüten-Eldorado winkt er mir täglich, während seiner „Saison“ beim Frühstück, freundlich zu. Der Hibiscus, neben ihm auf der Terrasse, hat wohl erkannt, dass es sinnlos wäre, sich gegen seine Dominanz aufzubäumen und gibt klein bei.

Nur der Orangenbaum, als zweiter Nachbar, behauptet sein Recht und nimmt den Kampf mit dem Gernegroß auf. Energisch zwängt sich sein Astwerk zwischen die länglichen Blätter und kräftigen Stämme des Konkurrenten.

Der Olivenbaum, der zu Nachbarin Stasias Haus gegenüber gehört, überblickt jedenfalls als alt eingesessener Kreter, immer noch souverän die Lage und kümmert sich nicht um das Gerangel auf meinem betonierten Podest.

Auf dem hat auch noch ein Mandarinen-Sprössling, zuerst mickrig und zerzaust, sich dann empor gerappelt und bedrängt nun seinerseits das Orangengewächs.

Nur der Zitronenbaum auf der Schmalseite des Gevierts, hat rechtzeitig die Beschränkung erkannt und sogleich seine Äste nach allen Seiten hin ausgedehnt und dabei sogar die sonst so üppig rankende Bougainvilla an die Hausseite verdrängt, sodass ihr nun lediglich ein Höhenwachstum beschieden ist.

Innerhalb meiner Wohnung, behauptet sich der gute alte Schreibtisch neben dem Kücheninventar – in Kreta ist es üblich und sehr praktisch, den Wohnbereich mit der Küchenecke zu kombinieren – der Stolz von Kurt, den er sich nach den Nöten des Krieges als persönliches Statussymbol angeschafft hat.

Erst ein einziges Mal, ist der treue Begleiter unter der Bürde der Jahre und zu großer Bücherlast auf seiner Rückseite, zusammengebrochen.

Wieder perfekt geleimt, dient dieses Produkt bester deutscher Wertarbeit seit 1984 meinen Ambitionen.

Seit drei Jahren macht sich in seiner Mitte, gegenüber dem per Elektrik zu beleuchtenden Globus, der die Welt verkörpert, statt der einstigen mit Leder eingefassten und recht verschlissenen Schreibunterlage, ein sogenanntes Laptop breit, das die Fähigkeit besitzt, mich mit dieser auf der Kugel abgebildeten, gesamten Erde, direkt zu verbinden.

Blitzschnelle E-Mails und Internet, statt Briefe im Postversand und Suche in umfangreichen Lexikons….das sind nur die privaten und persönlichen Nebeneffekte einer intelligenten Errungenschaft, ohne die man im 21. Jahrhundert, nicht mehr den Alltag bewältigen zu können, überzeugt ist.

Nach dem Slogan „nichts ist unmöglich“ schwelgt es in einem Rausch des „immer mehr und immer besser“. Ständig Neues, Effektiveres überflutet das eben erst gekürte, aber inzwischen bereits Alte…

Das Zeitalter der Technik anerkennt keine Grenzen.

Ich muss zugeben, dass mich die Möglichkeiten dieses allgemeinen Trends faszinieren, obwohl mir ihr kompliziertes Netzwerk verborgen bleibt…es erleichtert und bereichert immerhin das Dasein.

Das ist die eine Komponente, die mein Leben seit ich auf der wunderschönen Insel Kreta sesshaft geworden bin, beeinflusst. Die zweite, viel wesentlichere Facette liefern das Eiland selbst und seine Menschen, die ohne Vorurteil den Fremden akzeptieren, vorausgesetzt auch dieser schätzt sie, wie sie nun mal sind, erfreut sich an ihrer Aufgeschlossenheit und toleriert Ungewöhnliches.

Unter einer so erhabenen, von Gebirgen und Meer gestalteten Kulisse zu lustwandeln, stellt allein schon ein Geschenk dar und es zu genießen, habe ich die vergangenen 12 Jahre jede Gelegenheit genutzt. Mit ihren Berges Höhen, den engen Schluchten, verschwiegenen Buchten und weiten Stränden, den freundlichen Dörfern, bietet sie ein Repertoire an Landschaftsschönheiten, die alle wahr zu nehmen, die Zeit bisher nicht ausgereicht hat und es also noch eine Menge zu erforschen gibt.

Wie herrlich auch das Klima auf diesem Eiland der Sonne, die manchmal im Sommer zwar mit recht aggressiven Graden und zeitweise mit sehr windigen Tagen aufwartet. Auch wenn der Meltemi wütet, wie z.B. bei damals bei Mama Eva in der Taverne von Agios Pavlos. Selbst gelegentliche, heftige Regengüsse, die den ausgetrockneten Boden und jeden Spaziergänger in Sekunden Schnelle bis auf die Haut durchnässen, tun dem Vergnügen, hier zu leben, keinen Abbruch….denn es gibt keine Düsternis auf Kreta!

Einige Jahre nach meinem ersten Aufenthalt in Mama Evas Taverne, habe ich sie eines Tages kurz besucht und werde nie vergessen, wie spontan und enthusiastisch sie mich sofort begrüßt und umarmt hat, als wäre ich ihre Tochter. Tatsächlich hat sie mich seinerzeit in ihrer resoluten Art, an meine eigene, verstorben Mutter erinnert und das Gefühl, in dieser hübschen Lokalität, die sie inzwischen kaum noch bewältigen kann, nicht als irgendein beliebiger Gast, sondern herzlich willkommen gewesen zu sein, erscheint mir wertvoller, als jeder perfekte Komfort.

Und sie ist nicht die Einzige, bei der ich Menschlichkeit und Wärme gespürt habe. Immer wieder begegnete und treffe ich auf dieser Insel auf jene natürliche Herzlichkeit, die so viele Menschen und Völker dem Mammut Geld und Gewinn geopfert haben.

In Kreta und wahrscheinlich auch in ganz Griechenland zählt vor allem die Familie, so reichhaltig sie auch vorhanden sein mag, sie genießt Priorität. Gefolgt von der Nachbarschaft, der ebenfalls, zumindest, wenn keine schwer wiegenden oder eingebildeten Gründe es verhindern, jederzeit tätige Nächstenliebe angeboten wird.

Ein typisches Beispiel dafür ist Stasia, die Bewohnerin des Hauses mit dem uralten Olivenbaum an der Rückseite, der wie ein grüner Wächter ihr Dach überragt und mir beim Frühstück zusieht.

Ihr bescheidenes Anwesen, dass sie von der Großmutter geerbt hat, bildete sozusagen die Vorhut auf dem oberen Teil des dörflichen Vorortes von Mires – unser Kapariana.

Während der eigentliche Ort unterhalb der Verbindungsstraße nach Iraklion, auf der Messara-Ebene angesiedelt, seit Jahrzehnten bäuerliches Milieu präsentiert, verläuft der neu ausgewiesene Wohnbezirk oberhalb dem stark frequentierten Verkehrsweg bergan auf den Hang und die Bergwelt zu.

War noch vor 12 Jahren Stasias erstes Gebäude nur von wenigen Neubauten entlang eines ungepflasterten Weges und zwischen verstreuten Häusern besiedelt, so sprenkeln jetzt jedes Jahr neue Bauten das saftige Grün und die wilde Blumenpracht im Frühjahr wird von gezieltem Anbau verdrängt und auch die Nutztierhaltung größeren Ausmaßes passt nicht mehr ins neue Klischee.

Stasia, deren Hilfsbereitschaft uns vom ersten Tag an, sehr praktisch den Start auf der Insel erleichterte,

konnte sich allerdings ein Leben ohne Hühner und Hasen nicht vorstellen und eine Ziege zu erstehen, lag ihr besonders am Herzen. Stolz stellte sie uns eines Tages einen solchen Neuerwerb, angebunden und friedlich grasend auf ihrem Grundstück hinter dem Haus – also uns gegenüber – vor. Karin und Frieder bewohnten zu dieser Zeit noch die Wohnung unter mir, die jetzt lieben Gästen als Quartier dient.

Das teuer erkaufte Tier war erschreckend mager und mit zwei ungleich gebogenen Hörnern keine Schönheit. Sie konnte einem richtig leid tun, fiel aber sofort und unentwegt über den gebotenen Grasgenuss her, sodass man baldige Besserung ihres Zustands erwarten konnte.

Leider kam es nicht dazu, denn wenig später war das Tier spurlos verschwunden. Große Aufregung herrschte, auch bei uns…

„Gestohlen….“ jammerte Stasia, wohl wissend, dass Schafe oder Ziegen klauen, als eine Art Kavaliersdelikt auf der Insel grassierte.

Suchen, wäre vergebliche Mühe, lediglich vom lieben Herrgott könne also Hilfe erfleht werden. Daher versprach Stasia im Falle einer Gunst „von oben“, der Kirche, die als orthodoxe Spielart des christlichen Glaubens mit strengen Regeln besonders bei der ländlichen Bevölkerung eine beherrschenden Status besitzt, eine überdimensionale Kerze zu spenden.

Und kaum zu glauben, wenig später stand die Vermisste tatsächlich plötzlich,friedlich grasend, auf der Wiese hinter Stasias Haus.

Sogleich starteten sie und ich zu Fuß nach Mires, wo sich in einem versteckten Winkel der Stadt, in einer Art Scheune, eine Anzahl Kerzen verschiedener Größen befanden. Mit einem Monsterexemplar aus der Schar, löste Stasia stolz und zufrieden ihr Versprechen, als Dank für das Wunder ein.

Ich wage allerdings die Vermutung, dass dem Dieb, das klapprige, dürre Tier zu mickrig für den Kochtopf war.

Mittlerweile wohlgenährt, schmatzte die abhanden gekommene und wieder aufgetauchte Ziege noch jahrelang vor meinem Balkon üppiges Grün, brachte 2 mal entzückende Zicklein zur Welt, die übermütig ebenfalls auf der Wiese herum hüpften, bis….ja, bis eines morgens wie Putzlappen, nackt und leer, ihre Haut auf einem Ast jenes gegenüber befindlichen Olivenbaumes wedelte.

Wie entsetzlich für mich…aber das Fleisch solch zarter Lebewesen, soll eben einfach köstlich schmecken…

Das begehrte Muttertier starb jedenfalls irgendwann eines natürlichen Todes…

Alle diese Ereignisse machten mich auf meinen Balkon zwangsweise zur Augenzeugen.

Auch Karin und Frieder blieben Erfahrungen bezüglich Vierbeinern aus der erweiterten Nachbarschaft nicht erspart.

Nachdem unsere geliebte Puma und auch der echte Kreter Blacky, dem Tod als unvermeidlichen Begleiter eines leider viel zu kurzen Hundelebens, nicht entrinnen konnten und nur der Findling Lena übrig blieb, adoptierten sie dessen ebenfalls blonden, von Stasias Mann, Manoli, heiß geliebten Rüden, nach seinem so traurigem Ableben…

Dass ihre offensichtliche Tierliebe, wieder Folgen haben könnte, ahnten sie nicht.

Bedauerlicherweise wissen manche Menschen die Qualitäten des besten Freund des Menschen, „Hund“ überhaupt nicht zu schätzten und finden auch Katzen völlig unnötig auf dieser Welt. Man kann sie weder melken, noch legen sie Eier… also was soll man mit ihnen?

Da stellt doch ein Garten, in dem sich solch nutzloses Viehzeug herumtreibt, eine unwiderstehliche Versuchung dar, ihn damit zu bereichern…

So landeten in Abständen zwei weitere junge Hunde-Rüden als „Geschenk“ von „Unbekannt“ auf ihrem Grundstück.

Jetzt tollen und raufen und streiten oder vertragen sich auch mal, die Neulinge mit dem dritten adoptierten, auch im „besten Mannesalter“ vor Kraft strotzenden Rüden um die Gunst der inzwischen alt gewordenen Dame Lena und Karin und Frieder benötigen weder das Fernsehen noch sonstige Abendunterhaltung, da der Nervenkitzel einer Zirkusvorstellung, bei ihnen in und um das Wohnzimmer stattfindet.

Das sind nur ein paar wenige „Kostproben“ aus meinem, bzw. unserem Alltag auf der Insel, in dessen Ablauf wir ganz selbstverständlich mit einbezogen sind und an ihm teilhaben als gleichberechtigtes Mitglied der Bewohner des Eilands.

Das Rad der Zeit dreht sich weiter und wir drehen uns mit…
Wir können es weder anhalten, noch aussteigen…
Was führt es im Gepäck für uns mit ?

Eine bange Ungewissheit…. aber als größeres Paket – die Hoffnung!

Hoffnung, dass die Menschheit endlich erwachsen wird, damit sie auf unserem so wunderschönen und so brutal und rücksichtslos ausgeplünderten Raumschiff Erde, sich weiterhin mit dem Rad der Zeit drehen darf….